Grünes Licht für die Verordnung über die Wiederherstellung der Natur
Im Rahmen des Europäischen Green Deal und zur Umsetzung der europäischen Biodiversitätsstrategie 2030 hat der Rat der Europäischen Union die Verordnung über die Wiederherstellung der Natur im Juni förmlich angenommen (2022/0195(COD)). Die Verordnung soll der Erreichung der europäischen Klima- und Umweltschutzziele dienen, insbesondere den Globalen Biodiversitätsrahmen von Kunming-Montreal der Vereinten Nationen umsetzen, der auf der COP 2022 vereinbart worden war.
Rund 80% der Lebensräume in der EU sind in schlechtem ökologischen Zustand, die Biodiversität nimmt drastisch ab. Bisherige Maßnahmen vermochten diese Entwicklungen nicht aufzuhalten. Erstmals enthält die Verordnung daher verbindliche Maßnahmen zur Wiederherstellung geschädigter Ökosysteme und nicht nur zu deren Bewahrung. Die Verordnung sieht Maßnahmen vor, die u.a. den Klimawandel und die Auswirkungen von Naturkatastrophen abschwächen sollen, indem CO2 durch Renaturierung und Aufforstung eingespart und gespeichert wird. Daneben sollen zur Verbesserung der Biodiversität unverzichtbare Tierpopulationen wieder anwachsen, um einen Beitrag zur Lebensmittelsicherheit zu leisten.
A. Wiederherstellung von Ökosystemen
Zur Wiederherstellung von Ökosystemen gibt die Verordnung zeitgebundene und flächenspezifische Ziele für die Verbesserung von Ökosystemen an Land und im Meer vor. Die Verordnung enthält namentlich Anforderungen an die Wiederherstellung von Land-, Küsten- und Frischwasserökosystemen (Art. 4), marine Ökosysteme (Art. 5), städtische Ökosysteme (Art. 8) und Flüsse und Auen (Art. 9).
Die Mitgliedstaaten werden verpflichtet, 30 % der Land-, Küsten- und Süßwasser- sowie Meeresökosysteme, die sich derzeit in einem schlechten Zustand befinden, bis zum Jahr 2030 in einen guten Zustand zu versetzen. Der Anteil von Ökosystemen in gutem Zustand soll bis zum Jahr 2040 auf 60% und bis zum Jahr 2050 auf 90% ansteigen. Bis zum Jahr 2030 sollen die Mitgliedstaaten dabei den Schwerpunkt auf Natura2000-Gebiete legen. Natura2000 ist ein EU-weites Schutzgebietsnetz, das ca. 18,6% der Landfläche der EU ausmacht und aus rund 27.000 Schutzgebieten im Sinne der Vogelschutz-Richtlinie (Richtlinie 2009/147/EG) und den Schutzgebieten der Fauna-Flora-Habitat (FFH) Richtlinie (Richtlinie 92/43/ EWG) besteht.
In der Wahl der Mittel, wie die Ökosysteme in einen guten Zustand versetzt werden, sind die Mitgliedsstaaten frei. Als Orientierung gibt die Verordnung in ihren Anhängen Beispiele für Maßnahmen vor.
B. Ökosystemspezifische Maßnahmen
Neben allgemeinen Anforderungen an die flächenspezifische Wiederherstellung der genannten Ökosysteme macht die Verordnung den Mitgliedsstaaten konkrete Vorgaben für ausgewählte einzelne Ökosysteme:
Die Verordnung sieht vor, dass die Mitgliedsstaaten konkrete Maßnahmen für landwirtschaftliche Ökosysteme, Waldökosysteme und Flüsse vornehmen. Die Mitgliedsstaaten sollen zunächst für landwirtschaftliche Ökosysteme und Waldökosysteme Wiederherstellungsmaßnahmen ergreifen, um deren biologische Vielfalt zu verbessern. Für landwirtschaftliche Ökosysteme sollen nach Art. 11 Abs. 2 mindestens zwei der nachfolgenden Elemente erreicht werden: Positive Trends beim Index der Wiesenschmetterlinge und Feldvögel, den Beständen an organischem Kohlenstoff in mineralischen Ackerböden oder dem Anteil landwirtschaftlicher Flächen mit Landschaftselementen mit großer biologischer Vielfalt. Außerdem sollen nach Art. 11 Abs. 4 der Verordnung die landwirtschaftlich genutzten organischen Böden, bei denen es sich um trockengelegte Torfmoorflächen handelt, teilweise wiedervernässt werden. Eine Pflicht für Landwirte, ihre landwirtschaftlich genutzten Flächen wiederzuvernässen, sieht die Verordnung (vorbehaltlich anderslautender nationaler Verpflichtungen) nicht vor.
