Potenziale der Energiewende für Investoren in Deutschland – Noerr-Insight No5: Stromnetze
In unserem Briefing „Deutsche Energiewende: Potenziale für Investoren“ haben wir einen umfassenden Überblick über die Chancen und Risiken der Energiewende in Deutschland für in- und ausländische Investoren gegeben. Nachdem wir uns in unserer Themenreihe bereits ausführlich mit den Möglichkeiten und Herausforderungen im Bereich Offshore Wind, Onshore Wind, Photovoltaik und Speicher beschäftigt haben, beleuchten wir in Teil 5 die Stromnetze genauer.
1. Status Quo und Herausforderungen
Ein leistungsfähiges Stromnetz ist Grundpfeiler und größte Herausforderung der Energiewende in Deutschland. Denn Deutschland setzt verstärkt auf erneuerbare Energien wie Wind- und Solarenergie, deren Erzeugung vor allem in Ost- oder Norddeutschland erfolgt, teilweise auf See. Dieser Strom muss zum Verbraucher transportiert werden. Die größten Verbraucher befinden sich jedoch in der Mitte und im Süden des Landes. Der Ausbau dieser Energiequellen erfordert ein entsprechendes Stromnetz, um den erzeugten Strom vom Norden in den Süden, wo ein Großteil der energieintensiven Industrie zu finden ist, zu transportieren und zu verteilen.
Netze sind attraktiv für solche Investoren, für die eine sichere, langfristige Mindestrendite wichtiger ist als eine besonders große Marge. Hohe Errichtungskosten, eine natürliche Monopolstellung des Netzbetreibers (mit Ausnahme einzelner Bereiche der TK-Infrastruktur) und daraus abgeleitet staatliche Regulierung der Netzentgelte sind typische Charakteristika. Unternehmen, die den Ausbau technisch durchführen können, stehen bereit. Erste stellen in Anbetracht des globalen Ausbaubedarfs Börsengänge in Aussicht.
Der Netzausbau selbst ist aber von den Übertragungs- und Verteilnetzbetreibern zu stemmen, die bislang wenig geneigt scheinen, die notwendigen Kapitalbeschaffungsmaßnahmen einzuleiten. Ob es einen wirklichen Markt potentieller Investoren gibt, die bereit stünden, dieses Kapital den Netzbetreibern in Ansehung der überschaubaren Netzentgelte zur Verfügung zu stellen, ist ebenfalls unklar. Denn die Bundesnetzagentur sieht derzeit eine Finanzierung des Ausbaus und der Erneuerung der Stromnetze (wie gleichsam auch für die Finanzierung des Wasserstoffkernnetzes) lediglich über Netzentgelte vor, die wiederum auf die Verbraucher umgelegt und so den Strompreis erhöhen werden. Diese sind derzeit jedenfalls knapp kalkuliert, so knapp, dass die niederländische Regierung vor den großen Investitionen zurückschreckt und ihre Beteiligung am Übertragungsnetzbetreiber TenneT nun zu verkaufen beabsichtigt.
Weitere bedeutende Netze, z.B. Gasnetze, Fernwärme sowie zukünftiges CO2-Netz sind ebenfalls attraktive und zukünftige Investitionsoptionen, die sich teilweise aber noch in einem sehr frühen Stadium der Projektentwicklung befinden.
2. Regulatorisches Umfeld
Der Koalitionsvertrag der Ampel sieht vor, dass der Netzentwicklungsplan erstmals das Klimaneutralitätnetz 2045 in den Fokus nehmen soll. Dem sind die Übertragungsnetzbetreiber mit dem Netzentwicklungsplan 2037/2045 nachgekommen – erstmals bildet er die Transportbedarfe für ein treibhausgasneutrales Energiesystem 2045 ab. Bereits für das Jahr 2037 ist das Stromnetz auf eine Einspeiseleistung von ca. 160 GW Wind an Land, mind. 50 GW Wind auf See und 350 GW installierte Photovoltaikleistung ausgelegt.
Die Übertragungsnetzbetreiber haben am 12. Juni 2023 ihren zweiten Entwurf für den Netzentwicklungsplan 2037/2045 veröffentlicht, er umfasst in insgesamt 123 neuen Maßnahmen gut 4.800 zusätzliche Trassenkilometer. Der Plan wurde am 01. März 2024 von der Bundesnetzagentur bestätigt. Die Bestätigung enthält mehr Maßnahmen als von den Übertragungsnetzbetreibern vorgesehen waren. Etwa hat die Bundesnetzagentur zwei der fünf neuen Gleichstromverbindungen um jeweils 2 GW Leistung erweitert, die die Übertragungsleistung Richtung Süden erhöhen sollen. Es wurden 21 Offshore-Netzanbindungssysteme neu bestätigt. Insgesamt hält die Bundesnetzagentur 35 weitere Anbindungssysteme bis 2045 für erforderlich. Das BMWK kündigte an, basierend auf vorgelegten Zeitpläne von Übertragungsnetzbetreibern, dass bis Ende 2030 ca. 10.000 km Netz genehmigt und in Betrieb gehen sollen.
Besonderen Fokus im Rahmen des Netzausbaus nehmen Höchstspannungs-Gleichstrom-Übertragungsleitungen (HGÜ-Leitungen), die sogenannten Stromautobahnen, ein. Der „SuedLink“-Konverter soll 2026 den Betrieb aufnehmen. Er wird dann, bereits vor Inbetriebnahme von „SuedLink“ im Jahr 2028, einen wichtigen Beitrag zur Netzstabilität in Baden-Württemberg leisten. „SuedOstLink“ soll ab 2027 (zwei Jahre später als zunächst geplant) in Betrieb gehen. Der SuedOstLink-Konverter wurde in sieben Monaten genehmigt und soll bereits in 2025 fertiggestellt sein.
