Veröffentlichungszeitpunkt der begründeten Stellungnahmen nach § 27 WpÜG
Von Dr. Philip M. Schmoll
Zuerst veröffentlicht im Noerr Public M&A-Report 01/2021
Begründete Stellungnahmen von Vorstand und Aufsichtsrat der Zielgesellschaft zu öffentlichen Angeboten nach dem WpÜG sind gemäß § 27 Abs. 3 WpÜG „unverzüglich“ nach Übermittlung der Angebotsunterlage des Bieters zu veröffentlichen. Nach einem Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 08.12.2005 (Az: WpÜG 1/05 (OWi)) sind für die Beurteilung der Unverzüglichkeit der Veröffentlichung die jeweiligen Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. Angesichts des für das gesamte Übernahmeverfahren geltenden Beschleunigungsgebotes dürfe im Regelfall eine Frist von zwei Wochen nicht überschritten werden. In Fällen, die einfach gelagert oder besonders eilbedürftig seien, komme auch eine kürzere Zeitspanne in Betracht. Die Veröffentlichung der Stellungnahme erst mehr als zwei Wochen nach Übermittlung der Angebotsunterlage sei hingegen in aller Regel nicht mehr unverzüglich und komme nur in seltenen Ausnahmefällen bei Vorliegen ganz besonderer Umstände und Erschwernisse in Betracht. Im entschiedenen Fall erachtete das Oberlandesgericht eine Zeitspanne von zehn Tagen als „gerade noch vertretbar“. Dabei berücksichtigte das Oberlandesgericht, dass sich die Information auswärtiger Mitglieder des Aufsichtsrates im Hinblick auf deren urlaubsbedingte Abwesenheit und notwendige Übersetzungen schwierig gestaltete, unterschiedliche Auffassungen über die Einschätzung des Übernahmeangebotes bestanden und ein zusätzlicher Erörterungsbedarf im Hinblick auf den Anstieg des Aktienkurses unmittelbar nach der Veröffentlichung des Angebotes bestand. Weitere Erschwernisse ergaben sich durch eine zeitlich parallel unerwartet auftretende Insolvenzkrise in einer im Konzern verbundenen Gesellschaft, deren Auswirkungen für die Übernahme zu berücksichtigen waren und in deren Gremien die beiden Betroffenen ebenfalls vertreten und deshalb zeitlich stark in Anspruch genommen waren.
Die BaFin hat sich dieser Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main angeschlossen und konkretisiert, dass eine kürzere Zeitspanne als zwei Wochen in Betracht komme, wenn Bieter und Zielgesellschaft einen Unternehmenszusammenschluss beabsichtigten und darum etwa im Rahmen eines Business Combination Agreement bereits miteinander kooperierten. In einem solchen Fall seien die Umstände, zu denen Stellung zu nehmen sei, den Organen der Zielgesellschaft auch dann hinreichend bekannt, wenn der Bieter die Angebotsunterlage noch nicht übermittelt habe. Die Zeitspanne verändere sich auch nicht im Falle der Einholung einer Fairness Opinion. Zudem hätten sowohl Vorstand als auch Aufsichtsrat selbst dafür einzustehen, dass ihre Stellungnahme rechtzeitig veröffentlicht werde. Dies gelte auch dann, wenn Vorstand und Aufsichtsrat der Zielgesellschaft – wie üblich – eine gemeinsame Stellungnahme abgeben.
In der Praxis wurden die insgesamt 64 begründeten Stellungnahmen im Zeitraum 2018 bis 2020 durchschnittlich 9,8 Tage nach Veröffentlichung der Angebotsunterlage abgegeben. Im Untersuchungszeitraum sank der durchschnittliche Abgabezeitraum dabei stetig von 11,1 Tagen im Jahr 2018 (insgesamt 13 begründete Stellungnahmen) auf zehn Tage im Jahr 2019 (insgesamt 28 begründete Stellungnahmen) und sodann auf 8,9 Tage im Jahr 2020 (insgesamt 23 begründete Stellungnahmen).
In insgesamt 23 Fällen im Zeitraum 2018 bis 2020, bei denen Bieter und Zielgesellschaft im Vorfeld der Ankündigung des öffentlichen Angebots miteinander kooperierten (etwa im Rahmen eines Business Combination Agreement oder einer Delisting-Vereinbarung), gaben Vorstand und Aufsichtsrat die begründete Stellungnahme durchschnittlich bereits 8,4 Tage nach Veröffentlichung der Angebotsunterlage ab, d.h. ca. 1,5 Tage früher als im Gesamtdurchschnitt. Auch in diesen Fällen sank der durchschnittliche Abgabezeitraum stetig von 11 Tagen im Jahr 2018 (insgesamt eine begründete Stellungnahme) auf neun Tage im Jahr 2019 (insgesamt zwölf begründete Stellungnahmen) und sodann auf 7,5 Tage im Jahr 2020 (insgesamt zehn begründete Stellungnahmen).
Im Gegensatz zu den Jahren 2018 und 2019 veröffentlichten Vorstand und Aufsichtsrat ihre gemeinsame begründete Stellungnahme im Jahr 2020 in zwei Fällen bereits zeitgleich mit bzw. in einem Fall einen Tag nach Veröffentlichung der Angebotsunterlage. Dies betraf die gemeinsamen begründeten Stellungnahmen von Vorstand und Aufsichtsrat der QIAGEN N.V. zum Übernahmeangebot der Quebec B.V. und der Rocket Internet SE zum Delisting-Rückerwerbsangebot der Rocket Internet SE (sog. Self-Tender Offer) bzw. die gemeinsame begründete Stellungnahme von Vorstand und Aufsichtsrat der Siltronic AG zum Übernahmeangebot der GlobalWafers GmbH. Diese Praxis war in den Jahren 2018 und 2019 nicht zu beobachten.