Was bedeutet der Clean Industrial Deal für das EU-Beihilfe-, Drittstaatensubventions- und Kartellrecht?
Am Mittwoch, den 26. Februar 2025 hat die Europäische Kommission („Kommission“) ihre Mitteilung „Europäischer Clean Deal für die Industrie“ (The Clean Industrial Deal: A joint roadmap for competitiveness and decarbonisation – „Clean Industrial Deal“) veröffentlicht. Maßgeblich zur Entwicklung des Clean Industrial Deals beigetragen hat der von Mario Draghi verfasste Draghi-Report zur Wettbewerbsfähigkeit der EU („Draghi-Report“).
Als eine Art Business-Plan für Europa, soll der Clean Industrial Deal die Ziele des Green Deals (Klimaneutralität der EU bis 2050) erreichen und zugleich die europäische Wettbewerbsfähigkeit steigern. Der Clean Industrial Deal setzt hierzu auf Bürokratieabbau, Investitionen sowie die Sicherstellung des Zugangs zu einer kostengünstigen, nachhaltigen und sicheren Versorgung mit Energie und Rohstoffen. Zudem soll die Dekarbonisierung der europäischen Industrie vorangetrieben werden. Zusammen mit dem Kompass für Wettbewerbsfähigkeit (mehr dazu auf Noerr Insights) gibt der Clean Industrial Deal damit die Richtung der Kommission zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der EU für die nächsten fünf Jahre vor.
Dieser Artikel gibt einen Überblick über die wichtigsten praktischen Auswirkungen des Clean Industrial Deals aus Sicht des EU-Beihilferechts, einschließlich der Verordnung (EU) 2022/2560 zur Kontrolle drittstaatlicher Subventionen (Foreign Subsidies Regulation – „FSR“) und des Kartellrechts.
Die Antriebsfaktoren aus dem Clean Industrial Deal
Die Kommission identifiziert im Clean Industrial Deal Antriebsfaktoren, um die Wettbewerbsfähigkeit der EU zu fördern und gleichzeitig die Green Deal-Ziele zu erreichen:
1. Zugang zu bezahlbarer Energie
Bezahlbare Energie ist essenziell für die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie – besonders in energieintensiven Sektoren. Daher ist der Zugang zu dieser ein wichtiger Eckstein des Clean Industrial Deals. Die Kommission sieht die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern sowie strukturelle Ineffizienzen im Stromsystem (wie die unzureichende Netzinfrastruktur und Integration des Energiesystems) als Hauptgründe für die hohen Energiepreise in der EU an.
Um gegenzusteuern, hat die Kommission, ebenfalls am Mittwoch, den 26. Februar 2025 als erste Maßnahme den im Clean Industrial Deal angekündigten Aktionsplan für bezahlbare Energie (Action Plan for Affordable Energy; „Aktionsplan“) verabschiedet. Ziel des Aktionsplans ist es, die Energiepreise in der EU zu senken. Ein Hebel hierfür soll das EU-Beihilferecht sein: Am Dienstag, den 11. März 2025 veröffentlichte die Kommission den Entwurf eines „Rahmens für Beihilfemaßnahmen zur Unterstützung des Clean Industrial Deals“ (Framework for State Aid measures to support the Clean Industrial Deal; „neuer Rahmen für Beihilfen“). Eine öffentliche Konsultation zu dem Entwurf läuft noch bis zum 25. April 2025. Der neue Rahmen für Beihilfen soll dann im zweiten Quartal 2025 verabschiedet werden. Durch ihn sollen Regelungen vereinfacht werden, um Investitionen in den Ausbau erneuerbarer Energien, die Dekarbonisierung der Industrie und die Produktion sauberer Technologien zu fördern. Die Kommission fordert die Mitgliedstaaten auch auf, das EU-Beihilferecht dafür zu nutzen, Anreize für die Wirtschaft zur Senkung der Preise von Gas und erneuerbaren Energien zu setzen.
