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„Klimaklagen“ gegen deutsche Unternehmen unter der Lupe

19.10.2021

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) macht ernst. Erst vor Kurzem – Noerr berichtete – hatten die Bundesgeschäftsführer der DUH und die Geschäftsführer von Greenpeace Deutschland sowie eine Aktivistin der Bewegung „Fridays for Future“ von drei namhaften deutschen Automobilherstellern – BMW, Mercedes-Benz (DUH) und Volkswagen (Greenpeace) – bzw. vom Energiekonzern Wintershall Dea (DUH) die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung verlangt, mit der sich die Unternehmen zu näher spezifizierten Klimaschutzmaßnahmen verpflichten sollten. Nachdem die Konzerne erwartungsgemäß die Unterlassungserklärungen nicht abgaben, hat die DUH noch im September 2021 Klagen gegen BMW und Mercedes-Benz sowie Anfang Oktober 2021 gegen Wintershall Dea eingereicht. Sie möchte die Automobilhersteller rechtlich insbesondere dazu verpflichten, ab 2030 keine Personenkraftwagen mit Verbrennungsmotor mehr auf den Markt bzw. in Verkehr zu bringen. Wintershall Dea soll insbesondere ab 2026 keine neuen Öl- oder Gasfelder mehr eröffnen.

Die nun eingereichten zivilrechtlichen „Klimaklagen“ gegen Unternehmen der Privatwirtschaft sind – im Gegensatz zu öffentlich-rechtlichen Klagen gegen staatliche Stellen –  ein Novum in Deutschland. Sie werfen somit eine Reihe neuer zivilprozessualer wie auch materiell-rechtlicher Fragen auf, die im Folgenden überblicksartig dargestellt und bewertet werden.

Prüft man die Argumentation der DUH im Fall Mercedes-Benz genauer, wird deutlich, dass die Bedenken gegen die Erfolgsaussichten überwiegen. Dennoch werden die Klagen den Druck auf Unternehmen weiter erhöhen, derartige Klagen durch eigene Klimaschutzmaßnahmen schon aus Reputationsgründen so weit wie möglich zu vermeiden.

Die Argumentation der Klageparteien

Zum besseren Verständnis der weiteren Ausführungen ist die Argumentation der Klageparteien kurz am Beispiel der Klage gegen Mercedes-Benz zu skizzieren. Die Klageparteien mahnen an, dass politisch und gesellschaftlich dringender Handlungsbedarf besteht. Auf Basis der Berechnungen des Sachverständigenrates für Umweltfragen (SRU) ermitteln sie ein verbleibendes nationales CO2-Budget Deutschlands in Höhe von knapp 4,2 Gigatonnen ab Januar 2021. Dies bedeute einen vollständigen Verbrauch des (nationalen) CO2-Budgets spätestens bis zum Jahr 2029 bei unverändertem Emissionsniveau, sowie spätestens bis zum Jahr 2038 bei linearer Reduktion. Für die dringend notwendige Reduzierung der CO2-Emissionen ist nach der Argumentation der Klägerparteien nicht nur der Staat aufgrund der sog. Vorwirkung der Grundrechte, wie sie das Bundesverfassungsgericht in seiner sog. Klimaschutzentscheidung vom 24.03.2021 zugrunde gelegt hat, zuständig. Stattdessen sollen auch privatwirtschaftliche Unternehmen als „Störer“ über die sog. mittelbare Drittwirkung von Grundrechten dem verfassungsrechtlichen Klimaschutzauftrag verpflichtet sein. Ein entsprechender Anspruch soll sich aus §§ 1004, 823 Abs. 1 BGB analog wegen der Beeinträchtigung des (zukünftigen) allgemeinen Persönlichkeitsrechts der klagenden Privatpersonen ergeben. „Grundrechtsschonend“ sei für Mercedes-Benz bei den Klageanträgen der globale und nicht der nationale Markanteil berücksichtigt worden, weil sonst für das Unternehmen schon jetzt keinerlei CO2-Budget mehr zur Verfügung stehen würde.

Die Automobilhersteller sollen auf dieser Basis ihren CO2-Ausstoß durch den reduzierten Verkauf von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor bis 2029 verringern und aus dem Geschäft mit Verbrenner-Fahrzeugen im Jahr 2030 vollständig aussteigen.

