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Corona-Krise als rechtliche Herausforderung für die Hauptversammlung 2020

18.09.2020

***** Update vom 18.09.2020: Virtuelle Hauptversammlung gemäß COVID-19-G voraussichtlich bis Ende 2021 möglich *****

 

Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat am 18. September 2020, den Referentenentwurf einer Verordnung zur Verlängerung von Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins- und Stiftungsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie veröffentlicht. Danach sollen die im Rahmen von Artikel 2 des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht (COVID-19-G) Ende März 2020 zu Beginn der Pandemie beschlossenen gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen bis 31. Dezember 2021 verlängert werden.

Kernaussagen der Begründung des Referentenentwurfs sind:

  • Mit der Verlängerung können betroffene Unternehmen bis zum Ablauf des 31. Dezember 2021 weiter von der Möglichkeit Gebrauch machen, Hauptversammlungen nach § 1 Absatz 2 COVID-19-G als virtuelle Hauptversammlungen abzuhalten. Dies gilt sowohl für ordentliche als auch für außerordentliche Hauptversammlungen.

  • Die Unternehmen sollten von diesem Instrument im Einzelfall nur dann Gebrauch machen, wenn dies unter Berücksichtigung des konkreten Pandemiegeschehens erforderlich erscheint. Durch die Verlängerung soll daher insbesondere für diejenigen Unternehmen Planungssicherheit geschaffen werden, die ihre ordentlichen oder außerordentlichen Hauptversammlungen in den ersten Monaten des Kalenderjahres 2021 abhalten wollen. Sollten Großveranstaltungen wieder möglich sein, sind die Gesellschaften keineswegs zur Abhaltung einer virtuellen Hauptversammlung gezwungen, sondern können wieder zur Präsenzversammlung zurückkehren oder hybride zweigleisige Formate wählen. Sie sollten auch Gelegenheiten zur entsprechenden Anpassung ihrer Satzungen oder Statute nutzen.

  • Im Fall der Abhaltung der Hauptversammlung als virtuelle Hauptversammlung stellt der Umgang mit der den Aktionären zustehenden Fragemöglichkeit ein zentrales Element der Gestaltung der Versammlung dar. Der Vorstand entscheidet auch weiterhin nach pflichtgemäßem, freiem Ermessen über die Beantwortung der Fragen und kann vorgeben, dass Fragen bis spätestens zwei Tage vor der Versammlung im Wege elektronischer Kommunikation einzureichen sind. Die Unternehmen sollten bezüglich dieser Fragemöglichkeit, insbesondere bei der vorherigen Einreichung der Fragen, weiterhin möglichst aktionärsfreundlich verfahren. Hier bestehe für den Vorstand in erster Linie die Möglichkeit, nicht von der Vorgabe Gebrauch zu machen, dass die Fragen bis spätestens zwei Tage vor der Versammlung einzureichen sind. Es solle – im Rahmen der im Einzelfall zur Verfügung stehenden technischen Möglichkeiten – gegebenenfalls ermöglicht werden, dass Fragen auch noch während der Hauptversammlung eingereicht werden können. Zudem solle der Vorstand das ihm zustehende pflichtgemäße und freie Ermessen dahingehend ausüben, möglichst viele der eingereichten Fragen auch zu beantworten.

Damit werden Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien und Europäische Gesellschaften (SE) voraussichtlich auch im nächsten Jahr von der Möglichkeit der virtuellen Hauptversammlung Gebrauch machen können.

Die Begründung der Verordnung nach dem RefE macht aber deutlich, dass im nächsten Jahr eine noch umfassendere Interessenabwägung zu erfolgen hat, wenn der Vorstand sich für die Alternative einer virtuellen Hauptversammlung entscheidet. Diese Abwägung sollte – wie bereits bisher – sorgfältig dokumentiert werden. 

 

***** Update vom 29.05.2020: EU-Verordnung zur Verlängerung der Frist für Hauptversammlungen von Europäischen Aktiengesellschaften (SE) in Kraft getreten *****

 

Am 28.05.2020 ist die von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Verordnung zur Verlängerung der Frist für die Durchführung von SE-Hauptversammlungen in Kraft getreten. 

Auch Gesellschaften in der Rechtsform der SE haben nun die Möglichkeit, ihre ordentliche Hauptversammlung statt binnen sechs Monaten (Art. 54 Abs. 1 Satz 1 SE-VO) binnen 12 Monaten nach Abschluss des Geschäftsjahres durchzuführen, sofern die Hauptversammlung spätestens bis zum 31. Dezember 2020 stattfindet. 

 

***** Update vom 04.05.2020: Verlängerte Frist für Hauptversammlungen von Europäischen Aktiengesellschaften (SE) vorgeschlagen *****


Die Europäische Kommission hat am 29.04.2020 einen Vorschlag für eine Verordnung veröffentlicht, die es Europäischen Aktiengesellschaften (SE) erlaubt, ihre ordentliche Hauptversammlung 2020 bis spätestens zum Jahresende zu verschieben.

Grundsätzlich sind Europäische Aktiengesellschaften verpflichtet, ihre ordentliche Hauptversammlung binnen sechs Monaten nach Abschluss des Geschäftsjahres durchzuführen (Art. 54 Abs. 1 Satz 1 SE-VO). Die Erleichterung des Corona-Notfallgesetzes, das für Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien die gesetzliche Frist zur Durchführung der ordentlichen Hauptversammlung bis zum Ende des Geschäftsjahres 2020 verlängerte, gilt für die SE mangels Gesetzgebungskompetenz des Bundes nicht (siehe dazu unter 4. im nachstehenden Update vom 23.03.2020).

Die Europäische Kommission hat dies nun zum Anlass genommen, einen Vorschlag für eine Verordnung zu veröffentlichen, die auch einer SE die Verschiebung ihrer ordentlichen Hauptversammlung 2020 bis zum Ende des Geschäftsjahres, jedoch längstens bis zum 31.12.2020, ermöglicht. Die Verordnung soll durch den Rat der Europäischen Union mit Zustimmung des Europäischen Parlaments verabschiedet werden und schnellstmöglich, insbesondere unter Verzicht auf die grundsätzlich geltende Acht-Wochen-Frist zur Zuleitung des Entwurfs an die nationalen Parlamente, in Kraft treten.

Auch nach Inkrafttreten der Verordnung sind Europäische Aktiengesellschaften gehalten, bei der Planung ihrer Hauptversammlung die geltenden Veranstaltungsbeschränkungen zu berücksichtigen und zu prüfen, ob die Hauptversammlung nach Maßgabe des Corona-Notfallgesetzes gegebenenfalls als virtuelle Hauptversammlung durchzuführen ist.

 

***** Update vom 30.03.2020: Corona-Notfallgesetz in Kraft getreten *****

 

Die hauptversammlungsrelevanten Regelungen der Corona-Notfallgesetzgebung sind am 28.03.2020 in Kraft getreten. Wesentliche inhaltliche Änderungen gegenüber dem Entwurf der Bundesregierung (siehe dazu unser nachstehendes Update vom 23.03.2020) enthält die verabschiedete Gesetzesfassung nicht.

1. Entscheidung über die Nutzung der neuen Möglichkeiten erforderlich

Gesellschaften, deren ordentliche Hauptversammlung bevorsteht, sollten unter Rücksprache mit ihren Rechtsberatern und den technischen HV-Dienstleistern prüfen, inwieweit eine virtuelle Hauptversammlung für sie in Betracht kommt oder die Hauptversammlung zunächst auf einen späteren Zeitpunkt im Jahr verschoben wird, um sie – sofern dann ggf. wieder möglich – weiterhin als Präsenzveranstaltung abzuhalten. Ist die Hauptversammlung, bereits als Präsenzversammlung einberufen und soll nun aber virtuell durchgeführt werden, ist sie zunächst abzusagen und unter Anpassung der Teilnahmebedingungen in der Einladung neu einzuberufen.

