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KapMuG-Reform: Beschleunigung des Kapital­anleger­muster­verfahrens geplant

09.02.2024

Am 28. Dezember 2023 hat das Bundesjustizministerium den Referentenentwurf eines Zweiten Gesetzes zur Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes (KapMuG) veröffentlicht. Anlass für den Referentenentwurf ist, dass das KapMuG in seiner aktuellen Fassung am 31.08.2024 nach mehrmaligen Verlängerungen außer Kraft tritt. Da sich das KapMuG nach Einschätzung des Bundesjustizministeriums grundsätzlich als Instrument des kollektiven Rechtsschutzes bei Klagen mit kapitalmarktrechtlichem Bezug bewährt hat, soll es entfristet und bei dieser Gelegenheit fortentwickelt werden.

Hintergrund des KapMuG

Anlass für die Einführung des KapMuG im Jahr 2005 war der Umfang von Einzelklagen von Anlegern im Zusammenhang mit dem dritten Börsengang der Telekom AG im Jahr 2000 und die hierdurch verursachte Überlastung der Gerichte. Ausgangspunkt der damaligen Überlegungen war es, ein schlagkräftiges Instrument des kollektiven Rechtsschutzes für kapitalmarktrechtliche Rechtsstreitigkeiten in Deutschland zu etablieren, um den individuellen Rechtsschutz zu verbessern und die Gerichte zu entlasten.

Status quo des KapMuG

Das KapMuG soll geschädigten Anlegern für Ansprüche wegen falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformationen ein besonderes zivilprozessuales Musterverfahren vor den Oberlandesgerichten bereitstellen, damit potentiell geschädigte Anleger ihre Ansprüche einfacher durchsetzen können. Grob vereinfacht dargestellt werden durch ein KapMuG-Verfahren einzelne Tatsachen- oder Rechtsfragen, die in mehreren Individualstreitigkeiten eine streitentscheidende Rolle spielen, einem Oberlandesgericht vorgelegt und dort in einem einheitlichen Verfahren verhandelt und entschieden. Voraussetzung für ein solches Musterverfahren ist, dass mindestens zehn Parteien solcher Individualverfahren einen Antrag auf Durchführung eines Musterverfahrens gestellt haben. Eingeleitet wird das Verfahren durch einen Vorlagebeschluss eines Landgerichts. Solange das Musterverfahren andauert, sind nach § 8 KapMuG alle anhängigen Einzelverfahren von Amts wegen auszusetzen, sofern die Entscheidung von den Feststellungszielen des Musterverfahrens abhängt. Nach Beendigung des Musterverfahrens werden die Individualverfahren vor den Landgerichten auf der Grundlage des Musterentscheids zu Ende geführt. Der Musterentscheid entfaltet Bindungswirkung für alle ausgesetzten Verfahren, in denen dann nur noch über die individuellen Schadenfragen zu entscheiden ist. Durch ein KapMuG-Verfahren erhält der einzelne Kläger daher keinen vollstreckungsfähigen Titel. Einen solchen kann er erst in dem fortzuführenden Individualprozess erstreiten.

Inhalt des Referentenentwurfs

In der Praxis haben sich Musterverfahren nach dem KapMuG als langwierige Verfahren erwiesen. Der nunmehr vorliegende Referentenentwurf nennt daher u.a. als Ziel der geplanten Änderungen, die Musterverfahren zu beschleunigen und effizienter zu gestalten. Um dieses Ziel zu erreichen, schlägt das Bundesjustizministerium unter anderem folgende punktuellen Änderungen vor:

Verfahrensbeschleunigung

  • Der Zeitraum von der Einzelklage bis zum Musterverfahren beim Oberlandesgericht soll verkürzt werden: Das Prozessgericht soll Musterverfahrensanträge in Zukunft nach § 4 Abs. 1 KapMuG-RefE innerhalb von zwei (statt bisher sechs) Monaten öffentlich bekannt machen. Das Prozessgericht soll auch nicht mehr sechs Monate ab Eingang des ersten Musterverfahrensantrags warten dürfen, bevor es prüft, ob das erforderliche Quorum erreicht wurde, sondern es hat den Vorlagebeschluss zu erlassen, sobald das Quorum von zehn gleichgerichteten Musterverfahrensanträgen erreicht ist (§ 7 Abs. 1 KapMuG-RefE).
  • Nach § 10 Abs. 5 KapMuG-RefE soll das Oberlandesgericht im Interesse eines zügigen Beginns des Musterverfahrens innerhalb von drei Monaten nach Bekanntgabe des Vorlagebeschlusses über die Eröffnung des Musterverfahrens entscheiden.