Zivilrechtliches CO2-Ultimatum begegnet rechtsstaatlichen Bedenken

Eine genauere Betrachtung der Gemengelage erhellt zentrale Aspekte, die vom Narrativ der Klageparteien nicht aufgegriffen werden. Wenngleich der Klimawandel eine der zentralen Herausforderungen unserer Zeit ist, stellt sich dennoch die Frage, ob eine zivilgerichtliche Inanspruchnahme einzelner Wirtschaftsakteure auf Basis eines zivilrechtlichen CO2-Ultimatums rechtlich möglich und zielführend ist. Dagegen spricht, dass den in Anspruch genommenen Unternehmen kein Verstoß gegen gesetzlich oder behördlich festgelegte Verhaltenspflichten vorgeworfen wird. Es geht vielmehr um die mittels Klage eingeforderte Verpflichtung zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen über nationale und europarechtliche gesetzliche Anforderungen hinaus. Ein solches CO2-Ultimatum jenseits des gesetzlichen Rahmens für einzelne Unternehmen der Privatwirtschaft erscheint im Ergebnis weder zielführend noch in der rechtlichen Konstruktion tragfähig. Denn im Hinblick auf die klimapolitischen Herausforderungen kommt dem Staat die politisch-verfassungsrechtliche Lenkungsverantwortung zu.

So führt das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung aus, der Gesetzgeber sei verpflichtet, die für eine Grundrechtsverwirklichung der betroffenen Bürger wesentlichen Regelungen primär selbst zu treffen, insbesondere „in mehrdimensionalen, komplexen Grundrechtskonstellationen, in denen miteinander konkurrierende Freiheitsrechte aufeinander treffen und deren jeweilige Grenzen fließend und nur schwer auszumachen sind“ (BVerfGE 108, 282 (311) = NJW 2003, 3111; dazu Pagenkopf, NVwZ 2019, 185 (187 f.)). Angesichts der multiplen Faktoren, die Einfluss auf den globalen Klimawandel haben, der zahlreichen Unternehmen, die am globalen sowie deutschen CO2-Ausstoß beteiligt sind, und deren Bedeutung für Wirtschaft und Wohlstand ist hier eine solche mehrdimensionale, komplexe Konstellation schwer von der Hand zu weisen. Ein „Aufschwingen“ der Gerichte in die Funktion des Gesetzgebers scheint daher mit dem Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip und insbesondere mit der Gewaltenteilung nicht vereinbar. Die Judikative ist folglich für die Auflösung dieses Spannungsverhältnisses rechtsstaatlich nicht zuständig.

Zielführend wären global abgestimmte politische Maßnahmen

Die Erforderlichkeit eines Handelns auf staatlicher Ebene wird auch dadurch deutlich, dass nur auf dieser Ebene global abgestimmte politische Maßnahmen möglich wären. Da beispielsweise eine (eingeklagte) Reduzierung von Treibhausemissionen eines deutschen Unternehmens zu Wettbewerbsvorteilen anderer Unternehmen (möglicherweise auch in anderen Staaten) führen würde, wäre es zielführend, wenn auf staatlicher Ebene eine internationale Lösung abgestimmt würde, wie es Ziel des Pariser Klimaschutzabkommens ist. Nur so kann vermieden werden, dass die CO2-Einsparungen des einen Unternehmens nicht durch Mehrausstoß an anderen Stellen zunichte gemacht wird (sog. Carbon Leakage). Zu solchen abgestimmten Maßnahmen sind Gerichte einzelner Staaten indes nicht in der Lage. Auch dies zeigt, dass die mit den „Klimaklagen“ verfolgten Begehren für eine Begrenzung des anthropogenen Klimawandels eine Aufgabe der originären staatlichen Lenkungsverantwortung sind und nicht von Zivilgerichten entschieden werden sollten.

Kein Rechtsschutzbedürfnis für Klimaklagen

Unabhängig davon bestehen bereits erhebliche Zweifel an der Zulässigkeit der eingereichten Klagen. Insbesondere ist das Bestehen des erforderlichen Rechtsschutzbedürfnisses, respektive die Prozessführungsführungsbefugnis kritisch zu sehen. Dabei geht es um das berechtigte Interesse der Klageparteien, zur Erreichung des begehrten Rechtsschutzes ein Zivilgericht in Anspruch zu nehmen.