Zusätzlich ist für Ende 2025 der „Rechtsakt zur beschleunigten Dekarbonisierung der Industrie“ (Industrial Decarbonisation Accelerator Act) geplant. Dieser soll besonders energieintensive Industrien durch die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren und weitere Maßnahmen unterstützen.
2. Mobilisierung von öffentlichem und privatem Kapital
Die saubere Transformation der Wirtschaft erfordert hohe Investitionen. Laut der Kommission müssen die jährlichen Investitionen in Energie, Industrie und Transportsysteme um etwa EUR 480 Milliarden im Vergleich zum vorherigen Jahrzehnt steigen. Der entscheidende Faktor ist daher die Mobilisierung von öffentlichem und privatem Kapital mit den richtigen Anreizen.
Eine zentrale Rolle bei der Finanzierung der sauberen Transformation wird der neue Rahmen für Beihilfen einnehmen. In den vier Bereichen Erneuerbare Energie, Dekarbonisierung der Industrie, Produktionskapazitäten für saubere Technologien und private Investitionen im Bereich der sauberen Energie sollen weitreichende Beihilfen ermöglicht werden.
Vereinfachte Regelungen (wie die Vereinfachung des Nachweises der Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt) sollen eine schnellere Genehmigung von Beihilfen für Dekarbonisierung und saubere Technologien ermöglichen. Ein weiteres Ziel ist die Sicherstellung einer stabilen und kostengünstigen Stromversorgung trotz der schwankenden Leistungen erneuerbarer Energien. Erleichtert werden sollen Beihilfen für nicht-fossile Maßnahmen zur flexibleren Gestaltung des Energiesystems sowie für Kapazitätsmechanismen zur Sicherstellung der Energieversorgung. Zu den Technologieprodukten, deren saubere Produktion unterstützt werden soll, gehören beispielsweise Batterien.
Um Verfahren weiter zu beschleunigen und zu vereinfachen, kündigte die Kommission zudem eine Überarbeitung der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung an. Ziel der Überarbeitung ist es, bürokratische Hürden für Unternehmen und Mitgliedstaaten abzubauen und die Industrie gezielt zu unterstützen. Zudem soll evaluiert werden, inwiefern durch vereinfachte Beihilferegelungen bessere Anreize für die Investition in Weiter- und Wiederqualifizierung sowie die Einstellung von Arbeitskräften gesetzt werden können. Auch die Regelungen zur Gewährung von staatlichen Beihilfen in Form von Haftungsverpflichtungen und Bürgschaften (Guarantee Notice) sollen auf den Prüfstand gestellt werden. Ziel ist es, die Gewährung von staatlichen Garantien als Beihilfetyp für die Mitgliedstaaten attraktiver zu machen. Gleichzeitig möchte die Kommission bei der Planung neuer wichtiger Vorhaben von gemeinsamem europäischen Interesse (Important Projects of Common European Interest – „IPCEI“) eng mit den Mitgliedstaaten zusammenarbeiten, um den Weg für weitere IPCEI zu ebnen.
Neben dem EU-Beihilferecht wird auch das Kartellrecht bei der Finanzierung der sauberen Transformation der Wirtschaft eine große Rolle spielen. Die Kommission wird die Leitlinien zur Bewertung von Zusammenschlüssen anpassen. Künftig soll bei der wettbewerblichen Analyse von Zusammenschlüssen ihr Einfluss auf die Bezahlbarkeit von nachhaltigen Produkten und auf saubere Innovation, aber auch auf Resilienz und die Investitionsintensität des Wettbewerbs in bestimmten strategischen Sektoren stärker berücksichtigt werden.
Schließlich bietet die Kommission Unternehmen eine – noch nicht weiter konkretisierte – informelle Konsultation bei der kartellrechtlichen Bewertung von Kooperationen an, die zur Erreichung der Ziele der EU (insbesondere solche im Zusammenhang mit Innovation, Dekarbonisierung und wirtschaftlicher Sicherheit) beitragen.