Im Zuge der Inanspruchnahme der neuen gesetzlichen Möglichkeiten müssen Gesellschaften auch entscheiden, ob sie von den verkürzten Fristen im Vorfeld der Hauptversammlung (siehe dazu unter 3. unseres nachstehenden Updates vom 23.03.2020) Gebrauch machen. Soll die Hauptversammlung virtuell abgehalten werden, ist insbesondere zu berücksichtigen, welcher Vorlauf zur Implementierung der Anforderungen an eine virtuelle Hauptversammlung in die bisherigen Abläufe benötigt wird. Gesellschaften, die Inhaberaktien ausgegeben haben, sollten zudem prüfen, ob Intermediäre die sich daraus ergebende Verkürzung der Zeiträume zur Übermittlung der Einberufungsmitteilung und des Nachweises über den Anteilsbesitz auch tatsächlich abbilden können. Nutzt die Gesellschaft die verkürzte Einberufungsfrist des Corona-Notfallgesetzes durch eine Unterschreitung der bisherigen 30- bzw. 36-Tages-Frist (§ 123 Abs. 1, Abs. 2 Satz 5 AktG), dürfte eine freiwillige Terminierung des Record Dates auf einen früheren Zeitpunkt als den 12. Tag vor der Hauptversammlung mit dem Ziel, die Übermittlungsfrist im Interesse der Intermediäre zu verlängern, jedenfalls nicht möglich sein. Die Gesetzesbegründung verweist insoweit auf die Vorgaben der Aktionärsrechterichtlinie (RL 2007/36/EG), wonach zwischen dem letzten gesetzlich zulässigen Tag für die Einberufung der Hauptversammlung und dem Nachweisstichtag mindestens acht Tage liegen müssen.

2. Virtuelle Hauptversammlung entzieht verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren die Grundlage

Machen Gesellschaften von der Möglichkeit Gebrauch, die Hauptversammlung ausschließlich virtuell abzuhalten, wird zugleich möglichen Anträgen aktivistischer Aktionäre im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren die Grundlage entzogen. Vor dem Verwaltungsgericht Frankfurt am Main hatte ein sich selbst als „kritischer Aktionär“ bezeichnender Antragsteller in der vergangenen Woche den Erlass einer einstweiligen Anordnung begehrt, um die Untersagung der Durchführung einer für den Mai 2020 geplanten Präsenz-Hauptversammlung zu erreichen. Der Antrag hatte keinen Erfolg. Werden Hauptversammlungen künftig rein virtuell abgehalten, fehlt es insoweit bereits an einer „Veranstaltung“ im Sinne von § 28 Abs. 1 Satz 2 IFSG.

 

***** Update vom 23.03.2020 - 18:00 Uhr: Corona-Notfallgesetzgebung u.a. mit virtueller Hauptversammlung 2020 *****

 

Dem Vorbild der europäischen Nachbarländer folgend hat die Bundesregierung heute den Entwurf eines Maßnahmegesetzes mit dem Ziel der weiteren Abmilderung der negativen Auswirkungen der Corona-Krise auf Unternehmen und Privatpersonen veröffentlicht.

Der Entwurf enthält u.a. Regelungen, die darauf zielen, die Durchführung der (ordentlichen und außerordentlichen) Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien (KGaA) und Europäischen Aktiengesellschaften (SE) im Kalenderjahr 2020 zu vereinfachen bzw. die Folgen einer notwendigen Verschiebung der Hauptversammlung abzumildern. Die hauptversammlungsrelevanten Regelungen treten am Tag nach der Gesetzesverkündung in Kraft. Da der Bundesrat am 27.03.2020 hierzu tagen soll, ist ein Inkrafttreten des Gesetzes noch bis zum kommenden Wochenende möglich. Die Regelungen gelten zunächst bis zum Jahresende, können aber vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz bis zum 31.12.2021 verlängert werden. Im Folgenden stellen wir Ihnen den wesentlichen Inhalt der geplanten Notfallgesetzgebung vor und würdigen erste Anwendungsfragen.

1. Präsenz-HV mit Online-Teilnahme und Briefwahl ohne Satzungsermächtigung

Die Durchführung einer Präsenzversammlung mit Möglichkeiten der Online-Teilnahme und Briefwahl wird erleichtert. Der Vorstand wird ermächtigt, mit Zustimmung des Aufsichtsrats die in § 118 AktG geregelten Möglichkeiten der Ausübung von Rechten in der Hauptversammlung ohne physische Teilnahme an der Präsenzveranstaltung (siehe dazu unter 1. im nachstehenden Beitrag vom 09.03.2020), auch ohne Satzungsermächtigung vorzusehen.

2. Virtuelle Hauptversammlung erstmals möglich

Solange die deutschlandweit geltenden behördlichen Verfügungen Veranstaltungen unabhängig von der Teilnehmerzahl untersagen (siehe dazu unter 1. im nachstehenden Update vom 19.03.2020) hilft allerdings nur eine virtuelle Hauptversammlung. Diese Möglichkeit wird nun erstmals gesetzlich geschaffen. Der Vorstand kann mit Zustimmung des Aufsichtsrats vorsehen, dass die Hauptversammlung ohne physische Präsenz der Aktionäre und Aktionärsvertreter virtuell durchgeführt wird. Der Notar und der Versammlungsleiter sollten dabei für die Erstellung der Niederschrift vor (gleichem) Ort sein. Der Stimmrechtsvertreter der Gesellschaft vor Ort bleibt ebenfalls zulässig. Wird die Versammlung nur mit Briefwahl und Vollmachtstimmrecht durchgeführt, fallen dabei alle Antragsrechte „in“ der Hauptversammlung weg; diese sind nur bei elektronischer Teilnahme möglich. Weitere Voraussetzungen für die zulässige Durchführung einer rein virtuellen Hauptversammlung sind:

  • Übertragung der gesamten Hauptversammlung: Die gesamte Hauptversammlung muss in Bild und Ton übertragen werden. Die bislang bei vielen Gesellschaften praktizierte Beschränkung der Live-Übertragung auf die Berichte von Vorstand und Aufsichtsrat genügt nicht. Auch Generaldebatte und Abstimmung müssen danach übertragen werden (z.B. durch Livestream im Internet). Ausweislich der Gesetzesbegründung ist nicht vorausgesetzt, dass diese Übertragung technisch ungestört abläuft und insbesondere bei jedem Aktionär ankommt.
  • Stimmrechtsausübung: Die Stimmrechtsausübung der Aktionäre muss im Wege elektronischer Kommunikation sowie durch Erteilung einer Stimmrechtsvollmacht möglich sein. Die Entscheidung über das Verfahren der Stimmabgabe liegt im Ermessen des Vorstands. Neben der Möglichkeit zur Vollmachterteilung genügt eine der beiden Varianten der elektronischen Kommunikation (elektronische Briefwahl oder elektronische Teilnahme). Denkbar sind z.B. die Nutzung eines Online-Formulars oder die Einrichtung eines Internet-Dialogs. Dem Sinn und Zweck der Regelung, die virtuelle Hauptversammlung der Präsenz-Hauptversammlung gleichzustellen, dürfte es entsprechen, die Vollmachterteilung bis zum Ende der Generaldebatte und die elektronische Stimmabgabe bis zum Ende des virtuellen Abstimmungsvorgangs zuzulassen.
  • Fragen und Antworten: Den Aktionären muss zudem eine Fragemöglichkeit im Wege der elektronischen Kommunikation eingeräumt werden. Der völlige Ausschluss des Fragerechts ist nicht zulässig. Das Verfahren liegt im Ermessen des Vorstands. Denkbar sind z.B. die Übermittlung von Fragen per E-Mail oder die Nutzung einer online verfügbaren Eingabemaske. Ein umfassendes Rederecht durch Bild- und Tonübertragung des einzelnen Aktionärs an sämtliche Zugeschalteten muss der Vorstand dagegen nicht einräumen. Der Vorstand hat im Wege der elektronischen Kommunikation übermittelte Fragen abweichend von § 131 AktG nach pflichtgemäßem, freiem Ermessen zuzulassen und zu beantworten. Auch wenn der Vorstand damit nicht auf die in § 131 Abs. 3 AktG geregelten Auskunftsverweigerungsrechte beschränkt ist, kann er sich bei der Entscheidung über die Zulassung von Fragen an den dort geregelten Fallgruppen orientieren. Aber auch darüber hinaus kann der Vorstand die Beantwortung von Fragen ablehnen oder ihre Beantwortung zusammenfassen, insbesondere wenn es zu einer Flut von Fragen kommt. In der erforderlichen Abwägung zwischen dem Auskunftsinteresse und dem Interesse an einem ordnungsgemäßen Ablauf der Hauptversammlung wird u.a. zu berücksichtigen sein, ob die begehrte Information anderweitig beschaffbar ist, zur Beurteilung der Gegenstände der Tagesordnung erforderlich erscheint, und ob sie für die Gesamtheit der Aktionäre relevant ist oder lediglich im Individualinteresse des Fragenden liegt. Der Vorstand kann ausdrücklich auch vorgeben, dass Aktionärsfragen bis spätestens zwei Tage vor der Versammlung im Wege der elektronischen Kommunikation einzureichen sind, z.B. unter einer dafür vorgesehenen E-Mail-Adresse. Ausweislich der Entwurfsbegründung ist zudem eine bevorzugte Beantwortung von Fragen möglich, die durch Aktionärsvereinigungen oder institutionelle Investoren mit bedeutenden Stimmanteilen gestellt werden. Der Vorstand kann die Fragemöglichkeit auf angemeldete Aktionäre beschränken, aber auch für alle Aktionäre anbieten, wenn dies für ihn einfacher technisch abzubilden ist. Fragen in Fremdsprachen braucht er nicht zu berücksichtigen. Die Beantwortung erfolgt während der virtuellen Hauptversammlung.
  • Online-Widerspruch der Aktionäre: Den virtuell teilnehmenden Aktionären muss es möglich sein, auch ohne physische Präsenz beim Notar Widerspruch zur Niederschrift zu erheben und dadurch die Anfechtungsbefugnis gemäß § 245 Nr. 1 AktG zu wahren. Der Gesellschaft hat dafür eine Möglichkeit zum elektronischen Widerspruch beim Notar vorzuhalten. Denkbar wäre es z.B., zur Erhebung des Widerspruchs eine zusätzlich anzuklickende Schaltfläche in der Online-Plattform vorzusehen oder eine zentrale E-Mail-Adresse einzurichten, auf welche der Notar Zugriff hat. Nach dem Gesetzeswortlaut muss diese erweiterte Widerspruchsbefugnis jedenfalls nur Aktionären eingeräumt werden, die auch ihr Stimmrecht entweder elektronisch oder durch Bevollmächtigung ausgeübt haben, d.h. im Umkehrschluss nicht allen virtuell teilnehmenden Aktionären. Auch der Widerspruch durch elektronische Kommunikation ist nur bis zum Ende der Hauptversammlung möglich.

