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Kommt jetzt die Pflicht zur elektronischen Arbeitszeiterfassung?

26.04.2023

Der mit Spannung erwarte Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS), der bereits für das erste Quartal angekündigt war, liegt nun endlich vor. Der Entwurf gibt die Richtung vor, wie ein Gesetz zur – bereits jetzt bestehenden – Pflicht zur Arbeitszeiterfassung ausgestaltet sein könnte.

Worum geht es?

Wie wir bereits in unserem News Beitrag „Zeiterfassungsentscheidung“ des Bundesarbeitsgerichts vom 07. Dezember 2022 berichtet haben (Link), sind alle Arbeitgeber spätestens seit dem Beschluss des Bundesarbeitsgerichtes (BAG) vom 13. September 2022 (Az. 1 ABR 22/21) verpflichtet, ein „verlässliches, objektives und zugängliches“ System zur Erfassung der täglichen Arbeitszeiten vorzuhalten. Der Schutz der Arbeitnehmer gebiete es, nicht nur die Dauer, sondern auch die Lage der Arbeitszeit zu erfassen.

Fraglich war hingegen wie die Arbeitszeiterfassung konkret in der Praxis zu erfolgen hat. Ist die händische Aufzeichnung auf einem Stück Papier oder in einer Exceltabelle bereits ein „System“, welches „verlässlich, objektiv und zugänglich“ ist? Das BAG hatte klargestellt, dass die Arbeitszeiterfassung nicht zwingend elektronisch erfolgen müsse. Demgegenüber sieht der Referentenentwurf nun eine strengere Regelung vor. Es gilt als wahrscheinlich, dass der Gesetzgeber – wie im Entwurf vorgesehen – im Grundsatz die elektronische Aufzeichnung vorgeben wird, sodass für viele Arbeitgeber Handlungsbedarf bestehen wird.

Was ist konkret geplant?

Aus dem Referentenentwurf des BMAS vom 18. April 2023 geht hervor, dass vor allem das Arbeitszeitgesetz geändert werden soll, um die Vorgaben der Rechtsprechung umzusetzen.

Bislang verlangt das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) nur die Aufzeichnung der über die werktägliche Arbeitszeit hinausgehenden Arbeitszeit. Arbeitgeber sollen künftig gem. § 16 Abs 2 ArbZG n. F. verpflichtet sein, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer jeweils am Tag der Arbeitsleistung elektronisch aufzuzeichnen.

Neue Pflicht zur elektronischen Arbeitszeiterfassung

Der Referentenentwurf geht über die von der Rechtsprechung aufgestellten Formvorgaben hinaus und gibt vor, dass die Arbeitszeit der Arbeitnehmer im Grundsatz zwingend elektronisch aufzuzeichnen ist. Von dieser Formvorschrift sollen nach dem Referentenentwurf nur solche Arbeitgeber ausgenommen werden, die entweder bis zu zehn Arbeitnehmer beschäftigen, einem Tarifvertrag mit entsprechender Ausnahmeregelung oder einer auf einem solchen Tarifvertrag beruhenden Betriebs- oder Dienstvereinbarung unterfallen.

Für die Umstellung auf die elektronische Arbeitszeiterfassung, sind aber zumindest großzügige Übergangsfristen, gestaffelt nach Anzahl der Arbeitnehmer, vorgesehen:

Arbeitgeber mit bis zu 10 Arbeitnehmern

Die elektronische Erfassung ist dauerhaft nicht vorgesehen. Eine handschriftliche Aufzeichnung auf Papier ist ausreichend.

Arbeitgeber mit weniger als 50 Arbeitnehmern

5 Jahre Übergangsregelung, um auf ein elektronisches Zeiterfassungssystem umzustellen.

Arbeitgeber mit weniger als 250 Arbeitnehmern

2 Jahre Übergangsregelung, um auf ein elektronisches Zeiterfassungssystem umzustellen.

Arbeitgeber mit 250 oder mehr Arbeitnehmern

1 Jahr Übergangsregelung, um auf ein elektronisches Zeiterfassungssystem umzustellen.

 

Hier ist jedoch Vorsicht geboten, da sich diese Erleichterung lediglich auf die Form der Aufzeichnung erstreckt. Sobald das Gesetz in Kraft getreten ist, sind sämtliche Arbeitgeber verpflichtet, alle anderen neu eingeführten Obliegenheiten des Gesetzes zu erfüllen, wie z. B. Informations-, Aufbewahrungs- und Kontrollpflichten.

Möglichkeit zur Delegation der Arbeitszeiterfassung?

