Neue Schiedsregeln des Singapore International Arbitration Centre (SIAC): Erhöhte Verfahrenseffizienz im Fokus
Das Singapore International Arbitration Centre (SIAC) ist eine weltweit bedeutende Schiedsinstitution und hat schon seit einigen Jahren in Asien Hongkong den Rang abgelaufen. Auch für deutsche und europäische Parteien ist die SIAC von zunehmender Relevanz bei internationalen Streitigkeiten: In über 90 % der von der SIAC verwalteten Schiedsverfahren sind nicht-singapurische Parteien involviert.
Knapp neun Jahre nach der letzten Reform der SIAC-Schiedsregeln im Jahr 2016 hat die SIAC nun überarbeitete Schiedsregeln veröffentlicht, die am 01.01.2025 in Kraft getreten sind und auf alle ab diesem Zeitpunkt eingeleiteten Schiedsverfahren Anwendung finden.[1] Die neuen SIAC-Schiedsregeln sind das Ergebnis eines langen Reformprozesses und enthalten umfassende Neuerungen gegenüber der Vorgängerversion. Ziel der Überarbeitung war unter anderem, SIAC-Schiedsverfahren noch effizienter zu gestalten. Damit ist die SIAC vereint mit anderen Schiedsinstitutionen, die Dauer und Kosten von Schiedsverfahren unter Kontrolle zu behalten, ein omnipräsentes Thema. Die SIAC geht aber über die Lösungsvorschläge, die andere Schiedsinstitutionen anbieten, durchaus hinaus und führt bislang nicht verwendete Tools ein.
Zu den wesentlichen Neuerungen der SIAC-Schiedsregeln zählen die erweiterte Anwendbarkeit des sogenannten beschleunigten und des vereinfachten Verfahrens sowie verschiedene Tools, um auch reguläre SIAC-Schiedsverfahren zu beschleunigen.
Erhöhung der Verfahrenseffizienz
Um SIAC-Schiedsverfahren generell kosten- und zeiteffizienter zu gestalten, enthalten die SIAC-Schiedsregeln Neuerungen für unterschiedliche Verfahrensschritte und -situationen:
- Schon vor der Konstituierung des Schiedsgerichts kann der jeweilige Verfahrensmanager der SIAC (Registrar) eine Verfahrensverwaltungskonferenz anberaumen (Administrative Conference), um Maßnahmen einer effizienten Verfahrensverwaltung mit den Parteien abzustimmen. Herkömmlicherweise – so wie es auch nach den Schiedsgerichtsordnungen anderer internationaler Schiedsinstitutionen üblich ist – findet eine solche Verfahrensmanagementkonferenz (Case Management Conference) erst nach Bestellung des Schiedsgerichts statt. Gerade mit Blick auf etwaige untypische Verfahrenssituationen erscheint eine mögliche frühzeitige Klärung erster Verfahrensfragen durchaus sinnvoll, um das Verfahren von vornherein effizient aufzusetzen.
- Insbesondere zu Beginn, aber auch in späteren Stadien des Schiedsverfahrens, sollen die Beteiligten die Möglichkeit einer einvernehmlichen Streitbeilegung erörtern. Die SIAC-Schiedsregeln verweisen dabei auf die Durchführung einer Mediation nach den Regeln der des Singapore International Mediation Centre (SIMC) für ein kombiniertes Schieds- und Mediationsverfahren (SIAC-SIMC Arb-Med-Arb Protocol). Die Anregung, eine vergleichsweise Beendigung möglichst frühzeitig und in jedem Verfahrensstadium zu erwägen, dürfte besonders deutschen Parteien nicht unbekannt vorkommen. Auch die Schiedsgerichtsordnung der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit (DIS) enthält in Artikel 26 eine Regelung, dass das Schiedsgericht einen Vergleich der Parteien in jedem Verfahrensstadium fördern soll.
