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Kein Entkommen? – Navigation durch das unwegsame Terrain des deutschen AGB-Rechts

(Besprechung des Urteils des OLG Düsseldorf vom 23.11.2023 – 2 U 99/22 zum Vorliegen von AGB bei anwaltlich vorformulierten Vertragsstrafenklauseln)

16.08.2024

I. Einführung und Sachverhalt

Hintergrund der Entscheidung des OLG Düsseldorf war eine Klage auf Zahlung einer Vertragsstrafe i.H.v. EUR 380.000 aus einer von der Beklagten angepasst abgegebenen Unterlassungserklärung. Das OLG Düsseldorf hob die Verurteilung zur Zahlung der Vertragsstrafe auf, da das formularmäßige Vertragsstrafeversprechen der Unterlassungserklärung AGB-rechtlich unwirksam war.

Die vom Anwalt der Klägerin gefertigte Unterlassungserklärung bezüglich Patentansprüchen um Türschließscharniere enthielt eine Vertragsstrafe von EUR 10.000 für jeden Fall der Zuwiderhandlung und unter Ausschluss des Fortsetzungszusammenhangs, d.h. der Verzicht auf eine Zusammenfassung geeigneter Einzelverstöße ohne Rücksicht auf einen verbindenden Gesamtvorsatz und auch bei nur fahrlässiger Begehung durch die vertragsstrafeverpflichtete Partei. Im Original hieß es:

“Upon pain of a contractual penalty of € 10.000.00 (ten thousand EUR) for each case of non-compliance – excluding the application of the continuation-of-offence clause – to refrain from […]”

Daneben enthielt die Ursprungsfassung der Unterlassungserklärung weitere Klauseln zur Rechnungslegung, Entschädigung, Vernichtung, zu Rechtsanwaltskosten sowie zum Gerichtsstand. Diese Klauseln strich die Beklagte heraus, so dass im Kern die strafbewehrte Unterlassungspflicht übrig blieb.

Nachdem die Beklagte ein neues Türschließscharnier in ihr Angebot aufgenommen hatte, erhob die Klägerin – unter Berufung auf die strafbewehrte Unterlassungserklärung – erfolgreich Klage wegen des Vertriebs der Türschließscharniere beim LG Düsseldorf, wogegen die Beklagte Berufung beim OLG Düsseldorf einlegte.

II. Das OLG Düsseldorf begründet die Unwirksamkeit wie folgt

  • Einordnung als AGB: Das OLG Düsseldorf lehnte einen Anspruch der Klägerin ab, da es die Vertragsstrafenklausel als Formularbestimmung einstufte und sie wegen unangemessener Benachteiligung als unwirksam verwarf (§ 307 Abs. 1 BGB). Die Unterlassungserklärung insgesamt wurde als vorformulierte Erklärung für eine Vielzahl von Fällen und somit als Allgemeine Geschäftsbedingungen („AGB“) betrachtet (§ 305 Abs. 1 S. 1 BGB). Dies ergab sich daraus, dass Rechteinhaber Unterlassungserklärungen häufig für mehrere Fälle formulieren lassen und anwaltliche Vorlagen nutzen, was für eine Mehrfachverwendungsabsicht spricht. Nach dem OLG ergebe sich dies bereits aus den äußeren Umständen. Insbesondere bei anwaltlich vorformulierten Vorlagen streite bereits der erste Anschein für eine Mehrfachverwendungsabsicht und damit für das Vorliegen einer Formularbestimmung.
  • Fehlende Individualvereinbarung: Weiter verneint das OLG, dass die Vertragsstrafenklausel im Einzelnen als Individualvereinbarung ausgehandelt worden sei (§ 305 Abs. 3 BGB). Eine Klausel bleibt selbst nach erheblichen Streichungen eine AGB, wenn der Verwender nicht den Kerngehalt zur Disposition stellt oder dem Verhandlungspartner keine echte Gestaltungsfreiheit zur Wahrung eigener Interessen gewährt.

Dies sei vorliegend nicht der Fall gewesen, da eine Betrachtung der einzelnen Klausel vorzunehmen sei. Selbst in einem überwiegend als Individualvereinbarung ausgestalteten Vertrag können gewisse Bestimmungen als AGB anzusehen sein. Zumal die vorgenommenen Änderungen und Streichungen vorliegend gerade nicht den Kernbereich der strafbewehrten Unterlassungserklärung betroffen haben. Stattdessen blieb dieser inhaltlich unverändert, ohne dass es hierüber zu einer Erörterung zwischen den Parteien (z.B. durch Austausch von Entwürfen) kam.

Damit ist der Nachweis der Ausgestaltung als einheitliches Verhandlungspaket, das dem wirtschaftlichen Kräftemessen und den Vorstellungen der Parteien entspricht und sämtliche Vertragsbedingungen umfassen soll, umso schwieriger zu führen, je eher es sich bei einer unveränderten Bestimmung um den Kernbereich des jeweiligen Vertrages handelt.

