Zwischen Anreiz und Belastung: Der Einfluss von Virtual Shares auf die Karenzentschädigung
Eine aktuelle Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 27.03.2025 (Az. 8 AZR 63/24) zur Berechnung der Höhe von Karenzentschädigungen sollten Unternehmen zum Anlass nehmen, die Wirtschaftlichkeit von nachvertraglichen Wettbewerbsverboten bei Arbeitnehmern, die (virtuelle) Aktienoptionen (Virtual Shares) erhalten, zu prüfen. Zudem sollte die Ausgestaltung von Programmen über (virtuelle) Aktienoptionen auch ihre Auswirkungen auf Karenzentschädigungen in den Blick nehmen.
Hintergrund
Insbesondere mit Führungskräften werden häufig nachvertragliche Wettbewerbsverbote vereinbart, die für einen Zeitraum von bis zu zwei Jahren nach Beendigung des Arbeits-verhältnisses ein Tätigwerden für einen Wettbewerber untersagen.
Für die Gestaltung von nachvertraglichen Wettbewerbsverboten mit Arbeitnehmern enthalten die §§ 74 ff. HGB i.V.m. § 110 GewO bestimmte Anforderungen, die es zu beachten gilt. Andernfalls droht die Unverbindlichkeit oder sogar gänzliche Unwirksamkeit des nachvertraglichen Wettbewerbsverborts mit der Folge, dass der Arbeitnehmer nicht daran gehindert ist, unmittelbar nach Beendigung seines Arbeitsverhältnisses für einen Wettbewerber tätig zu werden.
Erforderlich ist insbesondere, dass sich der Arbeitgeber – als Gegenleistung für die dem Arbeitnehmer durch das nachvertragliche Wettbewerbsverbot auferlegten Beschränkungen – verpflichtet, für die Dauer des Verbots eine Karenzentschädigung zu zahlen. Die Höhe der Karenzentschädigung muss mindestens die Hälfte der von dem Arbeitnehmer „zuletzt bezogenen vertragsmäßigen Leistungen“ erreichen (§ 74 Abs. 2 HGB).
- Insoweit sind neben der zuletzt erhaltenen monatlichen Vergütung alle Leistungen mit Entgeltcharakter sowie Sachleistungen des Arbeitgebers zu berücksichtigen, insbesondere das letzte Gehalt, Provisionen, Gratifikationen, Tantiemen, Gewinnbeteiligungen, Weihnachts-/Urlaubsgeld und geldwerte Naturalleistungen (z. B. Dienstwagen zur privaten Nutzung).
- Soweit die „vertragsmäßigen Leistungen“ eine Provision oder wechselnde Bezüge umfassen, sind sie bei der Berechnung der Karenzentschädigung nach der durchschnittlichen Höhe der letzten drei Jahre in Ansatz zu bringen. Hat ihre Zusage noch nicht drei Jahre bestanden, erfolgt der Ansatz nach dem Durchschnitt des Zeitraums, für den die Zusage in Kraft war (§ 74b Abs. 2 HGB).
Weitgehend ungeklärt war bislang, ob auch Leistungen aus Programmen über (virtuelle) Aktienoptionen bei der Berechnung der Karenzentschädigungshöhe zu berücksichtigen sind.
Entscheidung des BAG
Mit Urteil vom 27.03.2025 hat das BAG nun entschieden, dass Leistungen aus einem Programm über virtuelle Aktienoptionen bei der Berechnung der Karenzentschädigung berücksichtigt werden müssen, wenn die Optionen von dem Arbeitnehmer noch während des Bestands des Arbeitsverhältnisses ausgeübt worden sind.
In dem zugrunde liegenden Fall war zwischen den Parteien ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot vereinbart worden. Neben einem festen Bruttojahresentgelt von EUR 100.000 erhielt der Kläger von der beklagten Arbeitgeberin virtuelle Aktienoptionen, die keinen Anspruch auf tatsächliche Aktienübertragung, sondern auf eine Geldzahlung begründeten. Diese Optionsrechte mussten während einer sogenannten „Vesting Period“ über mehrere Jahre hinweg durch Arbeitsleistung verdient werden. Nach Ablauf der „Vesting Period“ konnten die Optionen unter der Voraussetzung ausgeübt werden, dass ein Ausübungsereignis in Form eines Share Deals, Asset Deals oder eines Börsengangs eintrat. Im September 2021 übte der Kläger bereits erworbene („gevestete“) Optionsrechte aus, die die Beklagte im Oktober 2021 abrechnete. Das Arbeitsverhältnis endete durch einen Aufhebungsvertrag zum 30.06.2022. Nach diesem Zeitpunkt nutzte der Kläger weitere Optionsrechte, die die Beklagte im Oktober 2022 abrechnete. Zwischen den Parteien war streitig, ob die Leistungen der Beklagten aufgrund der virtuellen Aktienoptionen bei der Berechnung der Karenzentschädigung einbezogen werden müssen.
