Studie

Übernahmen von Emittenten im Freiverkehr

Von Dr. Philip M. Schmoll

24.03.2025

Zuerst veröffentlicht im Noerr Public M&A-Report 01/2025

Eine Vielzahl börsennotierter Unternehmen, die dem Small- und Mid-Cap-Segment zuzuordnen sind, gelten an der Börse derzeit als unterbewertet und rücken daher sowohl in das Blickfeld von Private-Equity-Investoren als auch von strategischen Käufern. Sind die Aktien solcher Unternehmen ausschließlich im Freiverkehr (§ 48 BörsG) notiert, findet das im WpÜG geregelte Übernahmeverfahren bei einer Übernahme keine Anwendung. Für Erwerber geht hiermit eine höhere Flexibilität bei der Transaktionsstrukturierung einher. Aufseiten der Zielgesellschaft rücken hingegen die aktienrechtlichen Regelungen in den Vordergrund, die – anders als bei Emittenten im regulierten Markt – nicht durch das WpÜG überlagert werden. Der nachfolgende Beitrag gibt einen Überblick über rechtliche Aspekte, die aufseiten des Erwerbers und der Zielgesellschaft bei einer Übernahme beachtenswert sind.

Erwerber

Transaktionsvorbereitung:

  • Keine Beteiligungspublizität: Der Erfolg einer Übernahme hängt in aller Regel davon ab, dass es dem Erwerber gelingt, die Aktienpakete der wesentlichen Aktionäre der Zielgesellschaft zu erwerben. Dazu muss dem Erwerbsinteressenten zunächst die Zusammensetzung des Aktionariats bekannt sein. Da wesentliche Aktionäre von Emittenten im Freiverkehr keine Stimmrechtsmitteilungen nach den §§ 33 ff. WpHG abzugeben haben und eine aktienrechtliche Mitteilungspflicht erst ab einer Beteiligung von mehr als 25 % bzw. 50 % besteht, haben Erwerbsinteressenten nur begrenzte öffentliche Visibilität über das Aktionariat der Zielgesellschaft (sog. Beteiligungspublizität). Einige Emittenten im Freiverkehr veröffentlichen ihre Aktionärsstruktur freiwillig auf ihrer Investor-Relations-Website, soweit ihnen diese im Falle von Inhaberaktien aus dem Austausch mit Investoren oder im Falle von Namensaktien aufgrund ihres Aktienregisters bekannt Erwerbsinteressenten können daher im Einzelfall auf die Mithilfe der Zielgesellschaft angewiesen sein, um Informationen über die Aktionärsstruktur zu erhalten. Hierbei ist wiederum zu beachten, dass Emittenten im Freiverkehr keinen Anspruch gegen Intermediäre auf Informationen über die Identität ihrer Aktionäre („Know your shareholder”) nach § 67d Abs. 1 AktG (sog. Shareholder/Share ID) haben.
  • Höhere Flexibilität bei einem Stakebuilding: Im Einzelfall kann es für Erwerbsinteressenten sinnvoll sein, bereits im Vorfeld einer Übernahme eine Beteiligung an der Zielgesellschaft zu erwerben (sog. Stakebuilding). Bei Zielgesellschaften im regulierten Markt ist es lediglich möglich, (i) Aktien im Umfang von 2,99 % der Stimmrechte und Instrumente nach § 38 WpHG im Umfang von 1,99 % der Stimmrechte oder (ii) Instrumente im Umfang von bis zu 4,99 % der Stimmrechte zu erwerben, ohne dass eine Mitteilungspflicht ausgelöst wird. Mangels Anwendbarkeit des WpHG besteht eine solche Beschränkung für das Stakebuilding bei Zielgesellschaften im Freiverkehr nicht. Eine aktienrechtliche Meldepflicht entsteht erst, wenn dem Erwerber mehr als 25 % der Aktien einer Gesellschaft gehören.
  • Transaktionskommunikation: Mit Blick auf die Transaktionskommunikation haben Erwerber zu beachten, dass die Zielgesellschaft Insiderinformationen im Zusammenhang mit der Übernahme grundsätzlich unverzüglich veröffentlichen muss. Ein Aufschub der Offenlegung von Insiderinformationen ist nur dann möglich, wenn u.a. die unverzügliche Offenlegung geeignet wäre, die berechtigten Interessen der Zielgesellschaft zu beeinträchtigen. Um das vorzeitige Bekanntwerden der Übernahme zu vermeiden, muss daher entweder (1) eine Einbindung der Zielgesellschaft erfolgen, damit die Zielgesellschaft einen entsprechenden Aufschubbeschluss fassen kann, oder (2) die Zielgesellschaft gänzlich vom Informationsfluss über die Übernahme abgeschirmt werden. Besondere Vorsicht ist in Konstellationen gebotenen, in denen Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieder gleichzeitig auch auf der Erwerber- oder Verkäuferseite involviert sind.

