Corona-Krise am Kapitalmarkt - Was jetzt zu prüfen ist
***** Update vom 26.03.2020 - 12.00 Uhr: Informationen der BaFin zum Umgang mit ad-hoc-Pflichten nach Art. 17 Abs. 1 MMVO in der Corona-Krise*****
Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hat auf ihrer Homepage am 20. März 2020 einen Katalog von FAQs veröffentlicht, in dem sie im Kontext der Covid-19-Pandemie zur Veröffentlichungspflicht von Insiderinformationen nach Art. 17 Abs. 1 der Marktmissbrauchsverordnung (VO (EU) Nr. 596/2014 vom 16. April 2014 – MMVO) Stellung nimmt (siehe bereits unten).
I. Verlegung der Hauptversammlung: Ad-hoc-pflichtige Insiderinformation?
Die jüngsten Ereignisse stellen die Gesellschaften vor große Herausforderungen im Hinblick auf Hauptversammlungen. Die BaFin adressiert die Frage, ob eine ad-hoc-pflichtige Insiderinformation vorliegen kann, wenn die Hauptversammlung verlegt wird:
- Allein die zeitliche Verschiebung des Dividendenzahlungsbeschlusses infolge der Verlegung der Hauptversammlung stellt im Hinblick auf die vom jeweiligen Emittenten ausgegebenen Aktien mangels erheblichen Kursbeeinflussungspotenzials keine ad-hoc-pflichtige Insiderinformation dar. Anders kann es dagegen bei Derivaten liegen, die auf diese Aktien bezogen sind.
- Eine Insiderinformation kann dagegen vorliegen, wenn sich die Corona-Krise nicht nur auf den Zeitpunkt des Auszahlungsbeschlusses auswirkt, sondern auch auf die (geplante) Höhe der Dividendenzahlung, insbesondere wenn es zum Zeitpunkt der Verschiebung der Hauptversammlung bereits überwiegend wahrscheinlich ist, dass es zu einer erheblichen Dividendenkürzung kommen wird.
- Zudem kann eine Insiderinformation vorliegen, wenn für bestimmte Beschlussgegenstände der jeweilige Zeitpunkt von besonderer Bedeutung ist. So kann beispielsweise die Verschiebung einer Beschlussfassung über dringend benötigtes Kapital, einen Unternehmensvertrag, oder die Zustimmung der Hauptversammlung zu der Zahlung an die außenstehenden Aktionäre bei einem Squeeze-out erhebliche Auswirkungen auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Emittenten haben.
II. Prognoseänderungen als Insiderinformationen und „aus dem Markt nehmen“ einer überholten Prognose
Grundsätzlich gilt, dass Prognosen Insiderinformationen sein können, wenn sie aufgrund konkreter Anhaltspunkte für den weiteren Geschäftsverlauf erstellt worden sind und spezifisch genug sind, um einen Schluss auf die mögliche Auswirkung dieser Prognose auf den Kurs des entsprechenden Finanzinstruments zuzulassen. Eine Prognose hat in der Regel erhebliches Kursbeeinflussungspotential, wenn sie von der Markterwartung – oder bei Fehlen einer solchen – von den zurückliegenden, Geschäftsergebnissen deutlich abweicht. Die BaFin konkretisiert mit Blick auf die Corona-Krise:
- Eine etwaige Prognoseänderung ist erst bei hinreichender Wahrscheinlichkeit zu veröffentlichen. Sollten die Auswirkungen des Corona-Virus noch nicht vorhersehbar sein, kann der Emittent an seiner alten Prognose festhalten. Nicht erforderlich ist dagegen, dass die exakten Auswirkungen auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage bereits vollständig bestimmbar seien.
- Kommt der Emittent zu dem Ergebnis, dass eine bestehende Prognose mit hinreichender Wahrscheinlichkeit deutlich verfehlt wird, ist vom Vorliegen einer Insiderinformation auszugehen, selbst wenn er bislang keine konkrete neue Prognose abgeben kann. In diesem Fall ist es zulässig, dass bis auf weiteres lediglich die alte Prognose mittels einer Ad-hoc-Mitteilung „aus dem Markt genommen“ werde, ohne dass darin bereits eine konkrete neue Prognose angegeben werde.