Das BAG stellte klar, dass die von der Beklagten im laufenden Arbeitsverhältnis erbrachten Leistungen aus dem Programm über virtuelle Aktienoptionen zu den vom Kläger „zuletzt“ bezogenen vertragsmäßigen Leistungen i.S.v. § 74 Abs. 2 HGB gehören – und zwar in Form von wechselnden Bezügen nach § 74b Abs. 2 HGB. Bei der Berechnung der Karenzentschädigung sind sie mit dem Durchschnitt der letzten drei Jahre bzw. der Dauer des Bestehens ihrer Zusage – im vorliegenden Fall 33 Monate – in Ansatz zu bringen (§ 74b Abs. 2 HGB). Voraussetzung hierfür ist aber, dass die Optionsrechte während des bestehenden Arbeitsverhältnisses im Zeitraum des § 74b Abs. 2 HGB ausgeübt worden sind. Dagegen sind Leistungen der Arbeitgeberin aufgrund der Ausübung von Optionsrechten nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht umfasst und daher nicht in die Berechnung der Karenzentschädigung einzubeziehen.
Folgen für die Praxis
Die Entscheidung des BAG bringt ein Stück Rechtssicherheit im Hinblick auf die Berechnung der Karenzentschädigung in Bezug auf virtuelle Beteiligungsmodelle. Offen bleibt allerdings, ob das Urteil auch auf Vergütungsmodelle übertragbar ist, die auf die Gewährung „echter“ Beteiligungen gerichtet sind, indem sie z.B. auf die Gewährung „echter“ Aktien gerichtete Optionen beinhalten.
Viel spricht dafür, diese Frage zumindest im Grundsatz zu bejahen, da auch solche Leistungen i.d.R. eine Gegenleistung für die von dem Arbeitnehmer erbrachte Arbeitsleistung darstellen. Es stellt sich dann allerdings die von den Umständen des Einzelfalls abhängige Folgefrage, mit welchem Wert die jeweilige „echte“ Beteiligung bei der Berechnung der Karenzentschädigung anzusetzen ist.
Gestaltungmöglichkeiten für Unternehmen
Unternehmen, die ihre Arbeitnehmer (auch) mit (virtuellen) Beteiligungen incentivieren, sollten nun prüfen, ob und wie den drohenden erhöhten Kosten einer Karenzentschädigung entgegengewirkt werden kann.
Regelmäßige Prüfung und möglicher Verzicht auf das nachvertragliche Wettbewerbsverbot
Vor der Vereinbarung eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots sollte der Arbeitgeber genau prüfen, ob der von ihm zu zahlenden Karenzentschädigung überhaupt ein angemessener wirtschaftlicher Nutzen des nachvertraglichen Wettbewerbsverbots gegenübersteht. Das ist nur dann der Fall, wenn der betroffene Arbeitnehmer also tatsächlich eine Position innehat, bei der er schutzwürdige Geheimnisse erfährt bzw. der Arbeitnehmer über Know-how verfügt, das für Wettbewerber des Arbeitgebers von erheblicher Bedeutung ist.
Das Fortbestehen dieser Voraussetzungen sollte auch nach Beginn des Arbeitsverhältnisses regelmäßig geprüft werden. Stellt sich zu einem späteren Zeitpunkt heraus, dass das nachvertragliche Wettbewerbsverbot zur Sicherung des Interesses des Arbeitgebers an der Verhinderung einer Wettbewerbstätigkeit nicht mehr erforderlich ist, sollte ein Verzicht auf das nachvertragliche Wettbewerbsverbot in Betracht gezogen werden. Die Pflicht zur Zahlung einer Karenzentschädigung endet spätestens mit Ablauf eines Jahres seit der Erklärung des Verzichts (§ 75a HGB). Der Arbeitnehmer kann im Falle eines Verzichts allerdings unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses für einen Wettbewerber tätig werden.
Gestaltung im Konzern
Ist der Vertragsarbeitgeber Teil einer Unternehmensgruppe und handelt es sich bei diesem nicht um die Obergesellschaft, kann die Berücksichtigung von (virtuellen) Aktienoptionen bei der Bemessung der Karenzentschädigung dadurch vermieden werden, dass diese Optionen ausschließlich von der Obergesellschaft zugesagt und gewährt werden. Dieser Ansatz ist insbesondere gängige Praxis in Unternehmensgruppen, deren Obergesellschaft im Ausland ansässig ist.
- Das BAG hat mit Urteil vom 25.08.2022 (Az. 8 AZR 453/21) bereits entschieden, dass der Begriff „vertragsmäßige Leistungen“ nur solche Leistungen umfasst, die auf dem Austauschcharakter des Arbeitsvertrags beruhen und vom Arbeitgeber als Vergütung für geleistete Arbeit erbracht werden.