Öffentliche Erwerbsangebote

Wie eingangs erwähnt, findet das WpÜG keine Anwendung auf Übernahmen von Emittenten im Freiverkehr. Dennoch kann es für den Erwerber sinnvoll sein, den Aktionären der Zielgesellschaft ein freiwilliges öffentliches Erwerbsangebot zu unterbreiten. Bei der Strukturierung solcher Angebote ist der Erwerber grundsätzlich frei. Bei Übernahmen, die vorab zwischen Erwerber und Zielgesellschaft abgestimmt werden, orientieren sich die Transaktionsbeteiligten regelmäßig an dem Ablauf eines Übernahmeverfahrens nach dem WpÜG, indem der Bieter eine Angebotsunterlage und weitere Bekanntmachungen zu dem Angebot (wie z. B. sog. Wasserstands- und Ergebnisbekanntmachungen) veröffentlicht und die Verwaltungsorgane der Zielgesellschaft eine begründete Stellungnahme zu dem Angebot abgeben. Die Orientierung an dem Übernahmeverfahren nach dem WpÜG verschafft dem Angebot eine geordnete Struktur, die den Marktteilnehmern bekannt ist und sich von unprofessionellen Übernahmeversuchen abhebt. Die jüngsten Beispiele solcher öffentlichen Erwerbsangebote sind das Erwerbsangebot der Pineapple German Bidco GmbH (Thoma Bravo) an  die Aktionäre der EQS Group AG aus dem Jahr 2023 und das Erwerbsangebot der Zentiva AG an die Aktionäre der Apontis Pharma AG aus dem Jahr 2024. Im Vergleich zu dem regulierten Übernahmeverfahren nach dem WpÜG bestehen insbesondere die folgende Flexibilitäten bei der Angebotsausgestaltung:

Zeitliche Flexibilität:

  • Keine Pflicht zur Angebotsankündigung: Im Falle eines öffentlichen Angebots hat der Erwerber keine Pflicht, seine Entscheidung über die Abgabe eines öffentlichen Angebots an die Aktionäre der Zielgesellschaft zu veröffentlichen. Es ist daher denkbar, ein öffentliches Angebot direkt zu veröffentlichen, ohne dies vorab anzukündigen. Bei abgestimmten Angeboten ist eine vorherige Ankündigung vor Angebotsbeginn gleichwohl sinnvoll und in der Praxis üblich, um dem Kapitalmarkt und der Öffentlichkeit eine Bewertung des Angebots vor Beginn der Annahmefrist zu ermöglichen.
  • Keine behördliche Billigung der Angebotsunterlage: Mangels Regulierung des Übernahmeverfahrens für den Freiverkehr besteht auch keine Zuständigkeit der BaFin für die Billigung der Angebotsunterlage, womit insbesondere die 10-tägige Prüfung durch die Behörde entfällt. Die Angebotsunterlage kann somit unmittelbar nach ihrer Fertigstellung und somit auch unmittelbar oder zeitnah nach einer etwaigen freiwilligen Angebotsankündigung veröffentlicht werden.
  • Keine Mindestannahmefrist: Der Erwerber kann frei über die Länge der Annahmefrist entscheiden. Es besteht keine Pflicht zur Einräumung einer Mindestannahmefrist. Auch hier orientiert sich die Praxis jedoch regelmäßig an der vierwöchigen Annahmefrist, die auch bei Übernahmen im regulierten Markt üblich ist.
  • Keine weitere Annahmefrist: Es besteht keine Pflicht des Erwerbers, den Aktionären die Möglichkeit ein zuräumen, das öffentliche Angebot innerhalb einer weiteren Annahmefrist nach Ablauf der regulären Annahmefrist annehmen zu können (sog. Zaunkönigregelung). In der Praxis wird den Angebotsadressaten regelmäßig auch nicht auf freiwilliger Basis eine weitere Annahmefrist eingeräumt. Die Aktionäre müssen sich daher zwingend innerhalb der gesetzten Annahmefrist für die Annahme oder Ablehnung des Angebots entscheiden und können nicht abwarten, ob eine etwaige Mindestannahmeschwelle bis zum Ablauf der regulären Annahmefrist erreicht wurde.

