Ausnahme von der Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben und Sondervermögen für Investitionen in Infrastruktur und Klimaschutz beschlossen
Bundestagswahl Insights
Der 20. Deutsche Bundestag hat am vergangenen Dienstag, den 18. März 2025, mehrere Grundgesetzänderungen beschlossen, die Bund und Ländern die Aufnahme neuer Schulden in Höhe mehrerer hundert Milliarden Euro ermöglichen. Der von SPD-Fraktion und CDU/CSU-Fraktion in den Bundestag eingebrachte ursprüngliche Gesetzentwurf (zu dessen Inhalten auch unser Beitrag vom 6. März 2025), wurde nach einer Einigung mit der Partei- und Bundestagsfraktion Bündnis90/Die Grünen noch wesentlich geändert. Die Einigung war notwendig, da SPD und Unionsparteien im 20. Deutschen Bundestag nur mit den Abgeordneten von Bündnis90/Die Grünen auf die für Grundgesetzänderungen notwendige qualifizierte Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages kamen.
Im Einzelnen wurden eine erweiterte Bereichsausnahme von der Schuldenbremse (hierzu unter A.), ein Sondervermögen für zusätzliche Investitionen in Infrastruktur und Klimaschutz (hierzu unter B.) und die Ausweitung der Strukturkomponente der Schuldenbremse auf die Bundesländer (hierzu unter C.) beschlossen. Schließlich wurden weitere Eilanträge zur vorläufigen Untersagung der Zustimmung von Landesregierungen im Bundesrat sowie dem Bundesrat selbst zu den vom 20. Deutschen Bundestag beschlossenen Grundgesetzänderungen abgelehnt (hierzu unter D.). Auch der Bundesrat stimmte den Grundgesetzänderungen am heutigen Freitag zu (hierzu unter E.).
A. Erweiterung des Bereichsausnahme in Art. 109 Abs. 3 GG und Art. 115 Abs. 2 GG
Die beschlossenen Grundgesetzänderungen sehen eine erweiterte Bereichsausnahme von der Schuldenbremse vor.
Bereits im ursprünglichen Gesetzentwurf war eine Bereichsausnahme von den Regelungen der Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben geplant (zu den bisher geltenden verfassungsrechtlichen Vorgaben für die zulässige Staatsverschuldung auch unser Beitrag vom 27. Februar 2025). Verteidigungsausgaben sollten künftig nur noch in Höhe von 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts („BIP“) innerhalb des Geltungsbereichs der Schuldenbremse abgebildet werden. Darüberhinausgehende Ausgaben für die Verteidigung sollten demgegenüber nicht auf die Schuldenbremse angerechnet werden. Auch weiterhin müssten demnach ca. 40 Milliarden Euro der Verteidigungsausgaben als Teil des normalen, der Verschuldungsgrenze unterliegenden Haushalts abgebildet werden.
Die Verhandler von Bündnis 90/Die Grünen setzten in ihren Gesprächen mit den Spitzen von CDU/CSU und SPD eine deutliche Erweiterung der Bereichsausnahme durch. Sie soll sich neben den Verteidigungsausgaben auf die Ausgaben des Bundes für den Zivil- und Bevölkerungsschutz sowie für die Nachrichtendienste, für den Schutz der informationstechnischen Systeme und für die Hilfe für völkerrechtswidrig angegriffene Staaten erstrecken. Die Bereichsausnahme orientiert sich in der nun verabschiedeten Form somit an einem umfassenderen Begriff der Sicherheitspolitik. Dies folgt der Annahme, dass die äußere Sicherheit nicht nur durch die Fähigkeit zur Landes- und Bündnisverteidigung, sondern auch durch die Abwehr von Cyberattacken und die nachrichtendienstliche Arbeit gewährleistet werde. Auch werden Hilfen für die von Russland völkerrechtswidrig angegriffene Ukraine von den Vorgaben zur Schuldenbremse teilbefreit.
Mit der weitergehenden Forderung, dass die Bereichsausnahme für Verteidigungsausgaben erst ab einem Betrag in Höhe von 1,5 Prozent des BIP zur Anwendung kommen sollte, konnte sich Bündnis 90/Die Grünen indes nicht durchsetzen.