- Hat der Emittent seine alte Prognose zurückgezogen und formuliert zu einem späteren Zeitpunkt eine konkrete neue Prognose, ist diese in der Regel unverzüglich per Ad-hoc-Mitteilung zu veröffentlichen.
III. Beurteilung von Geschäftszahlen als Insiderinformationen bei volatilen Märkten
Besondere Herausforderungen bei der Bestimmung von ad-hoc-Pflichten stellen sich aufgrund der derzeit starken Kursschwankungen auch im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal „Kursbeeinflussungspotential“. Hierzu äußert sich die BaFin im Kontext von Quartalszahlen:
- Angesichts der erhöhten Volatilität können an den Maßstab, was als „deutliche“ Abweichung von Benchmarks anzusehen ist, im Einzelfall erhöhte Anforderungen gestellt werden.
- Die Kurserheblichkeit ist auf Grundlage einer ex-ante-Prognose vorzunehmen. Eine starke Kursschwankung im Nachgang der Veröffentlichung von Geschäftszahlen führt nicht dazu, dass die Information automatisch als kurserheblich einzustufen ist.
IV. Ausnahmsweise Nichtberücksichtigung bestimmter Analystenschätzungen bei bestehender „Consensusschätzung“
Die Kurserheblichkeit bei der Veröffentlichung von Geschäftszahlen ist zu bejahen, wenn die in Rede stehende Information wesentlich von der relevanten Bezugsgröße abweicht. Diese wird (soweit nötig) in einem dreistufigen Verfahren ermittelt: (i) Zunächst wird die eigene veröffentlichte Prognose des Emittenten herangezogen. Fehlt eine Prognose oder ist sie so vage/unkonkret, dass ein Vergleich mit den Geschäftszahlen zum Zwecke der Beurteilung des Kursbeeinflussungspotenzials nicht möglich ist, ist (ii) auf die jeweilige quantitativ nachvollziehbare Markterwartung abzustellen. Lässt sich auch eine solche Markerwartung nicht ermitteln, so ist schließlich (iii) auf die Geschäftszahlen des vergleichbaren Vorjahreszeitraums abzustellen.
- Die BaFin ermittelt die Markterwartung, indem sie den Mittelwert der einschlägigen Analystenschätzungen heranzieht. Bei dieser Consensusschätzung sind Bereinigungen um etwaige Ausreißer grundsätzlich nicht zulässig.
- Ausnahmsweise ist es vor dem Hintergrund der derzeitigen Auswirkungen des Corona-Virus im Einzelfall vertretbar, eine Bereinigung der bestehenden Consensusschätzung um offensichtlich alte, die aktuelle Situation nicht berücksichtigende Schätzungen in geeigneter, objektiv nachvollziehbarer Weise, etwa durch Heranziehung aktueller Presseberichterstattung, vorzunehmen.
- Da es im Einzelfall schwierig sein kann, den Mittelwert zu bestimmen, etwa weil zu wenig Schätzungen vorhanden sind, bleibt die Ermittlung der Markterwartung bei plausibler Herleitung auf anderem Wege zulässig.
***** Update vom 18.03.2020 - 19.00 Uhr: Auswirkungen auf die Vorbereitung von öffentlichen Übernahmeangeboten und anderen Transaktionen *****
Die Corona-Krise hat auch Auswirkungen auf die Vorbereitung von öffentlichen Übernahmeangeboten und anderen Transaktionen; hier sollte die Aufnahme einer sog. MAC-Klausel in Betracht gezogen werden (hierzu nachfolgend unter 1.). Wer durch Leerverkäufe auf (weiter) fallende Aktienkurse setzt, muss die Maßnahmen der ESMA und der nationalen Aufsichtsbehörden im Hinblick auf Leerverkäufe beachten (hierzu nachfolgend unter 2.). Sofern die ordentliche Hauptversammlung im Zusammenhang mit der Corona-Krise in diesem Jahr verschoben wird, stellt sich die Frage, ob dies eine Ad-hoc Publizitätspflicht auslösen kann. Siehe hierzu den Artikel in dem Abschnitt zur Hauptversammlung 2020.