Flexibilität bei Art und Höhe der Gegenleistung:

  • Keine Beschränkungen bei der Art der Gegenleistung: Der Erwerber kann frei über die Art der angebotenen Gegenleistung entscheiden. Es ist daher unter anderem möglich, nur bestimmten Aktionären Aktien oder Geschäftsanteile als Gegenleistung anzubieten, ohne dass hiermit weitere Rechtsfolgen ausgelöst werden. Dies erleichtert unter anderem einen Roll-over der Beteiligung eines Aktionärs der Zielgesellschaft in eine Beteiligung am Erwerber(‑Konzern). Zudem bestehen keine Anforderungen bezüglich der Liquidität und der Börsenzulassung von angebotenen Aktien.
  • Unterschiedliche Höhe der Gegenleistung: Dem Erwerber ist es möglich, den Verkäufern größerer Aktienpakete einen höheren Preis als den Adressaten eines öffentlichen Angebots anzubieten. Anders als nach dem WpÜG schlagen sog. Paketzuschläge, die üblicherweise von Verkäufern größerer Aktienpakete verlangt werden, somit nicht auf den Angebotspreis eines möglichen öffentlichen Angebots an die übrigen Aktionäre durch.
  • Keine Pflicht zur Unternehmensbewertung bei Illiquidität der Aktien der Zielgesellschaft: Aktien von Emittenten im Freiverkehr können häufig illiquide sein. In diesem Fall hat der Erwerber zur Festlegung der Höhe des Angebotspreises jedoch keine Unternehmensbewertung durchzuführen, wie dies bei Emittenten im regulierten Markt nach § 5 Abs. 4 WpÜG-Angebotsverordnung erforderlich wäre.
  • Flexibilität bei Angebotsänderungen: Bei Übernahmeangeboten nach dem WpÜG kann der Bieter das Angebot nur bis zu einem Arbeitstag vor Ablauf der Annahmefrist ändern. Zu diesem Zeitpunkt lässt sich jedoch noch nicht hinreichend abschätzen, wie viele Aktionäre das Angebot annehmen, da insbesondere institutionelle Investoren regelmäßig erst am letzten Tag der Annahmefrist über die Angebotsannahme entscheiden und das Annahmeverhalten in der Regel nur schwer vorhersehbar ist. Dies führt bei Übernahmeangeboten mit einer Mindestannahmeschwelle dazu, dass der Bieter eine Entscheidung über die Senkung bzw. den Verzicht auf die Mindestannahmeschwelle zu einem Zeitpunkt treffen muss, in dem er noch keine hinreichende Transparenz über den finalen Stand der Angebotsannahmen hat (vgl. Verse/Brellochs, ZHR 2022, 339). Bei Übernahmeangeboten an Aktionäre von Emittenten im Freiverkehr kann der Erwerber Angebotsänderungen hingegen bis zum Ablauf der Annahmefrist vornehmen. Anders als bei Übernahmeverfahren nach dem WpÜG folgen aus einer Angebotsänderung auch keine Verlängerung der Annahmefrist und kein Rücktrittsrecht der Aktionäre, die das Angebots bereits angenommen haben.
  • Sprachliche Flexibilität: Angebotsunterlagen nach dem WpÜG sind zwingend in deutscher Sprache zu veröffentlichen, wobei in der Praxis im Mid- und Large-Cap-Segment regelmäßig zusätzlich eine unverbindliche Übersetzung in englischer Sprache erstellt Angebotsunterlagen für öffentliche Erwerbsangebote im Freiverkehr können hingegen lediglich in englischer Sprache veröffentlicht bzw. als verbindliche Sprachfassung festgelegt werden (so etwa die Angebotsunterlage für das Erwerbangebot der Pineapple German Bidco GmbH (Thoma Bravo) an die Aktionäre der EQS Group AG).

Keine Pflicht zur Abgabe eines Pflichtangebots

Im Einzelfall kann der Kontrollerwerb an einem Emittenten im Freiverkehr auch ohne öffentliches Angebot an die Aktionäre möglich sein, z. B. wenn ein Großteil des Aktionariats aus wenigen Aktionären besteht. Anders als bei Emittenten im regulierten Markt ist in diesem Fall die Abgabe eines Pflichtangebots nicht erforderlich. Eine solche Aktionärsstruktur kann dem Erwerber ermöglichen, das Aktienpaket bzw. -pakete ohne öffentliches Angebot durch Abschluss eines Aktienkaufvertrages zu erwerben und in unmittelbarem Anschluss Strukturmaßnahmen durchzuführen, wie z. B. den Abschluss eines Beherrschungs- und/oder Gewinnabführungsvertrags oder der Ausschluss der Minderheitsaktionäre (Squeeze-out).

