Die Entscheidung des Bieters über die Besetzung des Aufsichtsrats der Zielgesellschaft
Von Dr. Volker Land und Dr. Stephan Schulz
Zuerst veröffentlicht im Noerr Public M&A-Report 01/2023
Die Besetzung des Aufsichtsrats mit den eigenen Repräsentanten ist ein typisches Mittel, mit dem der Bieter nach Vollzug eines Übernahmeangebots den erlangten Einfluss auf die Zielgesellschaft ausübt. Diese Personalentscheidungen werden von einen Rechtsrahmen beeinflusst, der in den letzten Jahren immer komplexer geworden ist. Darüber hinaus muss der Bieter berücksichtigen, dass seine Entscheidungen nicht nur von den Organen der Zielgesellschaft, sondern auch von der Öffentlichkeit genau beobachtet werden. Vor diesem Hintergrund möchten wir in unserem Fokusbeitrag einen Blick auf den rechtlichen Rahmen für diese Besetzungsentscheidungen werfen. Dabei soll es zunächst um den Zeitpunkt und das Verfahren der Neubesetzung und anschließend um die rechtlichen Anforderungen an die Repräsentanten des Bieters im Aufsichtsrat gehen.
Zeitpunkt und Verfahren der Neubesetzung
Neubesetzung nach Ablauf der Amtszeit der bisherigen Mitglieder
Wann und wie der Aufsichtsrat der Zielgesellschaft umbesetzt werden soll, ist eine Frage, die sich ein potentieller Bieter frühzeitig im Verfahren stellen sollte. Zwei Zeitpunkte sind bei dieser Analyse von Bedeutung: Zum einen das Ende der Amtsdauer der aktuellen Aufsichtsratsmitglieder, zum anderen der voraussichtliche Vollzugszeitpunkt des Angebots, d.h. der Moment der Kontrollübernahme. Typischerweise enden die Amtszeiten von Aufsichtsratsmitgliedern mit Ablauf einer im Bestellungsbeschluss näher bezeichneten ordentlichen Hauptversammlung. Ferner ist es in der Praxis deutscher börsennotierter Unternehmen immer noch üblich, die Aufsichtsratsmitglieder der Anteilseigner einheitlich mit identischen Amtsdauern zu wählen. Wenn die Amtszeiten zeitnah zum geplanten Vollzugstag des Angebots enden, könnte der Bieter für einen Übergangszeitraum den bestehenden Aufsichtsrat im Amt belassen und die Neubesetzung erst auf der betreffenden Hauptversammlung (im Rahmen der dann planmäßig anstehenden Aufsichtsratswahlen) bewirken. Gegen dieses Vorgehen spricht, dass der Vollzugszeitpunkt eines Übernahme- oder Pflichtangebots nicht exakt planbar ist, insbesondere wenn behördliche Genehmigungen (z.B. Kartellfreigaben) erforderlich sind oder Änderungen des Angebots erforderlich werden (zuletzt wurde dies vor allem in Fällen von Änderungen einer Mindestannahmeschwelle relevant). Dann kann es passieren, dass der Bieter die angestrebte Beteiligungshöhe noch nicht erworben hat, wenn der für die Teilnahme an der Hauptversammlung relevante Stichtag eintritt, und er daher (noch) nicht über die erforderliche Mehrheit der Stimmrechte in der Aktionärsversammlung verfügt.
