Update Fusionskontrolle: Erstes Hauptprüfverfahren unter der Transaktionswert-Schwelle
Mit Beschluss vom 17.06.2024 hat das Bundeskartellamt nach über fünfmonatiger Prüfung die Übernahme der Olink Holding AB (publ), Schweden („Olink“) durch die Thermo Fisher Scientific Inc., USA („Thermo Fisher“) freigegeben (Pressemitteilung).
Soweit ersichtlich, eröffnete das Bundeskartellamt erstmals ein Hauptprüfverfahren bei einem Zusammenschlussvorhaben, das unter der Transaktionswert-Schwelle angemeldet wurde. Damit rückt die Transaktionswert-Schwelle nunmehr auch bei der Prüfungsintensität weiter in den Vordergrund, nachdem bereits seit ihrer Einführung mit der 9.-GWB-Novelle im Jahr 2017 die Anmeldezahlen unter der Transaktionswert-Schwelle stark angestiegen sind (von 14 im Berichtszeitraum 2019/2020 auf 61 im Berichtszeitraum 2021/2022).
Innovatives Biotechnologieunternehmen als Paradebeispiele für die Transaktionswert-Schwelle
Thermo Fisher ist ein Forschungsausrüster im naturwissenschaftlichen Dienstleistungssektor und in der Herstellung und Entwicklung von hochauflösenden Massenspektrometern, „High Resolution Accurate Mass“ (HRAM) tätig. Olink ist ein weltweit tätiges Biotechnologieunternehmen, das mittels einer unternehmenseigenen Technologie, der Proximity Extension Assay (PEA-)Technologie, Proteine aus Proben von menschlichen Körperflüssigkeiten analysiert. Es handelt sich um ein gegenüber der Analyse mittels der HRAM-Massenspektrometern neueres Verfahren, das jedoch auf einer völlig anderen Technologie beruht.
Zwar erreichten Thermo Fisher und Olink nicht die Umsatzschwellen der deutschen Fusionskontrolle, aber aufgrund des hohen Kaufpreises von EUR 2,8 Milliarden und einer vom Bundeskartellamt festgestellten erheblichen Inlandstätigkeit war der Zusammenschluss anmeldepflichtig. Insoweit handelt es sich um ein Paradebeispiel unter der Transaktionswert-Schwelle, die solche Zusammenschlüsse aufgreift, bei denen der Umsatz des Zielunternehmens seine wirtschaftliche Potenz nicht ausreichend widerspiegelt. Das zeigt vorliegend nicht zuletzt der hohe Kaufpreis und die Innovationskraft Olinks.
Vertiefte Prüfung auch ohne horizontale Überschneidungen …
Das Bundeskartellamt prüfte den Zusammenschluss vertieft, obwohl Thermo Fisher und Olink derzeit nur auf benachbarten, nicht aber denselben Märkten tätig sind. Dabei untersuchte das Bundeskartellamt auch, ob die beiden bislang nur benachbarten Märkte innerhalb des Prognosezeitraums von fünf Jahren zu einem gemeinsamen Markt zusammenwachsen könnten. Mit anderen Worten antizipierte das Bundeskartellamt eine etwaige zukünftige Marktabgrenzung, die von der heutigen Marktabgrenzung abweichen kann. Dieses Vorgehen überrascht wenig, weil Zusammenschlüsse unter der Transaktionswert-Schwelle zumeist sehr innovative und dynamische Märkte betreffen, bei denen etwaige Substitutionsbeziehungen zwischen Produkten und Dienstleistungen im Fluss sind.
… aufgrund etwaiger konglomerater Effekte
Besondere Aufmerksamkeit schenkte das Bundeskartellamt deshalb den sogenannten konglomeraten Effekten, etwa aufgrund einer zukünftigen Bündelung der von den Zusammenschlussbeteiligten angebotenen Produkten und Dienstleistungen (siehe Leitfaden zur Marktbeherrschung in der Fusionskontrolle, Seiten 65 ff.). Im Ergebnis verneinte das Bundeskartellamt solche konglomeraten Effekte, weil sowohl eine technische (aufgrund der Verschiedenartigkeit der Produkte) als auch eine kommerzielle (aufgrund der unterschiedlichen Beschaffungszyklen und Preise) Bündelung ausscheide. Im Übrigen seien die Zusammenschlussbeteiligten auch nach Vollzug des Zusammenschlussvorhabens erheblichem Wettbewerb ausgesetzt.
Freigabe ohne Beschränkungen
Trotz intensiver Prüfung im Hauptprüfverfahren gab das Bundeskartellamt den Zusammenschluss ohne Beschränkungen frei. Dabei handelt es sich keineswegs um einen seltenen Einzelfall: In den Hauptprüfverfahren seit 2019 wurden ca. 25% der angemeldeten Zusammenschlüsse ohne Beschränkungen freigegeben. Mit anderen Worten verbleibt auch nach der Einleitung eines Hauptprüfverfahrens die realistische Möglichkeit, dass die Zusammenschlussbeteiligten ihr Vorhaben wie ursprünglich vorgesehen werden vollziehen können.
Noch mehr Klarheit durch die Entscheidungsgründe?
Wir dürfen auf die noch durch das Bundeskartellamt zu veröffentlichenden Entscheidungsgründe gespannt sein. Es wäre sehr begrüßenswert, wenn diese über den Leitfaden 2022 des Bundeskartellamtes hinausgehende Auslegungshinweise zur Transaktionswert-Schwelle enthielten. Dadurch könnten gegebenenfalls die heute oftmals in der Praxis üblichen informellen und vertraulichen Anfragen oder alternativ dazu vorsorglichen Anmeldungen beim Bundeskartellamt reduziert werden.
Sprechen Sie uns bei Fragen zur Transaktionswert-Schwelle gerne jederzeit an.