Zur Renaturierung von Flüssen sollen insbesondere menschengemachte Hindernisse entfernt werden, damit Flüsse wieder entlang ihres natürlichen Verlaufs fließen können (Art. 9 Abs. 2).
Zur Verbesserung von Waldökosystemen sollen die Mitgliedsstaaten nach Art. 12 neben der Wiederherstellung bestimmter Waldflächen, sechs der sieben nachfolgenden Indikatoren für ein verbessertes Waldökosystem erreicht werden: Verbesserungen des Anteils an stehendem Totholz, an liegendem Totholz, Verbesserung der Waldvernetzung, der Bestände an organischem Kohlenstoff, der Waldvogelarten, der Altersstruktur von Wäldern und Anteile von Wäldern mit dort ursprünglich vorkommenden Baumarten.
Eine verpflichtende Maßnahme der Verordnung setzt indes Art. 13 fest. So sollen die Mitgliedsstaaten bis zum Jahr 2030 zur Erreichung der Wiederherstellung der guten Zustände der Ökosysteme an Land 3 Milliarden Bäume pflanzen.
C. Maßnahmen in Städten
Die Mitgliedstaaten sind außerdem gehalten, städtische Ökosysteme zu verbessern (Art. 8). Hierfür ist von den Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass es bis zum Jahr 2030 nicht zum einem Nettoverlust an städtischer Grünfläche und städtischer Baumüberschirmung gegenüber dem Vergleichsjahr 2024 kommt. Die nationale Gesamtfläche städtischer Grünflächen soll ab dem Jahr 2031 kontinuierlich steigen.
D. Schutz von Bestäubern und Vorgaben für die Landwirtschaft
In den letzten Jahrzehnten ist die Zahl der Insektenbestäuber in Europa drastisch zurückgegangen. Um dem entgegenzuwirken, sollen die Mitgliedsstaaten nach der Verordnung den Rückgang der Bestäuberpopulationen bis spätestens 2030 umkehren (Art. 10). Ab 2030 soll dann der Trend der Populationsentwicklung gemessen werden. Die EU-Kommission legt eine Methode zur Überprüfung der Populationsentwicklung in delegierten Rechtsakten fest.
E. Umsetzung der Wiederherstellungsziele und Ausblick
Die Verordnung tritt am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft und gilt unmittelbar in allen Mitgliedstaaten.
Die EU-Kommission wird die Anwendung der Verordnung und ihre Auswirkungen auf die Land-, Fischerei- und Forstwirtschaft sowie ihre sozioökonomischen Auswirkungen bis zum Jahr 2033 evaluieren.
In den Mitgliedstaaten sollen die Ziele der Verordnung durch nationale Wiederherstellungspläne durchgesetzt werden (Art. 14). Diese Wiederherstellungspläne sind innerhalb von zwei Jahren nach Inkrafttreten der Verordnung bei der EU-Kommission einzureichen (Art. 16) und mit dieser abzustimmen (Art. 17).
Da die Mitgliedsstaaten in der Wahl der Mittel zur Erreichung der Wiederherstellungsziele der Ökosysteme Spielraum haben, hängen die unmittelbaren Auswirkungen für Wirtschaftsteilnehmer an den jeweiligen Maßnahmen der Mitgliedsstaaten.
Unternehmen sind also gehalten, die Maßnahmen der einzelnen Mitgliedsstaaten zu beobachten. Schon jetzt steht fest, dass der landwirtschaftliche Sektor Auswirkungen erleben wird. Das wird bereits aus den Mustermaßnahmen der Verordnung deutlich, die beispielsweise die Verringerung der Weideintensität oder des Düngeeinsatzes vorsehen. Daneben werden Unternehmen der Planungs- und Baubranche, gerade im Bereich der Entwicklung von Windenergieanlagen an Land und auf See, aber ebenso auch die Abfallwirtschaft und die Wasserwirtschaft betroffen sein.
Der Zeitplan zur Erarbeitung von nationalen Renaturierungsplänen ist aus deutscher Sicht ambitioniert – erfordert er doch eine Abstimmung zwischen Bund und Ländern zur Regelung in den Plänen enthaltenen Maßnahmen. Es ist davon auszugehen, dass daher nach Veröffentlichung der Verordnung im Amtsblatt zeitnah ein Gesetzgebungsverfahren angestoßen werden wird. Die Verwaltungsbehörden des Bundes und der Länder, namentlich vorrangig Bauplanungs- und Naturschutzbehörden sollten mit einem zusätzlichen Planungs- und Verwaltungsaufwand rechnen. Insbesondere auf die Kommunen wird für die Maßnahmen zur Wiederherstellung städtischer Ökosysteme ein zusätzlicher finanzieller und (städte-)planerischer Bedarf zukommen.