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EU beschließt achtes Sanktions­paket gegen Russland

10.10.2022

Hintergrund

Auf Vorschlag der Europäischen Kommission („Kommission“) hat der Rat der Europäischen Union („Rat“) am 6. Oktober 2022 einem neuen Paket von Sanktionen gegen die Russische Föderation („Russland“) zugestimmt. Laut einer Presseerklärung von Josep Borrell, dem Hohen Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, reagiert die EU damit auf den eskalierenden Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und die illegale Annexion ukrainischer Gebiete durch Russland. Zu den neu beschlossenen Maßnahmen gehören die Rechtsgrundlage für eine Preisobergrenze für russisches Öl, weitere Handelsbeschränkungen sowie erweiterte Sanktionslisten für Personen und Einrichtungen. Zudem unternimmt die EU Schritte gegen die Umgehung bestehender Sanktionen. Die EU-Gesetzgeber haben zudem eine Reihe kleinerer Änderungen in Bereichen vorgenommen, in denen frühere Bestimmungen nicht die gewünschte Wirkung erzielten, und so die Sanktionsregelungen noch komplexer gemacht.

Das achte Sanktionspaket ändert die Verordnung (EU) Nr. 833/2014 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren (sektorale Sanktionen) und die Verordnung (EU) Nr. 269/2014 über restriktive Maßnahmen in Bezug auf Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen (finanzielle Sanktionen). Die neu verabschiedeten Bestimmungen sehen eine Preisobergrenze für russisches Rohöl vor, die durch ein Verbot des Seetransports in Drittländer sowie der technischen Unterstützung und der Finanzdienstleistungen im Zusammenhang mit der entsprechenden Logistik umgesetzt wird. Mit der Preisobergrenze für russisches Öl zielt die EU auf die finanziellen Ressourcen des Kremls ab und hofft außerdem, die globalen Energiepreise zu stabilisieren. Durch die Ausweitung der Einfuhrverbote für Stahl und Papier und andere Waren will die EU der russischen Wirtschaft Einnahmen in Höhe von rund 7 Milliarden Euro entziehen. Die erweiterten Beschränkungen für EU-Exporte nach Russland zielen darauf ab, die russische Rüstungsindustrie zu schwächen, während das Verbot der Erbringung bestimmter Dienstleistungen, einschließlich Rechtsberatung, für russische Kunden diese daran hindert, europäisches Wissen und Know-how zu nutzen. Als Reaktion auf die jüngsten illegalen Referenden weitet die EU außerdem den geografischen Geltungsbereich bestimmter Handelsbeschränkungen von Donezk und Luhansk auf die Gebiete Saporischschja und Cherson aus, indem sie die Verordnung (EU) 2022/263 über restriktive Maßnahmen als Reaktion auf die Anerkennung der nicht staatlich kontrollierten Gebiete der ukrainischen Oblaste Donezk und Luhansk und die Entsendung russischer Streitkräfte in diese Gebiete ändert.

Neben der Änderung der sektoralen Sanktionen erweitert die Durchführungsverordnung 2022/1906 zur Verordnung (EU) Nr. 269/2014 die Liste der Finanzsanktionen. Zu den neu gelisteten Personen gehören diejenigen, die für die Organisation der von Russland in den besetzten Gebieten der Ukraine veranstalteten illegalen „Referenden“, die Stärkung der militärischen Fähigkeiten Russlands und die Verbreitung von Desinformationen verantwortlich sind. Als neue Kategorie werden finanzielle Sanktionen gegen Personen verhängt, die das Sanktionssystem umgehen.

A. Preisobergrenze für russisches Öl

Als neues Instrument führt das achte Sanktionspaket die Rechtsgrundlage für eine Preisobergrenze für russisches Öl ein. Zu diesem Zweck wird eine Ausnahme von dem – ebenfalls neu eingeführten – Verbot der Erbringung von Seetransportdienstleistungen für Drittländer in Bezug auf Rohöl oder Erdölerzeugnisse mit Ursprung in oder Ausfuhr aus Russland eingeführt. Gleichzeitig wird eine Ausnahme von dem Verbot der Erbringung von technischer Hilfe, Vermittlungsdiensten, Finanzierungen oder finanzieller Unterstützung im Zusammenhang mit Seetransporten eingeführt. Die Inanspruchnahme der Ausnahmeregelung setzt die Einhaltung einer vorher festgelegten Preisobergrenze voraus. Die tatsächliche Preisobergrenze muss von der sogenannten „Price Cap Coalition“ noch vereinbart werden. Zur Ausnahme für Dienstleistungen im Zusammenhang mit dem Seeverkehr siehe Art. 3n der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 in der geänderten Fassung. Da das Bestehen der Preisobergrenze das Verbot der Seeverkehrsdienstleistungen auslöst, bleibt Art. 3n der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 n.F. – vorerst – nur eine leere Hülle.