  • Unangemessene Benachteiligung: Die Vertragsstrafenabrede benachteiligte die Beklagte unangemessen, da sie eine Aufsummierung von Einzelverstößen ausschloss, ohne die Möglichkeit der Zusammenfassung bei natürlicher Handlungseinheit zuzulassen. Dies widersprach wesentlichen Grundgedanken des dispositiven Rechts und wurde als unangemessen angesehen (§ 307 Abs. 1 BGB). Der Ausschluss des Fortsetzungszusammenhangs widersprach den Anforderungen an die Vereinbarung von Vertragsstrafen und stellte eine missbräuchliche Durchsetzung eigener Interessen dar, die die Interessen der Beklagten unzureichend berücksichtigte. Nach Auffassung des Gerichts entspricht die Unmöglichkeit, Einzelverstöße zusammenzufassen, nicht den Geboten von Treu und Glauben und benachteiligt den Vertragspartner unangemessen, da durch die Aufsummierung der Einzelstrafen eine unangemessene Gesamtstrafhöhe entstehen könnte.
  • Keine Aufteilung der Klausel: Der Versuch, die Klausel durch Streichung des Ausschlusses des Fortsetzungszusammenhangs auf ein zulässiges Maß zu reduzieren, wurde als unzulässige geltungserhaltende Reduktion Eine Aufteilung im Sinne eines „blue-pencil-tests“ wurde ebenfalls ausgeschlossen, da der Ausschluss des Fortsetzungszusammenhangs keine eigenständige Regelung darstellt, sondern die Reichweite der Vertragsstrafe bestimmt.

III. Bewertung

Die Entscheidung des OLG Düsseldorf bietet wertvolle Hinweise für die Praxis der Vertragsgestaltung und unterstreicht die strengen Anforderungen, die an die richterliche Unterscheidung zwischen Individualvereinbarungen und AGB gestellt werden. Hierbei stellt sich für jede Vertragsklausel individuell die Frage, wann sie als AGB gilt und damit der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB unterliegt. Je nach Fall kann bereits die Verwendung vorformulierter Vertragsentwürfe durch Anwälte den Anschein erwecken, dass es sich um AGB handelt. Daher ist bei der Erstellung solcher Klauseln sorgfältig vorzugehen, um zu vermeiden, dass diese von Gerichten als kontrollfähige und ggfs. unwirksame Klauseln eingestuft werden.

Eine wesentliche Folge der Entscheidung ist die Notwendigkeit ernsthafter und dokumentierter Verhandlungen über jede einzelne Vertragsbestimmung, um eine wirksame Individualvereinbarung sicherzustellen. Es ist darauf hinzuweisen, dass selbst scheinbar individuelle Bestimmungen als AGB bewertet werden können, wenn sie nicht nachweislich verhandelt wurden.

Darüber hinaus zeigt die Entscheidung, dass das OLG Düsseldorf den Blue-Pencil-Test als strenge Ausnahme vom Verbot der geltungserhaltenden Reduktion betrachtet. Dies bedeutet, dass Teile einer Klausel nicht einfach gestrichen werden können, um deren Wirksamkeit zu retten, wenn diese Teile keine inhaltlich abtrennbaren Regelungen darstellen. Klauseln sind daher – soweit möglich – so zu erstellen, dass Einschübe, Nebensätze oder Zusätze ohne weiteres gestrichen werden können, ohne ein integraler Bestandteil der spezifischen Ausgestaltung der Klausel zu sein. Diese strenge Handhabung wird zum Teil von anderen Obergerichten geteilt (OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 23.07.2022, – 6 U 91/19; OLG Köln, Beschluss vom 15.06.2010 – 19 U 53/10), was die Bedeutung einer präzisen Vertragsgestaltung unterstreicht.

Ungeachtet dieser Vorfrage, ob im Einzelfall tatsächlich AGB vorliegen, war die Entscheidung des OLG Düsseldorf in der Sache nicht überraschend. Es entspricht ständiger BGH-Rechtsprechung, dass in AGB ein uneingeschränkter Verzicht auf die Einrede des Fortsetzungszusammenhangs unwirksam ist, es sei denn, der Verzicht ist durch besondere Interessen des Gläubigers gerechtfertigt (BGH, Urteil vom 10.12.1992 – I ZR 186/90; Urteil vom 28.01.1993 – I ZR 294/90; Urteil vom 20.01.2016 – VIII ZR 26/15).

IV. Ausblick

Für die Praxis bedeutet das Urteil des OLG Düsseldorf, dass eine präzise Dokumentation der Verhandlungsprozesse und eine klare Abgrenzung zwischen individuell verhandelten Vereinbarungen und vorformulierten Klauseln entscheidend ist, um die rechtliche Wirksamkeit sicherzustellen und das Risiko einer gerichtlichen Beanstandung zu minimieren.

Auch die jüngste Einführung von (englischsprachigen) Commercial Courts wird hier keine Abhilfe schaffen. Insofern bleibt die internationale Attraktivität deutscher Gerichte aufgrund der strengen AGB-Kontrollen in B2B-Verträgen ein Problem. Eine Reform in diesem Bereich könnte die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Justizstandortes erhöhen. Denn auch wenn die Möglichkeit, Verfahren auf Englisch zu führen, ein Vorteil ist, bleibt die materielle Rechtsanwendung ein wesentlicher Faktor, der über die Wahl des Gerichtsstandorts entscheidet.