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Hinweis­geber­schutz­gesetz 2.0

20.04.2022

Referentenentwurf des BMJ läutet die nächste Runde im Ringen um ein deutsches Hinweisgeberschutzgesetz ein!

 

Kurz vor Ostern hat das BMJ am 13.04.2022 den lange erwarteten Referentenentwurf für ein deutsches Hinweisgeberschutzgesetz („HinSchG-E“) veröffentlicht, der durchaus einige „Überraschungseier“ für Unternehmen enthält!

Das BMJ hat damit den ersten Aufschlag für ein deutschen Schutzgesetzes für Whistleblower gemacht. Der HinSchG-E dient der Umsetzung der europäischen Whistleblower-Richtlinie (RL (EU) 2019/1937, „WB-RL“), die einen europaweit verbesserten Hinweisgeberschutz anstrebt, u. a. durch die Einrichtungspflicht interner Meldekanäle (siehe unsere Beitragsreihe zur WB-RL). Deutschland hat im Dezember 2021 die Frist zur Umsetzung der WB-RL nach Unstimmigkeiten in der letzten Bundesregierung verstreichen lassen. Die EU-Kommission hat daraufhin zu Beginn des Jahres 2022 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik eingeleitet. Die neue Ampel-Regierung hatte bereits im Koalitionsvertrag angekündigt, die Richtlinie „rechtssicher und praktikabel“ sowie überschießend umsetzen zu wollen (vgl. unseren Beitrag v. 25.11.2021). Der Referentenentwurf der Bundesregierung wurde deshalb mit Spannung erwartet.

Im Ergebnis setzt der HinSchG-E die Vorgaben der WB-RL konsistent um. An einigen Stellen weicht er aber von dieser ab bzw. geht über diese hinaus. Diese Abweichungen werden für die Praxis von großer Bedeutung sein, wenn der vorliegende HinSchG-E so tatsächlich verabschiedet wird. Der vorliegende Beitrag fasst die wesentlichen Vorgaben des HinSchG-E für die unternehmerische Praxis im Hinblick auf die Pflicht zur Einrichtung interner Meldestellen zusammen:

1. Beschäftigtenanzahl oder Tätigkeitsbereich als maßgebliches Kriterium

Der HinSchG-E sieht eine Einrichtungspflicht von mindestens einer Stelle für interne Meldungen für folgende Unternehmen vor:

  • Beschäftigungsgeber mit jeweils in der Regel mindestens 50 Beschäftigten, § 12 Abs. 2 HinSchG-E

    • Beschäftigungsgeber sind nach § 3 Abs. 9 HinSchG-E u. a. natürliche und juristische Personen des privaten Rechts, die mindestens eine Person beschäftigen

    • Beschäftigte sind nach § 3 Abs. 8 HinSchG-E u. a. ArbeitnehmerInnen und zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigte

    • Feststellung Beschäftigtenzahl anhand eines Rückblicks auf die bisherige personelle Stärke und einer Einschätzung der zukünftigen Entwicklung (keine Stichtagsregelung)

  • Unternehmen aus „störanfälligen“ Bereichen unabhängig von ihrer Beschäftigtenzahl (z. B. Wertpapierdienstleistungsunternehmen oder Kapitalverwaltungsgesellschaften, abschließende Auflistung in § 12 Abs. 3 HinSchG-E)

Praxishinweis:

Der HinSchG-E sieht eine „Schonfrist“ für Unternehmen mit 50-249 Beschäftigten vor. Für sie gilt die Einrichtungspflicht erst ab dem 17. Dezember 2023.

Auch Unternehmen mit weniger als 50 Beschäftigten sollten die (freiwillige) Implementierung interner Hinweisgeberstrukturen erwägen, um reputationsgefährdende externe Meldungen zu vermeiden (die ebenfalls unter den Schutz des HinSchG-E fallen).