Anfechtungsklagen in Bezug auf virtuelle Hauptversammlungen werden zusätzlich zu den bereits bestehenden Begrenzungen des Anfechtungsrechts im Zusammenhang mit technischen Störungen bei der elektronischen Teilnahme und Stimmabgabe (§ 243 Abs. 3 Nr. 1 AktG) weiter stark eingeschränkt. Eine Verletzung der vorstehenden Voraussetzungen für eine rein virtuelle Hauptversammlung berechtigt nicht zur Anfechtung, es sei denn, der Gesellschaft ist insoweit Vorsatz nachzuweisen. Gleiches gilt für Verstöße gegen die künftige Pflicht zur Bestätigung des Zugangs der elektronisch abgegebenen Stimme (§ 118 Abs. 1 Satz 3 bis 5, Abs. 2 Satz 2 AktG), die (nach derzeitigem Stand) erstmals für Hauptversammlungen gilt, die nach dem 03.09.2020 einberufen werden. Damit soll die Grundsatzentscheidung für eine rein virtuelle Hauptversammlung bewusst weitgehend anfechtungsfrei gestellt werden, um zu verhindern, dass die Gesellschaften allein wegen der Gefahr der Anfechtungsrisiken von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch machen.

Ausreichend für das vorsätzliche Verletzen der Vorschriften, das fortwährend zur Anfechtung berechtigt, dürfte bereits die „billigende Inkaufnahme“ des Verstoßes (sog. bedingter Vorsatz) sein. Die Gesellschaft trägt insoweit zwar nur die Verantwortung für die eigene IT-Infrastruktur. Zudem liegt die Beweislast für ein vorsätzliches Verhalten der Gesellschaft wie im Rahmen von § 243 Abs. 3 Nr. 1 AktG beim Anfechtungskläger. Zur Vermeidung verbleibender Risiken ist die konkrete Umsetzbarkeit und Umsetzung der vorstehenden technischen Voraussetzungen gleichwohl frühzeitig und eng mit den rechtlichen Beratern und dem technischen HV-Dienstleister unter Einbindung des die Versammlungsniederschrift erstellenden Notars abzustimmen und zu dokumentieren.

3. Verkürzung von Fristen im Vorfeld der Hauptversammlung

Der Vorstand kann mit Zustimmung des Aufsichtsrats auch die gesetzlichen Fristen im Vorfeld der Hauptversammlung verkürzen:

  • Einberufungsfrist: Die Einberufungsfrist von 30 Tagen (§ 123 Abs. 1 Satz 1 AktG) kann auf 21 Tage reduziert werden. Diese Mindestfrist verlängert sich in Abweichung von § 123 Abs. 2 Satz 5 AktG zudem nicht um die Anmeldefrist.
  • Anmeldefrist: Die Regelungen zur Anmeldefrist wurden nicht geändert; d.h. die Anmeldung muss der Gesellschaft mindestens sechs Tage vor der Versammlung zugehen, wenn in der Satzung keine kürzere Frist vorgesehen ist. Der Vorstand kann die Anmeldefrist entsprechend unverändert nur verkürzen, wenn er dazu durch die Satzung ermächtigt ist (§ 123 Abs. 2 Satz 3 AktG).
  • Record Date: Der Nachweisstichtag für Inhaberaktien börsennotierter Gesellschaften (§ 123 Abs. 4 Satz 2 AktG, sog. Record Date) wird vom 21. Tag auf den 12. Tag vor der Hauptversammlung verlegt. Der Nachweis muss der Gesellschaft – vorbehaltlich einer in der Einladung mitgeteilten kürzeren Frist – mindestens am vierten Tag vor der Hauptversammlung zugehen. Nicht ausdrücklich geregelt ist (bislang), dass das verkürzte Record Date nur dann gilt, wenn auch die Hauptversammlung mit der verkürzten Einberufungsfrist einberufen wurde. Jedenfalls nach der Gesetzesbegründung ist diese Verknüpfung aber beabsichtigt, eine entsprechende Klarstellung im Gesetzeswortlaut wäre daher wünschenswert.
  • Mitteilung gemäß § 125 AktG: Die Frist für die Mitteilungen gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AktG an Intermediäre, Aktionäre und Aktionärsvereinigungen verkürzt sich von 21 Tagen auf spätestens 12 Tage vor Hauptversammlung. Dies gilt jedoch nur dann, wenn die Hauptversammlung mit der verkürzten Einberufungsfrist von 21 Tagen einberufen wurde.
  • Ergänzungsverlangen: Ergänzungsverlangen von Aktionären(§ 122 Abs. 2 AktG) müssen der Gesellschaft statt 24 bzw. 30 Tagen spätestens 14 Tage vor der Versammlung zugehen. Auch dies soll wohl nur dann gelten, wenn die Hauptversammlung mit der verkürzten Einberufungsfrist von 21 Tagen einberufen wurde.

 

4. Verlängerung der Frist für ordentliche Hauptversammlungen; Verlängerung des maßgeblichen Bilanzstichtags im Umwandlungsrecht

Darüber hinaus werden die möglichen Rechtsfolgen einer notwendigen Verschiebung der Hauptversammlung wegen der Corona-Krise in die zweite Jahreshälfte reduziert:

  • Der Vorstand der AG und der persönlich haftende Gesellschafter der KGaA können mit Zustimmung des Aufsichtsrats die ordentliche Hauptversammlung im Jahr 2020 auch über die Acht-Monats-Frist (§ 175 Abs. 1 Satz 2 AktG) hinaus verschieben. Die Zwangsgeldandrohung in § 407 Abs. 1 AktG steht der Verschiebung damit definitiv nicht mehr entgegen (siehe unter 4. im nachstehenden Beitrag vom 09.03.2020).
  • Für die SE gilt diese Erleichterung ausdrücklich nicht. Sie bleibt grundsätzlich verpflichtet, die ordentliche Hauptversammlung in den ersten sechs Monaten des Geschäftsjahres (Art. 54 Abs.1 Satz  SE-VO) durchzuführen. Dem deutschen Gesetzgeber fehlt es insoweit an der Gesetzgebungskompetenz. Gesellschaften in der Rechtsform einer SE ist daher mit Blick auf mögliche Verlängerungen der behördlichen Veranstaltungsverbote besonders zu raten, die oben stehenden Möglichkeiten der virtuellen bzw. präsenzreduzierenden Hauptversammlung kurzfristig mit ihren Rechtsberatern und den technischen HV-Dienstleistern zu erörtern.

Der maßgebliche Stichtag für die Schlussbilanz des übertragenden Rechtsträgers bei der Anmeldung von Verschmelzungen und Spaltungen zum Handelsregister wird von höchstens acht Monaten (§§ 17 Abs. 2 Satz 4, 125 Satz 1 UmwG) auf höchstens zwölf Monate vor der Anmeldung verlängert.