So wies etwa das Verwaltungsgericht Berlin (VG Berlin, Urt. v. 31.10.2019 – 10 K 412/18 – NVwZ 2020, 1289 (1293)) eine Leistungsklage gegen die Bundesregierung ab, in der die dortigen Klageparteien die Verurteilung der Bundesregierung zu schärferen Klimaschutzmaßnahmen begehrten. Das Gericht wies darauf hin, dass jedes Individuum auf die eine oder andere Weise vom Klimawandel betroffen sei. Die Klageparteien unterschieden sich nicht von der übrigen Bevölkerung. Es fehle die erforderliche „besondere Betroffenheit“, welche die Klageparteien von der Allgemeinheit abhebe. Das Verwaltungsgericht Berlin bezog sich insoweit auch auf ein klageabweisendes Urteil des Europäischen Gerichts (EuG), in dem eine Klimaklage gegen das EU-Parlament und den Rat ebenfalls wegen fehlender Klagebefugnis abgewiesen worden war.

Mit dieser Argumentation wären auch die „Klimaklagen“ der DUH abzuweisen. Denn fehlt die Klagebefugnis schon im vertikalen Bürger-Staat-Verhältnis, muss dies erst recht für das Rechtschutzbedürfnis im horizontalen Bürger-Unternehmen-Verhältnis gelten.

Keine „verkappte Verbandsklage“ durch die Hintertür

Die Klageparteien werden sich auch gegen den Vorhalt verteidigen müssen, dass keine konkrete individuelle Rechtsgutverletzung ernsthaft und greifbar zu befürchten ist, sondern es sich um eine Art „verkappte Verbandsklage“ handelt, in der zwar einzelne private Personen als Klagepartei auftreten, aber letztlich die Interessen aller in Deutschland lebenden Bürger geltend gemacht werden. Deutlich wird das anhand der folgenden Kontrollüberlegung: Ein Urteil wirkt nach den allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen grundsätzlich nur inter partes, also zwischen den Verfahrensbeteiligten. Die von den Klageparteien begehrte Unterlassung würde hingegen nicht nur zwischen den Klageparteien wirken, sondern im Ergebnis für und gegen jeden in Deutschland lebenden Bürger, und sogar darüber hinaus.

Klagen auch im Übrigen materiell-rechtlich nicht tragfähig

Zahlreichen Bedenken begegnen die auf Unterlassung gerichteten Klagen schließlich in materiell-rechtlicher Hinsicht.

  • Bereits die von den Klageparteien behauptete Gefahr der Beeinträchtigung ihres Allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch den Absatz von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren bleibt notwendigerweise vage, denn sie liegt in der – von vielen Faktoren abhängigen – mittelfristigen Zukunft. Zwar können – entsprechend der sog. Klimaschutz-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts – staatliche Klimaschutzmaßnahmen grundsätzlich die künftige persönliche Entfaltung der Bürger beeinträchtigen, die als Teil des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts geschützt ist. Ob und wie sie künftig in ihrer persönlichen Entfaltung beschränkt sein werden, ist heute jedoch noch ungewiss. Insbesondere ist noch nicht absehbar, welche Maßnahmen später zur Einhaltung von Klimazielen notwendig sein werden und wann und ob diese eingeführt werden. Der Maßstab der Darlegungs- und Beweislast im Zivilprozess setzt jedoch voraus, dass die Klageparteien eine ernsthafte und greifbar zu befürchtende künftige Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts substantiiert darlegen. Soweit diese auf mögliche künftige allgemeingültige Beschränkungen verweisen und soweit von weitreichenden, flächendeckenden und sämtliche Mitmenschen erfassenden Einschränkungen in allen Bereichen menschlichen Lebens die Rede ist, wird ein solcher pauschaler und allgemeingültiger Vortrag im Zivilprozess sehr wahrscheinlich nicht zum Erfolg führen.

  • Dreh- und Angelpunkt der Klagen wird zudem die Störereigenschaft und die dafür erforderliche Kausalität sein. Dabei ist bereits im Sinne der sog. äquivalenten Kausalität zweifelhaft, ob die (Scope-3-)Emissionen der von Mercedes-Benz hergestellten und vertriebenen Fahrzeuge nicht hinweggedacht werden können, ohne dass die skizzierten Freiheitsbeschränkungen entfielen. Angesichts der Vielzahl globaler Emittenten von Treibhausgasen sind äquivalent-kausale Verursachungsbeiträge einzelner Akteure kaum zu bestimmen. So hat der Bundesgerichtshof bereits im Jahr 1987 hinsichtlich der Entstehung von Luftschadstoffen durch eine Vielzahl von Emittenten festgestellt, dass es durch die Vermischung der Verursachungsbeiträge praktisch unmöglich ist, bestimmten Emittenten eingetretene Schäden zuzurechnen (sog. Summationsschäden) (BGH, Urteil vom 10.12.1987 – III ZR 220/86, NJW 1988, 478). Wendet man diesen Rechtsgedanken auf die Behauptung einer kausal durch Mercedes-Benz hervorgerufenen Rechtsgutsbeeinträchtigung im Rahmen der geltend gemachten Unterlassungsansprüche an, ist die Klage schon aus diesem Grund abweisungsreif. Vor dem Hintergrund der internationalen und mehrpoligen Dimension des Klimawandels und des skizzierten sog. Carbon-Leakage-Risikos wird die Kausalität ein wesentlicher zu klärender Aspekt sein.

