Die Rolle von künstlicher Intelligenz in der 21. Legislaturperiode: eine Auswertung des Koalitionsvertrages
Bundestagswahl Insights
Am 9. April 2025 um 15 Uhr war es soweit: die Parteispitzen von CDU, CSU und SPD haben den neuen Koalitionsvertrag für die 21. Legislaturperiode vorgestellt. Bereits vorher waren Zwischenergebnisse zu den politischen Zielen der voraussichtlichen künftigen Koalition in Bezug auf die Regulierung und Förderung künstlicher Intelligenz („KI“) durchgesickert – unseren Bericht zu dem Zwischenstand finden Sie hier. Im Folgenden stellen wir die wichtigsten finalen Verhandlungsergebnisse zum Thema KI vor.
A. Grundsätzliche Zielsetzung: Deutschland als „KI-Nation“
Die Regierungsparteien haben sich ein ambitioniertes Ziel gesetzt: Sie wollen Deutschland zu einer „KI-Nation“ und insgesamt zu einem „Spitzenstandort für Zukunftstechnologien“ machen. KI soll eine wesentliche Priorität im Rahmen der Hightech-Agenda sein und maßgeblich zum Wirtschaftswachstum beitragen. Entsprechend spielt die Ausschöpfung des Potenzials von KI an verschiedenen Stellen im Koalitionsvertrag eine bedeutende Rolle.
Um das Ziel zu erreichen, Deutschland zu einer „KI-Nation“ zu machen, nehmen sich die künftigen Regierungsparteien eine massive Förderung von Cloud- und KI-Infrastruktur und der Verbindung von KI und Robotik durch Investitionen vor. Von der Entwicklung von Schlüsseltechnologien und der Absicherung von Wertschöpfungsketten für diese Industrien erhoffen sich die Koalitionäre den Abbau digitaler Abhängigkeiten. Industrielle KI soll durch innovationsfreundliche Regulierung unterstützt werden. Um die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zu gewährleisten, soll eine Expertenkommission im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) eingesetzt werden, die sich dem Thema „Wettbewerb und Künstlicher Intelligenz“ widmet.
Es soll mindestens eine sog. AI-Gigafactory in Deutschland angesiedelt werden. Mit AI-Gigafactories sind Anlagen mit Supercomputern und Datenzentren gemeint, die speziell auf die Entwicklung, das Training und die Bereitstellung von KI-Modellen der nächsten Generation ausgerichtet sind. Darüber hinaus soll ein interoperabler und europäisch anschlussfähiger souveräner Deutschland-Stack geschaffen werden, der KI, Cloud-Dienste und Basiskomponenten integriert. Auf europäischer Ebene soll die Eurostack-Initiative unterstützt werden.
Neben dieser innovationsfreundlichen Ausrichtung nehmen die Parteien aber auch die Risiken von KI in den Blick. So sollen bei der Entwicklung von Schlüsseltechnologien insbesondere Belange der ökologischen, sozialen und ökonomischen Nachhaltigkeit berücksichtigt werden und KI-Sicherheit gewährleistet werden. Eine etwaige Anpassung der Haftungsregeln für KI werde geprüft und ggf. auf europäischer Ebene angestoßen.
B. Schaffung eines Bundesministeriums für Digitalisierung
Es soll ein neues Ministerium für Digitalisierung und Staatsmodernisierung geschaffen werden. Geführt werden soll es voraussichtlich von der CDU-Politikerin Dr. Kristina Sinemus, derzeit noch Digitalministerin in Hessen. Vor Kurzem war noch unklar, ob es ein Bundesdigitalministerium geben wird. Während ein solches in einem solches in einem ersten Papier der Verhandler noch gefordert wurde, sah ein zweites Verhandlungspapier das Ministerium nicht mehr vor. Noch nicht näher konturiert ist der Zuständigkeitsbereich des Ministeriums. Überhaupt ist auffällig, dass es nur im Rahmen der Ressortverteilung im Koalitionsvertrag Erwähnung findet. Der Bereich KI dürfte ein wichtiges Themenfeld sein, für das die Digitalministerin künftig zuständig ist. Bisweilen wird jetzt schon gefordert, das Ministerium gleich als KI-Ministerium zu bezeichnen.