B. Sondervermögen auch zur Erreichung der Klimaneutralität
Die stärksten Änderungen hat das von CDU/CSU und SPD geplante Sondervermögen erfahren. Der gemeinsame Gesetzentwurf der Fraktionen hatte ein Sondervermögen für Investitionen in die Infrastruktur in Höhe von 500 Milliarden Euro mit einer Laufzeit von 10 Jahren vorgesehen.
Nach der Einigung mit Bündnis 90/Die Grünen sieht der beschlossene Art. 143h Abs. 1 Satz 1 GG vor, dass die Kredite des Sondervermögens für zusätzliche Investitionen in die Infrastruktur und für zusätzliche Investitionen zur Erreichung der Klimaneutralität bis zum Jahr 2045 aufgenommen werden. Zentral ist zum einen die Regelung, dass die Investitionen zusätzlich sein sollen. Zusätzlichkeit liegt nach dem zukünftigen Art. 143h Abs. 1 Satz 2 GG vor, wenn im jeweiligen Bundeshaushalt eine angemessene Investitionsquote erreicht wird. So soll sichergestellt werden, dass nicht ohnehin geplante Investitionen aus dem Bundeshaushalt ausgelagert und in das Sondervermögen integriert werden, um an anderer Stelle Spielräume für konsumtive Ausgaben zu erhöhen. In einem vom Bundestag ebenfalls angenommenen Entschließungsantrag wurde die angemessene Investitionsquote konkretisiert. Demnach muss der im jeweiligen Haushaltsjahr insgesamt veranschlagte Anteil an Investitionen 10 Prozent der Ausgaben im Bundeshaushalt ohne Sondervermögen und finanzielle Transaktionen übersteigen. Die Finanzierung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes soll im Kernhaushalt verbleiben.
Schließlich wurde auch die Aufnahme des Zwecks der Klimaneutralität bis 2045 in den Wortlaut des Art. 143h Abs. 1 Satz 1 GG n.F. beschlossen. Konkret sollen gem. Art. 143h Abs. 1 Satz 5 GG n.F.100 Milliarden Euro des Sondervermögens dem Klima- und Transformationsfonds zugeführt werden. Der Begriff der Klimaneutralität bis 2045 knüpft an das bereits in § 3 Abs. 2 Satz 1 Bundes-Klimaschutzgesetz normierte nationale Klimaschutzziel an. Mit dieser Neuregelung im Grundgesetz ist indes nicht verbunden, dass dieses konkrete Klimaschutzziel nun als Staatszielbestimmung Eingang in das Grundgesetz gefunden hätte und der Staat verfassungsrechtlich auf die Erreichung dieses konkreten Zieles verpflichtet wäre. Der verfassungsändernde Bundestag wollte lediglich – so die wohl überwiegende Auffassung von Rechtswissenschaftlern – erreichen, dass die Kreditaufnahme zum Zweck von Investitionen in den Klimaschutz ebenfalls unter das Sondervermögen fällt. Ein normatives Gebot für den Staat zur Treibhausgasminderung ergibt sich somit weiterhin nur aus der allgemeinen Staatszielbestimmung des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen gem. Art. 20a GG.
Anders als ursprünglich vorgesehen wird das Sondervermögen eine Laufzeit von zwölf Jahren haben.
C. Keine Änderungen des ursprünglichen Gesetzesentwurfs hinsichtlich der die Länder betreffenden Grundgesetzänderungen
Keine Änderung hat der Gesetzentwurf der Fraktionen von SPD und CDU/CSU hinsichtlich der die Länder betreffenden Neuregelungen erfahren. Nach den vom Bundestag nun verabschiedeten Grundgesetzbestimmungen werden den Ländern 100 Milliarden Euro des Sondervermögens zur Finanzierung von Investitionen in ihre Infrastruktur zur Verfügung gestellt (Art. 143h Abs. 2 Satz 1 GG). Eine Erweiterung der Zweckbindung des Sondervermögens auf Investitionen der Länder in Klimaschutzprojekte ist nicht erfolgt.
