Hinweisgeberschutzgesetz auf der Zielgeraden
Nachdem bereits mehrere Extrarunden gedreht wurden, scheint das Hinweisgeberschutzgesetz nun endlich auf die Zielgerade einzubiegen: Der Vermittlungsausschuss hat in seiner gestrigen Sitzung eine Beschlussempfehlung (20/6700) an den Bundestag gefasst. Zuvor wurde bereits vermeldet, dass sich Bund und Länder in einer Nachtsitzung Ende letzter Woche auf einen Kompromiss geeinigt haben, der dem Bundestag als Beschlussempfehlung vom Vermittlungsausschluss unterbreitet werden solle.
Hintergrund
Schon am 16. Dezember 2022 hat der Bundestag das Gesetz für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen („Hinweisgeberschutzgesetz“ oder „HinSchG“) beschlossen (20/4909), um die Hinweisgeberschutz-Richtlinie der Europäischen Union umzusetzen (wir haben hier berichtet). In der Sitzung des Bundesrats vom 10. Februar 2023 hat das Gesetz indes nicht die erforderliche Mehrheit von 35 Stimmen erhalten. Die Länder, in denen CDU und CSU an der Regierung beteiligt waren, hatten ihre Zustimmung unter Verweis auf eine zu starke Belastung kleiner und mittlerer Unternehmen verweigert.
Die Bundesregierung unternahm daraufhin einen weiteren Anlauf und verabschiedete am 14. März 2023 Formulierungshilfen, um zwei neue Gesetzesentwürfe aus der Mitte des Bundestages einzubringen. Hierzu spaltete sie den vom Bundestag verabschiedeten und durch den Bundesrat gefallenen Gesetzesentwurf in zwei Teile auf: Teil 1 (20/5992) war inhaltlich weitgehend identisch mit dem ursprünglich gescheiterten Gesetzesentwurf, nahm jedoch ausdrücklich Beamte der Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände sowie der sonstigen der Aufsicht eines Landes unterstehenden Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts sowie Richterinnen und Richter im Landesdienst aus seinem Anwendungsbereich aus. Teil 2 (20/5991) hob dann diese Einschränkung des Anwendungsbereichsbereichs wieder auf. Diese künstliche Aufspaltung wurde ausweislich der Gesetzesbegründung allein deshalb vorgenommen, um eine Zustimmungspflicht des Bundesrats für Teil 1 zu umgehen.
Die vom Rechtsausschuss geladenen Experten äußerten in einer Anhörung erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Aufspaltung, da sie nicht aus sachlichen Gründen erfolgt sei. Dementsprechend wurden die für den 30. März 2023 vorgesehenen finalen Lesungen im Bundestag über den neuen Gesetzesentwurf kurzfristig von der Tagesordnung abgesetzt, nachdem sich die Fraktionen im Ältestenrat hierauf verständigt hatten. Am 5. April 2023 beschloss die Bundesregierung schließlich, den Vermittlungsausschuss zum ursprünglich vom Bundestag verabschiedeten und durch den Bundesrat gefallenen Gesetz anzurufen.
Änderungen zu den bisherigen Entwürfen
Über den ursprünglich verabschiedeten Gesetzesentwurf hatten wir bereits in mehreren News-Beiträgen (Bundestag beschließt Hinweisgeberschutzgesetz und Kein Ende der Hängepartie) sowie im Podcast mit Michelle Althen-Punjabi und Daniel Happ ausführlich berichtet. In diesem Beitrag werden kurz die vom Vermittlungsausschuss vorgeschlagenen Änderungen aufgezeigt.
Anwendungsbereich
In § 3 Abs. 3 HinSchG wird bestimmt, was unter „Informationen über Verstöße“ zu verstehen ist: Informationen über Verstöße fallen danach nur noch in den Anwendungsbereich des Hinweisgeberschutzgesetzes, wenn sie sich auf den Beschäftigungsgeber oder eine andere Stelle, mit der die hinweisgebende Person beruflich im Kontakt stand, beziehen.
Verhältnis von internen und externen Meldungen
§ 7 Abs. 1 Satz 2 HinSchG sieht jetzt vor, dass Hinweisgeber die Meldung an eine interne Meldestelle bevorzugen sollen, falls intern wirksam gegen den gemeldeten Verstoß vorgegangen werden kann und sie hierdurch keine Repressalien befürchten. Das Wahlrecht zwischen internen und externen Meldungen bleibt jedoch weiter bestehen, sodass es sich wohl lediglich um einen Aufruf handelt, ohne dass hieran Rechtsfolgen geknüpft werden sollen. Unverändert geblieben ist auch, dass Beschäftigungsgeber Anreize dafür schaffen sollen, dass Hinweisgeber sich an die jeweilige interne Meldestelle wenden.