  • Hinzu kommt die vom Zivilgericht vorzunehmende Bewertung hypothetischer alternativer Kausalverläufe. Weder kann das von den Klageparteien errechnete Gesamtbudget als statische Größe angesehen werden noch berücksichtigen diese, dass beispielsweise durch technologischen Fortschritt Treibhausgase künftig absorbiert, eingelagert, gespeichert oder anderweitig nutzbar gemacht werden könnten. So gibt es bereits jetzt mittels „Direct-Air-Capture“ die Möglichkeit, CO2 aus der Atmosphäre zu entnehmen und in einem komplexen Prozess zu synthetischen und im Ergebnis CO2-neutralen Kraftstoffen zu verarbeiten.

  • Ebenso ist zu bezweifeln, dass tatsächlich eine für die Haftung mittelbarer Störer erforderliche Verletzung einer Sicherungspflicht vorliegt. Denn die von den Klageparteien in Bezug genommenen (Scope-3-)Emissionen, die aus der Nutzung der hergestellten und in Verkehr gebrachten einzelnen Fahrzeuge resultieren, sind von der Legalisierungswirkung der erteilten Typgenehmigung gedeckt. Die zugelassenen Emissionswerte entspringen vollharmonisiertem europäischen Recht, was wiederum den zivilrechtlichen Sorgfaltsmaßstab konkretisiert.

  • Schließlich ist auch die Rechtswidrigkeit der bemühten Rechtsgutverletzung kritisch zu prüfen. In Rahmen der erforderlichen Interessenabwägung wird zu berücksichtigen sein, dass den in Anspruch genommenen Unternehmen gravierende Wettbewerbsnachteile gegenüber nicht in Anspruch genommenen Wettbewerbern drohen und den für sie streitenden Verfassungsgarantien aus Art. 12 GG und Art. 14 GG ebenfalls erhebliches Gewicht zukommt. So ist im Fall von Mercedes-Benz zu befürchten, dass Konkurrenten, deren Produktion nicht auf dem Zivilrechtswege reguliert werden soll, den Marktanteil von Mercedes-Benz übernehmen. In dieser Hinsicht werden die Effekte der CO2-Reduzierung durch das verklagte Unternehmen für den Klimawandel zu bewerten sein – mit allen Zweifeln an der zu bewertenden hypothetischen Entwicklung, etwa im Hinblick auf das sog. Carbon-Leakage-Risiko. Auch wenn Gerichte sich einen positiven Effekt des „guten Beispiels“ erhoffen mögen und vieles dafür spricht, dass Deutschland und Europa mit gutem Beispiel voranschreiten, ist ein solcher Effekt allein angesichts der Berichte über den CO2-Ausstoß in Saudi-Arabien (Saudi Aramco), USA (Chevron) und Russland (Gazprom) verschwindend gering und daher – wenn überhaupt von den Klageparteien beweisbar – jedenfalls ungeeignet, im Rahmen einer Interessenabwägung einer Zivilklage zum Erfolg zu verhelfen.

„Klima-Compliance“ im Vorfeld von „Klimaklagen“

Auch wenn die „Klimaklagen“ gegen Unternehmen den beschriebenen rechtlichen Bedenken begegnen, wird die Rechtslage bis zu den ersten höchstgerichtlichen Entscheidungen nicht abschließend geklärt sein. Bis dahin wird mit weiteren Klagen zu rechnen sein. Unternehmen werden ihre umweltrechtlichen Risiken identifizieren und die Wahrscheinlichkeit entsprechender Klagen zu bewerten haben, um mit dieser Form der „Klima-Compliance“ das Risiko erfolgreicher „Klimaklagen“ zu minimieren.