Der Entwurf sieht – praxisnah – vor, dass die Aufzeichnung auch durch den Arbeitnehmer selbst oder einen Dritten erfolgen kann. Dies ist vor allem bei mobiler Arbeit (im Außendienst oder Homeoffice) essenziell. Abhängig von den im Betrieb gegebenen Umständen bietet es sich entweder an, dass der Arbeitnehmer selbst aufzeichnet oder dass dies ein Abteilungsleiter, Schichtführer, Meister oder auch der Entleiher bei einer Arbeitnehmerüberlassung übernimmt. Gerade für Arbeitnehmer die mobil oder im Homeoffice arbeiten bieten sich Softwarelösungen (z.B. Apps auf Smartphones oder Laptops) an. Hier sollte im Einzelfall geprüft werden, welche Option sich zur praxistauglichen und rechtssicheren Durchführung am besten eignet.

Wichtig: Verantwortlich bleibt stets der Arbeitgeber, der bei erfolgter Delegation auf den Arbeitnehmer zur stichprobenartigen Kontrolle der Arbeitszeiterfassungen verpflichtet ist.

Informationspflichten

Arbeitnehmer müssen durch den Arbeitgeber auf Verlangen über die aufgezeichnete Arbeitszeit informiert werden. Dies folgt aus dem vom Europäischen Gerichtshof aufgestellten Grundsatz, dass ein Zeiterfassungssystem „zugänglich“ sein muss. Darüber hinaus können Arbeitnehmer auch Kopien der Aufzeichnungen verlangen. In der Begründung lässt der Entwurf auch die Übermittlung einer elektronischen Kopie oder die Möglichkeit, dass der Arbeitnehmer die Aufzeichnungen selbst einsieht und Kopien fertigen kann, genügen. Der Entwurf lässt dabei offen, wie oft der Arbeitnehmer von seinem Recht auf Information und Kopie Gebrauch machen kann. Ähnlich wie beim Auskunfts- und Kopieanspruch aus Art. 15 DSGVO besteht daher die Gefahr einer ausufernden Inanspruchnahme.

Überstundenvergütung und zu erwartende Klagewelle

Die Aufzeichnungspflicht wird vermehrt zu Klagen auf Überstundenvergütung führen. Generell gilt, dass der Arbeitgeber nur tatsächlich geleistete und von ihm veranlasste Überstunden zu vergüten hat. Der Arbeitnehmer trägt die Darlegung- und Beweislast für die konkrete Anzahl der geleisteten Überstunden. Bislang sind viele Klagen auf Vergütung von Überstunden bereits daran gescheitert, dass die klagenden Arbeitnehmer die tatsächlich angefallenen Überstunden nicht im Einzelnen nachweisen konnten. Jedenfalls die Anzahl der geleisteten Überstunden werden die Arbeitnehmer künftig aber (im Prozess) ohne Weiteres nachweisen können. Zudem besteht nach gefestigter Rechtsprechung die Vermutung der Richtigkeit tatsächlich vorgenommener Aufzeichnungen. Vor diesem Hintergrund sollten Arbeitgeber künftig die Arbeitszeitaufzeichnungen regelmäßig prüfen und mit den Arbeitnehmern ggf. besprechen, ob die Überstunden tatsächlich erforderlich waren und in Zukunft vermieden werden könnten. Sofern der Arbeitgeber nicht rechtzeitig eingeschritten ist oder rechtssichere Regelungen implementiert hat, wird er sich künftig gegen hohe Forderungen für Überstundenvergütungen kaum noch wehren können. Arbeitgeber sollten daher ein geeignetes System implementieren, um „eigenmächtige“ Überstunden zu unterbinden oder entsprechende Vereinbarungen zur (wirksamen) Abgeltung von Überstunden treffen.

Was gilt für leitende Angestellte?

Für leitende Angestellte gilt generell, dass sie gem. § 18 Abs. 1 Nr. 1 ArbZG nicht vom Anwendungsbereich des Arbeitszeitgesetzes umfasst sind. Eine dahingehende Sondervorschrift, die leitende Angestellte zur Arbeitszeiterfassung verpflichten würde, sieht der Referentenentwurf für die Zukunft nicht vor.

Was gilt bei Tarifverträgen?

Der Referentenentwurf enthält wie viele Gesetze eine Tariföffnungsklausel, wonach durch Betriebs- oder Dienstvereinbarung von der Aufzeichnungspflicht insbesondere hinsichtlich der Form und dem Zeitpunkt der Aufzeichnung abgewichen werden kann. Die Tarifvertragsparteien können darüber hinaus auch bestimmte Arbeitnehmergruppen von der Aufzeichnungspflicht ausnehmen, wofür jedoch besondere Merkmale als Voraussetzung vorgegeben sind. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen könnte beispielsweise bei Führungskräften, herausgehobenen Experten oder Wissenschaftlern gegeben sein.

Ist der Betriebsrat einzubeziehen?

Die Einführung eines elektronischen Systems zur Arbeitszeiterfassung, führt zur zwingenden Mitbestimmung durch den Betriebsrat, da § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG hier einschlägig ist. Arbeitgeber sollten sich mit den verschiedenen Möglichkeiten und Systemen zur Arbeitszeiterfassung deshalb genauestens vertraut machen und von vorherein prüfen, was möglich und was nötig ist.

