Markenrechtliche Zulässigkeit von Arzneimittel-Parallelimporten
Schlussanträge vor dem EuGH: Im Januar 2022 ergingen im Rahmen von zwei verschiedenen Vorabentscheidungsverfahren betreffend die markenrechtlichen Zulässigkeit von Arzneimittel-Parallelimporten die mit Spannung erwarteten Schlussanträge:
- Schlussanträge vom 13.01.2022 zu den parallelen Vorabentscheidungsverfahren unter dem Aktenzeichen C-253/20 und C-254/20, und
- Schlussanträge vom 21.01.2022 zu den parallelen Vorabentscheidungsverfahren unter dem Aktenzeichen C-147/20, C-204/20 und C-224/20.
Wir möchten dies zum Anlass nehmen, zu den beiden Vorabentscheidungsverfahren sowie zu den jeweiligen Schlussanträgen in diesem und einem Folgebeitrag zu berichten. Dieser erste Beitrag beschäftigt sich mit den Vorabentscheidungsverfahren unter den Aktenzeichen C-253/20 und C-254/20.
Sachverhalt
In den Vorabentscheidungsverfahren unter dem Aktenzeichen C-253/20 und C-254/20 stehen sich auf der einen Seite zwei Gesellschaften des Pharmakonzerns Novartis und auf der anderen Seite die belgischen Parallelimporteure Impexeco NV und PI Pharma NV gegenüber.
Das Pharmaunternehmen Novartis vertreibt zum Teil sowohl Originalpräparate, als auch über sein Konzernunternehmen Sandoz Generika, die chemisch identisch mit ihrem eigenen Originalprodukt sind. Originalprodukt und Generikum werden am selben Ort und unter der Verantwortung derselben Gesellschaft hergestellt, aber unter verschiedenen Zulassungen und über unterschiedliche Vertriebskanäle vermarktet. Die Vorabentscheidungsverfahren betreffen die Generika „Letrozol Sandoz“ und „Methylphenidat Sandoz“. Diese sind von Parallelimporteuren aufgekauft und in Belgien unter den Marken der Originalprodukte, nämlich „Femara“ bzw. „Rilatine“, vertrieben worden. Dabei konnten die Parallelimporteure für das Produkt „Letrozol-Sandoz“ unter dem Markennamen „Femara“ in Belgien etwa den 30-fachen Preis vom ursprünglich im Vereinigten Königreich für das Produkt „Letrozol-Sandoz“ gezahlten Kaufpreis erzielen. Novartis widersetzte sich dieser Benutzung seiner Marken und nahm die betreffenden Akteure jeweils vor den belgischen Gerichten wegen Markenverletzung in Anspruch.
(Marken)Rechtlicher Problemaufriss
Die Frage, unter welchen Voraussetzungen der Vertrieb von aus einem anderem EU-Mitgliedstaat importierten Arzneimittel durch einen Dritten (unter der ursprünglichen Marke) erfolgen darf, war bereits Gegenstand einer langen Reihe gerichtlicher Verfahren. Kern des Problems ist dabei immer der angemessene Ausgleich zwischen den Rechten des Markeninhabers und dem ungehinderten Vertrieb von Arzneimitteln innerhalb der EU:
- Nach den markenrechtlichen Vorschriften gilt das Markenrecht des Inhabers dann als „erschöpft“, wenn die Marke – z.B. auf einem Produkt – durch den Inhaber oder mit dessen Zustimmung in den Verkehr gebracht wurde. Der Markeninhaber kann sich mit Eintritt dieser Erschöpfung nicht mehr auf seine Markenrechte berufen. Dieser Erschöpfungsgrundsatz soll u.a. verhindern, dass der freie Warenverkehr dadurch eingeschränkt wird, dass der Markeninhaber unter Berufung auf sein Markenrecht in den weiteren Vertrieb unter der Marke eingreift und künstliche Verkaufsbarrieren oder Marktaufteilungen schafft.