Keine Pflicht zur Einrichtung anonymer Meldekanäle
In § 16 Abs. 1 HinSchG wird nunmehr die wohl weitreichendste Änderung vollzogen: Dort wird klargestellt, dass keine Verpflichtung besteht, die Meldekanäle so zu gestalten, dass sie die Abgabe anonymer Meldungen ermöglichen. Gleichwohl, so die Beschlussempfehlung, sollte die interne Meldestelle auch anonym eingehende Meldungen bearbeiten. Eine Pflicht hierzu besteht jedoch ausdrücklich nicht. Selbiges gilt im Ergebnis auch für die externen Meldestellen. Dies ist eine bemerkenswerte Rolle rückwärts, denn die Pflicht zur Einrichtung anonymer Meldekanäle kam erst auf Empfehlung des Rechtsausschusses in den gescheiterten Gesetzesentwurf und war ursprünglich auch von der Bundesregierung nicht vorgesehen.
Beweislastumkehr nur bei Geltendmachung
Die Beweislastumkehr in § 36 Abs. 2 HinSchG wurde etwas entschärft: Zwar wird grundsätzlich weiterhin vermutet, dass die Benachteiligung eines Hinweisgebers eine Repressalie infolge der Meldung eines Verstoßes ist, allerdings nur, wenn die hinweisgebende Person dies auch selbst geltend macht. Ein Hinweisgeber muss sich in einem Prozess also auch auf die Kausalität berufen.
Verringerung der Bußgeldhöhe
Für bestimmte Bußgeldtatbestände wurde die maximale Höhe der angedrohten Bußgelder verringert: Sie soll nach § 40 Abs. 6 HinSchG nur noch 50.000 Euro statt zuvor 100.00 Euro betragen. Dies betrifft die Behinderung von Meldungen oder der Kommunikation zwischen Hinweisgeber und Meldestelle, die Ausübung von Repressalien gegen hinweisgebende Personen, den Versuch dieser Tatbestände sowie den Verstoß gegen die Vertraulichkeit der Identität von hinweisgebenden und weiteren Personen.
Vorsicht: Inkrafttreten innerhalb Monatsfrist
Besonders relevant für die Praxis ist das geplante Inkrafttreten des Hinweisgeberschutzgesetzes. Anders als das gescheiterte Gesetz, das ein Inkrafttreten drei Monate nach der Verkündung im Bundesgesetzblatt vorsah, wurde dieser Termin deutlich vorverlegt. So soll das reformierte Hinweisgeberschutzgesetz bereits einen Monat nach Verkündung in Kraft treten. Damit wird der Handlungsdruck auf Unternehmen massiv verschärft. Zwar wurde ferner geregelt, dass die Pflicht interne Meldekanäle einzurichten, erst sechs Monate nach der Verkündung als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden kann. Allerdings darf diese Schonfrist nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Einrichtungspflicht auch zuvor schon gilt und durch eine zögerliche Umsetzung nur riskiert wird, dass Hinweisgeber sich sofort an externe Meldestellen wenden.
Private Beschäftigungsgeber mit in der Regel 50 bis 249 Beschäftigten müssen ihre internen Meldestellen weiterhin erst ab dem 17. Dezember 2023 einrichten. Auch hier sollte aber eine proaktive Umsetzung im Interesse der meisten Unternehmen sein.
Ausblick
Weichen Beschlüsse des Vermittlungsausschusses von denen des Bundestages ab, ist eine erneute Beschlussfassung im Bundestag erforderlich. Das Plenum des Bundestages stimmt am Donnerstag, dem 11. Mai 2023, über die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses ab. Der Beschluss soll ohne vorherige Aussprache gefasst werden. Schon am Freitag soll dann der Bundesrat zustimmen und das Gesetz dem Bundespräsidenten zur Ausfertigung vorgelegt werden. Da sich Bund und Länder im Vorfeld bereits auf die beschlossenen Eckpunkte verständigt hatten, ist nicht mehr mit einem Scheitern des Gesetzes zu rechnen. Das Hinweisgeberschutzgesetz ist damit nach einer Fahrt voller Kurven und Umwege letztendlich doch noch auf der Zielgeraden angelangt – Ausfahrten gibt es keine mehr, sodass mit einem Inkrafttreten des Hinweisgeberschutzgesetzes bereits ab Mitte Juni 2023 zu rechnen ist.
Spätestens jetzt sollten sich Unternehmen also mit der Frage beschäftigen, welche Anforderungen das Hinweisgeberschutzgesetz an sie stellt, und ob etwaige bereits bestehenden Hinweisgebersysteme diesen Anforderungen genügen. Gerne unterstützen wir Sie hierbei!