Kein Delisting-Angebot für Delisting erforderlich

In der Regel bedarf ein Delisting aus dem Freiverkehr lediglich einer Kündigung durch den Emittenten gegenüber der Börse. Die vorherige Abgabe eines Delisting-Angebots nach § 39 BörsG ist nicht erforderlich. Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Börsen sehen jedoch regelmäßig ein bestimmtes Zeitfenster ab Zugang der Kündigung bis zum Delisting vor, um den Aktionären die Möglichkeit zur Veräußerung ihrer Aktien über die Börse zu ermöglichen. Im Falle einer Einbeziehung von Aktien in den Freiverkehr an der Frankfurter Wertpapierbörse beträgt diese Frist drei Monate (Der Regierungsentwurf des Zukunftsfinanzierungsgesetzes II sieht allerdings vor, dass ein Delisting aus einem KMU-Wachstumsmarkt (in Deutschland lediglich das Scale-Segment der Frankfurter Wertpapierbörse) als sog. Qualifizierter Freiverkehr ein vorheriges Delisting-Angebot erfordert. Ob die neue Bundesregierung diesen Punkt weiterverfolgt, bleibt abzuwarten).

Zielgesellschaft

Da das Aktienrecht im Falle von Emittenten im Freiverkehr nicht durch die Regelungen des WpÜG überlagert wird, spielen aufseiten der Zielgesellschaft die aktienrechtlichen Regelungen eine hervorgehobene Rolle. Den rechtlichen Maßstab für die Rechte und Pflichten des Vorstands und des Aufsichtsrats der Zielgesellschaft bilden unter anderem die allgemeinen Sorgfaltspflichten nach den §§ 76 Abs. 1, 93 AktG sowie das Gleichbehandlungsgebot nach § 53a AktG.

  • Bindung an das Unternehmensinteresse: Vorstand und Aufsichtsrat sind bei sämtlichen Maßnahmen im Rahmen des Übernahmeprozesses an das Unternehmensinteresse gebunden. Dies gilt insbesondere für die Entscheidung zur Gewährung einer Due-Diligence-Prüfung durch einen oder mehrere Erwerbsinteressenten, die Unterstützung eines öffentlichen Erwerbsangebots sowie die Unterstützung möglicher nachfolgender Strukturmaßnahmen, wie z. B. eines Delisting. Unterliegen Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieder (potenziellen) Interessenskonflikten (z. B. aufgrund von Doppelmandante bei dem Erwerber bzw. Verkäufer und der Zielgesellschaft), ist zu prüfen, ob und inwieweit die betroffenen Organmitglieder an den entsprechenden Entscheidungen mitwirken dürfen bzw. sollten.
  • Neutralitätspflicht des Vorstands?: Rechtlich umstritten ist die Frage, ob aus den allgemeinen aktienrechtlichen Bestimmungen ein Verbot des Vorstands auf Einflussnahme auf die Zusammensetzung des Aktionariats bzw. eine allgemeine aktienrechtliche Neutralitätspflicht herzuleiten ist. Zwar sprechen besseren Argumente gegen eine solche Neutralitätspflicht. Mangels höchstrichterlicher Rechtsprechung ist bei der Vornahme von Verteidigungsmaßnahmen aber besondere Vorsicht geboten. In jedem Fall hat der Vorstand das Unternehmensinteresse sowie die allgemeinen aktienrechtlichen Schranken zu beachten (z. B. bei einer Kapitalerhöhung die Regelungen zum Bezugsrecht nach 186 AktG, bei einem Erwerb oder einer Veräußerung eigener Aktien aus § 71 AktG sowie das Gleichbehandlungsgebot gemäß § 53a AktG).
  • Stellungnahme zu einem öffentlichen Erwerbsangebot: Rechtlich umstritten ist ferner die Frage, ob Vorstand und Aufsichtsrat im Falle eines öffentlichen Erwerbsangebots an die Aktionäre der Zielgesellschaft verpflichtet sind, eine Stellungnahme zu dem Angebot abzugeben. Die besseren Argumente sprechen jedenfalls für eine entsprechende Pflicht des Vorstands, die aus den allgemeinen aktienrechtlichen Vorstandspflichten herzuleiten ist. Im Falle öffentlicher Erwerbsangebote, die vorab zwischen Erwerber und Zielgesellschaft abgestimmt werden, dürfte die Abgabe einer Stellungnahme durch die Verwaltung der Zielgesellschaft zudem regelmäßig auch im Rahmen der Zusammenschluss-/Investitionsvereinbarung vereinbart werden. In jedem Fall besteht ein Recht der Verwaltung der Zielgesellschaft, zu dem Angebot Stellung zu beziehen.