Darüber hinaus wird die Strukturkomponente der Schuldenbremse auf die Länder ausgeweitet. Sie können in Zukunft in ihrer Gesamtheit Schulden in Höhe von 0,35 Prozent des BIP aufnehmen, ohne gegen das Neuverschuldungsverbot zu verstoßen. Die konkrete Ausgestaltung muss vom neuen Bundestag bundesgesetzlich geregelt werden (Art. 109 Abs. 3 Sätze 6 und 7 GG n.F.). Erst dann ist klar, wie das zulässige Verschuldungsvolumen auf die Bundesländer verteilt wird.
D. Juristische Bemühungen gegen Beschlussfassung durch den 20. Deutschen Bundestag erfolglos
Der Abstimmung im 20. Deutschen Bundestag vorausgegangen war eine juristische Auseinandersetzung um die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer Beschlussfassung von Grundgesetzänderungen durch den „alten“ Bundestag nach Durchführung einer Neuwahl und vor der Konstituierung des neuen Parlaments. Zahlreiche Antragssteller, die eine Abstimmung des 20. Deutschen Bundestages über die Verfassungsänderungen verhindern wollten, waren jedoch vor dem Bundesverfassungsgericht mit entsprechenden Organstreitverfahren und dazugehörigen Anträgen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gescheitert. In der Hauptsache stehen einige Entscheidungen noch aus (ausführlich unser Bericht vom 18. März 2025).
Die FDP-Landtagsfraktionen in Hessen, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern und Bremen versuchten jüngst erfolglos, mit Eilverfahren vor den jeweiligen Landesverfassungsgerichten die Zustimmung der Landesregierung ihres Bundeslandes zur Neufassung des Art. 109 Abs. 3 GG im Bundesrat vorläufig untersagen zu lassen.
Die Eilanträge aller antragsstellenden FDP-Landtagsfraktionen wurden von den jeweiligen Landesverfassungsgerichten inzwischen abgelehnt (VerfGH21/25, LVerfG 5/25 e.A., 1 GR 17/25, P.St 2995, St 1/25).
So argumentierte etwa die nordrhein-westfälische FDP-Landtagsfraktion, dass die Änderung von Art. 109 Abs. 3 GG einer Änderung der Landesverfassung NRW („LV NRW”) ohne Beteiligung des Landesparlamentes gleichkomme. Die Landesregierung dürfe der Verfassungsänderung daher nicht zustimmen.
Der Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen begründete seine Ablehnung des Antrages auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (VerfGH 21/25) damit, dass der in der Hauptsache gestellte Antrag im Organstreitverfahren, festzustellen, dass die Landesregierung NRW durch eine im Bundesrat abgegebene Zustimmung zu der vom Bundestag beschlossenen Änderung des Art. 109 Abs. 3 GG das Recht des Landtags aus Art. 69 LV NRW auf Mitwirkung bei der Änderung der LV NRW sowie ihre Verpflichtung zur Verfassungsorgantreue gegenüber dem Landtag Nordrhein-Westfalen verletzen würde, unzulässig sei, da die FDP-Landtagsfraktion im Organstreitverfahren nicht antragsbefugt sei. Zudem enthalte die LV NRW keine Vorschriften zur Schuldenbremse, die durch die Neufassung des Art. 109 Abs. 3 GG unmittelbar geändert werden könnten. Vielmehr sei die durch Art. 109 Abs. 3 Satz 5 GG vorgesehene nähere Ausgestaltung für die Haushalte der Länder in NRW nicht in der LV NRW erfolgt, sondern in der einfachgesetzlichen Landeshaushaltsordnung („LHO”) – §§ 18 - 18h LHO – aufgenommen worden.
