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Neue US „Safe Harbor“-Richt­linie für M&A-Trans­aktionen

31.10.2023

Am 04.10.2023 kündigte US Deputy Attorney General Lisa Monaco eine „Safe Harbor“-Richtlinie innerhalb des US-Justizministeriums (Department of Justice – DOJ) an, die weitreichende Auswirkungen auf die Rolle von Compliance-Fragestellungen im Rahmen von M&A-Transaktionen – auch in Europa – haben kann.

Gegenstand der Safe Harbor-Richtlinie

Das DOJ ermittelt verstärkt und intensiv bei Compliance-Verstößen, gerade im Hinblick auf kartellrechtliche Verstöße oder Korruption. Erhebliche Strafen und auch persönliche Haftung drohen. Die Safe Harbor-Richtlinie soll es erwerbenden Unternehmen im Rahmen von M&A-Transaktionen erleichtern, bei etwaigen Compliance-Verstößen des erworbenen Unternehmens straffrei zu bleiben. Für einen Verzicht des DOJ auf strafrechtliche Sanktionen müssen die folgenden Voraussetzungen erfüllt sein:

  • Der Erwerber meldet dem DOJ Compliance-Verstöße der Zielgesellschaft innerhalb von sechs Monaten ab Closing und leistet innerhalb eines Jahres ab Closing Abhilfe. Für die Frist spielt es keine Rolle, ob der Verstoß bereits vor oder erst nach dem Erwerb festgestellt wurde.
  • Der Erwerber beseitigt den Compliance-Verstoß und dessen Folgen innerhalb eines Jahres ab Closing vollständig.
  • Es handelt sich um eine fremdübliche M&A-Transaktion.
  • Der Verstoß ist nicht von einer anderweitigen Meldepflicht erfasst und war weder allgemein noch dem DOJ bekannt.

Auch die Zielgesellschaft selbst kann die Compliance-Verstöße melden und beseitigen, um in den Genuss der Amnestie zu kommen. Dies gilt aber nur für Fälle, in denen seitens der Zielgesellschaft keine erschwerenden Umstände, wie beispielsweise ein besonders grober oder schwerwiegender Verstoß, vorliegen.

In örtlicher Hinsicht erfasst die angekündigte Richtlinie Compliance-Verstöße in Zielgesellschaften, die dem Zuständigkeitsbereich des DOJ unterfallen. Nach US-Verständnis ist dieser Anwendungsbereich weit auszulegen und kann sich auch über die US-Grenzen hinaus erstrecken. Neben dem Fall von Zielgesellschaften mit Sitz in den USA kommt die Anwendung auch in Betracht, wenn nicht das Target selbst, sondern etwaige Tochtergesellschaften ihren Sitz in den USA haben. Außerdem können ausländische Gesellschaften beispielsweise unter dem Foreign Corrupt Practices Act (FCPA) Gegenstand strafrechtlicher Ermittlungen des DOJ werden, wenn ihre Wertpapiere oder die Wertpapiere ihrer Konzerntöchter in den USA registriert sind oder der Schwerpunkt ihrer unternehmerischen Tätigkeit in den USA liegt. Selbst ohne einen solchen Bezug unterfallen ausländische Gesellschaften nach dem FCPA dem Zuständigkeitsbereich des DOJ, wenn sie, etwa durch Vertreter, innerhalb der USA korruptionsfördernde Handlungen begehen.

Inhaltlich sind im Gegensatz zu früheren Maßnahmen mit der Safe Harbor-Richtlinie nicht nur Verstöße im Bereich des Kartellrechts oder der Korruption, sondern im Hinblick auf sämtliche Tätigkeitsfelder des DOJ abgedeckt. Als Hauptstrafverfolgungsbehörde ist das DOJ grundsätzlich für alle Verstöße gegen Bundesrecht zuständig, sodass nun auch Compliance-Verstöße beispielsweise in den Bereichen Cybersecurity und nationale Sicherheit erfasst sind. Das DOJ übernimmt zudem die Strafverfolgung für andere Bundesbehörden wie etwa die Federal Trade Commission, die Securities and Exchange Commission (SEC) und den Internal Revenue Service (IRS), sodass sich die angekündigte Amnestie auch auf Steuerstraftaten oder Verstöße im Zusammenhang mit dem Wertpapierhandel erstrecken kann.

Praktische Auswirkungen

Die angekündigte Safe Harbor-Richtlinie bietet Erwerbern die Chance, Haftungsrisiken bei M&A-Transaktionen mit US-Bezug signifikant zu minimieren. Angesichts des kurzen Mitteilungszeitraums von sechs Monaten ab Closing ist – jedenfalls bei ersten Anzeichen – eine sorgfältige Post-Closing Due Diligence empfehlenswert, bei der Compliance-Fragen eine zentrale Rolle zukommt. Besonderes Augenmerk ist hierbei darauf zu legen, dass etwaige Compliance-Untersuchungen nicht nur in die Tiefe, sondern vor allem auch in die Breite gehen und vollständig alle vom DOJ überwachten und die Zielgesellschaft potenziell betreffenden Gebiete abdecken, um somit den breiten Anwendungsbereich der Richtlinie voll auszuschöpfen.

Auch wenn für besonders komplexe Transaktionen bereits die Möglichkeit einer Fristverlängerung angekündigt wurde, ist grundsätzlich zunächst von der kurzen sechsmonatigen Frist ab Closing auszugehen. Fragen und Haftungsrisiken in diesem Zusammenhang sollten daher nicht erst unter dem Druck der laufenden Meldepflicht geklärt, sondern bereits im Rahmen der Verhandlung der Transaktion aufgegriffen werden, um die ohnehin kurze Frist möglichst vollständig nutzen zu können.