5. Abschlagszahlungen auf den Bilanzgewinn

Das Erfordernis der Satzungsermächtigung für Abschlagszahlungen auf den Bilanzgewinn wird vorläufig aufgehoben. Der Vorstand kann nunmehr mit Zustimmung des Aufsichtsrats über die Auszahlung einer Abschlagsdividende beschließen. Entsprechendes soll wohl auch für eine Abschlagszahlung auf die Ausgleichszahlung (§ 304 AktG) an außenstehende Aktionäre im Rahmen eines Unternehmensvertrags gelten; eine Verschiebung der dies vorsehenden Regelung in Artikel 2 § 1 Abs. 9 Satz 2 des Gesetzentwurfs in die Regelung zu Abschlagszahlungen (Abs. 4) wäre zur Klarstellung wünschenswert. Die Neuregelung befreit den Vorstand freilich nicht davon, bei der Entscheidung über die Abschlagszahlung die Interessen der Gesellschaft zu berücksichtigen. Auch der begrenzt zulässige Umfang der Abschlagsdividende ist fortwährend zu beachten (siehe dazu 5. im nachstehenden Update vom 19.03.2020).

6. Erleichterte Zustimmung des Aufsichtsrats

Der Aufsichtsrat soll über seine in diesem Zusammenhang jeweils erforderlichen Zustimmungen abweichend von § 108 Abs. 4 AktG und etwaigen Regelungen in Satzung oder Geschäftsordnung ohne physische Anwesenheit der Mitglieder schriftlich, fernmündlich oder in vergleichbarer Weise beschließen können.

7. Weiterer Regelungsbedarf?

Inhaltlich bleibt der Gesetzentwurf insoweit hinter den zu vernehmenden Forderungen nach einer möglichst umfassenden Notfall-Gesetzgebung zurück. Sinnvolle Ergänzungen könnten etwa darin bestehen,

  • die Frist zur Offenlegung der Rechnungslegungsdokumente für bestimmte kapitalmarktorientierte Gesellschaften von derzeit vier Monaten nach dem Abschlussstichtag (§ 325 Abs. 4 HGB) zu verlängern,
  • die Pflicht zur unverzüglichen Einberufung der Hauptversammlung bei einem Verlust in Höhe der Hälfte des Grundkapitals (§ 92 Abs. 1 AktG) vorübergehend auszusetzen, um das Erfordernis der kurzfristigen Umsetzung der vorstehenden Regelungen zu vermeiden, und
  • auf europäischer Ebene die Anwendbarkeit der hauptversammlungsbezogenen Neuregelungen des ARUG II über den 03.09.2020 (§ 26j Abs. 4 EGAktG) hinaus zu verschieben.

 

***** Update vom 19.03.2020, 12.00 Uhr: Umgang mit Untersagungsverfügungen, Verzögerung bei Prüferwahl und Dividendenausschüttung u.a. *****

 

Die zuständigen Behörden bzw. die jeweiligen Bundesländer erlassen derzeit fortlaufend gestützt auf § 28 Abs. 1 Satz 2 IFSG bzw. § 32 Satz 1 IFSG deutschlandweit Allgemeinverfügungen bzw. Rechtsverordnungen zur Untersagung von Veranstaltungen. Der Begriff der „Veranstaltung“ wird jeweils weit ausgelegt mit der Folge, dass auch die Hauptversammlungen davon erfasst werden. Wir geben im Folgenden einen aktuellen Überblick über maßgebende Rechtsverordnungen. Zudem richten wir das Augenmerk auf folgende Fragen, die sich in der Praxis aktuell vielfach stellen:

  • Da die Tendenz derzeit eindeutig dahin geht, dass Veranstaltungen vorübergehend unabhängig von ihrer Teilnehmerzahl untersagt werden, rückt für viele Gesellschaften die Notwendigkeit einer Verschiebung der Hauptversammlung näher – und damit verbunden die Frage, ob und wann dies eine Ad-hoc-Publizitätspflicht auslöst.
  • Für den Fall, dass Untersagungsverfügungen – noch oder ggf. mittelfristig wieder – Hauptversammlungen mit einer bestimmten Teilnehmerzahl zulassen, bedarf es im Vorfeld einer sorgfältigen Prognosebetrachtung der möglichen Präsenz.
  • Eine Verschiebung der Hauptversammlung bedeutet zugleich Verzögerungen bei der Prüferbestellung für Jahresabschluss und Halbjahresfinanzbericht sowie bei einer möglichen Dividendenausschüttung. Insofern stellt sich die Frage nach möglichen (Übergangs-)Lösungen.
  • Darüber hinaus bleibt zu beobachten, ob der Gesetzgeber mit einer befristeten Notfall-Gesetzgebung die rechtssichere Durchführung der Hauptversammlung 2020 im Lichte der Corona-Krise erleichtert.    

 

1. Maßgebende Rechtsverordnungen

Gesellschaften, die sich derzeit in der akuten Planungsphase ihrer Hauptversammlung befinden oder deren Hauptversammlung bereits einberufen ist, müssen sich rechtzeitig über den konkreten Inhalt der für sie jeweils anwendbaren Rechtsverordnung informieren und auf dem Laufenden halten. Die geltenden Rechtsverordnungen in sämtlichen Bundesländern haben wir in der folgenden Übersicht zusammengestellt. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass viele Behörden derzeit in regelmäßigen Abständen neue Verfügungen erlassen. Die nachstehende Übersicht ist daher eine Momentaufnahme, die vor der Prüfung etwaiger Maßnahmen im Einzelfall zwingend auf die fortwährende Aktualität der jeweiligen Anordnung zu verifizieren ist.

 

Hauptversammlungsrelevante Rechtsverordnungen (Stand: 19.08.2020)

Bundesland / Stadt

Datum der Veröffentlichung

Max. zulässige Teilnehmerzahl

Laufzeit

Baden-Württemberg

23.06.20

500

31.10.20

Bayern

19.06.20

100

02.09.20

Berlin

11.08.20

500 (bis zum 31.08.20)

750 (bis zum 30.09.20)

1.000 (bis zum 24.10.20)

24.10.20

Brandenburg

12.06.20

1.000

31.10.20

Bremen

22.07.20

250

31.08.20

Hamburg

30.06.20

650

31.08.20

Hessen

07.05.20

250

31.10.20

Mecklenburg Vorpommern

07.07.20

200

10.09.20

Niedersachsen

10.07.20

500

31.08.20

Nordrhein-Westfalen

15.07.20

300

(Mehr bei Umsetzung eines besonderen Hygiene- & Infektions-schutzkonzeptes)

31.08.20

Rheinland Pfalz

19.06.20

150

31.08.20

Saarland

08.08.20

450 (bis zum 23.08.20)

500 (bis 31.08.20)

 

31.08.20

 

Sachsen-Anhalt

30.06.20

250 (bis zum 28.08.20)

500 (ab dem 29.08.20)

16.09.20

Sachsen

14.07.20

1.000

31.10.20

Schleswig-Holstein

14.08.20

500

30.08.20

Thüringen

16.07.20

Verbot von Großveran-staltungen

30.08.20

 

2. Verschiebung der Hauptversammlung und Ad-hoc-Publizität

Kommt infolge einer behördlichen Anordnung für den Ort der Hauptversammlung nur noch die Absage bzw. Verschiebung der Hauptversammlung in Betracht, stellt sich für börsennotierte Gesellschaften die Frage, ob dieser Umstand nach den Vorgaben des Art. 17 Abs. 1 Marktmissbrauchsverordnung (MMVO) als relevante Insiderinformation unverzüglich im Wege einer Ad-hoc-Mitteilung zu veröffentlichen ist. Diese Frage wird vor allem bei Gesellschaften virulent, bei denen die Aktionäre die Ausschüttung einer Dividende erwarten (können) und deshalb teilweise, wie etwa Pensionsfonds, den Dividendenzufluss zu einem bestimmten Zeitpunkt typischerweise fest einplanen.