Amtsniederlegung und gerichtliche Bestellung
Besser strukturieren lässt sich die Neubesetzung, wenn der Bieter einen Teil der Aktien der Zielgesellschaft in Blöcken aufgrund von Kaufverträgen erwirbt, die im Zusammenhang mit dem Angebot abgeschlossen werden. Dann besteht die Möglichkeit, dass sich die Verkäufer in den Aktienkaufverträgen verpflichten darauf hinzuwirken, dass Aufsichtsratsmitglieder ihr Amt mit Wirkung zum Vollzugstag oder jedenfalls am Vollzugstag mit Wirkung zu einem späteren Zeitpunkt niederlegen. Eine „harte“ Verpflichtung des Verkäufers wird meist nicht durchsetzbar sein, weil die Aufsichtsratsmitglieder ihr Amt höchstpersönlich ausüben und nicht an Weisungen von Aktionären gebunden sind. In der Praxis funktionieren derartige Hinwirkensklauseln in der Regel aber gut. Nach Wirksamwerden der Amtsniederlegung kann die Neubesetzung im Wege der gerichtlichen Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern gem. §§ 104 ff. AktG umgesetzt werden, die auch durch Aktionäre beantragt werden kann. Dies ist unproblematisch möglich, wenn der Aufsichtsrat durch die Amtsniederlegungen beschlussunfähig wird, weil das Gericht dann zur Bestellung verpflichtet ist (§ 104 Abs. 1 AktG). Bleibt die Beschlussfähigkeit des Aufsichtsrats dagegen von der Amtsniederlegung unberührt, kommt eine gerichtliche Ersatzbestellung nur in Betracht, wenn seit Eintritt der Vakanz drei Monate verstrichen sind oder ein dringender Fall vorliegt (§ 104 Abs. 2 Satz 1 u. 2 AktG). Häufig wird nach einer gerade vollzogenen Übernahme ein dringender Fall vorliegen, etwa wenn über Strukturmaßnahmen zu entscheiden ist, der Jahresabschluss festgestellt werden muss oder ein zustimmungspflichtiges Geschäft abgeschlossen werden soll. Die insoweit von Rechtsprechung und Literatur an die Dringlichkeit gestellten Anforderungen sind nicht übermäßig hoch. Wenn unter keinem denkbaren Gesichtspunkt ein dringender Fall vorliegt, kommt eine gerichtliche Bestellung jedoch nur in Betracht, wenn die Drei-Monats-Frist abgelaufen ist
Abberufung und Neuwahl durch außerordentliche Hauptversammlung
Eine praktisch seltene Alternative zur gerichtlichen Bestellung bildet die Abhaltung einer außerordentlichen Hauptversammlung, auf der amtierende Aufsichtsratsmitglieder abberufen und neue Aufsichtsratsmitglieder gewählt werden. Dieses Vorgehen des neuen Mehrheitsaktionärs kann als aggressiv wahrgenommen werden und wird nur in Betracht kommen, wenn einvernehmliche Lösungen gescheitert sind. Die Einberufung einer Hauptversammlung können ein oder mehrere Aktionäre verlangen, die mehr als den zwanzigsten Teil des Grundkapitals auf sich vereinen und diese Aktien seit mehr als 90 Tagen vor Zugang des Verlangens bei der Gesellschaft halten (§ 122 Abs. 1 AktG). Weitere materielle Voraussetzungen für ein Einberufungsverlangen bestehen nicht; allerdings darf das Verlangen nicht missbräuchlich sein (was in solchen Fällen oft kontrovers diskutiert wird). Einzige Voraussetzung für die Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern ist die Beschlussfassung der Hauptversammlung mit einer Mehrheit von drei Vierteln der abgegebenen Stimmen (oder einer in der Satzung festgelegten anderen Mehrheit). Die Neuwahl von Aufsichtsratsmitgliedern ist durch einfachen Mehrheitsbeschluss der Hauptversammlung möglich. Der Nachteil dieser Variante liegt in der relativ langen Verfahrensdauer und der negativen Außenwirkung („Kampf um den Aufsichtsrat“), insbesondere wenn die Beteiligten neben den Pflichtveröffentlichungen auch noch Stellungnahmen und Pressemitteilungen zum Verfahren oder zu den Kandidaten herausgeben.
Anforderungen an die Repräsentanten des Bieters im Aufsichtsrat
Was die rechtlichen Anforderungen an die vom Bieter vorzuschlagenden Aufsichtsratsmitglieder angeht, sind zwei Normengefüge zu unterscheiden.
Persönliche Anforderungen
Zum einen gibt es gesetzliche Anforderungen an Aufsichtsratsmitglieder, die zwingend zu beachten sind. Nur natürliche, unbeschränkt geschäftsfähige Personen können ein Aufsichtsratsmandat wahrnehmen (§ 100 Abs. 1 AktG). Das Aktiengesetz sieht Hinderungsgründe für die Übernahme eines Aufsichtsratsmandats in bestimmten Fällen (siehe auf der folgenden Seite) vor. Darüber hinaus können in der Satzung weitere persönliche Voraussetzungen für Aufsichtsratsmitglieder geregelt sein, was aber in der Praxis börsennotierter Unternehmen keine große Bedeutung hat. Sind diese Anforderungen bei einem Kandidaten nicht erfüllt, so ist der Hauptversammlungsbeschluss über seine Wahl bei Verstößen gegen §§ 105 Abs. 1, 100 Abs. 1, 2 AktG nichtig, in den anderen Fällen anfechtbar. Ein Beschluss über die gerichtliche Bestellung eines solchen Kandidaten wäre rechtswidrig und könnte mit der Beschwerde angegriffen werden.
