Kommanditisten einer (Fonds-)Obergesellschaft können bei Ausschüttungen einer insolventen Untergesellschaft auf Rückzahlung haften
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 03.08.2021 (Aktenzeichen II ZR 123/20) entschieden, dass der Kommanditist einer Obergesellschaft (Dachfonds) direkt und persönlich gegenüber den Gläubigern der Untergesellschaft auf Rückzahlung nicht durch Gewinne gedeckter Ausschüttungen haftet. Hintergrund der Haftung ist, dass durch solche Ausschüttungen wirtschaftlich die Kommanditeinlage an den Kommanditisten zurückgewährt wird, sodass seine Einlageverpflichtung wieder auflebt. Den Rückzahlungsanspruch macht im Insolvenzfall der Untergesellschaft deren Insolvenzverwalter geltend.
I. Kontext der Entscheidung
1. Grundsätzlicher Haftungsausschluss des Kommanditisten bei vollständiger Leistung seiner im Handelsregister eingetragenen Einlage (Haftsumme)
Der Gesellschafterkreis einer Kommanditgesellschaft setzt sich aus einem oder mehreren persönlich haftenden Gesellschaftern (Komplementären) sowie einem oder mehreren Kommanditisten als beschränkt haftende Gesellschafter zusammen. Die Haftung des Kommanditisten beschränkt sich der Höhe nach, gemäß §§ 171 Abs. 1, 172 Abs. 1 HGB, auf den Betrag der im Handelsregister eingetragenen Einlage (Haftsumme), wenn und soweit der Kommanditist diese Einlage geleistet hat. Soweit diese Einlage nicht geleistet ist, haftet der Kommanditist den Gläubigern der Kommanditgesellschaft gegenüber gesamtschuldnerisch neben der Kommanditgesellschaft unmittelbar bis zur Höhe seiner im Handelsregister eingetragenen Haftsumme.
2. Wiederaufleben der Haftung bei Rückgewähr der Haftsumme
Eine durch Leistung der Haftsumme zunächst behobene unmittelbare Haftung kann gemäß § 172 Abs. 4 S. 1 HGB wiederaufleben, wenn die Einlage an den Kommanditisten zurückgewährt wird. Eine solche Rückgewähr erfolgt bei wirtschaftlicher Betrachtung auch dann, wenn Gewinnauszahlungen bzw. Entnahmen gemäß § 172 Abs. 4 S. 2 HGB getätigt werden, obwohl der Kapitalanteil des Kommanditisten aufgrund von Verlusten nicht mehr die Haftsumme deckt. Anders als im GmbH-Recht ist eine Einlagenrückgewähr bei einer Kommanditgesellschaft im Innenverhältnis nicht gesetzlich verboten, sondern lässt lediglich die unmittelbare Haftung des Kommanditisten im Außenverhältnis gemäß § 172 Abs. 1, 4 HGB wieder aufleben.
3. Geltendmachung des Anspruchs gegen den Kommanditisten in der Insolvenz der Kommanditgesellschaft
In der Insolvenz der Kommanditgesellschaft ergibt sich aus § 171 Abs. 2 HGB die Besonderheit, dass für die Dauer des Insolvenzverfahrens ein den Gesellschaftsgläubigern zustehender Direktanspruch gegen den haftenden Kommanditisten gemäß §§ 171 Abs. 1, 172 Abs. 4 HGB nur durch den Insolvenzverwalter (oder Sachwalter im Fall einer Insolvenz in Eigenverwaltung) geltend gemacht werden kann. Hintergrund ist, dass ein Wettlauf der Gläubiger verhindert werden soll. Eine gebündelte Geltendmachung des Direktanspruchs durch den Insolvenzverwalter soll sicherstellen, dass eine gleichmäßige Befriedigung aller Gläubiger gemäß § 1 S. 1 InsO erfolgen kann.
II. Wesentlicher Inhalt der BGH-Entscheidung vom 03.08.2021
Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte Gelegenheit, sich mit zwei höchstrichterlich bisher noch nicht entschiedenen Fragen im Zusammenhang mit der Haftung eines Kommanditisten eines doppelstöckigen Fonds bei Insolvenz der Untergesellschaft zu befassen. Der BGH hat im Urteil zunächst klargestellt, dass bei einem doppelstöckigen Fonds eine Durchgriffshaftung der Gläubiger der Untergesellschaft auf den Kommanditisten der Obergesellschaft möglich ist. Ferner hat der BGH entschieden, dass der Insolvenzverwalter der insolventen Untergesellschaft den Haftungsanspruch gegen den Kommanditisten der Obergesellschaft gemäß § 172 Abs. 2 HGB verfolgen kann, sofern nicht die Obergesellschaft ebenfalls insolvent ist.
