Pay and forget – Die reine Beitragszusage hält Einzug in die Praxis der betrieblichen Altersversorgung
Die Möglichkeiten einer reinen Beitragszusage im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung hat der Gesetzgeber mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz im Jahr 2018 eröffnet (§ 1 Absatz 2 Nummer 3 des Betriebsrentengesetzes – BetrAVG) – sie blieben jedoch lange ungenutzt. Nachdem jetzt zunächst Uniper über einen unternehmensbezogenen Verbandstarifvertrag ein Sozialpartnermodell für seine Arbeitnehmer eingeführt hat, folgte wenige Tage später das erste branchenweite Sozialpartnermodell in der betrieblichen Altersversorgung. Auf dieses haben sich die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie (IGBCE) und der Bundesarbeitgeberverband Chemie (BAVC) verständigt (Grünes Licht für Deutschlands erstes Branchen-Sozialpartnermodell (bavc.de)). Wie dieses sog. Sozialpartnermodell in der Praxis von Arbeitgebern und Arbeitnehmern aufgenommen wird, bleibt abzuwarten. Aus Arbeitgebersicht zeigen sich jedenfalls einige attraktive Vorzüge.
Gesetzliche Regelungen zur reinen Beitragszusage
Wesentlicher Unterscheid der reinen Beitragszusage im Vergleich zu den bisherigen Formen der betrieblichen Altersversorgung ist, dass die Haftung und Einstandspflicht des Arbeitgebers stark beschränkt wird. Die Zusage des Arbeitgebers bei einer reinen Beitragszusage ist allein auf die Zahlung der vereinbarten Beiträge an die jeweilige Versorgungseinrichtung gerichtet. Eine bestimmte Höhe der späteren Leistung wird und darf weder vom Arbeitgeber noch von der Versorgungseinrichtung garantiert werden (§ 22 Absatz 1 Satz 2 BetrAVG). Damit muss sich ein Arbeitgeber nach der Zahlung der jeweiligen Beiträge für die betriebliche Altersversorgung keine Gedanken mehr über die späteren Leistungen machen (sog. „pay and forget“). Mit anderen Worten: Das Anlagerisiko trägt allein der Arbeitnehmer.
Auch wenn die reine Beitragszusage aus Arbeitgebersicht schon auf den ersten Blick attraktiv klingt, hat es mehr als vier Jahre gedauert, bis den ersten Arbeitgebern in der Chemiebranche die Möglichkeit zur Erteilung einer reinen Beitragszusage tatsächlich eröffnet wird. Denn eine reine Beitragszusage kann nur durch Tarifvertrag oder durch eine auf Grund eines Tarifvertrags geschlossene Betriebs- oder Dienstvereinbarung erteilt werden. Überdies ist eine reine Beitragszusage nur über einen Pensionsfonds, eine Pensionskasse oder eine Direktversicherung möglich; die Finanzierung kann auch durch Entgeltumwandlung erfolgen.
Die reine Beitragszusage setzt also eine Einigung zwischen den Sozialpartnern, d. h. einem Arbeitgeber oder Arbeitgeberverband auf der einen Seite und einer Gewerkschaften auf der anderen Seite, über deren Einführung voraus, weshalb die reine Beitragszusage auch als „Sozialpartnermodell“ bezeichnet wird. Den Sozialpartnern wird damit eine zentrale Rolle bei der reinen Beitragszusage zugeschrieben.
Das Betriebsrentengesetz verpflichtet die Sozialpartner darüber hinaus, sich über die bloße Vereinbarung der betrieblichen Altersversorgung in Form der reinen Beitragszusage an deren Durchführung und Steuerung zu beteiligen (§ 21 Absatz 1 BetrAVG). Zudem sollen die Sozialpartner unter anderem einen vom Arbeitgeber zu tragenden Sicherungsbeitrag vereinbaren (§ 23 Absatz 1 BetrAVG). Auch wenn dem § 23 Absatz 1 BetrAVG kein zwingender Charakter zukommt, werden gerade die Gewerkschaften in der Praxis regelmäßig auf eine entsprechende Vereinbarung drängen, um das vom Arbeitnehmer zu tragende Anlagerisiko zu minimieren.
Schließlich kann sich das Sozialpartnermodell auch auf nichttarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer erstrecken. Diese können – in der Regel durch eine dynamische einzelvertragliche Bezugnahmeklausel – die Anwendung der „einschlägigen tariflichen Regelung“ vereinbaren (§ 24 BetrAVG), das Einverständnis der durchführenden Versorgungseinrichtung vorausgesetzt. Der Hinweis auf die „einschlägige“ tarifliche Regelung bedeutet, dass nur auf einen räumlich, zeitlich, betrieblich-fachlich und persönlich maßgeblichen Tarifvertrag Bezug genommen werden kann, der bei gegebener Tarifbindung ohnehin zwischen den Arbeitsvertragsparteien gelten würde.
