Haftungsrisiko Betriebsprüfungen: Sozialversicherungsträger erheben Nachforderungen in Höhe von rund 1 Mrd. Euro für das Jahr 2021
Die kürzlich veröffentlichten Ergebnisse der Betriebsprüfungen für das Jahr 2021 kommen vorbehaltlich marginaler Anpassungen bis zur Schließung der Statistik zu folgendem Ergebnis: Im genannten Jahr wurden insgesamt ca. 765.000 Betriebsprüfungen durchgeführt. Im Rahmen der regelmäßigen Kontrollen kam es dabei zu Beitragsnachforderungen von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen inklusive Umlagen und Säumniszuschlägen von rund 681 Millionen Euro. Die Nachforderungen aus Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung beliefen sich auf weitere rund 550 Millionen Euro.
Die Veröffentlichung der Deutschen Rentenversicherung ist ein eindrücklicher Beleg dafür, dass Unternehmen sich in der Praxis bei der korrekten rechtlichen Einordnung von für sie erbrachten Tätigkeiten unverändert schwer tun. In vielen Fällen kommen die Betriebsprüfungen nach wie vor zu dem Ergebnis, dass es sich bei der vermeintlich selbstständig erbrachten Leistung in Wahrheit um abhängige Beschäftigung oder Arbeitnehmerüberlassung handelt. Darüber hinaus zeigen die Daten, dass das Haftungsrisiko im gegebenen Zusammenhang enorm ist.
Die Fälle bewusster Kriminalität beiseitelassend verwundern diese Ergebnisse, lässt sich das Risiko der fehlerhaften rechtlichen Einordnung einer Tätigkeit doch durch eine korrekte vertragliche Dokumentation und eine kongruente tatsächliche Umsetzung weitestgehend minimieren. Dass sich der präventive Aufwand lohnt, dürfte angesichts der oben genannten Summen offensichtlich sein. Zwei jüngere sozialgerichtliche Entscheidungen zeigen eindrucksvoll, dass eine ordnungsgemäße Vertragsdokumentation und deren kongruente Umsetzung wirksam vor unliebsamen Überraschungen schützt und es sich hierbei nicht bloß um ein ineffektives Beratermantra handelt.
LSG Berlin-Brandenburg (L 26 BA 6/20): Keine Sozialversicherungspflicht der Tätigkeit einer Gesellschafter-Geschäftsführerin als Pflegekraft in einem Krankenhaus
In der Entscheidung hat das LSG Berlin-Brandenburg zum Ausdruck gebracht, dass eine Arbeitnehmerüberlassung im Sinne des AÜG ein spezifisches Beziehungsgefüge zwischen den Beteiligten voraussetzt und nicht jede diesem Gefüge ähnelnde Konstellation unter das Regelungsregime des AÜG zu subsumieren ist (siehe so auch LSG Hessen L 1 BA 25/21). Die begrüßenswerte Entscheidung weist damit in der Praxis anzutreffende Tendenzen nach einer extensiven Auslegung des Anwendungsbereiches des AÜG durch die Sozialversicherungsträger zurück.
Die Klägerin, die alleinige Gesellschafter-Geschäftsführerin einer UG, wurde von Mai bis August 2016 in verschieden langen Zeiträumen als Pflegekraft in einem Krankenhaus eingesetzt. Die Dienstleistungsverträge hierzu wurden zwischen dem Krankenhaus und der UG geschlossen. Eine vertragliche Beziehung zwischen der Klägerin und dem Krankenhaus bestand nicht. Unstreitig war, dass es sich bei der Tätigkeit der Klägerin als Geschäftsführerin der UG nicht um eine abhängige Beschäftigung handelte. Streitig war hingegen die Versicherungspflicht der Klägerin mit Blick auf Ihre Tätigkeit im Krankenhaus. Ein Statusfeststellungsverfahren kam zu dem Ergebnis, dass es sich bei dieser Tätigkeit um ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis handelt. Hiergegen setzte sich die Klägerin zur Wehr.
Das SG Frankfurt (Oder) gab der Klägerin Recht und entschied, dass zwischen der Klägerin und dem Krankenhaus kein abhängiges Beschäftigungsverhältnis bestanden habe. Daraufhin legte der beklagte Sozialversicherungsträger Berufung ein und argumentierte insbesondere, dass die UG rechtsmissbräuchlich zwischengeschaltet worden sei, um die Sozialversicherungspflicht zu umgehen.
Das LSG Berlin-Brandenburg hatte damit über die Frage zu entscheiden, ob tatsächliche und/oder rechtliche Erwägungen ein Hinwegsetzen über die privatautonom gewählte Vertragskonstruktion der Beteiligten und eine alternative Einordnung der Tätigkeit als abhängiges Beschäftigungsverhältnis rechtfertigen. Das LSG konstatiert zunächst, dass Arbeitnehmerüberlassung im Sinne des AÜG das Tätigwerden eines Arbeitnehmers voraussetzt (siehe § 1 Abs. 1. S. 1 AÜG) und Gesellschafter grundsätzlich in einem solchen Arbeitsverhältnis zur Gesellschaft stehen können. In Bestätigung ständiger Rechtsprechung stellt das LSG sodann fest, dass eine Alleingesellschafterin wie die Klägerin durch ihren beherrschenden Einfluss nicht in einem Arbeitsverhältnis zur Gesellschaft stehe und damit der unmittelbare Anwendungsbereich des AÜG nicht eröffnet sei.
