Deutsche, britische und australische Wettbewerbsbehörden rufen zu einer rigorosen Durchsetzung der Fusionskontrolle auf
Das Bundeskartellamt sowie die britische und australische Wettbewerbsbehörde haben am 20. April 2021 eine an Unternehmen, Berater, Gerichte und Regierungen gerichtete gemeinsame Erklärung abgegeben. In dieser Erklärung sprechen sie sich für eine rigorose und wirkungsvolle Durchsetzung der Fusionskontrolle weltweit aus und erläutern, dass die konsequente Durchsetzung der Schlüssel zum Erhalt von Wettbewerb und Vielfalt zu Gunsten von Verbrauchern sei, insbesondere in einer sich schnell entwickelnden digitalen Welt.
Was sind die wichtigsten Botschaften?
Die Fusionskontrolle bleibt eines der wirkungsvollsten Instrumente für Wettbewerbsbehörden: Wettbewerb erhöht das Verbrauchervertrauen in die Märkte, sorgt für das Funktionieren von Marktwirtschaften und fördert den wirtschaftlichen Wohlstand. Die Fusionskontrolle verhindert, dass der Wettbewerb durch Marktkonzentration behindert wird und wettbewerbsbeschränkende Situationen entstehen. „Besonders in der Digitalwirtschaft sind viele Märkte bereits heute stark konzentriert. Weitere Übernahmen und Fusionen können einen Markt zum Kippen bringen oder Ökosysteme schaffen, die für Wettbewerber fast unangreifbar sind. Deshalb ist eine stringente Kontrolle unverzichtbar,“ so Andreas Mundt (Präsident des Bundeskartellamts).
Die Behörden regen eine verstärkte Durchsetzung in Form von Untersagungen oder Auflagen an: Wettbewerbsbehörden begegnen bei der Prüfung von Zusammenschlussvorhaben einer Reihe von Herausforderungen – manche bestehen bereits seit Langem und sind bekannt, andere sind erst in jüngerer Zeit aufgetreten. In der gemeinsamen Erklärung finden insbesondere zwei wesentliche Herausforderungen Erwähnung, nämlich:
- die der Fusionskontrolle inhärente Unsicherheit, da es sich um einen zukunftsorientierten Prozess handelt und die Wettbewerbsbehörden künftige Marktentwicklungen anhand der gegenwärtig verfügbaren Informationen bewerten müssen; und
- die zunehmende Komplexität einiger Zusammenschlussvorhaben aufgrund der Anzahl der betroffenen Märkte (da der Tätigkeitsbereich von beteiligten großen Unternehmen oftmals ein breites Produkt- und Dienstleistungsspektrum umfasst) und der Dynamik einiger Märkte wie z.B. Technologiemärkte. Während Technologiemärkte oft als hochdynamisch und wandelbar wahrgenommen werden, heben die Behörden in der Erklärung hervor, dass Technologiemärkte hoch konzentriert sein können und hohe Marktzutrittsschranken bilden können.
Ungeachtet dieser Herausforderungen werden Wettbewerbsbehörden weltweit in der Erklärung dazu ermutigt, den Wettbewerb zu schützen, um sicherzustellen, dass Verbraucherinteressen den Gewinnen der sich zusammen schließenden Unternehmen vorangestellt werden. Insbesondere sollen sie
- die von Zusammenschlussbeteiligten oftmals vorgebrachte Vermutung, dass Zusammenschlüsse grundsätzlich effizienzfördernd wirken, vermehrt in Frage stellen und nicht standardmäßig eine Freigabe erteilen; sondern stattdessen
- rigoroser Auflagen verhängen, hier strukturelle Auflagen eher als Verhaltensauflagen – oder Zusammenschlüsse untersagen, selbst dann, wenn ein gewisses Maß an Unsicherheit bleibt.