- Weiterhin regeln die neuen SIAC-Schiedsregeln die Kompetenz des Schiedsgerichts, zu einem frühen Zeitpunkt vorläufig über einzelne Aspekte des Schiedsverfahrens zu entscheiden (Preliminary Determination). Ein entsprechender Parteiantrag ist auch einseitig zulässig und begründet, wenn der Antragssteller darlegt, dass eine vorzeitige Klärung im Hinblick auf das Gesamtverfahren zeit- und kosteneffizient ist. Eine Entscheidung des Schiedsgerichts hat dann innerhalb von 90 Tagen zu ergehen. Diese einseitig einzuleitende Möglichkeit ist gerade in internationalen Schiedsverfahren ein Novum gegenüber anderen Schiedsgerichtsordnungen und hat das Potenzial, den Streitstoff frühzeitig zu reduzieren.
- Sofern dasselbe Schiedsgericht in mehreren Schiedsverfahren mit zusammenhängenden Rechts- oder Sachverhaltsfragen befasst ist, ermöglichen die SIAC-Schiedsregeln nun ausdrücklich, die verschiedenen Schiedsverfahren aufeinander abzustimmen (Coordinated Proceedings). Insbesondere sollen prozessuale Aspekte der Schiedsverfahren miteinander koordiniert werden, um sich widersprechende Entscheidungen zu verhindern und mögliche Effizienzverluste zu vermeiden. Konkret können die – rechtlich weiterhin eigenständigen – Schiedsverfahren damit ganz oder teilweise parallel, gemeinsam oder nacheinander durchgeführt werden. Das ist sicherlich eine sinnvolle Regelung, deren praktische Relevanz allerdings abzuwarten bleibt, da häufig in parallelen Streitigkeiten nicht dasselbe Schiedsgericht nach denselben Schiedsregeln tätig ist.
Alternative Verfahrensarten
Neben der Durchführung eines klassischen SIAC-Schiedsverfahrens haben die Parteien nach den SIAC-Schiedsregeln nun zwei weitere Optionen, ihr Verfahren zeit- und kosteneffizient durchzuführen:
- Neu ist das Konzept des vereinfachten Verfahrens (Streamlined Procedure). Dieses soll nach den neuen SIAC-Schiedsregeln bei Streitwerten unter SGD 1,0 Mio. (etwa EUR 700.000) grundsätzlich automatisch Anwendung finden. Daneben können die Parteien dessen Anwendung auch streitwertunabhängig vereinbaren. Im vereinfachten Verfahren soll ein Einzelschiedsrichter innerhalb von nur drei Monaten ab seiner Ernennung über die Streitigkeit entscheiden. Grundsätzlich soll die Entscheidung allein auf Grundlage schriftlichen Vortrags und ohne Vorlage von Beweisen, Sachverständigengutachten oder der Durchführung einer mündlichen Verhandlung stattfinden. Damit eignet sich das vereinfachte Verfahren primär für solche Streitigkeiten, in denen im Wesentlichen Rechtsfragen zu entscheiden sind, möglicherweise in die Richtung eines deutschen Urkundenprozesses gehend.
- Für Streitwerte zwischen SGD 1,0 Mio. und SGD 10 Mio. (etwa EUR 7,0 Millionen) sehen die SIAC-Schiedsregeln nun grundsätzlich die Durchführung eines beschleunigten Verfahrens (Expedited Procedure) vor. In anderen Fällen kann die SIAC das beschleunigte Verfahren ebenfalls auf Antrag anordnen, wenn die Umstände dieses nahelegen. Auch im beschleunigten Verfahren soll grundsätzlich ein Einzelschiedsrichter das Verfahren leiten und innerhalb von sechs Monaten nach seiner Ernennung zum Abschluss bringen. Zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung ist dabei vorgesehen, grundsätzlich virtuelle Verhandlungen abzuhalten (wenn überhaupt) und Dokumentenvorlageverfahren (Document Production) auszuschließen oder einzuschränken. Nach den Vorgängerregeln war das beschleunigte Verfahren für alle Verfahren mit einem Streitwert bis zu SGD 6,0 Mio. (etwa EUR 4,25 Mio.) sowie bei außergewöhnlicher Dringlichkeit vorgesehen. Aufgrund des nun erweiterten Anwendungsbereichs ist mit einer weiteren Zunahme von beschleunigten Verfahren zu rechnen, die im Jahr 2023 etwa 6 % der Gesamtzahl der SIAC-Schiedsverfahren ausmachten.
