Studie

Die übernahme­recht­lichen Regelungen im Regierungs­entwurf für ein Zukunfts­finanzierungs­gesetz

Von Dr. Jörg-Peter Kraack

04.09.2023

Zuerst veröffentlicht im Noerr Public M&A-Report 02/2023 

Am 16. August 2023 hat das Bundeskabinett den Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Finanzierung von zukunftssichernden Investitionen (Zukunftsfinanzierungsgesetz – ZuFinG) zur Stärkung des Kapitalmarktstandorts Deutschland beschlossen.

Kernanliegen des ZuFinG ist es, den Kapitalmarktstandort Deutschland im internationalen Vergleich zu stärken: Aktien sollen als Kapitalanlage sowohl durch Anreize auf Nachfrageseite als auch durch Stärkung der Angebotsseite im Wege der Erhöhung der Anzahl börsennotierter Unternehmen attraktiver werden. Insbesondere Start-ups, Wachstumsunternehmen sowie kleinen und mittleren Unternehmen („KMU“), die als Treiber von Innovationen angesehen werden, sollen der Zugang zum Kapitalmarkt und die Aufnahme von Eigenkapital erleichtert werden. Für diese Zwecke sollen elektronische Aktien durch Änderungen im Gesetz über elektronische Wertpapiere eingeführt und wesentliche börsenrechtliche Erleichterungen für IPOs und insbesondere für SPACs umgesetzt werden. Das ZuFinG unterbreitet allerdings auch Änderungsvorschläge, die für öffentliche Übernahmen nach dem WpÜG sowohl in formeller, prozeduraler als auch in materieller Hinsicht Auswirkungen haben. Diese Vorschläge des RegE, die gegenüber dem Referentenentwurf vom 12.April 2023 kaum Änderungen erfahren haben, sollen im Folgenden dargestellt und kommentiert werden. Ein Inkrafttreten der übernahmerechtlich relevanten Änderungen wird bereits zum Jahresbeginn 2024 angestrebt. Für zu erhoffende Änderungen im weiteren parlamentarischen Verfahren bleibt also nicht viel Zeit.

Keine Vorabmitteilung des Angebots mehr gegenüber der BaFin

Das Übernahmeverfahren wird gleich zu Beginn einer überflüssigen Formalie entledigt: Der Bieter muss seine Entscheidung zur Abgabe eines Angebots zukünftig nicht mehr der BaFin vorab mitteilen, bevor er diese veröffentlicht. § 10 Abs. 2 Nr. 3 WpÜG soll aufgehoben werden.

Obgleich der Bieter diese Mitteilung in praxi ohnehin durch Dienstleister vornehmen lässt, ist die Abschaffung uneingeschränkt zu begrüßen, da diese Mitteilung aufsichtsrechtlich für die Überwachung der Einhaltung der Vorgaben des Angebotsverfahrens keine Relevanz hat.

Unberührt bleiben jedoch die Vorabmitteilungen an die Börsen. Zudem hat der Bieter weiterhin der BaFin (und den Börsen) die Entscheidung zur Abgabe eines Übernahmeangebots unverzüglich nach dessen Veröffentlichung zu übermitteln.

Umstellung der Fristenberechnung auf Arbeitstage – keine faktischen Fristverkürzungen

Eine weitere prozedurale Erleichterung sieht das ZuFinG für das Regime der Berechnung übernahmerechtlicher Fristen vor. Dieses wird fortan auf den neu eingeführten Begriff der „Arbeitstage“ umgestellt.

Aktuell werden wesentliche übernahmerechtliche Fristen bekanntlich nach Werktagen bemessen. Zu den Werktagen, deren Begriff gesetzlich im WpÜG nicht definiert ist, zählt die BaFin in ihrer Praxis – angelehnt an § 3 Abs. 2 BUrlaubsG – auch Sonnabende. Diese Handhabung führt bisher zu praktischen Problemen und faktischen Fristverkürzungen im formalisierten Übernahmeverfahren. So kann sich die grundsätzlich nach § 14 Abs. 2 Satz 1 WpÜG zehntätige Frist für die BaFin zur Angebotsprüfung – für den Bieter vorteilhaft, für die BaFin ggf. herausfordernd – faktisch verkürzen, weil die BaFin als Behörde an den innerhalb der Frist liegenden Sonnabenden nicht arbeitet.