Einer der Gründe für diesen Aufruf zur stringenteren Prüfung ist die gemeinsame Erfahrung der drei Behörden, wonach die beteiligten Unternehmen, beraten von Rechtsanwälten und Wirtschaftswissenschaftlern, die angeblich mit Zusammenschlüssen verbundenen Effizienzgewinne und deren positive Auswirkungen auf den Wettbewerb auf den Märkten offenbar häufig zu hoch bewerten. In diesem Zusammenhang bekräftigen die Behörden noch einmal die allgemein bekannte Präferenz für strukturelle Auflagen gegenüber Verhaltensauflagen – ein wesentlicher Grundsatz, der über die letzten Jahre in technologiebezogenen Transaktionen wie Facebook/WhatsApp oder Google/Fitbit schwierig anzuwenden war.
Schließlich raten die Behörden in der gemeinsamen Erklärung davon ab, Covid-19 als Argument für eine Lockerung der Fusionskontrollstandards zu akzeptieren. Die Fusionskontrolle sollte sich demnach weiterhin auf die langfristigen Folgen konzentrieren und nicht (übermäßig) auf kurzfristige Markteigenschaften.
Ergebnis
Insgesamt deutet die gemeinsame Erklärung darauf hin, dass hohe Konzentrationsniveaus nicht als der neue Normalzustand akzeptiert werden und künftig eine kritischere Prüfung von Zusammenschlussvorhaben erfolgen wird.
Offensichtlich wollten die Behörden eine starke Erklärung abgeben, indem sie sowohl (i) eine Verschiebung hin zu einer kritischeren und skeptischeren Prüfung von Zusammenschlussvorhaben befürworten als auch (ii) strengere (strukturelle) Auflagen oder sogar die Untersagung von Zusammenschlussvorhaben, wenn ein Zusammenschluss zu langfristigen strukturellen Veränderungen und einem Wettbewerbsverlust führen könnte. Es bleibt abzuwarten, ob dies in der Praxis tatsächlich zu einer Veränderung führen wird.
Erst kürzlich urteilte das Gericht der Europäischen Union in seiner wegweisenden Entscheidung Telecoms UK Investments / Kommission, dass die Europäische Kommission nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt habe, dass das Zusammenschlussvorhaben eine erhebliche Behinderung des wirksamen Wettbewerbs bedeute. Das Urteil steht somit im Widerspruch zu dem erklärten Ziel der gemeinsamen Erklärung. Zwar ist das Urteil des EuG für die nationalen Wettbewerbsbehörden in Deutschland, im UK und in Australien in keiner Weise bindend. Doch es zeigt die Schwierigkeiten, denen Wettbewerbsbehörden im Umgang mit komplexen Schadenstheorien und der Angemessenheit von Auflagen begegnen.
In Bezug auf Auflagen plädieren die drei Wettbewerbsbehörden zudem für mehr strukturelle Auflagen, doch die jüngere Geschichte zeigt gerade einen Anstieg bei Verhaltensauflagen bei großen Tech-Transaktionen. Obgleich strukturelle Auflagen seit Langem als Standard bei Zusammenschlussvorhaben betreffend herkömmliche Branchen akzeptiert sind (dem Bundeskartellamt ist es rechtlich nicht einmal möglich, langfristige Verhaltensauflagen zu akzeptieren), wird in den großen Zusammenschlüssen in der Tech-Industrie oft auch mit verhaltensbezogenen Auflagen gearbeitet. Beispiele sind hier z.B. Facebook/WhatsApp und Google/Fitbit.
Zusammenschlussbeteiligte, insbesondere in dynamischen, sich rasant entwickelnden Märkten sind gut beraten, sicherzustellen, dass in ihren Anmeldungen bei den Behörden die Eigenschaften des Marktes und ihres digitalen Geschäftsmodells zutreffend erfassen. Sie sollten zudem eine skeptische Überprüfung von Effizienzaussagen durch die Behörden sowie mögliche Einwände ihrer Wettbewerber und Kunden in Bezug auf den angestrebten Zusammenschluss antizipieren.