Anhaltspunkte für eine Subsumtion unter den Anwendungsbereich des AÜG konnte das Gericht auch nicht aus einer Divergenz zwischen der vertraglichen Konstruktion und der tatsächlichen Durchführung finden. Das Gericht sah insbesondere keine über das erforderliche Maß hinausgehende Eingliederung der Klägerin in die Arbeitsorganisation des Krankenhauses.
Letztendlich folgte das LSG richtigerweise auch der Argumentation des Sozialversicherungsträgers nicht, die UG als juristische Person sei lediglich zum Zweck der Umgehung der Sozialversicherungspflicht und damit rechtsmissbräuchlich eingesetzt worden. Bei dieser Einschätzung stützt sich das Gericht maßgeblich auf den Umstand, dass die UG auch außerhalb der mit dem Krankenhaus geschlossenen Verträge rechtserheblich in Erscheinung getreten ist sowie die Tatsache, dass zumindest eine weitere Person in einem (geringfügigen) Beschäftigungsverhältnis zur UG stand. Anhaltspunkte dafür, dass die Vertragskonstruktion von den Beteiligten nur zum Schein im Sinne von § 117 BGB geschlossen wurden, waren ebenfalls nicht ersichtlich.
Das LSG macht explizit deutlich, dass die eigenständige Existenz und die Handlungsfähigkeit von juristischen Personen anzuerkennen sei und vor dem Hintergrund der Beteiligung natürlicher Personen nicht „hinwegdiskutiert“ werden könne. Hieran ändere auch der Umstand nichts, dass der eingesetzten Gesellschafter-Geschäftsführerin im Rahmen der Eingehung der vertraglichen Beziehungen eine maßgebliche Rolle zukomme. Dies entspreche ihren gesetzlichen Vertretungsbefugnissen und sei nicht, wie der Sozialversicherungsträger meinte, „reine Vertragsrhetorik“.
SG Leipzig (S 22 BA 18/20): Vermutung einer drei Monate andauernden Beschäftigung auch bei Unkenntnis
Gemäß § 7 Abs. 4 SGB IV wird bei der Berechnung nachzuzahlender Sozialversicherungsbeiträge vermutet, dass eine Beschäftigung für den Zeitraum von drei Monaten bestanden hat, wenn ein Arbeitgeber einen Ausländer ohne die nach § 284 Abs. 1 SGB III erforderliche Genehmigung oder ohne die nach § 4a Abs. 5 AufenthG erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beschäftigt. Das SG Leipzig hat in Konkretisierung arbeitgeberseitiger Compliancepflichten entschieden, dass diese Vermutung auch dann gilt, wenn der Verpflichtete über die konkrete Beschäftigung in Unkenntnis war.
Der Kläger betreibt ein Lebensmittelgeschäft, das durch das Hauptzollamt Dresden gem. § 2 SchwarzArbG überprüft wurde. Die Beamten stellten bei dieser Prüfung fest, dass zwei der an diesem Tag arbeitenden Personen über eine ausländische Staatsangehörigkeit verfügten und weder einen Aufenthaltstitel noch eine Arbeitserlaubnis vorweisen konnten. Daraufhin wurde eine anlassbezogene Betriebsprüfung durchgeführt und in deren Folge mit Bescheid festgestellt, dass die beiden am Tag der Überprüfung angetroffenen Personen in einem Zeitraum von drei Monaten (dreimonatige Beschäftigungsvermutung gem. § 7 Abs. 4 SGB IV) ohne Beitragsabführung und Meldung zur Sozialversicherung bei dem Lebensmittelhändler beschäftigt waren.
Dies führte zur Festsetzung von Beiträgen und Säumniszuschlägen in Höhe von insgesamt 5.774,58 Euro. Der klagende Händler wehrte sich gegen diese Festsetzung damit, dass die Personen nur für wenige Tage und nicht für volle drei Monate beschäftigt gewesen seien. Darüber hinaus seien ihm die angetroffenen Person nicht bekannt und er selbst sei zum Zeitpunkt der Kontrolle nicht im Geschäft gewesen.
Das SG Leipzig verwarf diese Argumentation und entschied, dass die Behörde bei ihrer Entscheidung rechtmäßig von der Vermutung des § 7 Abs. 4 SGB IV ausgehen durfte. Das Gericht führt aus : „Es war Sache des Klägers und in seinem eigenen Interesse, durch geeignete Organisation seines Betriebs, insbesondere vorheriger Aufzeichnung und Meldung aller Beschäftigungsverhältnisse sowie zusätzlich klare Einweisung seiner Mitarbeiter und Vertreter sicherzustellen, dass keine ihm persönlich unbekannten Personen ohne Arbeitserlaubnis […] tätig werden.“.
Die Eingangs wiedergegebenen Zahlen der Betriebsprüfungen und der in diesem Zusammenhang nacherhobenen Sozialversicherungsbeiträge signalisieren, dass es sich bei der inkorrekten Einordnung von Beschäftigungsverhältnissen um ein Problem mit erheblicher Praxisrelevanz handelt. Die beiden genannten Entscheidungen zeigen indes, dass eine durchdachte Vertragsgestaltung und deren konsequente tatsächliche Umsetzung wirksam vor Haftungsrisiken schützen kann bzw. geeignet ist, die Höhe der Nachforderungen deutlich zu reduzieren.