- Ausnahme von diesem Erschöpfungsgrundsatz ist aber die Regelung des § 24 Abs. 2 MarkenG bzw. Art. 15 UMV, wonach die Erschöpfung dann nicht eintritt, wenn sich der Markeninhaber dem Vertrieb aus berechtigten Gründen widersetzt, insbesondere wenn der Zustand der Waren nach ihrem Inverkehrbringen verändert oder verschlechtert wird.
Diese Ausnahme würde aber wiederum dazu führen, dass der Markeninhaber sich grds. jedem arzneimittelrechtlich notwendigem Umpacken oder Relabelings seines Originalproduktes widersetzen und so Parallelimporte mit markenrechtlichen Mitteln effektiv verhindern könnte. Der EuGH hat daher in seinen Grundsatzurteilen vom 23. Mai 1978 und 11.07.1996 Kriterien zur markenrechtlichen Zulässigkeit des Umpackens eines Arzneimittels aufgestellt (sog. „BMS-Kriterien“).
Hiernach ist das Umpacken bzw. Relabeling zulässig, wenn
- erwiesen ist, dass die Geltendmachung des Markenrechts durch den Inhaber zur künstlichen Abschottung der Märkte zwischen den Mitgliedstaaten beitragen würde,
- wenn dargetan ist, dass das Umpacken/Relabeling den Originalzustand des Erzeugnisses nicht beeinträchtigen kann,
- wenn der Inhaber der Marke vorher von dem Feilhalten des umgepackten/relabelten Erzeugnisses unterrichtet wird, und
- wenn auf der neuen Packung angegeben ist, von wem das Erzeugnis umgepackt wurde.
Eine künstliche Abschottung gemäß dem ersten Kriterium liegt dabei insbesondere immer dann vor,
„wenn der Markeninhaber das gleiche Arzneimittel in unterschiedlichen Packungen in verschiedenen Mitgliedstaaten in den Verkehr gebracht hat und das Umpacken durch den Importeur […] erforderlich ist, um das Arzneimittel im Einfuhrmitgliedstaat vertreiben zu können, ….“ (EuGH, Urteil vom 11.07.1996 – Rs. C–427/93, C–429/93 u. C–436/93, veröffentlicht in NJW 1997, 1627 ff.)
In den hier gegenständlichen Vorabentscheidungsverfahren war nunmehr streitig, ob:
- im Hinblick auf die Marke des Originalprodukts durch das Inverkehrbringen des Generikums (unter einer anderen Marke) überhaupt Erschöpfung der Marke des Originalprodukts eintreten kann (Position 1), und
- falls ja, ob die markenrechtliche Zulässigkeit des weiteren Vertriebs des Generikums dann nach den BMS-Kriterien zu prüfen ist (Position 2).
Position des Generalanwalts
Position 1 - Erschöpfung der Marke des Originalprodukts
Nachdem es vorliegend nicht um die Benutzung der Marke des tatsächlich vertriebenen Generikums, sondern um die Marke der – tatsächlich von den Großhändlern nicht vertriebenen – Originalprodukte ging, war zwischen den Parteien höchst umstritten, ob im Hinblick auf die Marke des Originalprodukts überhaupt Erschöpfung eintreten könne. Der Generalanwalt beantwortete diese Frage unter Rückgriff auf die Rechtsprechung des EuGH dahingehend, dass Erschöpfung auch dann eintreten könne, wenn unter der Marke identische Waren vom selben Inhaber oder mit seiner Zustimmung in anderen Mitgliedstaaten in Verkehr gebracht wurden.
Eine derartige „Identität der Waren“ sei zwar nicht bereits dann gegeben, wenn Generika und ihre Referenzarzneimittel aus therapeutischer Sicht gleichwertig seien. Unter bestimmten Umständen sei aber denkbar, dass Arzneimittel und Generikum „die gleiche Ware“ seien, die lediglich unter unterschiedlichen regulatorischen Regeln vertrieben würden. Dies käme insbesondere dann in Betracht, wenn sie von demselben Unternehmen oder von verbundenen Unternehmen hergestellt würden. Ob die objektive Identität tatsächlich gegeben sei, müsse aber durch die nationalen Gerichte im Einzelfall entschieden werden.