Das Bundesverfassungsgericht hat außerdem einen weiteren Antrag der AfD-Fraktion sowie Mitgliedern des 20. Deutschen Bundestages auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt (2 BvE 10/25 – Alt-Bundestag VII – eA II). Die Antragssteller wollten erreichen, dass das Bundesverfassungsgericht im Wege der einstweiligen Anordnung dem Bundesrat vorläufig die Zustimmung zu Grundgesetzänderungen untersagt, solange das angestoßene Organstreitverfahren (2 BvE 10/25) in der Hauptsache nicht entschieden ist. Zur Begründung führten die Antragsteller aus, ohne einstweilige Anordnung bestehe die Gefahr, dass sie im Hauptsacheverfahren obsiege, das – aus Sicht der Antragsteller – formell verfassungswidrige Gesetz indes in Kraft bleibe und so ein „Geistergesetz“ entstehe. Die AfD-Fraktion argumentierte außerdem mit einer Bindungswirkung, die das aus ihrer Sicht formell verfassungswidrige Gesetz im Falle seiner Verabschiedung entfalten würde. Auch würden die in ihrem Organstreitantrag geltend gemachten Rechtsverletzungen „unwiderruflich perpetuiert“. Das Bundesverfassungsgericht hielt demgegenüber fest, dass die Feststellung einer Rechtsverletzung der AfD-Fraktion als Gegenstand des Organstreitverfahrens der Hauptsache vorbehalten bleibe. Auch habe das Bundesverfassungsgericht noch nicht entschieden, ob die Verletzung von Abgeordnetenrechten im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren auch die formelle Verfassungswidrigkeit des beschlossenen Gesetzes nach sich ziehe. Zudem stelle das Inkrafttreten eines – nach Auffassung der Antragsteller – formell verfassungswidrigen Gesetzes im Übrigen auch keinen schweren Nachteil dar, den das Bundesverfassungsgericht im Wege einer einstweiligen Anordnung verhindern müsse. Der verfassungsgerichtliche Rechtsschutz sei in Anerkennung der Gewaltenteilung sowie der ausdrücklichen Kompetenzverteilung des Grundgesetzes auf einen nachgelagerten kassatorischen Rechtsschutz ausgerichtet. Eine „präventive Normenkontrolle“ sei dem Grundgesetz grundsätzlich fremd.
E. Zustimmung des Bundesrates erfolgt, weitere Reform der Schuldenbremse noch in diesem Jahr?
Nach der Verabschiedung der Grundgesetzänderungen durch den Deutschen Bundestag, musste nun noch der Bundesrat dem Gesetzentwurf zustimmen. Für Grundgesetzänderungen ist nach Art. 79 Abs. 2 GG eine qualifizierte Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates erforderlich. Die von Union, SPD und Grünen gebildeten Landesregierungen kommen im Bundesrat gemeinsam nur auf 41 der hierfür notwendigen 46 Stimmen. Allerdings stimmten auch Bayern, das von der CSU gemeinsam mit den Freien Wählern regiert wird, sowie die von der Linkspartei mitregierten Bundesländer Mecklenburg-Vorpommern und Bremen den Grundgesetzänderungen zu und verschafften dem Gesetzentwurf mit 53 Stimmen komfortabel die erforderliche qualifizierte Mehrheit. Die beschlossenen Grundgesetzänderungen müssen nunmehr noch vom Bundespräsidenten gegengezeichnet und ausgefertigt sowie im Bundesgesetzblatt verkündet werden (Art. 82 Abs. 1 Satz 1 GG). Gem. Art. 2 des Gesetzentwurfs treten die Grundgesetzänderungen sodann am Tag nach der Verkündung in Kraft.
Die nun beschlossenen Änderungen des Grundgesetzes sind womöglich nicht die letzten finanzverfassungsrechtlichen Neuerungen in diesem Jahr. In seinem Entschließungsantrag forderte der 20. Deutsche Bundestag die Bundesregierung der 21. Wahlperiode auf, eine Expertenkommission unter Beteiligung des Parlaments und der Länder einzurichten, die einen Vorschlag für eine Modernisierung der Schuldenbremse entwickelt, die „dauerhaft zusätzliche Investitionen in die Stärkung unseres Landes ermöglicht“. Der auf dieser Grundlage stattfindende Gesetzgebungsprozess soll bis Ende 2025 abgeschlossen werden.
Dieser Artikel erscheint im Rahmen unserer Bundestagswahl Insights. Alle Bundestagswahl Insights und mehr Informationen zur Bundestagswahl und deren Auswirkungen auf Industrie und Wirtschaft finden Sie auf unserem Election Hub (hier).