In ähnlicher Weise kann sich die Frist zur Angebotsänderung für den Bieter gemäß § 21 Abs. 1 WpÜG verkürzen. Bisher ist eine Änderung bis zu einem Werktag vor Ablauf der (ursprünglichen) Annahmefrist möglich. Bisher führt dies aufseiten des Bieters nicht selten zu Problemen, da diese einerseits in der Regel je nach Annahmequote erst kurz vor Fristablauf ihr Angebot ändern möchten (z. B. durch Erhöhung der Gegenleistung oder Herabsetzung der Mindestannahmeschwelle), andererseits aber eine rechtzeitige Veröffentlichung auch an einem Sonnabend sicherstellen müssten. Nicht selten wird die Veröffentlichung daher aus Vorsichtsgründen schon am Freitag zuvor vorgenommen. Vergleichbare Unsicherheit bestand, wenngleich in praxi weniger relevant, für den Fall, dass der Bieter das Angebot unter die Bedingung des Beschlusses seiner Gesellschafterversammlung gestellt hat, den er nach § 25 WpÜG unverzüglich, jedoch spätestens bis zum fünften Werktag vor Ablauf der Annahmefrist herbeizuführen hat. Die Zählung von Sonnabenden verlagerte den Beginn dieser rückwärts zu rechnenden Frist weiter vor.

Es ist zu begrüßen, dass das ZuFinG dieser Problematik abhelfen will: Für Fristberechnungen soll einheitlich der Terminus der „Arbeitstage“ gelten, der zukünftig den Begriff „Werktage“ ersetzen soll. Arbeitstage umfassen nach der Legaldefinition in § 2 Abs. 9 WpÜG RegE Kalendertage mit Ausnahme von Sonnabenden, Sonntagen und gesetzlichen Feiertagen. Damit sollten skizzierte Probleme bei der Transaktionsplanung im Hinblick auf Sonnabende behoben sein. Unklar bleibt allerdings auch nach dem RegE die bereits bisher ebenso umstrittene wie praxisrelevante Frage, ob denn für Feiertage nur auf bundeseinheitliche abzustellen ist. Sachgerecht wäre eine Beschränkung auf bundeseinheitliche Feiertage.

Die Umstellung des Fristenregimes auf Arbeitstage führt auch zu einer Modifikation der Anzeigefrist für Pflichtangebote: Hiernach soll die Veröffentlichung der Kontrollerlangung nach § 35 Abs. 1 Satz 1 WpÜG RegE zukünftig zwar weiterhin unverzüglich, jedoch spätestens innerhalb von sieben Arbeits- und nicht mehr Kalendertagen erfolgen.

Die übernahmerechtlichen Regelungen des ZuFinG im Überblick:

  • Erleichterung des Angebotsverfahrens durch Streichung der Pflicht zur Vorabmitteilung der Entscheidung des Bieter zur Abgabe eines Angebots an die BaFin.
  • Erhöhung der Transaktionssicherheit und Vermeidung faktischer Fristverkürzungen durch Umstellung des Fristenregimes auf „Arbeitstage“ (ohne Sonnabende) anstelle von „Werktagen“.
  • Vermeidung von Rechtsunsicherheit über den Eintritt der Gestattungsfiktion im Falle einer angekündigten Angebotsuntersagung der BaFin durch formale, automatische Fristverlängerung.
  • Erleichterung des übernahmerechtlichen Verwaltungsverfahrens durch Digitalisierung: obligatorisches Melde- und Veröffentlichungsplattform der BaFin für Anträge und Mitteilungen macht Unterschriften- und Unterlagenlogistik obsolet.
  • Zahlreiche offene Fragen zur übernahmerechtlichen Behandlung der wieder zugelassenen Mehrstimmrechtsaktien.

Vermeidung der Gestattungsfiktion bei Angebotsuntersagungen

Eine Änderung bei der Fristenregelung für Angebotsuntersagungen der BaFin soll die prozedurale Rechtssicherheit erhöhen. Ein Angebot gilt als von der BaFin gestattet, sofern die Behörde während des Prüfungszeitraums von zehn Werktagen (zukünftig: Arbeitstagen) keine Untersagung ausgesprochen hat. Wenn die BaFin gegen Ende dieses Zeitraums zum Ergebnis kommt, dass das Angebot nach § 15 WpÜG zu untersagen ist, ist es möglich, dass die Untersagungsverfügung bis zum Ende des zehntägigen Prüfungszeitraums nicht wirksam wird, da sie jedenfalls noch nicht als bekannt gegeben bzw. zugestellt gilt, und das Angebot dann kraft gesetzlicher Regelung als gestattet gilt.

§ 14 Abs. 2a S. 3 WpÜG RegE sieht nunmehr eine automatische Verlängerung der zehntätigen Frist um weitere fünf Arbeitstage vor, nachdem die BaFin die Untersagung elektronisch nach § 4f oder 4g des Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetzes (FinDAG) zum Abruf über ihr Melde- und Veröffentlichungssystem bereitgestellt, öffentlic bekannt gemacht oder zur Post aufgegeben hat.