1. Öffentliche Übernahmeangebote nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz
Wie bei anderen M&A-Transaktionen, ist auch bei öffentlichen Übernahmen nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz („WpÜG“) eine Aufnahme von sog. MAC (Material Adverse Change)-Klauseln erwägenswert. Bei freiwilligen öffentlichen Übernahmeangeboten nach dem WpÜG kann der Bieter frei darüber entscheiden, ob er sein Angebot vom Eintritt bestimmter Bedingungen abhängig macht, solange es sich nicht um Bedingungen handelt, deren Eintritt der Bieter selbst beeinflussen kann. Demgegenüber scheiden Bedingungen bei öffentlichen Pflicht- und Delistingangeboten wegen der gesetzlich vorgegebenen Bedingungsfeindlichkeit per se aus.
Mit MAC-Klauseln kann der Bieter verhindern, dass das Übernahmeangebot bei Eintritt oder Bekanntwerden wesentlicher nachteiliger Umstände im Hinblick auf den Markt oder die Zielgesellschaft vollzogen werden muss. Zwar stellen solche MAC-Klauseln nicht den Regelfall bei öffentlichen Übernahmeangeboten dar. Gleichwohl kamen derartige Klauseln zuletzt auch bei mittel- bis großvolumigen Übernahmeangeboten zum Einsatz, etwa bei den Übernahmeangeboten an die Aktionäre der PNE AG, Axel Springer SE, Scout24 AG, VTG Aktiengesellschaft, Grammer AG und der innogy SE. Nach der Verwaltungspraxis der BaFin müssen MAC-Klauseln bis zum Ende der Annahmefrist eingetreten sein, deren Länge der Bieter grundsätzlich nach freiem Ermessen auf mindestens vier und maximal zehn Wochen festlegen kann. Insbesondere bei längeren Annahmefristen dürfte die Aufnahme von MAC-Klauseln aufgrund der anhaltenden Unsicherheiten im Hinblick auf die Entwicklung der wirtschaftlichen Lage durch den Coronavirus daher eine interessante Option für Bieter sein.
Im Zusammenhang mit den möglichen Auswirkungen des Coronavirus auf Zielgesellschaft kommen die folgenden MAC-Klauseln in Betracht:
- Keine wesentliche Verschlechterung des Marktumfeldes (sog. Market-MAC), wie z.B. keine Handelsaussetzung an der Frankfurter Wertpapierbörse oder keine Unterschreitung einer bestimmten Punktzahl eines Aktienindex, z.B. des DAX oder eines anderen geeigneten Index;
- Keine wesentliche Verschlechterung der Zielgesellschaft (sog. Business oder Company MAC), wie z.B. der Veröffentlichung einer Insiderinformation durch die Zielgesellschaft oder der Eintritt von Umständen, die von der Zielgesellschaft als Insiderinformation hätten veröffentlicht werden müssen bzw. hinsichtlich derer die Zielgesellschaft entschieden hat, die Veröffentlichung aufzuschieben.
Bei der Ausgestaltung der MAC-Klauseln ist insbesondere auf deren Bestimmtheit zu beachten, z.B. bei der Definition der relevanten Bezugsgröße im Rahmen einer Business MAC, wie etwa das EBITDA. Die BaFin verlangt zudem, dass bei Beurteilung der vorstehenden Business MAC ein unabhängiger Gutachter eingesetzt wird, der den Eintritt der wesentlichen Verschlechterung gutachterlich bestätigt. Vor diesem Hintergrund weisen insbesondere die Business MAC-Klauseln regelmäßig eine besondere Komplexität auf.
2. Leerverkäufe
Die ESMA hat am 16. März 2020 die Meldeschwelle für Netto-Leerverkaufspositionen von 0,2% auf 0,1% abgesenkt. Damit soll den nationalen Aufsichtsbehörden ermöglicht werden, die Leerverkaufspositionen im Markt rascher zu erkennen und gegebenenfalls reagieren zu können. Einzelne Aufsichtsbehörden (etwa in Italien, Frankreich und Spanien) haben bereits Leerverkaufsverbote erlassen, um ein weiteres bzw. beschleunigtes Absinken der Aktienkurse durch Leerverkäufe zu vermeiden. Die ESMA hat die Maßnahmen der italienischen CONSOB und der spanischen CNMV begrüßt.