  • Die Absage oder Verschiebung einer Hauptversammlung wegen einer behördlichen Veranstaltungsuntersagung dürfte für sich genommen allerdings nicht kursrelevant sein und daher grundsätzlich auch keine Ad-hoc-Publizitätspflicht auslösen, auch wenn dies für die Aktionäre der Gesellschaft eine zeitliche Verzögerung bei der Ausschüttung der Dividende zur Folge hat. Dies sollte unabhängig davon gelten, ob der konkrete Gewinnverwendungsvorschlag von Vorstand und Aufsichtsrat bereits veröffentlicht wurde, etwa im Rahmen der Einberufung der Hauptversammlung.
  • Hat die Absage oder Verschiebung der Hauptversammlung hingegen weitere absehbare Folgen, so ist im Einzelfall weiter zu prüfen, ob hieraus eine Ad-hoc-Publizitätspflicht resultiert. Führt die Verschiebung der Hauptversammlung etwa dazu, dass die Gesellschaft eine wichtige Kapital- oder Strukturmaßnahme nicht wie geplant durchführen kann, ist zu prüfen, ob die Folgen für die Gesellschaft kursrelevant sind.
  • Darüber hinaus besteht eine Ad-hoc-Publizitätspflicht in jedem Fall dann, wenn mit der Absage bzw. Verschiebung der Hauptversammlung weitere Umstände veröffentlicht werden, die bereits für sich genommen eine Insiderinformation darstellen. Nimmt der Vorstand z. B. die aktuellen Entwicklungen zum Anlass, einen bereits veröffentlichten Gewinnverwendungsvorschlag zu ändern, so kann bereits dieser Umstand eine Ad-hoc-Publizitätspflicht begründen.    

3. Umgang mit teilnehmerabhängigen Untersagungsverfügungen

Teilweise lassen Verfügungen Veranstaltungen noch unter einschränkenden Voraussetzungen, insbesondere einer Höchstteilnehmerzahl, zu. Auch ist je nach Verlauf der Corona-Krise denkbar, dass im Anschluss an die derzeit geltenden, sehr restriktiven Anordnungen neue Verfügungen erlassen werden, die Veranstaltungen jedenfalls mit einer begrenzten Teilnehmerzahl wieder zulassen. Soll die Hauptversammlung im räumlichen und zeitlichen Anwendungsbereich einer solchen Untersagungsverfügung stattfinden, steht und fällt die Entscheidung über die planmäßige Durchführung der Hauptversammlung mit der Prognose, ob die einschlägige Höchstteilnehmerzahl überschritten wird. Diese Entscheidung ist vom Vorstand zu treffen und sollte sorgfältig begründet und dokumentiert werden. Im Rahmen der gebotenen Einzelfallprüfung sind folgende Gesichtspunkte zu berücksichtigen:

Ermittlung der maßgebenden Personen anhand des Wortlauts der Verfügung

Nach dem Wortlaut der bislang ersichtlichen Verfügungen zählen regelmäßig anwesende Mitarbeiter der Gesellschaft und sonstige von ihr eingesetzte Mitwirkende (z.B. Berater im Back Office, Mitarbeiter des eingesetzten technischen HV-Dienstleisters, Servicekräfte etc.) typischerweise nicht zu den für den Schwellenwert relevanten Teilnehmern der Hauptversammlung. Dies ist jedoch in jedem Einzelfall anhand der jeweils anwendbaren Verfügung zu prüfen. Zweifel in der Auslegung der jeweiligen Verfügung sollten unter Rücksprache mit der jeweiligen Erlassbehörde ausgeräumt werden, insbesondere wenn ihre Klärung im Einzelfall (z.B. wegen der Erwartung, die Schwelle bereits durch die anwesenden Aktionäre nur knapp zu unterschreiten) relevant ist.

Ermittlung der erwarteten Teilnehmerzahl erfordert Prognose des Vorstands

Zur Ermittlung der Teilnehmerzahl muss die Gesellschaft im Vorhinein die zu erwartende Teilnehmerzahl prognostizieren. Dies gilt unabhängig davon, ob die jeweils geltende Untersagungsverfügung in ihrem Wortlaut auf die tatsächliche oder lediglich die erwartete Teilnehmerzahl abstellt.

Insbesondere dann, wenn die Präsenzzahlen der vergangenen Hauptversammlungen eine Nähe zum Schwellenwert nahelegen, stellt es keine ratsame Alternative dar, am Tag der Hauptversammlung die den Einlass begehrenden Aktionäre an der Einlasskontrolle zu zählen und darauf zu hoffen, dass die zulässige Teilnehmerzahl nicht überschritten wird. Sollte die Zahl der Präsenzteilnehmer spontan und ggf. noch im Verlauf der bereits eröffneten Hauptversammlung die zulässige Schwelle überschreiten, ist eine Absage der Hauptversammlung durch den Vorstand nicht mehr möglich. Vielmehr müsste die Hauptversammlung formell eröffnet und durch Beschluss der Aktionäre vertagt werden (siehe dazu unter 4. im Beitrag vom 09.03.2020). Die formelle Eröffnung der Hauptversammlung trotz Überschreitens der zulässigen Maximalpräsenz könnte zudem ein strafrechtlich relevantes Verhalten im Sinne des § 75 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 IFSG darstellen. Zugleich droht eine Schadensersatzpflicht des Vorstands und des Versammlungsleiters gegenüber der Gesellschaft u.a. für etwaige von der Behörde verhängte Zwangsgelder oder mit der Auflösung der Hauptversammlung im Wege der Verwaltungsvollstreckung verbundene Kosten (siehe zu den Folgen der Zuwiderhandlung zudem unter 5. im Beitrag vom 09.03.2020).

Die Prognose über die zu erwartende Teilnehmerzahl muss sich auf eine hinreichende Informationsgrundlage stützen und inhaltlich nachvollziehbar sein. Im Wesentlichen können folgende Umstände zu berücksichtigen sein:

  • Präsenzzahlen der letzten Hauptversammlung(en);
  • etwaige zwischenzeitlich eingetretene Änderungen in der Aktionärsstruktur, die auf eine deutlich geringere Präsenz in der bevorstehenden Hauptversammlung schließen lassen,
  • vorläufige Anmeldezahlen und darauf gestützte Prognosen des technischen HV-Dienstleisters sowie
  • finale Anmeldezahlen zum Anmeldestichtag.

Ein Prognoseabschlag gestützt auf die Erwartung, dass viele Aktionäre wegen der Corona-Krise die angebotenen Möglichkeiten der Online-Teilnahme, der Briefwahl oder Stimmrechtsvertretung nutzen und aus diesem Grund oder allein zur Reduzierung ihres persönlichen Ansteckungsrisikos der Hauptversammlung fernbleiben werden, lässt sich im Einzelfall rechtfertigen, wenngleich schwer verlässlich quantifizieren. Sollte sich der prognostizierte Abschlag als zu groß erweisen und die Teilnehmerschwelle der Untersagungsverfügung am Tag der Hauptversammlung doch überschritten werden, drohen wiederum die oben beschriebenen Folgen.

Berücksichtigung von Clustern zur Risikoabwägung

Sollten Veranstaltungen mit einer begrenzten Teilnehmerzahl am geplanten Ort der Hauptversammlung (wieder) zugelassen sein, kann sich die Abwägung des Vorstands über die Ergreifung etwaiger Maßnahmen nicht allein an den vor wenigen Tagen veröffentlichten Handlungsempfehlungen des Robert-Koch-Instituts und den darauf beruhenden Risikoclustern einiger Gemeinden orientieren. Da sich die Präsenz besonders gefährdeter Personengruppen und das Entstehen von Warteschlangen an der Einlasskontrolle nicht ausschließen lassen, dürfte die Hauptversammlung stets ein hohes Risiko im Sinne dieser Risikocluster mit sich bringen.

4. Verzögerungen bei der Prüferbestellung für Jahresabschluss und Halbjahresfinanzbericht

Die Verschiebung der ordentlichen Hauptversammlung bedeutet u.a. auch eine Verzögerung bei der Wahl des Abschlussprüfers für den Jahres- und Konzernabschluss 2020 sowie bei börsennotierten Unternehmen auch für die prüferische Durchsicht des verkürzten Abschlusses und Zwischenlageberichts im Rahmen des Halbjahresfinanzberichts 2020 (§ 115 WpHG). Im Hinblick auf den Halbjahresfinanzbericht kann es daher dazu kommen, dass die Hauptversammlung für die Bestellung des Prüfers für die freiwillige prüferische Durchsicht sogar zu spät kommt. Daneben kann sie, insbesondere bei umfangreichen Prüfungsmandaten, aber auch den Zeitplan für die Durchführung der regulären Abschlussprüfung beeinträchtigen. Dafür gilt es im Einzelfall Lösungen zu finden.