In der Praxis bedeutet dies, dass Bieter und Berater sich rechtzeitig auf der MVP registrieren und sicherstellen müssen, dass die BaFin ihr MVP-Konto freischaltet, bevor ein Übernahmeverfahren offziell beginnt. Denn bereits die sog. § 10-Mitteilung – als erste formale Transaktionsmitteilung – ist unverzüglich nach ihrer Veröffentlichung nun über das MVP der BaFin zu übersenden. Auch wenn die Freischaltung zum MVP in der Regel innerhalb eines Arbeitstages erfolgen soll, empfiehlt es sich, den Registrierungsprozess bereits einige Tage vorher zu initiieren.

Schließlich werden auch die Ermittlungsbefugnisse der BaFin an das digitale Zeitalter angepasst. Nach § 40 Abs. 1 Satz 2 WpÜG RegE soll sich die Anordnungskompetenz der BaFin bei Auskunfts- und Vorlageersuchen nicht nur auf das „ob“ und „was“, sondern auch auf das „wie“ erstrecken, d.h. eine von der BaFin zu bestimmende Form, wie etwa Auskunftsverlangen zu Wertpapiertransaktionen in einem auswertbaren elektronischen Format.

Digitalisierung des übernahmerechtlichen Verwaltungsverfahrens

Begrüßenswertes Kernanliegen des ZuFinG ist vor allem die Digitalisierung des übernahmerechtlichen Verwaltungsverfahrens. Hierzu sieht der neu gefasste § 45 WpÜG RegE vor, dass Anträge sowie gesetzlich vorgeschriebene Mitteilungen, Erklärungen, Unterrichtungen oder Übermittlungen zukünftig ausschließlich elektronisch über die Melde- und Veröffentlichungsplattform der BaFin (MVP) an diese zu übermitteln sein sollen.

Zu betonen und zu begrüßen ist die Ausschließlichkeit dieser Regelung: Auf zusätzliche, im Original unterschriebene Unterlagen kann deshalb verzichtet werden. Damit entfällt für Bieter und Zielgesellschaft die lästige Logistik von Unterschriften und physischen Unterlagen, die zur BaFin zu verbringen sind. Nicht ohne Schmunzeln liest man in der Begründung des RegE hierzu, dass die vorherige Anmeldung auf der MVP für den Bieter, gerade im Vergleich zum postalischen Versand oder zur Anschaffung eines Faxgeräts zu Versandzwecken, „zumutbar“ sei.

Das Digitalisierungsvorhaben durchwirkt das Übernahmeverfahren grundlegend. Insbesondere ist die Angebotsunterlage nicht mehr schriftlich zu unterzeichnen, nach ihrer Veröffentlichung ist sie gemeinsam mit der Mitteilung hierüber der BaFin nunmehr über das MVP zu übermitteln. Gleiches gilt auch für die Stellungnahme der Organe der Zielgesellschaft.

Wiederzulassung von Mehrstimmrechtsaktien – unklare Auswirkungen bei öffentlichen Übernahmen

  • Neben formalen Änderungen im Übernahmerecht schlägt das ZuFinG die Wiedereinführung von Mehrstimmrechtsaktien vor. Sie sollen vor allem den Aktionären von Startups und KMUs die Sorge vor dem Verlust von Einfluss und Kontrolle über die strategische Ausrichtung des Unternehmens nehmen, der mit einer Finanzierung über den Kapitalmarkt womöglich verbunden wäre.
  • Die Wiederzulassung von Mehrstimmrechtsaktien stellt einen Paradigmenwechsel dar: Sie wurden im Jahr 1998 gerade auch deshalb abgeschafft und das sog. „One Share/One Vote“-Prinzipp streng durchgeführt, um den Markt für Unternehmenskontrolle zu stärken. Denn Mehrstimmrechte haben aufgrund ihrer einflusssichernden Funktion prohibitive Wirkung für öffentliche Übernahmen. Dieser Funktion der Einflusssicherung gibt der Gesetzgeber nun den Vorzug und löst sich vom bisherigen rechtspolitischen Rational.
  • Keine konsistente Regelung findet sich im RegE allerdings dazu, wie sich Mehrstimmrechte im Übernahmerecht und auf die Beteiligungspublizität auswirken – es stellen sich zentrale systemische Fragen: Wie ist die Kontrollerlangung bei Mehrstimmrechten zu bestimmen, zumal diese nach der Konzeption des RegE bei „Übertragung“ von börsennotierten oder in den Freiverkehr einbezogenen Aktien erlöschen sollen? Wie ist hier mit Zurechnungs- und Umgehungssachverhalten umzugehen? Ist es im Falle einer passiven Kontrollerlangung, die bei Erlöschen von Mehrstimmrechten eintritt, sachgerecht, die betroffenen Aktionäre auf eine ermessensabhängige Befreiung vom Pflichtangebot durch die BaFin zu verweisen? Wie können Mindestannahmeschwellen rechtssicher gehandhabt werden?