3. Faire Wettbewerbsbedingungen durch die Kontrolle drittstaatlicher Subventionen
Die Kommission möchte sicherstellen, dass ausländische Investitionen in die EU die Industrie fördern, ihr aber nicht schaden. Eine Schlüsselrolle übernimmt dabei die FSR, die seit dem 12. Januar 2023 in Kraft ist. Die FSR ermöglicht es der Kommission, Subventionen aus Nicht-EU-Ländern an in der EU tätige Unternehmen zu kontrollieren. Zur Schaffung eines level playing field sollen Wettbewerbsverzerrungen auf dem europäischen Binnenmarkt infolge solcher drittstaatlichen Subventionen verhindert werden. Denn drittstaatliche Subventionen fallen naturgemäß nicht unter die Kontrolle durch das EU-Beihilferecht. Die FSR ergänzt damit das Beihilfe-, Fusionskontroll-, Vergabe- und Außenhandelsrecht der EU (mehr dazu auf Noerr Insights).
Sowohl der Draghi-Report als auch der Mission Letter an die neue Wettbewerbskommissarin Teresa Ribera sehen bereits vor, die FSR zur Unterstützung der Zukunft der europäischen Wettbewerbsfähigkeit konsequent durchzusetzen. Diese Vorgabe wurde nun auch im Clean Industrial Deal verankert. Richtungsweisend für die weitere Anwendung der FSR-Instrumente werden daher die für Januar 2026 angekündigten Leitlinien der Kommission zur FSR sein. Diese sollen zu bestimmten materiellen Fragen der FSR Klarheit schaffen: den Kriterien zur Feststellung einer Wettbewerbsverzerrung auf dem EU-Binnenmarkt, der Abwägungsprüfung und unter welchen Umständen die Kommission nicht anmeldepflichtige M&A-Transaktionen im Rahmen des Ex-officio Instruments prüfen wird. Zu den geplanten Leitlinien läuft noch bis zum 2. April 2025 eine öffentliche Konsultation. Aus dem Clean Industrial Deal wird jedoch bereits klar, dass die Kommission Ex-officio Untersuchungen in strategisch wichtigen Sektoren durchführen will.
Der Clean Industrial Deal als Katalysator für die Wettbewerbsfähigkeit der EU?
Die Kommission verfolgt mit dem Clean Industrial Deal ehrgeizige Pläne. Hinsichtlich der anvisierten Maßnahmen bleibt besonders abzuwarten, ob der Kommission der angekündigte (und dringend notwendige) Bürokratieabbau gelingen wird. Den Mitgliedstaaten kommt eine entscheidende Rolle zu – insbesondere, ob sie durch nationale Regelungen und Verfahren, etwa bei neuen Beihilfen, zur Entlastung der Unternehmen beitragen.
Unabhängig davon schafft der Clean Industrial Deal den künftigen Rahmen für Investitionen und zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit und der sauberen Transformation der Industrie. Für Unternehmen ergeben sich dadurch wertvolle Chancen, die eigene Unternehmensstrategie möglichst frühzeitig entsprechend auszurichten und dadurch die eigene Wettbewerbsfähigkeit langfristig zu sichern – sei es bei der Vorbereitung fusionskontrollrechtlicher Argumente, beim Beantragen oder Vorgehen gegen Beihilfen und Drittstaatensubventionen oder der Vorbereitung für mögliche Dawn Raids / Ex-officio Untersuchungen der Kommission in strategischen Sektoren.
Unser Noerr Kompetenzteam besteht aus erfahrenen Expertinnen und Experten auf dem Gebiet der FSR, dem EU-Beihilferecht sowie der Fusionskontrolle und steht für Rückfragen und bei Unterstützungsbedarf gerne zur Verfügung. Melden Sie sich auch gerne hier an, um alle unsere News Alerts zur FSR zu erhalten oder klicken Sie hier, um zu unserem neuen FSR-Checker zu gelangen und herauszufinden, ob Ihre M&A-Transaktion anmeldepflichtig ist.