Der Halbjahresfinanzbericht ist unverzüglich, spätestens drei Monate nach Ablauf der ersten sechs Monate des Geschäftsjahres zu veröffentlichen und der Geschäftsführung der Börse zu übermitteln. Der Prüfer für die prüferische Durchsicht des Halbjahresfinanz-berichts ist wie der Abschlussprüfer grundsätzlich durch einen Beschluss der Hauptversammlung zu bestellen. Hat die prüferische Durchsicht vor der ordentlichen Hauptversammlung des laufenden Geschäftsjahres zu erfolgen, könnte erwogen werden, den Abschlussprüfer des vergangenen Geschäftsjahres analog § 318 Abs. 2 Satz 2 HGB damit zu befassen. Alternativ könnte nach Ablauf der ersten sechs Monate des Geschäftsjahres ein Antrag auf gerichtliche Ersatzbestellung in Betracht kommen (vgl. § 115 Abs. 5 Satz 2 WpHG i.V.m. § 318 Abs. 4 HGB). Die Zulässigkeit beider Varianten ist jedoch nicht abschließend gerichtlich geklärt. Da die prüferische Durchsicht des Halbjahresfinanzberichts freiwillig ist (§ 115 Abs. 5 Satz 1 WpHG), könnten die Unternehmen in Abwägung der damit verbundenen Konsequenzen auf die prüferische Durchsicht des Halbjahresfinanzberichts auch verzichten. Dies wäre im Halbjahresfinanzbericht zu vermerken (§ 115 Abs. 5 Satz 6 WpHG).

Um den Zeitplan für die Prüfung des Jahres- und Konzernabschlusses 2020 auch bei einer Verschiebung der Hauptversammlung und der Prüferwahl zu halten, sollte der Aufsichtsrat im Einzelfall prüfen, ob er dem Abschlussprüfer den Prüfungsauftrag bereits vor der Wahl und unter dem Vorbehalt der Bestellung durch die Hauptversammlung erteilen kann. Denn eine gerichtliche Ersatzbestellung des Abschlussprüfers ist grundsätzlich erst nach Ablauf des Geschäftsjahres möglich (§ 318 Abs. 4 Satz 1 HGB).

5. Abschlagszahlungen auf den Bilanzgewinn

Kommt es infolge der Verschiebung der Hauptversammlung zu einer Verzögerung der Dividendenausschüttung, ist im Einzelfall zu prüfen, ob einstweilen Abschlagszahlungen auf den Bilanzgewinn geleistet werden könnten. Die Abschlagszahlung, die ohne Hauptversammlungsbeschluss über die Gewinnverwendung, aber mit Zustimmung des Aufsichtsrats erfolgen kann, setzt jedoch eine Satzungsermächtigung voraus und beschränkt den möglichen Abschlag der Höhe nach (§ 59 AktG). Darüber hinaus hat der Vorstand bei der Entscheidung über die Abschlagsdividende die Interessen der Gesellschaft zu berücksichtigen und muss daher bei der Prüfung dieser Option vor allem auch die augenblickliche oder zu erwartende Liquiditätslage der Gesellschaft in den Blick nehmen. In Zeiten, in denen die Auswirkungen der Corona-Krise nicht absehbar sind oder sie bereits zu erheblichen wirtschaftlichen Einbußen geführt haben, dürfte die Abschlagszahlung selbst bei einer vorhandenen Satzungsermächtigung daher häufig nicht in Betracht kommen.

6. Corona-Notfallgesetzgebung?

Vor dem Hintergrund der gegebenen Unwägbarkeiten, ob und wann die ordentliche Hauptversammlung 2020 in Zeiten der Corona-Krise rechtssicher durchgeführt werden kann, sind aktuell Forderungen an den Gesetzgeber zu vernehmen, mit einer Notfall-Gesetzgebung den betroffenen Unternehmen kurzfristig für die laufende Hauptversammlungssaison unter die Arme zu greifen. Mögliche Sonderregelungen des Gesetzgebers könnten befristet etwa dahin gehen, unter größtmöglicher Wahrung der Aktionärsinteressen

  • die Möglichkeiten der Online-Teilnahme und Briefwahl auch ohne Satzungsgrundlage zu eröffnen,
  • den (eingeschränkten) Umfang des Rede- und Fragerechts der Aktionäre bei Online-Teilnahme zu klären und
  • einen Rahmen für den rechtssicheren Umgang mit Corona-Verdachtsfällen bei Teilnehmern zu schaffen, der den sonst im Raum stehenden Anfechtungsrisiken bei Beschränkungen des Teilnahmerechts der Aktionäre angemessen begegnet.

Hierzu bleibt die weitere Entwicklung zu beobachten.

 

***** News vom 09.03.2020 *****

 

Das Coronavirus und seine wirtschaftlichen Folgen beschäftigen Unternehmen und den Kapitalmarkt derzeit in mehrerer Hinsicht. Börsennotierte Publikumsgesellschaften befinden sich aktuell in der intensiven Phase der Vorbereitung ihrer ordentlichen Hauptversammlung 2020. Sie haben sich nun kurzfristig mit den möglichen Auswirkungen der Corona-Krise auf die Durchführung ihrer jährlichen Hauptversammlung zu beschäftigen. In Zeiten, in denen aktuell Messen und andere Großveranstaltungen vorsorglich abgesagt werden, sehen sie sich zum einen mit der Frage konfrontiert, ob die Hauptversammlung überhaupt wie geplant stattfinden kann bzw. soll. Zum anderen birgt die Corona-Krise für die Durchführung der Hauptversammlung neue besondere Herausforderungen. Der nachfolgende Beitrag richtet den Fokus darauf, welche wesentlichen Gesichtspunkte in diesem Zusammenhang bei der notwendigen Einzelfallbetrachtung in den Blick zu nehmen sind, um jedenfalls sicherzustellen, dass die gefassten Beschlüsse nicht wegen formaler Fehler angreifbar sind. Zudem wird aufgezeigt, wie mit behördlichen Anordnungen, die auf die Einschränkung oder Untersagung der Hauptversammlung gerichtet sind, umgegangen werden kann bzw. muss.

1. Präsenzveranstaltung, Online-Teilnahme und Briefwahl, Stimmrechtsvertreter

Die angesichts der aktuellen Entwicklungen verschiedentlich nochmals beworbenen Möglichkeiten der Online-Teilnahme an der Hauptversammlung bzw. der Briefwahl sind ein geeignetes Mittel, um Aktionären die Ausübung von Aktionärsrechten ohne physische Präsenz zu ermöglichen und dadurch das Infektionsrisiko für alle Beteiligten zu reduzieren. Ihr kurzfristiger Einsatz setzt allerdings voraus, dass die Satzung der Gesellschaft – wie in der Praxis inzwischen überwiegend üblich – den Vorstand auch ermächtigt, von diesen Möglichkeiten Gebrauch zu machen (§ 118 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 AktG). Hinzu kommt, dass die Modalitäten der Online-Zuschaltung und Briefwahl in der Einberufung der Hauptversammlung als Teil der Angaben des Verfahrens über die Stimmabgabe bekannt zu machen sind (§ 121 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 lit. b) AktG).

Ist die Hauptversammlung bereits ohne entsprechende Hinweise einberufen oder steht die Bekanntmachung der Einberufung unmittelbar bevor, scheiden diese Möglichkeiten daher regelmäßig aus. Gesellschaften, die über eine entsprechende Satzungsermächtigung verfügen und noch tatsächlich Zeit haben, ihre Einberufung ggf. rechtzeitig zu ergänzen, sollten die technische Umsetzbarkeit dieser Möglichkeiten gemeinsam mit ihren Rechtsberatern und ihrem technischen HV-Dienstleister prüfen.

Darüber hinaus benennen die Gesellschaften schon jetzt regelmäßig weisungsgebundene Stimmrechtsvertreter, die von den Aktionären bevollmächtigt werden können (§ 134 Abs. 3 Satz 5 AktG). Diese Maßnahme kann ohne großen Anpassungsaufwand in den Vordergrund gestellt und aktiv beworben werden.

Gleichwohl sind die vorgenannten Maßnahmen immer nur ein Angebot an die Aktionäre. Die Hauptversammlung lässt sich nicht völlig virtuell abhalten und ist von Gesetzes wegen immer noch eine Präsenzveranstaltung. Das Recht der Aktionäre auf physische Teilnahme an der Hauptversammlung kann daher auch in Zeiten der Corona-Krise grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden.

2. Weitere spezifische Maßnahmen vor und in der Hauptversammlung – wesentliche Handlungsmaximen

Selbst wenn die Ermöglichung einer Online-Teilnahme bzw. einer Briefwahl nicht (mehr) in Betracht kommen, bieten sich verschiedene weitere Optionen zum Umgang mit der Corona-Gefährdungslage vor und in der Hauptversammlung. Denkbar sind beispielsweise die Bereitstellung von Desinfektionsmitteln oder der Aushang von (unverbindlichen) Hygieneregeln während der Hauptversammlung. Auch eine Aufteilung der teilnehmenden Aktionäre auf mehrere kleinere, mit Video-Übertragung ausgestattete Räume kommt je nach Versammlungsort in Betracht.