Gesetzlich sind bei nicht regulierten Unternehmen (Bei regulierten Unternehmen bestehen weiter gehende Anforderungen, z.B. nach § 25d Abs. 1 KWG für die Aufsichtsratsmitglieder von Instituten, Finanzholding-Gesellschaften oder gemischten Finanzholding-Gesellschaften im Sinne des KWG) Anforderungen an die Sachkunde der einzelnen Mitglieder nicht ausdrücklich geregelt. § 100 Abs. 5, 2. HS AktG schreibt lediglich vor, dass die Mitglieder des Aufsichtsrats in ihrer Gesamtheit mit dem Sektor, in dem die Gesellschaft tätig ist, vertraut sein müssen.
Der Bundesgerichtshof (BGH, Urt. v. 15.11-1982 - II ZR 27/82, BGHZ 85, 293 = NJW 1983, 991.) leitet aus dem Gebot der persönlichen Amtsausübung der Aufsichtsratsmitglieder (§ 111 Abs. 6 AktG) ab, dass ein Aufsichtsratsmitglied diejenigen Mindestkenntnisse und -fähigkeiten besitzen oder sich aneignen muss, die es braucht, um alle normalerweise anfallenden Geschäftsvorgänge auch ohne fremde Hilfe verstehen und sachgerecht beurteilen zu können. Damit sind freilich nur sehr geringe Anforderungen aufgestellt, deren Erfüllung in der Praxis nicht in Frage steht.
Relevant für Besetzungsvorschläge des Bieters an die Hauptversammlung oder an ein bestellendes Gericht kann auch die Anforderung werden, dass mindestens ein Mitglied über Sachverstand auf dem Gebiet Rechnungslegung und mindestens ein weiteres Mitglied über Sachverstand auf dem Gebiet Abschlussprüfung verfügen muss (§ 100 Abs. 5 AktG). Über den erforderlichen Sachverstand verfügt das betreffende Mitglied des Aufsichtsrats, wenn es beruflich mit Rechnungslegung und/oder Abschlussprüfung befasst ist oder war. Diese Vorgabe wird überwiegend nicht als persönliche Anforderung an ein bestimmtes Mitglied verstanden (da sie sich ja an das Gremium als Ganzes richtet), sondern als objektive Besetzungsregel. Dennoch werden ihr nicht entsprechende Hauptversammlungsbeschlüsse von der h.M. als anfechtbar angesehen, und bei der gerichtlichen Bestellung hat das Gericht die Regel als Ermessensgrenze zu berücksichtigen.
Weitere Anforderungen
Zum anderen bestehen bei börsennotierten Unternehmen verschiedene weitergehende persönliche Anforderungen an die Aufsichtsratsmitglieder, die sich aus sehr unterschiedlichen Rechtsquellen ergeben. Die bei ihrer Nichtbeachtung eintretenden Rechtsfolgen sind differenziert zu betrachten. Eine strenge Vorgabe besteht mit der fixen Geschlechterquote, welche für börsennotierte Unternehmen gilt, die unter das Mitbestimmungsgesetz, das Montan-Mitbestimmungsgesetz oder das Mitbestimmungsergänzungsgesetz (d.h. Unternehmen mit regelmäßig mehr als 2.000 Mitarbeitern oder des Bergbaus oder der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie). Greift sie ein, muss sich der Aufsichtsrat zu mindestens 30 Prozent aus Frauen und zu mindestens 30 Prozent aus Männern zusammensetzen (§ 96 Abs. 1 Satz 1 AktG). Dagegen verstoßende Wahlbeschlüsse der Hauptversammlung sind nichtig, und auch bei der gerichtlichen Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern ist das Gericht an die Geschlechterquote gebunden.
Schließlich können weitere Anforderungen aufgrund von nichtzwingenden Regelungen bestehen. Das ist der Fall, wenn die Zielgesellschaft bestimmten Empfehlungen des Deutschen Corporate Governance Kodex3 (DCGK) entspricht. Dieser enthält eine Reihe von Empfehlungen für die Besetzung des Aufsichtsrats (siehe [nebenstehenden] Kasten), insbesondere in Bezug auf die Unabhängigkeit der Mitglieder. Ferner wird in C.1 Satz 1 DCGK empfohlen, dass der Aufsichtsrat konkrete Ziele für seine Zusammensetzung benennt und ein Kompetenzprofil für das Gesamtgremium erarbeitet. Darüber hinaus besteht für börsennotierte Unternehmen, die nicht in den Anwendungsbereich der fixen Ge schlechterquote fallen, eine Pflicht des Aufsichtsrats zur Festlegung einer Zielgröße für den Frauenanteil im Aufsichtsrat (§ 111 Abs. 5 AktG).
