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Entscheidende Änderungen im Zivil­prozess­recht unter der neuen Koalition?

Bundestagswahl Insights

30.04.2025

Nachdem CDU und CSU dem Koalitionsvertrag vom 9. April 2025 zugestimmt haben, hat nun auch die SPD im Rahmen ihres Mitgliederentscheids der gemeinsamen Regierungsbildung zugestimmt. Die kommende Bundesregierung beabsichtigt unter anderem zahlreiche Änderungen im Zivilprozessrecht vorzunehmen, die wir nachfolgend im Überblick darstellen wollen. Die beabsichtigten Änderungen kann man mit den Schlagworten „Verfahren straffen“, „Verfahren modernisieren“ und „Experimentieren“ zusammenfassen.

A. Verfahren straffen

Wir wollen Verfahrensdauern generell erheblich verkürzen (…).“

CDU/CSU und SPD beabsichtigen, die als noch immer zu lang empfundene Dauer von Zivilprozessen durch das Drehen an verschiedenen Stellschrauben zu verkürzen.

Dies soll u.a. dadurch erreicht werden, dass die Überprüfung von Gerichtsurteilen erschwert wird. So sollen die Rechtsmittelstreitwerte (bisher: 600 Euro für Berufungen und 20.000 Euro für Nichtzulassungsbeschwerden, §§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) in noch nicht bekanntem Umfang angehoben werden. Ob die von der künftigen Regierung angestrebte Begrenzung des Zugangs zur zweiten Tatsacheninstanz außerdem auf anderem Wege erreicht werden soll – etwa durch strengere Präklusionsvorschriften – ergibt sich nicht eindeutig aus dem Koalitionsvertrag.

Zur Verfahrensstraffung im Zivilprozess sollen außerdem „Rechtsgrundlagen für Möglichkeiten richterlicher Verfahrensstrukturierung“ geschaffen werden. Ob damit der gerade erst zum 1. April 2025 eingeführte § 612 ZPO, der in Verfahren vor einem Commercial Court einen frühzeitigen case handling Termin vorsieht, nun in alle Zivilverfahren einzieht, bleibt abzuwarten. Auch hier geht der Koalitionsvertrag nicht ins Detail.

Die künftige Koalition will schließlich Impulse der Reformkommission „Zivilprozess der Zukunft“ aufgreifen. Welche der insgesamt 30 Vorschläge der Reformkommission dies im Einzelnen sein werden, bleibt abzuwarten.

CDU/CSU und SPD wollen zudem die Amtsgerichte „durch eine deutliche Erhöhung des Zuständigkeitsstreitwertes stärken“. Eine Anpassung des Zuständigkeitsstreitwerts ist angesichts der Tatsache, dass die letzte Anpassung mehr als 30 Jahre zurückliegt und die Streitwerte inflationsbedingt insgesamt ansteigen, notwendig, um die Landgerichte zu entlasten. Die Anpassung des Zuständigkeitsstreitwerts ist auch keine neue Idee. Vielmehr greifen CDU/CSU und SPD einen nicht realisierten Gesetzesentwurf der scheidenden Bundesregierung auf. Bereits am 6. März 2024 veröffentlichte das Bundesministerium der Justiz einen Referentenentwurf, der eine Anhebung der Streitwertgrenze von bisher 5.000 Euro auf 8.000 Euro vorsah. Hierzu haben wir in der Vergangenheit berichtet. Dieser Entwurf ist am 17. Oktober 2024 in erster Lesung im Bundestag beraten, aber durch die vorgezogenen Bundestagswahlen nicht mehr verabschiedet worden. Aufgrund des Diskontinuitätsprinzips müsste also ein entsprechender Gesetzesentwurf erneut in den Bundestag eingebracht werden. Ob CDU/CSU und SPD den Zuständigkeitsstreitwert ebenfalls – dem Gesetzesentwurf der vorherigen Legislaturperiode entsprechend – auf 8.000 Euro anheben wollen, bleibt unklar. Zur genauen Höhe der geplanten Anpassung des Zuständigkeitsstreitwerts schweigt der Koalitionsvertrag.

Ebenfalls im Koalitionsvertrag festgehalten ist die Absicht, die Klagezustellungen innerhalb Europas effektiver zu gestalten. Insbesondere aufgrund des europäischen Binnenmarkts und der dadurch stetig wachsenden Verflechtungen innerhalb der Europäischen Union wird die Anzahl an grenzüberschreitenden Rechtsstreitigkeiten stetig zunehmen. Daher ist die Absicht, die Klagezustellung innerhalb Europas zu effektivieren, zu begrüßen. Denn auch hierdurch dürfte die ordentliche Gerichtsbarkeit entlastet werden.

B. Verfahren Modernisieren

„Die Verfahrensordnungen sollen in das digitale Zeitalter übersetzt werden, damit Verfahrensplattformen an die Stelle klassischer Akten treten und digitale Beweismittel aufgenommen werden können.“

Die Absicht, das Verfahrensrechts zu modernisieren findet sich im Koalitionsvertrag auffällig oft. Was darunter im Einzelnen zu verstehen ist, ergibt sich nur teilweise aus dem Vertrag.