- Wenn eine Vereinbarung über die Gewährung von Leistungen von der Obergesellschaft einer Unternehmensgruppe getroffen wird, gehören diese vom Arbeitnehmer erhaltenen Leistungen grundsätzlich nicht zu den „vertragsmäßigen Leistungen“ im Sinne von § 74 Abs. 2 HGB und werden daher bei der Bemessung der Karenzentschädigung nicht berücksichtigt.
- Nach dem BAG sind Leistungen, die einem Arbeitnehmer von einem Dritten – selbst, wenn es sich um eine mit dem Vertragsarbeitgeber verbundene Gesellschaft handelt – gewährt werden, grundsätzlich keine „vertragsmäßigen Leistungen“ im Sinne von § 74 Abs. 2 HGB. Eine „Einstandspflicht“ des Vertragsarbeitgebers für Leistungen Dritter, die dem Arbeitnehmer mit Bezug zum Arbeitsverhältnis erbracht werden, lehnt das BAG damit ab.
Praxistipp: Es sollte bei einer solchen Gestaltung allerdings darauf geachtet werden, dass die Korrespondenz hinsichtlich der Zusage und Abwicklung der (virtuellen) Aktienoptionen ausschließlich zwischen der Obergesellschaft und dem Arbeitnehmer geführt wird, um den Eindruck zu vermeiden, dass der Vertragsarbeitgeber ausdrücklich oder konkludent eine eigene (Mit-)Verpflichtung eingeht.
Gestaltung der Optionsprogramme selbst
Zur Vermeidung einer Berücksichtigung von Leistungen aus (virtuellen) Aktienoptionsprogrammen bei der Bemessung der Karenzentschädigung kann auch an die Gestaltung der Programme selbst angeknüpft werden.
- Keine Lösung wird es in der Regel sein, das jeweilige Programm über (virtuelle) Aktienoptionen so zu gestalten, dass die Ausübung der virtuellen Optionen erst nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses erfolgen darf. Die Entscheidung des BAG verdeutlicht zwar, dass Leistungen aufgrund der Ausübung von Optionsrechten nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht in die Berechnung einfließen. Dadurch würde aber die unmittelbare Motivation und Bindung der aus den Optionen Berechtigten negativ beeinflusst und gegenüber Leistungsträgern falsche Anreize zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses geschaffen.
- Sinnvoll erscheint stattdessen, den berechtigten Arbeitnehmern bestimmte Ausübungszeiträume in Bezug auf begrenzte Kontingente vorzugeben. Diese Methode verhindert, dass durch eine einmalige Ausübung von über Jahre erdienten und angesammelten Optionen große Summen auf einmal in dem dreijährigen Bemessungszeitraum der Karenzentschädigung (§ 74b Abs. 2 HGB) berücksichtigt werden. Sie bietet zugleich die Chance, dass aus dem Optionsprogramm berechtigte Arbeitnehmer kontinuierlich motiviert bleiben, da sie regelmäßig von ihren Leistungen profitieren können. Nicht völlig ausgeschlossen werden kann aber, dass im Verlauf des Dreijahreszeitraums signifikante Beträge zusammenkommen, die in die Karenzentschädigung einfließen.
Übertragbarkeit auf Organmitglieder?
Auch die Anstellungsverträge von Organmitgliedern, also insbesondere Vorstände einer AG und Geschäftsführer einer GmbH, enthalten nicht selten Vereinbarungen über ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot. Hier besteht mehr Gestaltungsspielraum:
- Während für Arbeitnehmer eine vertragliche Abrede, nach der die Karenzentschädigung nicht die in § 74 Abs. 2 HGB vorgesehene Höhe erreicht, zur Unverbindlichkeit eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots führt, sind die Anforderungen im Hinblick auf Organmitglieder weniger streng. Die Karenzentschädigung muss im Grundsatz nicht die in §§ 74 Abs. 2, 74b Abs. 2 HGB für Arbeitnehmer vorgesehene Höhe erreichen. Grenze ist eine sittenwidrig geringe Karenzentschädigung.
- Es dürfte daher zulässig sein, in mit Organmitgliedern vereinbarten nachvertraglichen Wettbewerbsverboten zu regeln, dass (virtuelle) Aktienoptionen bei der Bemessung der Karenzentschädigung nicht zu berücksichtigen sind.
Entscheidet sich ein Unternehmen dafür, zur Incentivierung und Mitarbeiterbindung Programme über (virtuelle) Aktienoptionsprogramme aufzulegen, sollte in jedem Fall auf eine sorgfältige Gestaltung geachtet werden, um sicherzustellen, dass alle rechtlichen und wirtschaftlichen Ziele erreicht werden. Die Vorfeldanalyse sollte die Auswirkungen auf die Verpflichtung zur Zahlung einer Karenzentschädigung einschließen.
Wir unterstützen Sie selbstverständlich gerne bei der Gestaltung und Anpassung von nachvertraglichen Wettbewerbsverboten und Incentivierungsprogrammen.