1. Sachverhalt
Im vom BGH entschiedenen Fall war über das Vermögen dreier Schiffsfonds (Untergesellschaften) in der Rechtsform einer Kommanditgesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Kommanditistin der Schiffsfonds war jeweils ein Dachfonds (Obergesellschaft), ebenfalls in der Rechtsform einer Kommanditgesellschaft. Der Dachfonds war mit jeweils einer Kommanditeinlage an den Untergesellschaften beteiligt. Über das Vermögen des Dachfonds war kein Insolvenzverfahren eröffnet worden. Kommanditist des Dachfonds war (unter anderem) der Beklagte.
Die drei Schiffsfonds als Untergesellschaften nahmen an den Dachfonds als Obergesellschaft nicht durch Gewinne gedeckte Ausschüttungen vor. Seitens des Dachfonds wurden an den späteren Beklagten wiederum nicht durch Gewinne gedeckte Ausschüttungen vorgenommen.
Der Insolvenzverwalter aller drei insolventen Schiffsfonds nahm den Beklagten auf Zahlung unter dem Gesichtspunkt der teilweisen Rückgewähr der geleisteten Hafteinlage gemäß §§ 171 Abs. 1, 2, 128 i.V.m. § 172 Abs. 4 HGB in Anspruch.
2. Rechtliche Würdigung durch den BGH
Der Bundesgerichtshof gab der Revision des klagenden Insolvenzverwalters statt.
Dabei hat der BGH zunächst festgestellt, dass bei einer doppelstöckigen Kommanditgesellschaft die Obergesellschaft (der Dachfonds) gemäß §§ 171, 172 HGB in Verbindung mit § 128 HGB im Falle der Einlagenrückgewähr für die Verbindlichkeiten der Untergesellschaft gegenüber deren Gläubigern als Kommanditistin unmittelbar in Höhe der hierdurch wirtschaftlich zurückgewährten Haftsumme haftet. Für diese Haftung des Dachfonds haftet wiederum deren Kommanditist bei Vorliegen der Voraussetzungen gemäß §§ 171, 172 HGB gegenüber den Gläubigern der Untergesellschaft mit. Der BGH erteilt hiermit der teilweise vertretenen Ansicht (LG München I, Urteil vom 13.09.2019 – 10 HK O 6362/18, LSK 2019, 28676; OLG München, protokollierter Hinweis vom 24.07.2019 – 20 U 4429/18, nicht veröffentlicht) eine Absage, dass ein Haftungsdurchgriff bei einem doppelstöckigen Fonds nicht möglich sei. Diese Ansicht wurde damit begründet, dass ein Kommanditist nur den Gläubigern der Gesellschaft gegenüber hafte, an der er selbst beteiligt sei. Der BGH stellte demgegenüber im Urteil fest, dass die Gläubiger der Untergesellschaft unmittelbar auf die Kommanditisten des Dachfonds zugreifen können, sofern die Haftungsvoraussetzungen gemäß §§ 171, 172 Abs. 4 HGB in der Beteiligungskette durchgehend vorliegen.
Weiter hat der BGH im Urteil die bisher streitige Frage, ob in der Insolvenz der Untergesellschaft diese Haftung nur durch den Insolvenzverwalter der Untergesellschaft geltend gemacht werden könne, im Urteil dahingehend entschieden, dass dies zu bejahen sei, sofern über das Vermögen der Obergesellschaft kein Insolvenzverfahren eröffnet ist.
§ 171 Abs. 2 HGB regele nur, dass der Insolvenzverwalter die Anspruchsdurchsetzung an Stelle der Gesellschaftsgläubiger übernehme. Die Reichweite der Haftung richte sich sodann aber nach materiellem Recht. Insofern geht der BGH davon aus, dass eine Haftung entlang der Beteiligungskette auch bei doppelstöckigen Fondsgesellschaften in der Rechtsform der Kommanditgesellschaft möglich sei und im Insolvenzverfahren der Untergesellschaft von deren Insolvenzverwalter/Sachwalter geltend gemacht werden könne.