2. Meldegegenstände

Die internen Meldestellen müssen mindestens für die nachfolgenden Meldegegenstände zur Verfügung stehen:

  • Verstöße, die strafbewehrt sind, § 2 Abs. 1 Nr. 1 HinSchG-E

  • Verstöße, die bußgeldbewehrt sind, soweit die verletzte Vorschrift dem Schutz von Leben, Leib und Gesundheit oder dem Schutz der Rechte von Beschäftigten oder ihrer Vertretungsorgane dient, § 2 Abs. 1 Nr. 2 HinSchG-E

  • Verstöße gegen nationale oder europäische Rechtsakte in ausdrücklich aufgelisteten Rechtsbereichen (z. B. im öffentlichen Auftragswesen oder Umweltrecht, § 2 Abs. 1 Nr. 3-7, Abs. 2 HinSchG-E)

Praxishinweis:

Die Ampel-Regierung will also – wie angekündigt – die WB-RL überschießend umsetzen. Während die WB-RL nur Verstöße in bestimmten europäischen Rechts- und Politikbereichen umfasst, greift der sachliche Anwendungsbereich des HinSchG-E auch bei straf- und bußgeldbewehrten Verstößen. Diesen weiten Anwendungsbereich müssen interne Meldestellen bei ihren zulässigen Meldegegenständen entsprechend abbilden.

3. Nutzbarkeit

Hinsichtlich des meldeberechtigten Personenkreises besteht ein Gestaltungsspielraum für Unternehmen:

  • Die interne Meldestelle muss Beschäftigten sowie LeiharbeitnehmerInnen zur Verfügung stehen, § 16 Abs. 1 S. 1 HinSchG-E

  • Die interne Meldestelle kann sonstigen natürlichen Personen zur Verfügung stehen (z. B. Lieferanten, Kunden oder deren MitarbeiterInnen), § 16 Abs. 1 S. 2 HinSchG-E

Praxishinweis:

Unternehmen sollten erwägen, ihre Meldestelle allen natürlichen Personen zur Verfügung zu stellen, die im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit Informationen über unternehmensinterne Verstöße erlangen können. Auch diese Personen genießen einen Schutz vor Repressalien durch den HinSchG-E, wenn sie Verstöße (intern oder extern) melden.

4. Organisatorische Vorgaben

Zwar orientiert sich der HinSchG-E eng an den Vorgaben der WB-RL zur organisatorischen Eingliederung der Meldestelle in die unternehmerischen Strukturen. Insbesondere im Hinblick auf konzernweite Meldestellen hält der HinSchG-E aber eine Überraschung bereit:

  • Betrieb der Hinweisgeberstelle durch unabhängige und fachkundige Person oder Abteilung (Wahrnehmung anderer Aufgaben ist zulässig, d. h. Betrieb der Meldestelle kann eine von mehreren Tätigkeiten sein), § 15 HinSchG-E

  • Erteilung klarer und leicht zugänglicher Informationen (z. B. über Homepage oder Intranet) über externe (nationale) Meldewege sowie Meldestellen bei europäischen Institutionen (z. B. bei OLAF, ESMA), § 13 Abs. 2 HinSchG-E

  • Erleichterung für Unternehmen mit 50-249 Beschäftigten durch zulässige Ressourcenteilung mittels gemeinsamer Hinweisgeberstelle, § 14 Abs. 1 HinSchG-E

    Die gemeinsame Hinweisgeberstelle darf zur Entgegennahme sowie zur Ergreifung gewisser Folgemaßnahmen (v. a. Aufklärungsmaßnahmen) berechtigt werden. Jeder Beschäftigungsgeber bleibt aber verpflichtet, Maßnahmen zur Beseitigung des Verstoßes sowie die Rückmeldung an den Hinweisgeber selbst vorzunehmen.
  • Auslagerung der „internen“ Hinweisgeberstelle an „Dritte“ ist zulässig (z. B. Ombudspersonen, konzernangehörige Unternehmen, etwa die Muttergesellschaft, vgl. hierzu S. 86 des HinSchG-E), § 14 Abs. 1 HinSchG-E

    Allerdings darf der Betrieb der Meldestelle sowie das Ergreifen notwendiger Folgemaßnahmen nicht vollständig auf Dritte ausgelagert werden (kein Übergang der Verantwortung auf Dritten). Die originäre Verantwortung zur Wahrung der Vertraulichkeit bei der Bearbeitung der Meldung sowie zur Beseitigung des Verstoßes verbleibt stets beim verpflichteten Beschäftigungsgeber. Es bedarf daher einer engen Abstimmung zwischen dem Beschäftigungsgeber und dem Dritten, etwa im Hinblick auf interne Untersuchungen und Maßnahmen zur Beseitigung des Missstandes.