C. Einsatz von KI im öffentlichen Sektor
Im Bereich der Verwaltung setzen sich die künftigen Regierungsparteien ebenfalls ambitionierte Ziele, es ist nicht weniger als eine „Verwaltungsrevolution“ geplant. Als Leitbild wird eine „vernetzte, effiziente und leistungsfähige“ Verwaltung ausgegeben, die gleichzeitig „niedrigschwellig und nutzerfreundlich für alle erreichbar sein“ muss. Dafür soll Automatisierung und KI zur Beschleunigung und Effizienzsteigerung von Verwaltungsprozessen ausdrücklich genutzt werden. Die Deutsche Verwaltungscloud (DVC) soll hierbei eine Schlüsselrolle spielen. Die DVC umfasst perspektivisch ein umfangreiches Portfolio an Cloud-Services und -Infrastruktur der und für die deutsche Verwaltung.
Die Förderung und Nutzung von KI wird in den verschiedenen Politikbereichen des Koalitionsvertrages wiederholt herausgestellt. Im Sicherheitsbereich sollen Sicherheitsbehörden für bestimmte Fälle eine Befugnis zur Vornahme einer automatisierten, KI-basierten Datenanalyse erhalten. Unter Einhaltung verfassungsrechtlicher Standards soll so eine automatisierte Datenrecherche und -analyse und auch ein nachträglicher biometrischer Abgleich mit öffentlich zugänglichen Internetdaten mittels KI erfolgen.
In der Finanzverwaltung soll der Einsatz von KI Effizienzpotenziale heben. Auch im Bereich der Justiz soll die Nutzung von KI ermöglicht werden. Insofern bleibt allerdings unklar, welchen konkreten Anwendungsfall die Koalitionäre vor Augen haben. Im Gesundheitsbereich befürworten die Regierungsparteien eine KI-unterstützte Behandlungs- und Pflegedokumentation. Ein digitales Portal für Familienleistungen soll KI-Funktionen beinhalten. Selbst im Kulturbereich soll eine „Kultur & KI“-Strategie entwickelt werden, um auch hier die Potenziale der KI zu nutzen und gleichzeitig Risiken einzudämmen. Zudem spricht der Koalitionsvertrag auch den Verteidigungssektor an. Die Bundeswehr soll demnach künftig verstärkt mit Zukunftstechnologien ausgerüstet werden, darunter insbesondere auch KI.
D. Umsetzung der europäischen KI-Verordnung
Zwingend erforderlich ist die Umsetzung der europäischen KI-Verordnung (Verordnung (EU) 2024/1689), die am 1. August 2024 in Kraft getreten ist. Diese Verordnung schafft erstmalig einen europäischen verbindlichen Rahmen für das Inverkehrbringen, die Inbetriebnahme und die Verwendung von KI. Nationale Gesetzgeber müssen bis zum 2. August 2025 ein entsprechendes Durchführungsgesetz verabschieden. Das BMWK sowie das Bundesjustizministerium hatten zum Ende der letzten Legislaturperiode bereits einen Referentenentwurf für ein KI-Marktüberwachungsgesetz („KIMÜG-Entwurf“) vorgelegt. Der Koalitionsvertrag gibt keinen unmittelbaren Aufschluss über die Ausgestaltung der Umsetzung. Betont wird allerdings, dass im Rahmen der technischen und rechtlichen Spezifizierungen der KI-Verordnung weitere Belastungen für die Wirtschaft abgebaut werden sollen und so eine „innovationsfreundliche und bürokratiearme“ Umsetzung angestrebt wird. Dies gliedert sich ein in die allgemeine, von KI zunächst unabhängige Maxime des Koalitionsvertrags, kein sog. gold-plating, also eine bürokratische Übererfüllung von EU-Regeln bei der nationalen Umsetzung vorzunehmen. Die umstrittene Forderung, die noch in dem Ergebnispapier der Arbeitsgruppe 3 („Digitales“) enthalten war, auf europäischer Ebene eine Anpassung der KI-Verordnung insgesamt anzustreben, findet sich im Koalitionsvertrag jedoch nicht wieder.