Sodann hat der BGH – obwohl es hierauf für das Urteil nicht ankam – im Urteil festgestellt, dass bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens auch über das Vermögen der Obergesellschaft eine Durchgriffshaftung und Geltendmachung von Ansprüchen gemäß §§ 171, 172 Abs. 4 HGB gegen den Kommanditisten der Obergesellschaft durch den Insolvenzverwalter der Untergesellschaft ausscheidet, da der Insolvenzverwalter der Obergesellschaft dann seinerseits Ansprüche gegen den Kommanditisten der Obergesellschaft gemäß § 171 Abs. 2 HGB gebündelt geltend zu machen habe. In diesem Fall sind die Gläubiger der Untergesellschaft dann mit ihren Direktansprüchen Insolvenzgläubiger im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Obergesellschaft, sodass der Insolvenzverwalter der Untergesellschaft die (wiederaufgelebte) Haftung der Obergesellschaft als Kommanditistin gemäß §§ 171 Abs. 1, 2, 172 Abs. 4 HGB im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Obergesellschaft nur gebündelt als Forderung zur Insolvenztabelle anmelden kann.
III. Fazit und praktische Hinweise
Die Entscheidung des BGH mag aus Sicht des in Anspruch genommenen Kommanditisten der Obergesellschaft ungerecht erscheinen, da ein Kommanditist in der Regel vor allem seine unmittelbare Beteiligung (an der Obergesellschaft oder einem Dachfonds) betrachten wird, wenn Gewinne ausgezahlt werden. Stellt sich nunmehr heraus, dass Beträge des Dachfonds nicht hätten ausgeschüttet werden dürfen, weil es sich bei den vermeintlichen Gewinnen aus den Untergesellschaften in Wirklichkeit um Ausschüttungen handelt, denen keine Gewinne gegenüberstehen, bricht die Legitimationskette für ein Behaltendürfen der empfangenen Beträge auch auf Ebene des ultimativen Kommanditisten weg. Ob der Kommanditist dies erkennen konnte, ist rechtlich grundsätzlich irrelevant.
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist aus rechtlicher Sicht aber konsequent. Der BGH will mit seiner Entscheidung Beteiligungsstrukturen entgegenwirken, die vornehmlich zur Vermeidung von (Durchgriffs-)Haftungsrisiken gewählt werden. Denn wenn ein Kommanditist stets nur gegenüber den Gläubigern der Gesellschaft haften würde, an der er unmittelbar beteiligt ist, ließe sich durch Bilden von Obergesellschaften Haftungsrisiken gemäß §§ 171 Abs. 1, 172 Abs. 4, 128 HGB zu Lasten der Gläubiger der (operativen) Untergesellschaften vermeiden. Unterstellt man, die Obergesellschaft hätte keine Aufgabe, außer Ausschüttungen aus den Untergesellschaften an ihre Kommanditisten weiter zu leiten, so würde auf diese Weise das Haftungssystem der Kommanditgesellschaft ausgehebelt. Durch das Urteil muss sich der Kommanditist als „Begünstigter“ der Ausschüttungen wirtschaftliche Schwierigkeiten innerhalb der Untergesellschaften gewissermaßen „zurechnen“ lassen.
Aus Sicht eines Insolvenzverwalters einer solchen Untergesellschaft besteht nunmehr Rechtssicherheit dahingehend, dass eine gebündelte Anspruchsdurchsetzung zu Gunsten der Insolvenzmasse gegenüber den Kommanditisten des Dachfonds stattfinden kann, sofern nicht die Obergesellschaft sich ebenfalls in einem Insolvenzverfahren befindet.
Kommanditisten eines doppel- oder mehrstöckigen Fonds sind auf Basis des Urteils gehalten, künftig genauer hinzuschauen, ob Ausschüttungen möglich sind, ohne dass eine Einlagenrückgewähr vorliegt, um ihr Haftungsrisiko gemäß §§ 171 Abs. 1, 172 Abs. 4, 128 HGB beurteilen zu können. Niedrige, im Handelsregister eingetragene Haftsummen helfen, die Haftungsrisiken in einem solchen Fall betragsmäßig möglichst gering zu halten.