Zudem hat die SIAC ihre Regelungen zum Eilschiedsrichterverfahren (Emergency Arbitrator) grundlegend neu gefasst. Anträge auf einstweiligen Rechtschutz durch einen Eilschiedsrichter sind künftig auch möglich, ohne dass das Schiedsverfahren in der Hauptsache bereits eingeleitet ist oder parallel zum Antrag auf Eilrechtschutz eingeleitet wird. Der Antragsteller hat nunmehr sieben Tage nach Einleitung des Eilschiedsrichterverfahrens Zeit, um in der Hauptsache eine Schiedsklage zu erheben. Darüber hinaus ist es nach den neuen SIAC-Regeln möglich, einstweilige Eilverfügungen (Protective Preliminary Order) ex parte, also ohne Anhörung der Gegenseite, zu erlassen. Unabhängig von Fragen der internationalen Vollstreckbarkeit schiedsrichterlicher Entscheidungen im einstweiligen Rechtschutz verbessert die SIAC damit erheblich die Möglichkeit, kurzfristig Eilrechtschutz zu erlangen.
Sonstige Neuerungen
Auch im Übrigen enthalten die SIAC-Schiedsregeln Elemente moderner Schiedsordnungen und stellen damit ein willkommenes Update für SIAC-Schiedsverfahren dar:
- Die Kommunikation in SIAC-Schiedsverfahren soll fortan primär über die digitale Case-Management Plattform SIAC Gateway
- Wie auch nach anderen Schiedsordnungen (beispielsweise Artikel 11(7) der Schiedsgerichtsordnung der Internationalen Handelskammer (ICC)) sind Parteien in SIAC-Schiedsverfahren künftig verpflichtet, Prozessfinanzierung durch Dritte (Third-Party Funding) Dies soll der Verbesserung von Transparenz und der bestmöglichen Vermeidung etwaiger Interessenkonflikte der Schiedsrichter dienen.
- Die Beteiligten an SIAC-Schiedsverfahren sind aufgefordert, Maßnahmen zur Wahrung der Informationssicherheit des Schiedsverfahrens zu treffen. Das Schiedsgericht hat explizit die Kompetenz, Verfügungen oder (Teil-)Schiedssprüche gegen eine Partei zu erlassen, die entsprechende Maßnahmen zum Schutz sensibler Daten nicht einhält.
- Die verbreitete Praxis, einen Sekretär oder eine Sekretärin des Schiedsgerichts zu benennen (Tribunal Secretary), ist nun – inklusive detaillierter Vorschriften zur Rolle des Sekretärs beziehungsweise der Sekretärin – ausdrücklich in den SIAC-Schiedsregeln geregelt.
- Mit dem Einverständnis der Parteien kann die SIAC Schiedssprüche in anonymisierter Form veröffentlichen, um so die Rechtsfortbildung zu fördern.
Die SIAC schafft mit der Einführung der überarbeiteten Schiedsregeln gute Voraussetzungen, auch in Zukunft eine bedeutende Rolle in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit zu spielen. Gerade die Einführung eines nochmals beschleunigten Verfahrens für weniger großvolumige und weniger komplexe Verfahren könnte für viele Parteien ein Grund sein, die SIAC-Schiedsregeln in Betracht zu ziehen. Auch der verstärkte Fokus auf die frühzeitige Strukturierung des Verfahrens und die Identifikation und gegebenenfalls auch Entscheidung einzelner Themenkomplexe kann erheblich zur Effizienzsteigerung beitragen. Gleichzeitig aber müssen sich international agierende Unternehmen der vergleichsweise hohen Streitwertgrenzen für die Anwendung des gewöhnlichen, nicht beschleunigten Verfahrens bewusst sein, die im Ergebnis zur häufigeren Anwendbarkeit der Regeln der beschleunigten und vereinfachten Verfahren nach den SIAC-Schiedsregeln führen können, und sollten ihre Streitbeilegungsklauseln entsprechend anpassen, wenn diese besonderen Verfahrensausgestaltungen nicht von vornherein gewollt sind.
[1] Die SIAC-Schiedsregeln 2025 sind hier abrufbar: https://siac.org.sg/siac-rules-2025