B. Zusätzliche Importverbote

Um dem Kreml weitere Einnahmequellen zu entziehen, werden die bestehenden EU-Einfuhrverbote ausgeweitet. Dies gilt für bestimmte Kategorien von Produkten, die aus Russland stammen oder von dort exportiert wurden. Dazu gehören Stahl und Stahlerzeugnisse, Zellstoff und Papier, bestimmte Elemente, die in der Schmuckindustrie verwendet werden, wie Steine und Edelmetalle, bestimmte Maschinen und chemische Erzeugnisse, Zigaretten, Kunststoffe und verarbeitete chemische Produkte wie Kosmetika. Siehe z.B. Art. 3g (d) der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 n.F. für das Einfuhrverbot in Bezug auf neue Arten von Stahlerzeugnissen.

C. Zusätzliche Exportbeschränkungen

Die von der EU verhängten zusätzlichen Exportbeschränkungen zielen auf die militärischen und technologischen Fähigkeiten Russlands und die Entwicklung seines Verteidigungs- und Sicherheitssektors ab. Zu den Gütern, deren Ausfuhr nun eingeschränkt ist, gehören deshalb chemische Substanzen, Nervenkampfstoffe und bestimmte Güter, die für unmenschliche Behandlungen verwendet werden. Darüber hinaus erweitert das achte Sanktionspaket die Exportbeschränkungen, die auf den Industriesektor insgesamt und speziell die Luftfahrtindustrie abzielen. Zu den neu verabschiedeten Maßnahmen gehört auch ein Verbot des Verkaufs, der Lieferung, der Weitergabe oder der Ausfuhr von Feuerwaffen, deren Teilen und wesentlichen Komponenten sowie von Munition (Art. 2aa Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 n.F.).

D. Zusätzliche Beschränkungen für Dienstleistungen und Aktivitäten in russischen Staatsbetrieben

Durch die Ausweitung des Verbots von Transaktionen mit bestimmten russischen staatseigenen oder staatlich kontrollierten juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen führen die neuen Maßnahmen ein generelles Verbot für EU-Bürger ein, ab dem 22. Oktober 2022 ein Amt in den jeweiligen Leitungsorganen dieser Einrichtungen innezuhaben (Art. 5aa Abs. 1a der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 n.F.).

Auch das Verbot der Erbringung bestimmter Dienstleistungen für Russland wird ausgeweitet. Dazu gehören u.a. Rechtsberatungsleistungen für die russische Regierung, juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen mit Sitz in Russland, insbesondere in nicht streitigen Angelegenheiten wie Handelsgeschäften. Die rechtliche Vertretung und die damit verbundene Beratung in Bezug auf offizielle Verfahren ist gemäß der geänderten Fassung von Art. 5n der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 ausgenommen, siehe auch Erwägungsgrund (19) der Verordnung (EU) 2022/1904. Wie bei dem bestehenden Verbot bestimmter Dienstleistungen ist die Erbringung von Dienstleistungen nicht verboten, wenn sie für die ausschließliche Nutzung durch in Russland niedergelassene juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen bestimmt sind, die im Eigentum einer juristischen Person, Organisation oder Einrichtung stehen, die nach dem Recht eines EU-Mitgliedstaates, eines Mitgliedstaates des Europäischen Wirtschaftsraums, der Schweiz oder eines Partnerlandes gegründet wurde oder von dieser Person, Organisation oder Einrichtung allein oder gemeinsam kontrolliert wird, Art. 5n Abs. 7 der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 n.F. Ebenfalls neu aufgenommen wurde das Verbot der Erbringung von IT-Beratungsdienstleistungen an die oben genannten Empfänger. Gemäß Erwägungsgrund (19) der Verordnung (EU) 2022/1904 handelt es sich dabei um „Beratungsdienstleistungen im Zusammenhang mit der Installation von Computerhardware, Unterstützungsleistungen für Kunden bei der Installation von Computerhardware (d.h. physische Ausrüstung) und Computernetzen sowie Softwareimplementierungsdienste einschließlich aller Dienstleistungen, die Beratungsdienstleistungen zur Entwicklung und Implementierung von Software umfassen.“

E. Neue Ausnahmen

Die Änderungen der bestehenden Sanktionsvorschriften bringen auch weitere Ausnahmen von bestehenden Verboten mit sich. Unter anderem wurden Widersprüche aufgelöst, bei denen Ausnahmen vom Transaktionsverbot des Art. 5aa der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 wegen des Verbots, den entsprechenden Einrichtungen gemäß Art. 2 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 269/2014 Gelder und wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung zu stellen, nicht genutzt werden konnten. Siehe Art. 6b Abs. 4 der Verordnung (EU) Nr. 269/2014 n.F.

F. Erweiterte Sanktionslisten

Wie in den vorangegangenen Änderungen wird auch durch das achte Sanktionspaket die Liste der Finanzsanktionen um natürliche und juristische Personen erweitert. Dies steht im Zusammenhang mit der anhaltenden Eskalation des Krieges in der Ukraine durch die russische Seite, insbesondere der Massenmobilisierung, der illegalen Annexion ukrainischer Territorien und der Drohung mit dem Einsatz von Massenvernichtungswaffen. So umfasst die Liste nun Personen, die für die Organisation der illegalen Referenden verantwortlich sind, „Offizielle“ der annektierten Gebiete, Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums und Unternehmen des Militärsektors. Siehe Art. 1 i.V.m. dem Anhang der Durchführungsverordnung (EU) 2022/1906 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 269/2014 für eine Übersicht der neu gelisteten Personen und Organisationen.