Im KIMÜG-Entwurf wird darüber hinaus insbesondere geregelt werden müssen, welche Behörde(n) die Anwendung der KI-Verordnung überwachen sollen (vgl. Art. 70 Abs. 1 Satz 1 KI-VO). Mit den Argumenten, besonders sachnah zu sein und schon jetzt im Bereich des Datenschutzrechts den Markt zu überwachen, hatten sich in der Vergangenheit die Datenschutzbehörden als Überwachungsbehörden wiederholt angeboten. Damit wäre die Marktüberwachung föderal ausgestaltet, was aus Sicht von Unternehmen die Gefahr divergierender Rechtsauslegung und -umsetzung birgt. Dem KIMÜG-Entwurf zufolge sind die Behörden, die in vollharmonisierten Bereichen der Produktregulierung bereits zuständige Marküberwachungs- und notifizierende Behörde sind, zugleich im Bereich der KI-Verordnung zuständige Behörde. In Bereichen, in denen es derartige Zuständigkeiten nicht gibt, soll die Bundesnetzagentur Marktüberwachungs- und notifizierende Behörde werden.
Der Koalitionsvertrag klärt diese Frage zwar nicht ausdrücklich. Allerdings möchten die künftigen Koalitionäre sicherstellen, dass die Marktaufsicht der KI-Verordnung nicht zersplittert wird. Damit spricht nun alles für eine Bündelung der Marktaufsicht bei der Bundesnetzagentur, wie sie bereits im KIMÜG-Entwurf vorgesehen ist.
Nach Art. 57 KI-VO sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, mindestens ein KI-Reallabor einzurichten. KI-Reallabore bieten eine kontrollierte Umgebung, um Innovation zu fördern und die Entwicklung, das Training, das Testen und die Validierung innovativer KI-Systeme für einen begrenzten Zeitraum vor ihrem Inverkehrbringen und ihrer Inbetriebnahme zu erleichtern. Die Koalitionsparteien werden in diesem Punkt mutiger. Gerade kleine und mittlere Unternehmen sowie Start-Ups sollen durch KI-Reallabore unterstützt werden. Auch an anderer Stelle bekräftigt der Koalitionsvertrag die Potenziale von Reallaboren für die Innovationskraft Deutschland, die Schaffung dieser soll daher aktiv gefördert werden. Es ist davon auszugehen, dass Deutschland es bei der Umsetzung der KI-Verordnung insoweit nicht nur bei einem KI-Reallabor belässt.
E. Ausblick
Der Koalitionsvertrag reflektiert die mittlerweile omnipräsente Bedeutung von KI über die unterschiedlichsten Lebensbereiche hinweg, von Wirtschaft über Sicherheit bis hin zur Verwaltung. Die künftige Regierung hat sich insoweit insbesondere der Innovationsoffenheit verschrieben und will Deutschland durch neue Impulse zu einer „KI-Nation“ machen. Abzuwarten bleibt, wie sich diese ambitionierte Zielsetzung in die Praxis übersetzt. Im Koalitionsvertrag bleiben konkrete Schritte naturgemäß offen. Ein erster interessanter Fingerzeig wird die Gestaltung des Bundesministeriums für Digitalisierung und Staatsmodernisierung sein. Darüber hinaus werden sich die Koalitionäre schnellstmöglich mit der Umsetzung der KI-Verordnung auseinandersetzen müssen. Hier wird sich erstmals zeigen, ob es die voraussichtliche neue Regierung mit der propagierten Innovationsoffenheit und Regulierungszurückhaltung ernst meint.
Wir möchten Cathrine Crämer für ihren Beitrag zu dieser Veröffentlichung danken.
Dieser Artikel erscheint im Rahmen unserer Bundestagswahl Insights. Alle Bundestagswahl Insights und mehr Informationen zur Bundestagswahl und deren Auswirkungen auf Industrie und Wirtschaft finden Sie auf unserem Election Hub (hier).