***** News vom 09.03.2020 *****
Die Corona Krise hat den Kapitalmarkt mit voller Wucht erreicht. Die Unternehmen müssen nicht nur die erheblichen Herausforderungen meistern, die das Coronavirus an ihr operatives Geschäft stellt, sondern auch ihre kapitalmarktrechtlichen Transparenzpflichten im Zusammenhang mit dem Coronavirus prüfen (hierzu nachfolgend unter 1.) sowie ihre Kapitalmarktkommunikation auf den Prüfstand stellen (hierzu nachfolgend unter 2.). Nicht zuletzt ist das Coronavirus auch bei der Emission von Wertpapieren zu beachten (hierzu nachfolgend unter 3.). Während die amerikanische Kapitalmarktaufsicht SEC den US-Emittenten Guidance für den Umgang mit der Krise zur Verfügung stellte, hat die BaFin bislang keine derartigen Leitlinien veröffentlicht. Vor diesem Hintergrund sollen die nachfolgenden Guidelines eine erste Hilfestellung geben.
1. Ad hoc-Publizität gemäß Art. 17 Abs. 1 der Marktmissbrauchsverordnung
Emittenten können aufgrund der Auswirkungen des Coronavirus zur Veröffentlichung einer oder mehrerer Ad hoc-Mitteilungen nach Art. 17 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung – „MMVO“) verpflichtet sein. In diesem Zusammenhang können etwa die folgenden Umstände zu einer Ad hoc-Pflicht führen:
1.1 Auswirkungen auf die Geschäftstätigkeit
Beispielsweise kann es zu „bedeutenden Geschäftsvorfälle“ kommen, die das Vorliegen einer Insiderinformation begründen. Dies gilt etwa im Falle von negativen Beeinträchtigungen der Produktion. Ein naheliegender Fall ist, wenn das Unternehmen selbst substantiell betroffen ist und die Produktion oder Geschäftstätigkeit in wesentlichen Bereichen einstellen muss. Einzelne Krankheitsfälle reichen dafür nicht aus. Personalengpässe, z.B. durch Quarantänezeiten oder die Erkrankungen von zahlreichen Mitarbeitern, können aber zu kursrelevanten Produktionsengpässen oder -ausfällen führen. Dies gilt erst recht für etwaige gesundheitspolizeiliche Schließungen von wesentlichen Produktionsanlagen bzw. -betrieben. Daneben können aber auch Umstände relevant sein, die außerhalb des unmittelbaren Tätigkeitsbereichs des Emittenten eintreten. Das betrifft insbesondere Gesellschaften, die für die eigene Produktion in erheblichem Maße auf Zulieferungen aus Regionen mit einer hohen Verbreitung des Coronavirus angewiesen sind. Diese Gesellschaften müssen prüfen, inwieweit eine Beeinträchtigung der Lieferketten zu befürchten ist und ob dies kursrelevante Folgen für die eigene Produktion haben kann.
Das Vorliegen einer Insiderinformation kann sich auch aus einer allgemein negativen Geschäftsentwicklung ergeben, z.B. durch einen erheblichen Umsatzrückgang aufgrund des zurückhaltenden Konsumverhaltes von Verbrauchern. Laut einer gemeinsamen Umfrage der deutschen und der europäischen Außenhandelskammer unter ihren Mitgliedsunternehmen in China erwarten fast 90 Prozent der Mitglieder "mittelschwere bis starke Auswirkungen" durch das Coronavirus. Fast jedes zweite Unternehmen erwartet zudem Umsatzeinbrüche im niedrigen zweistelligen Bereich. Auch wenn noch offen ist, ob und in welchem Umfang das Coronavirus auch unmittelbare Auswirkungen auf den deutschen Absatzmarkt hat, sollten ad hoc-pflichtige Gesellschaften die Entwicklung des Umsatzes (wie auch die Entwicklung anderer maßgeblicher Geschäftszahlen) sorgfältig beobachten. Bereits bei absehbaren Abweichungen von der Markterwartung ist eine Ad hoc-Pflicht zu prüfen. Eine solche Offenlegungspflicht kommt insbesondere dann in Betracht, wenn die erwartete Abweichung bei der Geschäftsentwicklung eine Prognoseanpassung erforderlich macht.
