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Haften Geschäftsführer für Kartellbußgelder? – BGH fragt den EuGH

13.02.2025

Im sogenannten Edelstahlkartell hat der Kartellsenat des BGH mit Beschluss vom 11. Februar 2025 (Pressemitteilung) dem EuGH die Frage vorgelegt, ob Art. 101 AEUV einer Regelung im nationalen Recht entgegensteht, nach der ein Unternehmen, gegen das ein Bußgeld wegen eines Kartellrechtsverstoßes verhängt worden ist, seine Geschäftsführer oder Vorstände dafür in Regress nehmen kann. Im Regressfall können Geschäftsführer und Vorstände existenziellen Haftungsrisiken ausgesetzt sein. Die gegen Unternehmen verhängten Bußgelder liegen häufig im Millionen-, wenn nicht gar im Milliardenbereich und in vielen Fällen greift, jedenfalls der Höhe nach, nicht der D&O-Versicherungsschutz. Auch vor diesem Hintergrund sollten Unternehmensorgane ein Eigeninteresse haben, sich, aber auch ihr Unternehmen, durch präventive Compliance-Maßnahmen vor den Folgen von Kartellverstößen zu schützen.

Das Vorabentscheidungsersuchen des BGH

Der BGH möchte im Wege des Vorabentscheidungsersuchens vom EuGH wissen, ob das Unionsrecht eine einschränkende Auslegung der deutschen Innenregressansprüche der Gesellschaft gegenüber ihren Organen gebietet (§ 43 Abs. 2 GmbHG bzw. § 93 Abs. 2 S. 1 AktG). Nach diesen Vorschriften haften Geschäftsführer und Vorstände, die ihre Pflichten verletzen, der Gesellschaft für den entstandenen Schaden. Während der BGH zunächst davon ausgeht, dass die Auferlegung eines Bußgeldes einen Schaden für die Gesellschaft darstellt, könnte einem Rückgriff auf das Vermögen des Geschäftsführers Sinn und Zweck der Verbandsgeldbuße entgegenstehen.

Zwar falle die nähere Ausgestaltung von Geldbußen in den Kompetenzbereich der einzelnen Mitgliedsstaaten, jedoch haben diese wiederum nach der Rechtsprechung des EuGH sicherzustellen, dass die nationalen Wettbewerbsbehörden wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Geldbußen gegen Unternehmen verhängen können, wenn diese vorsätzlich oder fahrlässig gegen Art. 101 AEUV verstoßen. Jene praktische Wirksamkeit von Geldbußen könnte insofern beeinträchtigt sein, wenn sich die Gesellschaft von der Bußgeldlast durch Rückgriff auf das Leitungsorgan vollständig oder teilweise entlasten könnte.

Haftungsrisiken für Vorstände und Geschäftsführer

Sofern der EuGH die Frage bejaht, wären Geschäftsführer und Vorstände im Falle von Kartellbußgeldern vor einem Innenregress geschützt, und zwar auch dann, wenn die Europäische Kommission ein Bußgeld erlassen hat.

Sollte der EuGH hingegen einen Innenregress europarechtlich nicht beanstanden, müsste der BGH im Nachgang die hochumstrittene Frage entscheiden, ob ein Innenregress nach deutschem Recht zulässig ist. Die Vorinstanzen, das LG Düsseldorf (Urteil 10.12.2021) und das OLG Düsseldorf (Urteil 27.07.2023), hatten einen Innenregress jeweils abgelehnt. Dieser widerspreche dem ausdifferenzierten deutschen Haftungsregime für Kartellbußgelder, das für Unternehmen einerseits und ihre handelnden natürlichen Personen andererseits unterschiedliche Bußgeldrahmen vorsähe. Zudem solle das Bußgeld gerade das rechtlich verselbständigte Vermögen des Unternehmens treffen. Das LG Dortmund widersprach dieser Rechtsauffassung explizit und bejahte einen Innenregress (Hinweisbeschluss 14.08.2023).

Auch wenn der BGH diese Frage bislang offengelassen hat, scheint er nach deutschem Recht einen Innenregress für zulässig zu erachten, weil andernfalls das Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH nicht entscheidungserheblich wäre.