Die tatsächliche Umsetzbarkeit und Umsetzung spezifischer Hygienemaßnahmen und sonstiger organisatorischer Vorkehrungen (z.B. Verpflegung der Aktionäre) im Hinblick auf ein Infektionsrisiko von Versammlungsteilnehmern und Mitarbeitern der Gesellschaft vor Ort sollten gemeinsam mit den jeweiligen Rechtsberatern und den technischen HV-Dienstleistern geprüft werden. Im Grundsatz liegt die Ergreifung solcher organisatorischer Maßnahmen im Vorfeld der Versammlung im pflichtgemäßen Ermessen des die Organisation verantwortenden Vorstands sowie während der Hauptversammlung im Ermessen des Versammlungsleiters.

In rechtlicher Hinsicht sind bei ergänzenden Maßnahmen als Reaktion auf die Corona-Krise im Wesentlichen folgende Handlungsmaximen zu beachten:

  • Neutralitäts- und Gleichbehandlungsgebot: Im Verhältnis der Aktionäre untereinander darf nicht eine Aktionärsgruppe, etwa ein Groß- oder Hauptaktionär, bevorzugt behandelt werden. Der – nach Köpfen, nicht nach Stimmgewicht bemessene – Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 53a AktG) gebietet, den Aktionären eine relativ („unter gleichen Voraussetzungen“) einheitliche Ausübung ihrer Aktionärsrechte zu gewähren. Die Schaffung separater Aufenthaltsbereiche für „VIP-Aktionäre“ kommt daher z. B. nicht in Betracht.
  • Gebot der Sachdienlichkeit: Für Ordnungsmaßnahmen fordert dieses Gebot das Vorliegen eines sachlichen Grundes. Die Ansteckungsgefahr stellt nur dann einen sachlichen Grund dar, wenn die angeordnete Maßnahme objektiv in der Lage ist, das Gesundheitsrisiko zu reduzieren.    
  • Grundsatz der Verhältnismäßigkeit: Bei Eingriffen in mitgliedschaftliche Rechte der Aktionäre gebietet der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit insbesondere bei Ordnungsmaßnahmen, dass (i) die konkret angeordnete Maßnahme geeignet ist, den weiteren reibungslosen Ablauf der Hauptversammlung sicherzustellen, (ii) unter mehreren insoweit geeigneten Maßnahmen für den betroffenen Aktionär den mildesten Eingriff in dessen Aktionärsrechte darstellt und (iii) im engeren Sinne verhältnismäßig in Bezug zu ihrem Anlass ist.

Bei der Abwägung hinsichtlich des „Ob“ und „Wie“ einer ergänzenden Maßnahme im Lichte der Corona-Krise sind die weiteren Umstände des jeweiligen Einzelfalles zu berücksichtigen, z.B. die rechtliche Dringlichkeit der von der Hauptversammlung zu fassenden Beschlüsse, die Ausbreitung des Coronavirus am geplanten Versammlungsort, die zu erwartende Teilnehmerzahl, die Ausstattung und die Anzahl der zur Verfügung stehenden Versammlungsräumlichkeiten sowie mögliche Folgen für die Reputation der Gesellschaft.

Als Ergebnis der Abwägung werden etwaige Maßnahmen in Abhängigkeit von ihrer jeweiligen Schwere in einer Stufenfolge in Betracht kommen. Besonders schwerwiegende Maßnahmen wie die Absage oder Vertagung der Hauptversammlung sind regelmäßig nur ultima ratio.

3. Vermeidung von anfechtungsrelevanten Verfahrensfehlern

Ergänzende Maßnahmen vor oder in der Hauptversammlung im Lichte der Corona-Krise sind rechtlich jedenfalls nur dann sinnvoll und zulässig, wenn sie nicht zugleich einen Verfahrensfehler begründen, der die Anfechtbarkeit der gefassten Beschlüsse rechtfertigt. Insoweit lassen sich insbesondere folgende Leitlinien ziehen:

  • Allein das Unterlassen besonderer Schutzmaßnahmen zur möglichen Verringerung des Infektionsrisikos für die teilnehmenden Aktionäre vermag grundsätzlich keine Verletzung des Teilnahmerechts der Aktionäre zu begründen, auch wenn einzelne Aktionäre entscheiden, aus Furcht vor einer Ansteckung von der Hauptversammlung fernzubleiben. Das Teilnahmerecht vermittelt neben den individuellen Mitwirkungsrechten lediglich ein Recht auf die Sicherung eines ordnungsgemäßen Ablaufs der Hauptversammlung. Nur wenn der Ablauf der Hauptversammlung beeinträchtigt zu werden droht, ist der Versammlungsleiter danach zur Ergreifung von Maßnahmen verpflichtet, die ihrerseits verhältnismäßig sein müssen. Die Gesellschaft ist grundsätzlich auch nicht nach allgemeinen Maßstäben verpflichtet, ihre Aktionäre vor möglichen Infektionsrisiken in der Hauptversammlung zu schützen. Die zwischen der Gesellschaft und ihren Aktionären bestehenden Sonderrechtsbeziehungen begründen zwar Schutz- und Treuepflichten. Diese Pflichten sind jedoch nur darauf gerichtet, die Realisierung von in den Einflussbereich der Gesellschaft fallenden und ihr daher zuzurechnenden Gefahren (z.B. spezifische Gefahren der Räumlichkeiten der Hauptversammlung wie glatte Flächen, Bodenunebenheiten etc.) zu Lasten der Aktionäre zu verhindern. Die latente Gefahr, sich durch den Kontakt mit Infizierten bzw. Erkrankten mit dem Coronavirus zu infizieren, zählt hingegen auch im Rahmen der Hauptversammlung grundsätzlich zum allgemeinen Lebensrisiko, das der Gesellschaft nicht zuzurechnen ist. Selbst wenn man die maßgebliche Gefahrenquelle bereits in der Veranstaltung des Aktionärstreffens erblicken würde und die Gesellschaft unter dem Gesichtspunkt der Verkehrssicherungspflicht zu bestimmten Corona-Schutzvorkehrungen zu Gunsten der Versammlungsteilnehmer verpflichtet hielte, lässt sich aus dem Unterbleiben solcher Schutzmaßnahmen kein anfechtungsrelevanter Verfahrensmangel der gefassten Beschlüsse ableiten.
  • Ordnungsmaßnahmen gegen einzelne Aktionäre sind unabhängig davon, ob diese etwa einschlägige Krankheitssymptome zeigen, die Hauptversammlung mit Atemmasken betreten oder gar eine Coronavirus-Erkrankung behaupten, mit besonderer Sorgfalt zu prüfen, da stets eine Verletzung ihres Teilnahmerechts droht. Eine Einschränkung des Teilnahmerechts (z. B. durch eine Zutrittsverweigerung oder den Verweis an einen bereitstehenden Krankendienst nach einem Eingangsscreening mit Fiebermessung oder durch einen Saalverweis), die nicht gerechtfertigt ist, kann die Anfechtbarkeit aller durch die Hauptversammlung gefassten Beschlüsse nach sich ziehen. Selbst bei unbedeutenden Stimmanteilen wird in diesen Fällen die erforderliche Relevanz des Verstoßes für das Beschlussergebnis bejaht. Von mehreren in Betracht kommenden Maßnahmen ist daher diejenige anzuwenden, die das Teilnahmerecht des Betroffenen in größtmöglichem Umfang wahrt. Zu erwägen sein kann in den vorgenannten Konstellation etwa eine (freiwillige) Separierung der Aktionäre in kleineren, zusätzlichen Versammlungsräumen mit Bild- und Tonübertragung. Aktionäre, die sich in der Hauptversammlung durch die Anwesenheit des eine Infektion behauptenden oder Symptome zeigenden Aktionärs beeinträchtigt fühlen, sollten ggf. nochmals besonders auf die Möglichkeiten der spontanen Bevollmächtigung eines Dritten oder eines Stimmrechtsvertreters der Gesellschaft mit der Wahrnehmung ihrer Aktionärsrechte hingewiesen werden.
  • Überlegungen, in der Hauptversammlung keine Aktionärsverpflegung mehr anzubieten, um der Ansteckungsgefahr der Teilnehmer bei einem gemeinsamen Verzehr am Buffet vorzubeugen, sind nicht ohne rechtliches Risiko. Je nach Dauer der Hauptversammlung ist das Vorhalten einer ausreichenden Verpflegung für die Aktionäre durchaus teilnahmerechtsrelevant. Ihr gänzliches Fehlen kann daher im Ausnahmefall die Anfechtbarkeit der Beschlüsse wegen Verletzung des Teilnahmerechts begründen. Eine der Situation angepasste Verpflegung (z. B. durch Ausgabe abgepackter Lunchpakete) ist dagegen in dieser Hinsicht unbedenklich. Sinnvoll ist es zudem, die für den Verzehr zur Verfügung stehenden Räumlichkeiten großzügig zu bemessen, damit dieser nicht in räumlicher Enge erfolgen muss.
  • Ein Fernbleiben einzelner Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat, die grundsätzlich zur Teilnahme an der Hauptversammlung angehalten sind (§ 118 Abs. 3 Satz 1 AktG), wegen Erkrankung oder einer gegen sie gerichteten, behördlichen Quarantäneanordnung hat hingegen grundsätzlich keine beschlussrechtliche Konsequenz.    
  • Etwas anderes kann jedoch gelten, wenn der in der Satzung bestimmte Versammlungsleiter, in der Regel der Aufsichtsratsvorsitzende, erkrankt ist oder sich in Quarantäne befindet. Ob bereits die Beschlussfeststellung durch einen falschen Versammlungsleiter zur Anfechtbarkeit der Beschlüsse führt, bestimmt sich anhand der Relevanz des Fehlers für das Beschlussergebnis. Zur Vermeidung etwaiger Risiken in diesem Zusammenhang sollte jedenfalls im Vorfeld der Hauptversammlung bereits frühzeitig in Zusammenarbeit mit den Rechtsberatern Vorsorge getroffen werden, etwa indem der Aufsichtsratsvorsitzende oder der Gesamtaufsichtsrat – je nach Satzungsregelung – für den Fall der Verhinderung bereits einen oder mehrere Stellvertreter für die Versammlungsleitung bestimmen.