Praxishinweis:

Die Bundesregierung spricht sich im HinSchG-E damit ausdrücklich für ein sog. „Konzernprivileg aus, d. h. konzernweite Meldestellen bleiben zulässig. Dies ist für Unternehmen sicherlich das größte Überraschungsei des HinSchG-E, weil die Ampel-Koalition hierdurch von der Interpretation der WB-RL durch die EU-Kommission abweicht. Die EU-Kommission hatte in mehreren Stellungnahmen eine Anerkennung konzernangehöriger Gesellschaften als „Dritte“ ausdrücklich abgelehnt (vgl. hierzu unseren Beitrag).

Angesichts dieses evidenten Widerspruchs des HinSchG-E zur Auffassung der EU-Kommission, ist es ratsam, die Zulässigkeit konzernweiter Meldestellen kritisch zu hinterfragen. Es ist nicht absehbar, ob dieses für Unternehmen erfreuliche Ostergeschenk der Ampel-Koalition auch vor dem EuGH (und zuvor im andauernden Gesetzgebungsverfahren) standhalten wird.

5. Ausgestaltung der Meldekanäle

Der HinSchG-E enthält zwingende verfahrensrechtlichen Vorgaben zum Betrieb der internen Meldekanäle:

  • Wahrung der Vertraulichkeit des Hinweisgebers und der von der Meldung betroffenen Person(en), § 8 HinSchG-E

  • Einhaltung Dokumentationspflichten samt Pflicht zur Löschung der Dokumentation nach zwei Jahren nach Abschluss des Verfahrens, § 11 HinSchG-E

  • Möglichkeit zur schriftlichen oder mündlichen Meldung, § 16 Abs. 3 S. 1 HinSchG-E

  • Auf Ersuchen des Hinweisgebers muss innerhalb einer angemessenen Zeit eine persönliche Zusammenkunft gewährleistet werden, § 16 Abs. 3 S. 2 HinSchG-E

  • Keine Pflicht zur Ermöglichung anonymer Hinweise, § 16 Abs. 1 S. 3 HinSchG-E

  • Eingangsbestätigung der Meldung spätestens nach sieben Tagen, § 17 Abs. 1 Nr. 1 HinSchG-E

  • Aufgaben der Meldestelle: Prüfung der Zulässigkeit des Meldegegenstandes und Stichhaltigkeit der erhobenen Vorwürfe, Kontakt mit Hinweisgeber und ggfs. Anforderung weiterer Informationen, § 17 Abs. 1 Nr. 2-5 HinSchG-E

  • Ergreifung Folgemaßnahmen (z. B. interne Untersuchung, Einstellung Untersuchung, Weiterleitung Informationen an Behörden), § 17 Abs. 1 Nr. 6, § 18 HinSchG-E

  • Rückmeldung an Hinweisgeber über geplante sowie bereits ergriffene Folgemaßnahmen sowie Gründe für diese innerhalb von drei Monaten nach Eingangsbestätigung, § 17 Abs. 2 HinSchG-E

6. Sanktionierung bei Nichteinrichtung

Eine weitere Überraschung für Unternehmen bringt § 40 Abs. 2 Nr. 2 HinSchG-E mit sich. Anders als der europäische Gesetzgeber will die Bundesregierung die Nichteinrichtung interner Hinweisgeberstellen mit einem Bußgeld sanktionieren. Hiernach kann das Versäumnis der Einrichtung interner Meldekanäle, die den Anforderungen des HinSchG-E entsprechen, mit einem Bußgeld von bis zu EUR 20.000 geahndet werden.

Praxishinweis:

Alle Unternehmen, die unter die Einrichtungspflicht des HinSchG-E fallen, sollten sich spätestens jetzt mit der Etablierung interner Hinweisgeberstrukturen auseinandersetzen. Dies gilt insbesondere für Unternehmen mit mehr als 249 Beschäftigten, weil für sie keine Schonfrist vorgesehen und die Einrichtungspflicht deshalb (wohl) unmittelbar mit Inkrafttreten des HinSchG gelten wird. Aufgrund der Säumnis Deutschlands, die WB-RL rechtzeitig umzusetzen, dürfte das Gesetzgebungsverfahren nun zügig abgeschlossen werden.

Hier ist also besondere Aufmerksamkeit und Eile geboten, um Bußgelder zu vermeiden!