Beschleunigung soll neben gesetzlicher Änderung auch durch vermehrtes Controlling geschehen. Bereits seit 2018 gibt es ein durch das BMWK durchgeführtes Onshore-, seit 2020 auch ein Offshore-Netzausbau-Controlling. Danach informieren die Vorhabenträger und die Bundesnetzagentur vierteljährlich das BMWK über den Fortschrift von Einzelvorhaben. Im Oktober 2021 wurde darüber hinaus ein „Praxisleitfaden Netzausbau“ veröffentlicht. Dieser richtet sich mit Best Practice-Beispielen primär an Übertragungsnetzbetreiber und Zulassungsbehörden und versucht, Verzögerungen im Zulassungsprozess zu minimieren.
Auf gesetzlicher Ebene wurde im Rahmen des Osterpakets die Möglichkeit geschaffen, in bestimmten Fällen die Prüfung von Präferenzräumen bereits in das Stadium der Erstellung des Netzentwicklungsplanes vorzuzuziehen, um im Nachgang auf die Bundesfachplanung verzichten zu können.
Am 03. März 2023 beschloss der Bundesrat Änderungen von EEG, ENWG, BNatschG sowie UVPG und WindBG zur Umsetzung der EU-Notfallverordnung (EU 2022/2577), wonach teilweise in Netzgebieten, in denen bereits eine strategische Umweltprüfung durchgeführt wurde, sowohl UVP-Prüfung als auch artenschutzrechtliche Prüfung entfällt.
Mit dem Beschluss des Gesetzes zur Änderung des Energiesicherungsgesetzes und anderer energiewirtschaftlicher Vorschriften (EnSiG 3.0) wurden die Möglichkeiten des früheren Baubeginns geschaffen und etwa die isolierte Planfeststellung für Nebenanlagen ermöglicht. Auch werden kurzfristige Höherauslastungen von Genehmigungserfordernissen ausgenommen.
Während gesetzgeberisch und planerisch durchaus Bewegung besteht, so gibt es im Rahmen des tatsächlichen Fortschritts empfindliche Verzögerungen. Am 27. Juli 2023 fand der Spatenstich zur Stromtrasse SuedLink statt. Ursprünglich war die Fertigstellung der Leitung bereits für 2022 geplant, verzögerte sich jedoch aus unterschiedlichen Gründen erheblich. 2023 waren erst 17 der ca. 700 km langen Trasse genehmigt; erst am vergangenen Dienstag wurden die ersten Kabel für die Trasse verlegt. Die voraussichtliche Inbetriebnahme in 2028 soll dennoch gehalten werden.
3. Ausblick
Netze sind natürliche Monopole – d.h. es wäre schon praktisch kaum darstellbar und vor allem makroökonomisch nicht wünschenswert, in einer Region mehrere Stromnetzbetreiber zu haben. So gibt es in Deutschland vier große Übertragungsnetzbetreiber, die jeweils das Netz einer Regelungszone betreiben: TenneT betreibt die sich von Schleswig-Holstein bis Bayern erstreckende Regelungszone, 50Hertz die sich über Ostdeutschland und Hamburg erstreckende Regelungszone, Amprion diejenige in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland und Transnet die Regelungszone in Baden-Württemberg.
Für die Energiewende entscheidend ist der Ausbau vor allem des Netzes von TenneT, die dem niederländischen Staat gehört. Ein Versuch der Bundesregierung, den deutschen Teil von TenneT zu erwerben und eine Deutsche Netz AG in staatlicher Kontrolle zu formen, ist kürzlich aufgrund der damit verbundenen Kosten für den Deutschen Haushalt gescheitert. Hier sieht man deutlich die Limitationen des Haushaltsurteils des Bundesverfassungsgerichts. Während private Investoren ganz selbstverständlich Erwerbskosten bei der Übernahme von Unternehmen und Unternehmensteilen mit den übernommenen Unternehmen konsolidieren, hätte der Bund die Erwerbskosten zwar über die KfW finanziert, aber die Zins- und Tilgungslast im Bundeshaushalt ausweisen müssen. Ob diese Übernahme wirklich der richtige Schritt gewesen wäre, war aber unter Experten auch unabhängig von der haushaltsrechtlichen Darstellung streitig. Über den hohen Kaufpreis hinaus wären erhebliche Investitionskosten für den weiteren Ausbau und Reparaturen des Netzes entstanden. Ob es in Anbetracht dieser Summen erstrebenswert gewesen wäre, dass der Bund diese Kosten als künftiger Eigentümer stemmt – allein wegen seiner (im Vergleich zur Industrie) geringen Refinanzierungskosten und kleinen Renditeerwartungen, kann zu Recht hinterfragt werden.
Die Niederlande haben ihrerseits signalisiert, dass Sie nicht bereit sind, die notwendigen Investitionen in die Ertüchtigung des deutschen Stromnetzes zu stemmen. So prüft der niederländische Stromnetzbetreiber deshalb Zeitungsberichten zufolge derzeit einen anderen Exit, z.B. Börsengang oder Verkauf, seiner deutschen Tochter.
Die weitere Entwicklung bleibt hier abzuwarten, auch wenn eine Entscheidung in die eine oder andere Richtung notwendig erscheint. Den Status quo beizubehalten ist keine Option.