Stärkung der Position des Oberlandesgerichts

  • Nach § 10 Abs. 2 KapMuG-RefE soll das Oberlandesgericht die Feststellungsziele nach billigem Ermessen anhand der vorgelegten Musterverfahrensanträge bestimmen können, d.h. es ist dann nicht – wie bislang – an die Feststellungsziele aus dem Vorlagebeschluss gebunden.
  • Nach § 10 Abs. 4 KapMuG-RefE kann das Oberlandesgericht die Eröffnung des Musterverfahrens wegen fehlender Sachdienlichkeit der Feststellungsziele ganz oder teilweise ablehnen; dieser Beschluss soll unanfechtbar sein.

Reduzierung der Verfahrensbeteiligten

  • Es soll keine Pflicht der Landgerichte mehr bestehen, alle anhängigen Verfahren, die von der Entscheidung über die Feststellungsziele abhängen, von Amts wegen auszusetzen. Stattdessen sollen nach § 2 Abs. 1, § 11 Abs. 1 KapMuG-RefE nur die Parteien am Musterverfahren teilnehmen, die entweder einen Musterverfahrensantrag oder einen Erweiterungsantrag gestellt haben. Nur in solchen Fällen findet eine Unterbrechung des Ausgangsverfahrens von Amts wegen statt (§ 6 Abs. 1, § 11 Abs. 6 KapMuG-RefE).
  • Hierzu soll § 8 KapMuG, der eine Aussetzung von Amts wegen aller anhängigen Verfahren, die von der Entscheidung über die Feststellungsziele abhängen, vorsah, gestrichen werden. Diese Maßnahme soll zu einer Reduzierung der Verfahrensbeteiligten führen, da bislang alle Kläger, deren Verfahren nach § 8 KapMuG wegen der Abhängigkeit vom Musterverfahren ausgesetzt wurden, auch zum Musterverfahren beigeladen werden müssen.
  • Solche Verfahren, die nicht von dem Vorlagebeschluss oder der einmaligen Erweiterung des Musterverfahrensantrag umfasst werden, sollen (nach Streichung des § 8 KapMuG) nur noch ausgesetzt werden, wenn eine Partei dies bis zum rechtskräftigen Abschluss des Musterverfahrens beantragt (§ 145 Abs. 5 ZPO-RefE). In diesen Fällen soll jedoch keine formelle Bindung an die (Tatsachen-)Feststellungen des Musterverfahrens bestehen.

In § 1 Abs. 3 KapMuG -RefE wird zudem klargestellt werden, dass sich Verfahren nach dem KapMuG und dem VDuG nicht ausschließen, d.h. Verbandsklagen und Musterverfahren nach dem KapMuG können parallel durchgeführt werden.

Ausblick

Der Referentenentwurf beinhaltet wichtige Änderungen im Bereich von kapitalmarktrechtlich geprägten Massenverfahren. Interessierte Stellen konnten bis zum 31.01.2024 zu dem Referentenentwurf Stellung nehmen. Diese Stellungnahmen sind inzwischen eingegangen und können auf der Homepage des Bundesjustizministeriums eingesehen werden. Vor allem der beabsichtigte Wegfall der Aussetzung der Einzelverfahren nach § 8 KapMuG wird in den eingegangenen Stellungnahmen kontrovers diskutiert.

Bei einer Streichung von § 8 KapMuG ist zu erwarten, dass Unternehmen mit einer größeren Zahl von Einzelklagen belastet werden. Die heutige Konzentrationswirkung des KapMuG und damit auch die Entlastung der Justiz liefen in wesentlichen Teilen leer. Anders als heute entsteht eine Konkurrenz von Einzelklagen und Musterverfahren mit der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen. Zudem ist nicht klar, welches Oberlandesgericht hier zuerst entscheidet.

Auf den ersten Blick erscheinen die Vorschläge in dem Referentenentwurf geeignet, eine Verfahrensbeschleunigung zu bewirken. Ob diese Verfahrensbeschleunigung dann tatsächlich eintritt, muss die Praxis zeigen. Klar ist: Die Oberlandesgerichte bekommen bei der Gestaltung und Durchführung des Verfahrens mehr Freiraum. Dies gilt es für ein effizientes Verfahren zu nutzen, das zügig Rechtssicherheit für Anleger und Emittenten bietet. Dies ist für die Attraktivität des Gerichtsstandorts Deutschland in Kapitalmarktstreitigkeiten essentiell.

Den weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens werden wir eng begleiten und Sie über wichtige Entwicklungen informieren. Sollten Sie Fragen zu Kollektiv- und Massenverfahren oder konkreten Handlungsbedarf haben, sprechen Sie uns gern an.

Vertiefende Informationen finden Sie in der kommenden WM im Aufsatz von Dr. Dieter Hettenbach „Der Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes“ – Überblick und erste Einschätzung“, WM 2024, 237-242.