Position 2 - Anwendbarkeit der BMS-Kriterien
Sei die Erschöpfung des Markenrechts des Inhabers erst einmal gegeben, so richte sich die Frage, ob der Inhaber sich der Benutzung des Zeichens dennoch aus berechtigten Gründen widersetzen könne, nach den bereits von den europäischen Gerichten aufgestellten BMS-Kriterien und damit unter anderem danach, ob die Benutzung der Marke für den Marktzutritt „objektiv erforderlich“ sei, so die Auffassung des Generalanwalts. Der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshof zufolge sei die Voraussetzung der Erforderlichkeit dann erfüllt, wenn Regelungen oder Praktiken im Einfuhrmitgliedstaat den Vertrieb der betreffenden Ware in der Originalverpackung verhindern. Dagegen sei diese Voraussetzung nicht erfüllt, wenn das Umpacken der Ware seinen Grund ausschließlich darin habe, dass der Parallelimporteur einen wirtschaftlichen Vorteil erlangen wolle. Ob eine solche Erforderlichkeit hier in den, den Vorabentscheidungsverfahren zugrunde liegenden Fällen bestünde, müsse im Einzelfall von den nationalen Gerichten festgestellt werden.
Fazit
Es bleibt abzuwarten, ob sich der EuGH der Auslegung des Generalanwalts, wie es häufig der Fall ist, anschließt und insbesondere die Position, es könne sich bei dem Referenzprodukt und dem Generikum unter bestimmten Voraussetzungen um das „identische Produkt“ handeln, übernimmt. Selbst wenn der EuGH der Argumentationslinie des Generalanwalts aber folgen sollte, so ginge damit rein praktisch betrachtet – wie der Generalanwalt selbst feststellt – keine automatische Ausweitung des Handlungsspielraums der Parallelimporteure einher.
Denn auch hier greifen nach Auffassung des Generalanwalts die BMS-Kriterien. Die „objektive Erforderlichkeit“ der Benutzung der Originalmarke für die Gewährleistung des tatsächlichen Zugangs zum Markt des Einfuhrmitgliedstaats wird aber in kaum einem Fall gegeben sein. Dies schon deshalb, weil ein Mitgliedstaat die Genehmigung für den Parallelimport eines Generikums, für dessen Referenzarzneimittel in diesem Mitgliedstaat eine Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt wurde, grundsätzlich nicht versagen kann. Es sei denn, diese Versagung ist aus Gründen des Gesundheitsschutzes gerechtfertigt. Daraus folgt, dass ein Parallelimporteur üblicherweise das Recht hat, ein Generikum unter dessen eigener Marke zu vertreiben. Die Ersetzung der Marke des Generikums durch die Marke des Referenzarzneimittels ist in dem Fall für den Marktzugang aus rein rechtlicher Sicht schon nicht erforderlich, und zwar unabhängig davon, ob das parallel gehandelte Generikum auch im Einfuhrmitgliedstaat zugelassen ist. Erst recht macht die Aussicht, unter der Originalmarke einen höheren Preis verlangen zu können, die Verwendung der Marke nicht erforderlich.
Obschon die Stellungnahme des Generalanwalt und insbesondere einzelne Aussagen zur Erschöpfung und Identität der Produkte bei Markeninhabern auf Widerspruch stoßen werden, so folgt aus den Schlussanträgen für die Praxis unterm Strich doch, dass trotz der ggf. anzunehmenden markenrechtlichen Erschöpfung der weitere Vertrieb unter der Originalmarke nach den BMS-Kriterien zu beurteilen und damit für Parallelimporteure nicht ohne Weiteres möglich ist.