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Richtiger Umgang mit Sonder­zahlungen bei Masse­unzulänglich­keit – Klar­stellungen durch das BAG

03.07.2017

In der Restrukturierungspraxis sind Personalkosten zumeist von zentraler Bedeutung. Dies gilt – sollen Sanierungschancen erhalten werden – erst recht bei Masseunzulänglichkeit i.S.d. § 208 InsO, wenn die Insolvenzmasse zwar ausreicht, um die Kosten des Verfahrens zu decken, nicht aber, um auch alle Masseverbindlichkeiten zu bedienen. Der Insolvenzverwalter muss zur Haftungsvermeidung unter Wahrung etwaiger Sanierungschancen deshalb sicher wissen, welche Zahlungen er vornehmen darf und muss, weil es sich um Neumasseverbindlichkeiten (§ 209 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 3 InsO) handelt.

Bislang bestanden hier – auch aufgrund einer differenzierten Behandlung von Sonderleistungen außerhalb einer Masseunzulänglichkeit – erhebliche Unsicherheiten. Der 6. Senat des BAG hat in seinem Urteil vom 23.03.2017 (6 AZR 264/16) nun für die Sanierungspraxis wichtige Fragen zur insolvenzrechtlichen Einordnung von Sonderzahlungen geklärt. Die Entscheidung stellt klar, wie Sonderzahlungen mit Entgeltcharakter, zur Belohnung von Betriebstreue und mit sog. „Mischcharakter“ im Fall angezeigter Masseunzulänglichkeit nach § 209 InsO zu bewerten sind.

Im Ergebnis ist – unabhängig vom Zweck der Sonderzahlung – nur der auf die Zeit der Arbeitsleistung nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit entfallende anteilige Anspruch als Neumasseverbindlichkeit i.S.d.§ 209 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 3 InsO zu berichtigen.

Die Entscheidung:


Das BAG bestätigt zunächst seine Rechtsprechung zur insolvenzrechtlichen Qualifikation von Sonderzahlungen anhand ihres Zwecks als Masseverbindlichkeiten bzw. Insolvenzforderungen:

  • Soweit mit der Sonderzahlung die im Bezugszeitraum erbrachte Arbeitsleistung zusätzlich honoriert werde, entstehe der Anspruch pro rata temporis und werde nur zu einem anderen Zeitpunkt insgesamt fällig. Daher handele es sich um Masseverbindlichkeiten i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO, die aus der Insolvenzmasse vorab zu berichtigen sind, soweit mit Sonderzahlungen Arbeitsleistungen vergütet werden, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbracht wurden.

  • Werden vor der Verfahrenseröffnung erbrachte Arbeitsleistungen honoriert, handelt es sich Insolvenzforderungen, d.h. der Mitarbeiter erhält nur die Insolvenzquote.

  • Soweit Sonderzahlungen anderen Zwecken als der Vergütung erbrachter Arbeitsleistungen dienen, seien solche stichtagsbezogenen Sonderzahlungen insolvenzrechtlich dem Zeitraum zuzurechnen, in den der Stichtag fällt. Dies gilt z.B. für Retention Boni (Halteprämien), die allein die Betriebstreue honorieren.

Ausgehend von diesen Grundsätzen entwickelt das BAG die insolvenzrechtliche Bewertung für Fälle der Masseunzulänglichkeit weiter: Bei angezeigter Masseunzulänglichkeit trete neben die Insolvenzeröffnung ein weiterer rechtlicher Einschnitt. Nach § 209 InsO führe sie zu einer Neuordnung der Masseverbindlichkeiten, der auch alle arbeitsrechtlichen Sonderzahlungen – gleich welchen Zwecks – unterlägen. Hiervon ausgehend seien alle Sonderzahlungen als Neumasseverbindlichkeiten nur anteilig für den Zeitraum geleisteter Arbeit nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit vorab zu berichtigen.

Auswirkungen für die Praxis:


Der Senat begründet die Entscheidung dogmatisch überzeugend und schafft für die Sanierungspraxis eine klare Bewertungsgrundlage. Diese erschwert allerdings die Mitarbeiterbindung in der Insolvenz. Denn Mitarbeiter, die durch entsprechende Sonderzahlungen dazu bewegt werden sollen, an einer Sanierung mitzuwirken bzw. den Betrieb verkaufsfähig zu erhalten, droht bei Masseunzulänglichkeit ein (teilweiser) Ausfall. Das nimmt entsprechenden Prämien aus Mitarbeitersicht durchaus einen Teil ihres Reizes. Ein ähnliches Risiko ist allerdings infolge möglicher Anfechtbarkeit nach §§ 129 ff. InsO und der Maßgeblichkeit des Insolvenzeröffnungsstichtags für die Qualifikation als Masseverbindlichkeit auch bei ihrer Zusage vor Insolvenzeröffnung gegeben. Entsprechende Sonderzahlungen büßen durch die vorliegende Entscheidung ihren Sinn also nicht vollständig ein. Das Urteil macht allerdings deutlich, dass die praktische Wirksamkeit (i.S. der Sicherstellung einer Zahlung) letztlich zum Erhalt ihrer Attraktivität zusätzlich abgesichert werden muss. Für eine effektive Mitarbeiterbindung in Krise und Insolvenz wird man daher häufig über ein Maßnahmenbündel nachdenken müssen.

Eine Besprechung dieses Urteils von Dr. Patrick Mückl finden Sie zudem in BB 2017, 1404 (1408).

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