So bekennen sich CDU/CSU und SPD ebenso wie die in der vergangenen Legislaturperiode eingesetzte Reformkommission zur Einführung eines Online-Verfahrens in der Zivilgerichtsbarkeit. Einzelheiten zur konkreten Ausgestaltung des geplanten Online-Verfahrens enthält der Koalitionsvertrag nicht. Schon die scheidende Bundesregierung plante die Einführung eines solchen Online-Verfahrens in der Zivilgerichtsbarkeit, worüber wir ebenfalls berichtet haben. Die Anpassungen der Zivilprozessordnungen wurden allerdings nicht verabschiedet und fielen ebenfalls dem Diskontinuitätsprinzip zum Opfer. Es kam jedoch schon zur Einrichtung eines Pilotprojekts, an dem derzeit neun Länder und dreizehn Pilotgerichte beteiligt sind (BMJ - Pressemitteilungen - Digitaler Zivilprozess: Neues Online-Verfahren wird erprobt). Das Pilotprojekt ist aktuell nutzbar für digitale Klagen im Zusammenhang mit Fluggastrechten, kann allerdings nur von Bürgerinnen und Bürgern genutzt werden, die über eine BundID und ein „Mein Justizpostfach“ verfügen (für weitere Informationen Zivilgerichtliches Online-Verfahren). Da CDU/CSU und SPD das Rad nicht neu erfinden werden, dürften sie sich bei der Einführung des Online-Verfahrens in der Zivilgerichtsbarkeit an dem bisherigen Gesetzesentwurf und dem laufenden Pilotprojekt im Bereich der Fluggastrechte orientieren oder diesen gar als Blaupause verwenden. Wir verweisen auf den Beitrag Schläfke/Hustede, DB 2024, S. 3016 ff., in welchem wir einen Überblick über die von der scheidenden Bundesregierung geplante Einführung des Online-Verfahrens geben.

C. Experimentieren

Schließlich will der Bund den Ländern die Möglichkeit geben, neue Wege für den Zivilprozess der Zukunft auszuprobieren.

Wir stärken die Gestaltungsmöglichkeiten der Länder durch Öffnungs- und Experimentierklauseln im Bereich der Gerichtsorganisation, der Digitalisierung und der gerichtlichen Zuständigkeiten.

Was auf den ersten Blick nach föderaler Innovationsfreude klingt, wirft bei näherer Betrachtung Fragen auf. Denn bislang bleibt unklar, welcher Regelungsgegenstand konkret den Bundesländern durch die Öffnungs- und Experimentierklauseln übertragen werden soll.

D. Fazit

Es ist zu begrüßen, dass die künftige Koalition auch im Bereich des Zivilprozessrechtes Akzente setzen will. Wie genau diese aussehen werden, lässt sich dem Koalitionsvertrag aber erst in groben Zügen entnehmen. Abzuwarten bleiben daher die Gesetzesentwürfe, die aus dem künftig wieder von der SPD geführten Ministerium kommen werden.

Es ist zudem zu begrüßen, dass die künftige Koalition an Bestrebungen zur Digitalisierung der Justiz aus der letzten Legislaturperiode anknüpfen will. Ob es den politischen Akteuren letztlich gelingt, die aus der Kaiserzeit stammende Zivilprozessordnung endgültig in das digitale Zeitalter zu überführen, bleibt abzuwarten – überfällig ist dies zweifellos.

In Bezug auf die beabsichtigte Straffung der Verfahren ist jedoch Vorsicht geboten. Bei allem berechtigten Interesse an der Beschleunigung von Zivilprozessen darf nicht übersehen werden, dass eine effektivere Verfahrensgestaltung nicht zulasten rechtsstaatlicher Garantien gehen darf. Wer etwa den Zugang zu einer zweiten Instanz über Gebühr erschwert, erkauft kurze Verfahrensdauern mit einer Einschränkung des Rechtsschutzes.

Auch die geplanten Öffnungs- und Experimentierklauseln für die Länder bergen schließlich die reale Gefahr eines regulatorischen Flickenteppichs und damit einhergehender Rechtsunsicherheit. Wenn jedes Bundesland eigene Wege in der Gerichtsorganisation oder Digitalisierung geht, drohen Rechtszersplitterung, Inkohärenz und letztlich ein Verlust an Transparenz im Rechtsschutz. Notwendig ist daher eine kluge Balance zwischen notwendiger Reformdynamik und dem Erhalt eines einheitlichen, berechenbaren Justizsystems. Auch hier sollte gelten: Reform ja – aber mit Maß und System.

 

Dieser Artikel erscheint im Rahmen unserer Bundestagswahl Insights. Alle Bundestagswahl Insights und mehr Informationen zur Bundestagswahl und deren Auswirkungen auf Industrie und Wirtschaft finden Sie auf unserem Election Hub (hier).

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