Sofern ein Unternehmen wie beschrieben von der Corona-Krise betroffen ist und die Auswirkungen auf das Unternehmen nicht öffentlich bekannt sind, kann sich das Unternehmen nicht darauf berufen, dass angesichts der allgemeinen Diskussionen über die Krise auch die spezifische Betroffenheit des eigenen Unternehmens öffentlich bekannt ist und daher nicht mehr als Insiderinformation gilt. Insofern gilt dasselbe wie z.B. bei Zinsänderungen durch die Zentralbank oder anderen Marktentwicklungen: Zu prüfen sind die spezifischen Auswirkungen auf das eigene Unternehmen, unabhängig davon, dass die Marktentwicklung an sich öffentlich bekannt ist.
Soweit die Insiderinformation darin begründet ist, dass die ad hoc-pflichtige Gesellschaft ihre zuvor veröffentlichte Prognose anpassen muss, kommt ein Aufschub der Veröffentlichung gemäß Art. 17 Abs. 4 MMVO in aller Regel nicht in Betracht. Dies ergibt sich aus den Leitlinien der europäischen Wertpapieraufsichtsbehörde (European Securities and Markets Authority – „ESMA“) über den Aufschub der Offenlegung von Insiderinformationen, zu deren Anwendung sich auch die BaFin verpflichtet hat.
1.2 Erkrankung oder Ausfall von Führungskräften
Auch Informationen über die Erkrankungen bzw. den (dauerhaften) Ausfall von Führungskräften durch das Coronavirus können eine Insiderinformation darstellen. Ob dies im konkreten Einzelfall so ist, hängt von der Schwere und Dauer der Erkrankung und der Bedeutung der jeweiligen Person für die Erträge oder die strategische Ausrichtung des Unternehmens ab. Grundsätzlich kommt das Vorliegen einer Insiderinformation nicht nur bei der Erkrankung von Organmitgliedern in einer Schlüsselposition in Betracht. Auch die Erkrankung anderer „Schlüsselfiguren“ kann relevant sein, d.h. von Personen, die maßgeblich auf den Geschäftsverlauf einwirken.
Anders als bei der Geschäftsentwicklung ist der Aufschub der Veröffentlichung bei der Erkrankung einer Füh-rungskraft grundsätzlich denkbar. Dies ergibt sich aus den Vorgaben der europäischen Grundrechtscharta („GRCh“). Das in Artt. 7 und 8 GRCh kodifizierte Persönlichkeitsrecht schützt die Betroffenen unter anderem vor der Veröffentlichung personenbezogener Daten, zu denen auch Angaben über den Gesundheitszustand gehören. Der mit einer Veröffentlichung des Gesundheitszustands verbundene Eingriff in das Persönlichkeitsrecht kann aber gerechtfertigt sein. Das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen hat keinen absoluten Vorrang gegenüber der Ad hoc-Publizität. Ad hoc-pflichtige Unternehmen müssen daher eine Abwägung zwischen den Grundrechten der betroffenen Person und dem Informationsinteresse des Kapitalmarkts vornehmen.
2. Regelpublizität und Investor Relations-Arbeit
Neben der Ad hoc-Publizität, die nur bei kursrelevanten Informationen eingreift, müssen börsennotierte Unternehmen die sich durch das Coronavirus ändernden Bedingungen auch bei der Regelpublizität beachten. Kapitalmarktorientierte Unternehmen müssen in ihren jährlichen Geschäftsberichten auch einen Lagebericht veröffentlichen. Dieser enthält zwingend auch Aussagen über die wesentlichen Chancen und Risiken für die zukünftige Geschäftsentwicklung. Dasselbe gilt für die Halbjahresfinanzberichte.
- Ziel der Risikoberichterstattung ist es, der Kapitalmarktöffentlichkeit ein ausgewogenes Bild über das Risikoprofil der Gesellschaft zu vermitteln. Dafür müssen die wesentlichen Risiken nicht nur dargestellt, sondern in ihrer Bedeutung auch transparent gemachen und klassifiziert werden. Welche Auswirkungen das Coronavirus auf die künftige Geschäftsentwicklung hat, hängt stark von der jeweiligen Geschäftstätigkeit ab. Die Intensität der Berichterstattung ist daher einzelfallabhängig. Vielfach ist das diesbezügliche Risiko durch das allgemeine konjunkturelle Risiko umfasst. Das reicht aber nicht immer aus. Einzelne Unternehmen haben schon jetzt im Hinblick auf spezifische Auswirkungen, etwa auf ihre Absatzmärkte in China, das Coronarisko in ihren Risikoberichten explizit genannt.