Bedeutung für die Chemiebranche und Handlungsoptionen
Inwieweit die reine Beitragszusage in der Praxis Erfolg haben wird, wird sich erst in den kommenden Monaten zeigen. Für die über 400.000 Beschäftigten der Chemiebranche kann das Sozialpartnermodell – das eine reine Altersrente und (unter bestimmten Voraussetzungen) eine Hinterbliebenenversorgung vorsieht – wegen höherer Renditechancen aber eine attraktive Altersversorgung bieten. Durch den Verzicht auf Garantien kann das angesparte Kapital breiter angelegt werden, wodurch die Chancen auf eine Wertsteigerung höher stehen.
In der Chemiebranche soll das neue Sozialpartnermodell für alle Neueintritte sowie für alle Beschäftigten, die erstmals ihren Anspruch auf die tarifliche Altersversorgung geltend machen, Anwendung finden – vorausgesetzt, es besteht eine beidseitige Tarifgebundenheiten bzw. die entsprechenden tariflichen Regelungen wurden wirksam in Bezug genommen. Dabei kann das Sozialpartnermodell sogar für AT-Beschäftigte und Leitende Angestellte genutzt werden.
Bestehende tarifliche Altersversorgungen bleiben grundsätzlich unveränderter zu den bisherigen Konditionen fortbestehen. Ob ein Wechsel der Bestandsmitarbeiter ausnahmsweise möglich ist, ist im jeweiligen Einzelfall zu prüfen. Generell besteht für Bestandsmitarbeiter jedoch unter Berücksichtigung der Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit die Möglichkeit, eine bestehende tarifliche Altersversorgung zu schließen, um mit zukünftigen Beiträgen am Sozialpartnermodell teilzunehmen.
Im Zuge eines Arbeitgeberwechsels bietet § 4 BetrAVG darüber hinaus auch die Möglichkeit, unverfallbare Anwartschaften auf den neuen Arbeitgeber zu übertragen und dabei auch den Versorgungsweg zu wechseln. Insofern sieht § 4 Absatz 3 BetrAVG vor, dass ein Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses von seinem ehemaligen Arbeitgeber verlangen kann, dass der Übertragungswert (d. h., der Wert der vom Arbeitnehmer erworbenen unverfallbaren Anwartschaft auf betriebliche Altersversorgung) auf den neuen Arbeitgeber oder auf eine Versorgungseinrichtung nach § 22 BetrAVG des neuen Arbeitgebers übertragen wird, wenn
- die betriebliche Altersversorgung über einen Pensionsfonds, eine Pensionskasse oder eine Direktversicherung durchgeführt worden ist und
- der Übertragungswert die Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen Rentenversicherung nicht übersteigt.
Der Verweis auf § 22 BetrAVG erfasst gerade das Sozialpartnermodell. Der Arbeitnehmer kann also das beim alten Arbeitgeber in bisherigen Systemen der betrieblichen Altersversorgung aufgebaute Versorgungskapital in ein System der reinen Beitragszusage einbringen und der neue Arbeitgeber kann ihn auch darauf verweisen. Für bereits vor dem 1. Januar 2022 in der Chemiebranche Beschäftigte besteht damit jedenfalls im Falle eines Arbeitgeberwechsels die Möglichkeit, ebenfalls von den Vorteilen des Sozialpartnermodells zu profitieren.
Tarifgebundene Arbeitgeber der Chemiebranche und solche, die sich über individualvertragliche Bezugnahmeklauseln an die Tarifverträge der Chemiebranche als „einschlägige“ Tarifverträge binden können, sollten sich daher zeitnah mit dem Sozialpartnermodell vertraut machen. Nicht zuletzt sollten bei der Bewertung des Sozialpartnermodell die daraus resultierenden Möglichkeiten sowohl für die Arbeitgeberattraktivität als auch für die bestehenden betriebliches Altersversorgungsmodell in den Blick genommen werden.
Sozialpartnermodell auch für andere Branchen?
Auch für Arbeitgeber außerhalb der Chemiebranche kann das Sozialpartnermodell eine Alternative zu bestehenden Versorgungsmodellen darstellen, um einerseits Haftungsrisiken zu reduzieren und andererseits der Belegschaft eine attraktive, chancenorientierte betriebliche Altersversorgung zu bieten. Die notwendigen Verhandlungen mit Gewerkschaften dürften aufgrund der Vorteile für Arbeitgeber und auch Beschäftigte keine unüberwindbaren Hürden sein, wie die neuen Sozialpartnermodelle belegen.
In Unternehmen, in denen bislang noch keine entsprechenden Tarifverträge bestehen, können sich Verhandlungen mit den Gewerkschaften oder betrieblichen Arbeitnehmervertretern mit Blick auf die Bezugnahmemöglichkeiten auf einschlägige Tarifverträge lohnen, denn Sozialpartnermodelle können sowohl für Arbeitgeber als auch für Beschäftigte Vorteile bieten.