4. Verlegung, Verschiebung und Absage der Hauptversammlung

Hat die Gesellschaft ihren Sitz in einem Infektionsballungsraum, ist eine räumliche Verlegung der noch nicht einberufenen Hauptversammlung an einen anderen satzungsmäßig zulässigen Ort (§ 121 Abs. 5 Satz 1 AktG) oder bei börsennotierten Gesellschaften an den Sitz der Börse (§ 121 Abs. 5 Satz 2 AktG) in Betracht zu ziehen. Auch ohne Satzungsermächtigung kann eine Abweichung vom Sitz der Gesellschaft als Versammlungsort zulässig sein, sofern dafür ein sachlicher Grund vorliegt. Da die Wahl eines unzulässigen Versammlungsortes zur Anfechtbarkeit der gefassten Beschlüsse führt, sind Verlegungen ohne Satzungsregelung jedoch sehr zurückhaltend vorzunehmen.

Eine zeitliche Verschiebung der noch nicht einberufenen ordentlichen Hauptversammlung ist auch über den für die AG und KGaA geltenden Acht-Monats-Rahmen (§ 175 Abs. 1 Satz 2 AktG) bzw. die für die SE geltende Sechs-Monats-Frist (Art. 54 Abs. 1 Satz 1 SE-VO) nach Ablauf des Geschäftsjahres möglich. Eine Verschiebung hat in diesem Fall nicht die Anfechtbarkeit der in diesem Sinne „verspäteten“ Hauptversammlung zur Folge. Auch die Festsetzung eines Zwangsgeldes gegen den Vorstand durch das Registergericht (§ 407 Abs. 1 AktG) bzw. eine Haftung des Vorstands gegenüber der Gesellschaft (§ 93 Abs. 2 AktG) und ihren Aktionären (§ 117 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 AktG bzw. § 826 BGB) droht in Fällen, in denen die Fristversäumung aus einem gewichtigen, im Interesse der Gesellschaft oder der Aktionäre liegenden Grund erfolgt, grundsätzlich nicht.

Im Extremfall kann auch die Absage der bereits einberufenen Hauptversammlung in Betracht kommen. Die Absage hat durch das Organ, das die Versammlung einberufen hat, – mithin in der Regel durch den Vorstand – und auf der Grundlage eines entsprechenden Organbeschlusses zu erfolgen. Formell bedarf es einer eindeutigen Mitteilung dergestalt, dass Aktionäre bestmöglich und rechtzeitig von der Absage Kenntnis nehmen. Die Form der Einberufung muss dabei nicht zwingend eingehalten werden. Um im Bedarfsfall kurzfristig handlungs- und publikationsfähig zu sein, empfiehlt es sich, den Entwurf einer solchen Absage bereits frühzeitig vorzubereiten. Die Möglichkeit zur Absage endet jedenfalls dann, wenn sich die am Versammlungsort erschienenen Aktionäre nach dem in der Einberufung für den Beginn der Hauptversammlung angegebenen Zeitpunkt bereits im Versammlungsraum eingefunden haben. Ab diesem Zeitpunkt kann die Hauptversammlung nur noch durch Beschluss der Hauptversammlung vertagt werden (zum Sonderfall eines möglichen Abbruchs durch die Behörde siehe unter 5.).

5. Reaktion auf behördliche Anordnungen oder Empfehlungen

Die zuständige Ordnungsbehörde kann auf Vorschlag des jeweils zuständigen Gesundheitsamtes Veranstaltungen beschränken oder verbieten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist (§§ 28 Abs. 1 Satz 1, 2, Abs. 3, 16 Abs. 6 Satz 1 IFSG). Die Anordnung unterliegt dem Ermessen der Behörde.

  • Zur Umsetzung der behördlichen Anordnung, z. B. durch die Absage der Hauptversammlung, ist der Vorstand grundsätzlich verpflichtet. Die Zuwiderhandlung gegen die Anordnung ist strafbewehrt (§ 75 Abs. 1 Nr. 1 IFSG). Die Absage der Hauptversammlung infolge der behördlichen Anordnung hat dagegen grundsätzlich keine beschlussmängelrechtliche Relevanz. Etwas anderes kann jedoch dann gelten, wenn der Vorstand sich entgegen der behördlichen Anordnung zur Durchführung der Hauptversammlung entscheidet und die Behörde den Abbruch einer eröffneten Hauptversammlung im Wege der Verwaltungsvollstreckung erzwingt.
  • Bestehen begründete Zweifel an der Rechtmäßigkeit der behördlichen Anordnung, kann der Vorstand im Unternehmensinteresse gehalten sein, je nach landesrechtlicher Zulässigkeit Widerspruch oder Anfechtungsklage gegen die Anordnung zu prüfen und ggf. zu erheben.
  • Da die behördliche Anordnung trotz der Einlegung eines Rechtsbehelfs vollziehbar bleibt, d.h. die Hauptversammlung nicht entgegen der angegriffenen behördlichen Anordnung durchgeführt werden darf (§§ 28 Abs. 3, 16 Abs. 8 IFSG, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO), wäre in diesem Fall zusätzlich die Beantragung einstweiligen Rechtsschutzes (§ 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO) zu erwägen. Ein entsprechender Antrag, der darauf gerichtet ist, die Durchführung der Hauptversammlung trotz der behördlichen Anordnung zu ermöglichen, kann in besonders gelagerten Ausnahmefällen in Betracht zu ziehen sein, wenn die Durchführung der Hauptversammlung besonders dringlich ist, z.B. weil über eine das wirtschaftliche Überleben der Gesellschaft sichernde Kapitalmaßnahme entschieden werden soll. Bei der tatsächlichen Entscheidung für ein solches Vorgehen müssen jedoch auch die möglichen Reputationsschäden eines solchen Vorgehens für die Gesellschaft sorgfältig abgewogen werden. Die Erfolgsaussichten des Antrags im einstweiligen Rechtsschutz richten sich im Wesentlichen nach den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache, d.h. vor allem nach der Rechtmäßigkeit der behördlichen Anordnung.

Erfolgt zwar keine bindende Untersagung durch die zuständige Behörde, liegt aber eine Empfehlung z.B. des Robert-Koch-Instituts oder des von der Bundesregierung eingesetzten Krisenstabs vor, die eine Absage oder Verschiebung der Hauptversammlung nahelegt, ist diese für die Gesellschaft nicht rechtlich bindend. In diesem Fall trifft die Gesellschaft selbst die Beurteilungs- und Entscheidungslast, wie mit der anstehenden Hauptversammlung zu verfahren ist. Diese Entscheidung sollte in enger Abstimmung mit den Gesundheitsbehörden erfolgen; die ihr zugrunde liegenden Informationen sowie die Entscheidungsfindung einschließlich ihrer Begründung sollten sorgfältig dokumentiert werden.