- Ein weiterer Teil des Lageberichts ist der Prognosebericht. Im Prognosebericht muss die Geschäftsführung ihre Einschätzungen und Erwartungen über voraussichtliche Entwicklungen und Ereignisse erläutern und darstellen. Dabei sind öffentlich verfügbare Informationen zur Entwicklung der Gesamtwirtschaft und der Branche nur in dem Maße aufzunehmen, wie dies für das Verständnis der Aussagen zur voraussichtlichen Entwicklung des Unternehmens erforderlich ist. Dies gilt auch für die Auswirkungen durch das Coronavirus. Neben qualitativen Einschätzungen sind aber auch unternehmensspezifische quantitative Aussagen erforderlich. So müssen die Unternehmen in ihren Prognosen Aussagen zur erwarteten Veränderung der prognostizierten Leistungsindikatoren gegenüber dem entsprechenden Istwert des Berichtsjahres machen und dabei die Richtung und Intensität der Veränderung verdeutlichen. Hier ist aufgrund der Unsicherheiten im Zusammenhang mit dem Coronavirus in der laufenden Berichtssaison große Vorsicht geboten, um bei einer Verschlechterung der Verhältnisse in der Kapitalmarktkommunikation konsistent zu bleiben und Gewinnwarnungen zu vermeiden.
Neben der Ad hoc- und der Regelpublizität ist eine proaktive Investor Relations-Arbeit integraler Bestandteil der Kapitalmarktkommunikation. Aktien- und kapitalmarktrechtlich ist jede sonstige Art von Kommunikation mit Aktionären und Investoren zulässig, die dem Unternehmensinteresse dient, d.h. in der Regel Investoren an die Gesellschaft bindet und das Vertrauen des Marktes in die Gesellschaft stärkt. Investor Relations- und Public Relations-Arbeit gehen Hand in Hand. Ziel ist es, durch eine transparente und kontinuierliche Kommunikation auch in Krisenzeiten das fortlaufende Vertrauen der Anleger und Märkte aber auch der Geschäftspartner und Kunden zu sichern. Dabei ist es selbstverständlich (wenn auch nicht unumstritten in der juristischen Literatur), dass institutionelle Anleger und andere wesentliche Aktionäre im engeren Kontakt mit der Gesellschaft stehen und insofern einen privilegierten Informationszugang im Vergleich zu Kleinanlegern haben. Selbstverständlich ist eine Manipulation des Börsenkurses durch Fehlinformation des Marktes oder eine unrechtmäßige Offenlegung von Insiderinformationen verboten.
3. Emission von Wertpapieren
Schließlich können die Folgen des Coronavirus auch Auswirkungen auf die Prospekterstellung bei der Emission von Wertpapieren haben. Die Pflicht zur Veröffentlichung von Wertpapierprospekten folgt seit dem 21. Juli 2019 aus der neuen EU-Prospektverordnung (Verordnung (EU) 2017/1129 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 – „Prospektverordnung“), die in allen Mitgliedsstaaten des Europäischen Wirtschaftsraums als unmittelbar anwendbares Recht gilt. Sofern ein Unternehmen ein prospektpflichtiges öffentliches Angebot von Wertpapieren oder eine Zulassung von Wertpapieren zum Handel an einem geregelten Markt plant, kann eine Pflicht bestehen, das Coronavirus als sogenannten „Risikofaktor“ in den Wertpapierprospekt aufzunehmen (hierzu nachfolgend unter 3.1). Daneben können die Auswirkungen des Coronavirus noch in anderen Abschnitten des Prospekts zu erwähnen sein (hierzu nachfolgend unter 3.2). Haben Emittenten bereits einen Wertpapierprospekt veröffentlicht und das Angebot läuft noch, kann eine geänderte Risikoeinschätzung des Coronavirus eine Pflicht zur Veröffentlichung eines Prospektnachtrags auslösen (hierzu nachfolgend unter 3.3).
