Studie

Übernahme-Hauptversammlungen

Von Dr. Volker Land und Dr. Stephan Schulz

28.02.2019

Zuerst veröffentlicht im Noerr Public M&A-Report 01/2019

Ziffer 3.7 Abs. 3 des Deutschen Corporate Governance Kodex (in der Fassung vom 7. Februar 2017, in Kraft getreten durch Veröffentlichung im Bundesanzeiger am 24. April 2017) regt an, dass der Vorstand der Zielgesellschaft im Falle eines Übernahmeangebots eine außerordentliche Hauptversammlung einberuft, „in der die Aktionäre über das Übernahmeangebot beraten und gegebenenfalls über gesellschaftsrechtliche Maßnahmen beschließen“. Es handelt sich lediglich um eine Anregung des Kodex, so dass die Organe der Gesellschaft in der Entsprechenserklärung gem. § 161 AktG nicht Stellung nehmen müssen, wenn sie der Vorgabe nicht folgen. Aber dass die „Übernahme-Hauptversammlung“ überhaupt im Kodex vorgesehen ist, bringt die Einschätzung der Kodex-Kommission zum Ausdruck, ihre Durchführung entspräche guter Corporate Governance.

Ein Blick in die Praxis öffentlicher Übernahmen in Deutschland lässt einen an diesem Befund jedoch zweifeln. Im Zeitraum von 2012 bis 2018 wurden 148 öffentliche Angebote nach dem WpÜG veröffentlicht und lediglich drei Mal hat der Vorstand eine außerordentliche Übernahme-Hauptversammlung einberufen (Quelle: Eigene Recherche. Es wurde nicht untersucht, inwieweit auf einer ordentlichen Hauptversammlung, die nach Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Übernaheangebots stattgefunden hat, über angebotsrelevante Themen diskutiert wurde.). Zwei dieser Hauptversammlungen wurden vor dem Versammlungstag wieder abgesagt (Einberufung der Hawesko Holding AG vom 19. Dezember 2014; Einberufung der Pfeiffer Vacuum Technology AG vom 3. Juli 2017). Die dritte beruhte nicht auf einem originären Entschluss des Vorstands, sondern auf einem Minderheitsverlangen (Einberufung der Rücker AG vom 26. September 2012). Da die Vorstände einer Aktiengesellschaft normalerweise gerade in der „Stresssituation Übernahme“ besonderes Augenmerk auf die Einhaltung der Grundsätze guter Corporate Governance legen, verwundert diese äußerst geringe Zahl von Hauptversammlungen.

Berücksichtigt man die Rechtslage, der sich der Vorstand bei der Einberufung einer Übernahme-Hauptversammlung ausgesetzt sieht, wird die kaum ausgeprägte Praxis verständlicher: Für sich genommen ist die Ankündigung eines Übernahmeangebots für die Organe der Zielgesellschaft kein Einberufungsgrund. Es gilt vielmehr die allgemeine Regel, wonach der Vorstand eine Hauptversammlung einzuberufen hat, wenn es „das Wohl der Gesellschaft“ erfordert (§ 121 Abs. 1 2. Alt. AktG). Der Vorstand muss in diesem Zusammenhang eine unternehmerische Entscheidung treffen, in deren Rahmen er die Interessen aller Stakeholder in einen angemessenen Ausgleich bringen muss; die h.M. gewährt dem Vorstand hierbei jedoch einen breiten Entscheidungsspielraum.

Hierbei sind zwei Fälle zu unterscheiden: Zum einen der Fall, in dem der Vorstand das Übernahmeangebot ablehnt. Dann stellt sich die Frage, ob es im Interesse der Gesellschaft liegt, sich gegen das Angebot zu verteidigen. Sieht die vom Vorstand erarbeitete Verteidigungsstrategie Maßnahmen vor, die nur mit einem Hauptversammlungsschluss umgesetzt werden können (z.B. ordentliche Kapitalerhöhung, Umstrukturierungen im Sinne der „Gelatine“-Rechtsprechung des BGH (Vgl. BGH, Urteil vom 26. 4. 2004, BGH NZG 2004, 571 ff. – Gelatine I; BGH, Urteil vom 26. 4. 2004, NZG 2004, 575 ff.– Gelatine II.9)), entspricht ihre Durchführung dem Wohl der Gesellschaft in dem Maße, in dem die Verteidigungsstrategie dies tut. In diesem Spezialfall wird der Vorstand also die Hauptversammlung einberufen.

Auf der anderen Seite stehen Fälle, in denen der Vorstand das Angebot begrüßt oder ihm neutral gegenüber steht. Dann drängen sich keine Beschlüsse auf, die auf der Hauptversammlung zu fassen wären. Für die Rechtfertigung der Einberufung im Sinne des Gesellschaftswohls bleibt dann nur der Zweck, die Hauptversammlung zur Beratung mit den Aktionären über das Angebot zu nutzen. Eine solche Hauptversammlung, bei der keine Beschlüsse gefasst werden, wird von der h.M. zwar als zulässig angesehen. In der Regel wird das Informationsinteresse der Aktionäre allein ein solches aufwändig vorzubereitendes und mit Kosten verbundenes Aktionärstreffen aber nicht rechtfertigen. Informationen können den Aktionären regelmäßig auch auf weniger aufwändige Art und Weise vermittelt werden. Auch um ein Stimmungsbild im Aktionariat einzuholen, können andere Wege in Betracht gezogen werden (z.B. Investorengespräche), zumal den der Verwaltung bekannten Aktionären mit größeren Beteiligungen in diesem Rahmen regelmäßig mehr Gewicht zukommen dürfte. Das Gesellschaftswohl erfordert das Abhalten einer Hauptversammlung in diesen Fällen regelmäßig nicht.

Dieses Fazit deckt sich mit dem empirischen Befund, wonach die Einberufung von beschlusslosen Übernahme-Hauptversammlungen nur in Fällen erfolgte, in denen ein Konflikt zwischen Vorstand und Bieter (bzw. diesem nahestehenden Mitgliedern des Aufsichtsrats) öffentlich ausgetragen wurde. Nach Klärung der zugrundeliegenden Personalfragen wurden diese beiden Übernahme-Hauptversammlungen entsprechend wieder abgesagt.

Das zeigt, dass die Anregung des Kodex, bei Übernahmeangeboten eine Hauptversammlung durchzuführen, rechtspolitisch zweifelhaft ist. Diese bereits vielfach geäußerte Kritik hat dazu geführt, dass im Rahmen der laufenden Konsultationen für eine Überarbeitung des Kodex die Streichung der Regelung vorgeschlagen worden ist. Es bleibt zu hoffen, dass dieser sinnvolle Vorschlag umgesetzt wird.