G. Umgehung von Sanktionen

Schließlich wird eine neue Kategorie für die Verhängung von Finanzsanktionen hinzugefügt. Dazu gehören natürliche oder juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen, die Verstöße gegen das Verbot der Umgehung von Sanktionen erleichtern. Gemäß dem neu eingefügten Art. 3 Abs. 1 (h) der Verordnung (EU) Nr. 269/2014 werden als Bezugspunkte u.a. die Verordnung (EU) Nr. 833/2014 und die Verordnung (EU) Nr. 269/2014 genannt. Dass ein zunehmend stärkere Fokus auf der Verhinderung von Sanktionsumgehungen liegt, zeigte sich bereits im am 21. Juli 2022 verabschiedete Paket zur Aufrechterhaltung und Anpassung von Sanktionen, mit dem sektorspezifisch Umgehungsverbote verschärft wurden. Diesen Weg verfolgt die EU mit der auch systematisch neuen Regelung nun weiter.

Zusammenfassung und Bewertung

Von den neu beschlossenen Maßnahmen wird die Preisobergrenze für russisches Öl voraussichtlich die größten Auswirkungen haben. Die relativ hohen Preise für Rohöl haben trotz geringerer Exportmengen weiterhin zu einem stetigen Einnahmenfluss für Russland beigetragen und damit die Kriegshandlungen Russlands in der Ukraine unterstützt. Mit dem sechsten Sanktionspaket, das am 3. Juni 2022 verabschiedet wurde, verhängte die EU bereits ein Einfuhrverbot für Rohöl und Erdölprodukte auf dem Seeweg, das auf Russlands wichtigste Exportgüter abzielt. Durch die Einführung einer Preisobergrenze für Öl, die durch die Beschränkung des Seetransports in Drittländer und der damit verbundenen Dienstleistungen durchgesetzt wird, weitet die EU die geografische und persönliche Wirkung der Sanktionsregelung in Bezug auf den Ölverkauf in der Praxis aus. Die tatsächliche Höhe der Preisobergrenze muss jedoch noch festgelegt werden. Zur Erzielung einer endgültigen Einigung über die genaue Höhe der Preisobergrenze sind erhebliche politische Unterschiede zwischen den EU-Mitgliedstaaten zu überwinden. Die Entscheidung, zunächst den rechtlichen Rahmen einzuführen, dürfte in erheblichem Maße zur Beschleunigung der Verabschiedung des neuen Sanktionspakets beigetragen haben.

Eine damit verbundene Debatte betrifft eine vorübergehende Preisobergrenze für russisches Gas, wie von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vorgeschlagen. Nach Medienberichten hat diese Idee bisher noch keinen Konsens unter den EU-Mitgliedstaaten gefunden.

Im Vergleich zur Preisobergrenze für russisches Öl werden andere neu eingeführte Handelsbeschränkungen in einem breiten Kontext voraussichtlich weniger bedeutende Auswirkungen haben. Soweit der russischen Wirtschaft durch die Einführung neuer Einfuhrverbote beispielsweise Einnahmen in Höhe von 7 Mrd. EUR entgehen, muss dies vor dem Hintergrund des gesamten Exportvolumens bewertet werden, das im Jahr 2021 fast 500 Mrd. USD betrug. Innerhalb der Branchen, die unmittelbar von den Einfuhrverboten oder Ausfuhrbeschränkungen betroffen sind, werden die neu beschlossenen Maßnahmen jedoch spürbare Auswirkungen haben.

Die Tatsache, dass erneut Ausnahmetatbestände eingeführt wurden, unterstreicht die Komplexität des EU-Sanktionsregimes. Im Gegensatz zu anderen Rechtsordnungen erfordern Ausnahmegenehmigungen eine exakte Rechtsgrundlage und müssen daher in den Verordnungen unmittelbar und möglichst detailliert dargestellt werden. In Situationen wie der aktuell vorliegenden, in der Verordnungen schnell ausgearbeitet und verabschiedet werden müssen, können Sachverhalte, die Ausnahmen erfordern, leicht übersehen werden und müssen daher nachträglich aufgenommen werden. Dies bringt naturgemäß schmerzhafte Verzögerungen für diejenigen mit sich, die auf Ausnahmegenehmigungen angewiesen sind.

Was die Finanzsanktionen betrifft, so stellt die Einbeziehungen von Personen, die die Sanktionen umgehen, die wichtigste Änderung dar. Die Einführung dieses Anknüpfungspunktes für Sanktionierungen dürfte als erster Schritt der EU in Richtung Sekundärsanktionen verstanden werden. In Anbetracht der vom Europäischen Gerichtshof bestätigten bisherigen Auffassung der EU, dass sekundäre oder extraterritoriale Sanktionen, wie sie von den Vereinigten Staaten verhängt werden, mit den Grundprinzipien des Völkerrechts unvereinbar sind, wird dieser Schritt sicherlich aufmerksam verfolgt werden.