3.1 Coronavirus als Risikofaktor
Wertpapierprospekte müssen einen besonderen Abschnitt enthalten, in dem die mit der Anlageentscheidung verbundenen Risiken in sogenannten „Risikofaktoren“ einzeln dargestellt und erläutert werden. Für die Aufnahme solcher Risikofaktoren in einen Prospekt sieht die Prospektverordnung neue, strengere Anforderungen vor, die Emittenten zu beachten haben. Die ESMA hat in diesem Zusammenhang detaillierte Leitlinien erlassen. Das Coronarisiko, das in unterschiedlichem Umfang alle Emittenten betrifft, ist geradezu ein Schulbuchfall, an dem sich erläutern lässt, was eine umsichtige Risikodarstellung in Wertpapierprospekten ausmacht.
3.1.1 Spezifität und Wesentlichkeit des Risikofaktors
Nach den Vorstellungen der Prospektverordnung werden Risikofaktoren vor allem mit dem Ziel aufgenommen, dass die Anleger eine fundierte Bewertung der Risiken vornehmen und somit Anlageentscheidungen in voller Kenntnis der Sachlage treffen. Die Risikofaktoren sind daher auf solche Umstände zu beschränken, die wesentlich und für den Emittenten sowie die Wertpapiere spezifisch sind. Ein Prospekt darf keine Risikofaktoren enthalten, die allgemeiner Natur sind und nur dem Haftungsausschluss dienen. Die relevanten Risikofaktoren, die die Anleger kennen sollten, dürfen nämlich nicht in der Menge allgemeiner, unspezifischer Risikofaktoren untergehen. In der Praxis der BaFin ist zu beobachten, dass diese bei der Prüfung von Wertpapierprospekten ein besonderes Augenmerk auf die Spezifität und Wesentlichkeit der Risikofaktoren legt. Vor diesem Hintergrund ist die Formulierung der Risikofaktoren anspruchsvoll und komplex.
Mit Blick auf diese Praxis reicht es daher nicht aus, einen allgemeinen Risikofaktor über das Coronavirus und seine Auswirkungen auf das Gemeinwohl in den Wertpapierprospekt aufzunehmen. Zwar wird in der Prospektverordnung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass auch umwelt- und sozialpolitische Umstände – wie etwa das Coronavirus – einen Risikofaktor erforderlich machen können. Dies gilt aber nur dann, wenn das Coronavirus für den Emittenten oder dessen Wertpapiere ein spezifisches und wesentliches Risiko darstellt.
Ob das Coronavirus für den Emittenten oder dessen Wertpapiere ein wesentliches und spezifisches Risiko darstellt, hängt vom Einzelfall ab, insbesondere von der Art der Geschäftstätigkeit und von dem Geschäftsbereich, in dem das Unternehmens tätig ist. Eine Spezifität kann etwa vorliegen, wenn das Coronavirus negative Auswirkungen auf die Produktion haben kann, weil es zu Einschränkungen bei der Lieferung von Vorprodukten oder der Verfügbarkeit der Belegschaft kommen kann. Zudem kann es Probleme auf der Absatzseite geben, weil die Nachfrage für die vom Emittenten angebotenen Produkte oder Dienstleistungen einbricht. Auch mittelbare Beeinträchtigungen bei Lieferanten, Kunden oder den Finanzmärkte sind möglich. Schlägt die Krise beispielsweise auf die allgemeinen Finanzmärkte durch, können sich konkrete Risiken auf der Finanzierungsseite ergeben. Hierbei sind neben der Betroffenheit von Geschäftsaktivitäten des Unternehmens in Krisengebieten auch mögliche zukünftige Szenarien zu beachten. Die nachteiligen Auswirkungen des Coronavirus auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Emittenten müssen in jeden Fall konkret dargelegt werden.
Vor der Aufnahme eines Risikofaktors zum Coronavirus müssen daher die (möglichen) Auswirkungen des Coronavirus auf das Unternehmen und die Wertpapiere genau analysiert werden. Diese Auswirkungen sind in dem Risikofaktor konkret zu beschreiben. Keinesfalls reicht es aus, einen Risikofaktor zum Coronavirus aus einem bereits veröffentlichten Wertpapierprospekt eines anderen Emittenten zu kopieren und ohne Anpassung in einen Wertpapierprospekt einzufügen.