Beiden Anforderungen ist gemein, dass sie nur bestehen, wenn der Aufsichtsrat dies festgelegt hat, indem er in der Entsprechenserklärung gem. § 161 AktG erklärt, dass er die betreffende Empfehlung befolgt, und er eine Zielgröße für den Frauenanteil festgelegt hat, die größer als Null ist. Damit dienen beide Vorgaben der Selbstbindung des Aufsichtsrats, entfalten also keine unmittelbare rechtsbindende Wirkung für einen Aktionär. Sie haben allerdings eine unternehmenspolitische Bedeutung, weil zu erwarten ist, dass sich der Aufsichtsrat gegen Besetzungsvorschläge an die Hauptversammlung oder das bestellende Gericht positionieren wird, die diesen Vorgaben widersprechen.
Empfehlungen des Deutschen Corporate Governance Kodex für die Besetzung des Aufsichtsrats:
- Vom Aufsichtsrat festzusetzende Altersgrenze (C.2 DCGK);
- Beachtung der Diversität (C.1 Satz 2 DCGK);
- Expertise zu den für das Unternehmen bedeutsamen Nachhaltigkeitsfragen gemäß dem Kompetenzprofil des Aufsichtsrats (C.1 Satz 3 DCGK);
- Zugehörigkeit einer angemessenen Zahl unabhängiger Mitglieder (C.6 DCGK);
- Unabhängigkeit der Hälfte aller Anteilseignervertreter von Gesellschaft und Vorstand (C.7 DCGK);
- Unabhängigkeit von mindestens zwei Anteilseignervertretern vom kontrollierenden Aktionär in einem Aufsichtsrat mit mehr als sechs Mitgliedern (C.9 Abs. 1 S.1 DCGK);
- Unabhängigkeit des Aufsichtsratsvorsitzenden, des Vorsitzenden des Prüfungsausschusses sowie des Vorsitzenden des mit der Vorstandsvergütung befassten Ausschusses von der Gesellschaft und vom Vorstand (C.10 DCGK);
- Nicht mehr als zwei ehemalige Vorstandsmitglieder im Aufsichtsrat (C.11 DCGK);
- Keine Organ- oder Beratungsfunktionen oder persönliche Beziehungen zu wesentlichen Wettbewerbern (C.12 DCGK).
Gesetzliche Hinderungsgründe
Aufsichtsratsmitglied einer börsennotierten Aktiengesellschaft darf nicht sein, wer:
- Vorstandsmitglied, dauernd Stellvertreter von Vorstandsmitgliedern, Prokurist oder zum gesamten Geschäftsbetrieb ermächtigter Handlungsbevollmächtigter der Gesellschaft ist (§ 105 Abs. 1 AktG);
- bereits Aufsichtsratsmitglied in zehn Handelsgesellschaften ist, die gesetzlich einen Aufsichtsrat zu bilden haben (§ 100 Abs. 2 Nr. 1 AktG);
- gesetzlicher Vertreter eines von der Gesellschaft abhängigen Unternehmens ist (§ 100 Abs. 2 Nr. 2 AktG);
- gesetzlicher Vertreter einer anderen Kapitalgesellschaft ist, deren Aufsichtsrat ein Vorstandsmitglied der Gesellschaft an gehört (§ 100 Abs. 2 Nr. 3 AktG); oder
- in den letzten zwei Jahren Vorstandsmitglied der Gesellschaft war; es sei denn, seine Wahl erfolgt auf Vorschlag von Aktionären,die mehr als 25 Prozent der Stimmrechte an der Gesellschaft halten (§ 100 Abs. 2 Nr. 4 AktG).
Fazit
Eine Umbesetzung des Aufsichtsrats nach Abschluss eines Übernahmeangebots kann nach dem Ausscheiden bisheriger Mitglieder durch Neuwahl auf einer Hauptversammlung oder durch gerichtliche Bestellung erfolgen. Idealerweise gelingt es dem Bieter, Altaktionäre dazu zu bringen, auf das Ausscheiden bestimmter Aufsichtsratsmitglieder hinzuwirken. Bei der Auswahl der Kandidatinnen und Kandidaten des Bieters sind eine Reihe von Vorgaben auf unterschiedlichen rechtlichen Ebenen zu beachten. Diese Vorgaben sind nur teilweise zwingend (wie die persönlichen Hinderungsgründe). Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Anforderungen, über die sich ein Bieter hinwegsetzen könnte (etwa die Anforderungen des DCGK oder vom Aufsichtsrat festgelegte Zielgrößen für die Frauenbeteiligung). Wenn sich der Bieter hierfür entscheidet, kann es allerdings zu Opposition der Verwaltungsorgane der Zielgesellschaft kommen. Ob der Bieter es auf eine solche Konfrontation ankommen lassen möchte, liegt in seinem Ermessen und sollte sorgsam bedacht werden.