Weitergehende Haftungsrisiken für Geschäftsführer und Vorstände nach Kartellverstößen

Selbst wenn der EuGH einen Innenregress für Bußgelder ablehnen sollte, bleiben Geschäftsführer und Vorstände nach Kartellverstößen einem hohen persönlichen Haftungsrisiko bei Schadensersatzforderungen ausgesetzt: Zum einen können Unternehmen Schadensersatzleistungen, wie beispielsweise bei Klagen kartellgeschädigter Kunden, von ihren Organen ersetzt verlangen. Ein solcher Innenregress ist nach überwiegender Ansicht bereits heute zulässig. Zum anderen ist bislang höchstrichterlich ungeklärt, ob und wieweit Dritte unmittelbar von Geschäftsführern und Vorständen Schadensersatz verlangen können.

Legalitätspflicht von Geschäftsführern und Vorständen

Geschäftsführer und Vorstände trifft im Wesentlichen die Pflicht, im Einklang mit den geltenden rechtlichen Bestimmungen zu handeln (Legalitätspflicht). Hieraus folgt die Pflicht, Gesetzesverstöße aufzudecken und zu verhindern.

Die Legalitätspflicht wird durch die allgemeine Sorgfaltspflicht der Unternehmensleitung ergänzt, die in § 93 Abs. 1 AktG für die AG und in § 43 Abs. 1 GmbHG für die GmbH verankert ist. Diese Bestimmungen verpflichten Geschäftsführer und Vorstände, die Gesellschaft eigenverantwortlich mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters zu führen. Eine Pflichtverletzung der Unternehmensleitung liegt nicht vor, wenn das Vorstandsmitglied oder der Geschäftsführer bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise davon ausgehen konnte, auf Basis angemessener Informationen im besten Interesse der Gesellschaft zu handeln (Business Judgment Rule).

Zu beachten ist dabei stets, dass auch ein pflichtwidriges Unterlassen einen Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht begründen kann. So muss der Geschäftsleiter etwaigen Verdachtsmomenten nachgehen und bei Vorliegen von Anhaltspunkten tätig werden.

Compliance-Verantwortung (Legalitätskontrollpflicht)

Geschäftsführer und Vorstände genügen ihrer Legalitätspflicht nicht bereits dadurch, dass sie sich selbst kartellrechtskonform verhalten, d.h. sich nicht persönlich an der kartellrechtlichen Zuwiderhandlung beteiligten.

Vielmehr sind Geschäftsführer und Vorstände überdies zur Errichtung eines Compliance-Management-Systems bei Gesellschaften mit bestimmter Größe, Geschäftstätigkeit und Branchenzugehörigkeit verpflichtet (Legalitätskontrollpflicht). Danach müssen Geschäftsführer und Vorstände dafür sorgen, dass das Unternehmen dergestalt organisiert und beaufsichtigt wird, dass Gesetzesverstöße unterbunden und Risiken frühzeitig erkannt werden. Seiner Organisationspflicht genügt ein Vorstandsmitglied bei entsprechender Gefährdungslage nur dann, wenn es eine auf Schadensprävention und Risikokontrolle angelegte Compliance-Organisation einrichtet.

D&O-Versicherungen schützen Geschäftsführer und Vorstände nicht umfassend vor Regressansprüchen

Im Falle eines Innenregresses werden Geschäftsführer und Vorstände auch nicht umfassend durch ihre D&O-Versicherung geschützt: Versicherungsverträge sehen teilweise vor, dass Kartellbußgelder oder darauf gestützte Schadensersatzansprüche vom Versicherungsschutz ausgeschlossen sind. Jedenfalls aber schließen D&O-Versicherungen regelmäßig zum einen Schadensersatzansprüche aus, denen eine wissentliche Pflichtverletzung zugrunde liegt. Zum anderen sind die Versicherungsleistungen der Höhe nach beschränkt, sodass die Versicherungssumme angesichts teilweise sehr hoher Kartellbußgelder im dreistelligen Millionen- bis Milliardenbereich nicht ausreichen kann. Im Übrigen müssen D&O-Versicherungen jedenfalls für Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften einen Selbstbehalt vorsehen.

Ausblick

Mit einer Entscheidung des EuGH ist erfahrungsgemäß innerhalb der nächsten ein bis zwei Jahre zu rechnen. Unternehmen sollten fortlaufend ihre Compliance-Management-Systeme einer kritischen Prüfung dahingehend unterziehen, ob sie den komplexen rechtlichen Anforderungen im Einzelfall genügen und gegebenenfalls notwendige Maßnahmen rechtzeitig umsetzen. Nur so können sich Geschäftsführer und Vorstände effektiv vor einem Innenregress für Kartellbußgelder, aber auch vor allen weiteren Schäden im Zusammenhang mit einem Kartellverstoß wirksam schützen.