3.1.2 Kategorisierung und Einstufung des Risikofaktors
Sofern ein Risikofaktor zum Coronavirus in den Prospekt aufgenommen wird, muss dieser in eine der Katego-rien eingeordnet werden, die für die Risikofaktoren zu bilden sind. Nach der Prospektverordnung sind sämtli-che Risikofaktoren entsprechend der Beschaffenheit der Risiken in eine begrenzte Anzahl von Kategorien einzustufen. Die ESMA schlägt vor, eine Kategorie zu den umwelt- und sozialpolitischen Risiken zu bilden. In eine solche oder ähnliche Kategorie dürfte auch der Risikofaktor zum Coronavirus aufzunehmen sein. Gegebenenfalls sind mehrere Risikofaktoren aufnehmen, die die unterschiedlichen Aspekte erläutern.
Innerhalb einer Risikokategorie müssen zuerst die wesentlichsten Risikofaktoren dargestellt werden. Bei der Prospekterstellung muss der Emittent daher mit seinen Beratern die Wesentlichkeit der Risikofaktoren auf der Grundlage der Wahrscheinlichkeit ihres Eintretens und des zu erwartenden Umfangs ihrer negativen Auswirkungen analysieren. Auf dieser Grundlage ist der Risikofaktor zum Coronavirus mit anderen Risiken aus der jeweiligen Kategorie ins Verhältnis zu setzen. Gehört der Risikofaktor zum Coronavirus nach dieser Analyse zu den wesentlichsten Risiken innerhalb der Kategorie, ist er an prominenter Stelle einzuordnen. Zusätzlich kann die Beurteilung der Wesentlichkeit der Risikofaktoren durch Verwendung der Qualitätseinteilungen „gering“, „mittel“ oder „hoch“ in Bezug auf die Wahrscheinlichkeit ihres Eintretens und des zu erwartenden Umfangs ihrer negativen Auswirkungen offengelegt werden. Hierzu ist der Emittent aber nicht verpflichtet. Die Wesentlichkeit eines Risikofaktors muss sich in jedem Fall aus der Beschreibung des Risikofaktors selbst ergeben. Angesichts des dynamischen Krisenverkaufs ist eine fortlaufende Beobachtung der Lage und eine ständige Überprüfung der Risikoeinschätzung erforderlich.
3.2 Erwähnung des Coronavirus in weiteren Prospektabschnitten
Neben der Aufnahme eines oder mehrerer Risikofaktoren muss die Relevanz des Coronavirus für die folgenden, erforderlichen Prospektangaben geprüft werden:
- Angabe aller bekannten Trends, Unsicherheiten, Anfragen, Verpflichtungen oder Vorfälle, die die Aussichten des Emittenten nach vernünftigem Ermessen zumindest im laufenden Geschäftsjahr wesentlich beeinflussen werden,
- Beschreibung etwaiger Umweltfragen, die die Verwendung der Sachanlagen durch den Emittenten beeinflussen könnten,
- Angaben zu wichtigen Faktoren, einschließlich ungewöhnlicher oder seltener Vorfälle oder neuer Entwicklungen, die die Geschäftserträge des Emittenten wesentlich beeinträchtigen, und über das Ausmaß, in dem die Erträge auf diese Weise beeinflusst wurden, sowie
- Angaben zur Geschäfts- und Finanzlage (sog. MD&A).
3.3 Erforderlichkeit eines Nachtrags zum Prospekt
Haben Emittenten jüngst einen Prospekt für ein gegenwärtig noch laufendes öffentliches Angebot veröffentlicht und die Auswirkungen des Coronavirus hierbei nicht berücksichtigt, sollten sie eine mögliche Nachtragspflicht nach Art. 23 Prospektverordnung prüfen. Eine solche Nachtragspflicht besteht dann, wenn die aktuellen Entwicklungen zu einer neuen Risikoeinschätzung führen, die für die Emission einen neuen relevanten Umstand darstellt. Dies ist dann der Fall, wenn die möglichen Auswirkungen des Coronavirus auf den Emittenten die Anlageentscheidung eines verständigen Anlegers möglicherweise beeinflussen könnten. Auch dies ist im Einzelfall für jeden Emittenten zu prüfen.