Rechtsfolgen bei Verstößen?

Der Entwurf sieht vor, Verstöße als Ordnungswidrigkeit mit Geldbußen bis zu 30.000 Euro zu ahnden. Diese Geldbuße droht Arbeitgebern, wenn sie vorsätzlich oder fahrlässig Aufzeichnungen nicht oder nicht richtig, nicht vollständig, nicht in der vorgeschriebenen Weise oder nicht rechtzeitig erstellen.

Gleiches gilt, wenn der Arbeitgeber die Aufzeichnungen nicht vollständig für mindestens zwei Jahre aufbewahrt oder den Informations- bzw. Kopieanspruch eines Arbeitnehmers nicht erfüllt. Arbeitgebern drohen bei Missachtung von Höchstarbeits-, Pausen- und Ruhezeiten bereits jetzt schon gem. § 22 Abs. 1 Nr. 1-3 ArbZG Geldbußen bis zu 30.000 Euro oder gem. § 23 ArbZG ggf. sogar Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr. Künftig sehen sich Arbeitgeber jedoch der erheblichen Gefahr ausgesetzt, dass Arbeitnehmer diese Verstöße beweisen bzw. Aufsichtsbehörden dies sehr leicht feststellen können.

Ist Vertrauensarbeitszeit dennoch möglich?

Die Pflicht, dass die Arbeitszeiten des Arbeitnehmers (von diesem selbst) erfasst werden müssen, schließt nicht aus, dass der Arbeitnehmer im Rahmen einer Vertrauensarbeitszeit die Lage dieser weiterhin selbst bestimmen kann. Seit jeher mussten bei jeder Form der Vertrauensarbeitszeit die gesetzlichen Vorschriften des ArbZG hinsichtlich Pausen-, Ruhe-, und Höchstarbeitszeiten eingehalten werden. Eine Vertrauensarbeitszeit bei der der Arbeitnehmer „arbeitet wann er will“ ohne sich dabei an diese gesetzlichen Rahmenbedingungen zu halten, war und bleibt nicht möglich.

Der Referentenentwurf schärft aber auch hier erheblich nach. Arbeitgeber sollen bei Vertrauensarbeitszeit ausdrücklich verpflichtet werden, durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass sie Kenntnis von Verstößen gegen das ArbZG erlangen und dementsprechend Abhilfe schaffen. In der Begründung des Referentenentwurfs werden automatisierte Meldungen an den Arbeitgeber vorgeschlagen, die diesem derartige Verstöße, die durch die elektronische Arbeitszeiterfassung eines Arbeitnehmers offensichtlich werden, direkt vor Augen führen.

Der Grat zwischen der gebotenen Arbeitszeitkontrolle und einer illegalen Arbeitnehmerüberwachung ist jedoch sehr schmal, sodass für Arbeitgeber hier Vorsicht geboten ist. Erlangt der Arbeitgeber hierdurch jedoch nachweißlich Kenntnis von Verstößen gegen das ArbZG, drohen ihm Strafen, wenn er untätig bleibt (Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe, §§ 22, 23 ArbZG).

Ausblick

Auch jetzt sollte noch keine panische Reaktion folgen, sondern eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Thema. Die im Entwurf geplanten Änderungen beinhalten weitreichende Konsequenzen für viele Arbeitgeber in Deutschland. Es gilt als sicher, dass es bei der vorgeschlagenen elektronischen Form der Arbeitszeiterfassung bleiben wird. Über Details wird noch gerungen werden, da mit zahlreichen Stellungnahmen von Verbänden und Gewerkschaften zu rechnen ist. Dennoch könnte der Entwurf zeitnah verabschiedet werden. Gerade für größere Unternehmen wird es über einen längeren Zeitraum auch schlicht nicht praktikabel sein, die Arbeitszeiterfassung (weiterhin) in Papierform durchzuführen. Es kommt in der Praxis auf gute softwarebasierte Lösungen wie Apps an, wobei der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht hat. Für die Einführung eines elektronischen Systems sind großzügige Übergangszeiten vorgesehen.

Da die Neuerungen auch mit erheblichen Risiken für die Arbeitgeber verbunden sind, sollten sich Arbeitgeber darüber Klarheit verschaffen. Zum einen können die Aufzeichnungen Aufsichtsbehörden als Beweis dienen, was etwa bei Überschreitungen der Höchstarbeitszeiten zu Geld- oder gar Freiheitsstrafen führen kann. Zum anderen werden sich Arbeitgeber bei unkontrollierter Ableistung von Überstunden durch die Arbeitnehmer erheblichen Forderungen für die Überstundenvergütungen ausgesetzt sehen, die Arbeitnehmer mit Leichtigkeit gerichtlich durchsetzen können, da Überstunden künftig rechtssicher dokumentiert sind und der Arbeitgeber nachweislich Kenntnis davon hätte haben können.