Familienstiftungen: BFH klärt Steuerklassenprivileg bei Schenkung- und Erbschaftsteuer
In der Frage, wie die Errichtung einer Familienstiftung schenkung- und erbschaftsteuerlich zu behandeln und das sog. Steuerklassenprivileg (§ 15 Abs. 2 S. 1 ErbStG) anzuwenden ist, hat der Bundesfinanzhof (BFH) mit seinem Urteil vom 28.02.2024 (Az. II R 25/21) Klarheit geschaffen.
Der folgende Überblick zum Steuerklassenprivileg (nachfolgend 1.) dient der Einordnung der Entscheidung des BFH (unten 2.) und der Ableitung praktischer Hinweise für die Errichtung und Ausgestaltung von (Familien-)Stiftungen (unten 3.):
1. Was ist das „Steuerklassenprivileg“ für Familienstiftungen?
Der Übergang bzw. die Übertragung von Vermögen auf eine Stiftung anlässlich ihrer Errichtung unterliegt der Erbschaft- bzw. Schenkungsteuer (§§ 3 Abs. 2 Nr. 1, 7 Abs. 1 Nr. 8 ErbStG).
Dabei ist der Besteuerung das Verwandtschaftsverhältnis des nach der Stiftungsurkunde entferntest Berechtigten zu dem Stifter zugrunde zu legen, sofern es sich um eine Familienstiftung handelt (§ 15 Abs. 2 S. 1 ErbStG). Dieses sog. Steuerklassenprivileg ist maßgebend für die anzuwendende Steuerklasse, für den Freibetrag und für den Steuersatz. Ohne Steuerklassenprivileg würde der Vermögenübergang auf die Stiftung mangels deren Verwandtschaft mit dem Stifter stets in der ungünstigsten Steuerklasse III besteuert, d.h. mit dem geringsten Freibetrag von EUR 20.000 und einem hohen Steuersatz von 30 % bei Erwerben bis einschließlich EUR 6 Mio. (darüber mit 50 %).
1.1. Welche Vermögensübergänge auf Stiftungen sind privilegiert?
Das Steuerklassenprivileg gilt nicht für jeden Übergang von Vermögen auf Familienstiftungen, sondern grundsätzlich nur für Vermögensübergänge, die
- entweder aufgrund lebzeitigen Stiftungsgeschäfts erfolgen (d.h. grundsätzlich anlässlich der Stiftungserrichtung im Stiftungsgeschäft zugewendet bzw. gewidmet werden),
- oder die von einem verstorbenen Stifter auf eine von ihm letztwillig angeordnete Stiftung von Todes wegen erfolgen (z.B. ein Erwerb der Stiftung als Erbin, Vermächtnisnehmerin oder Auflagenbegünstigte).
Das Steuerklassenprivileg gilt dagegen nicht für Vermögenszuwendungen, die erst nach Stiftungserrichtung bzw. außerhalb des Stiftungsgeschäfts und unabhängig davon vorgenommen werden.
Nach Auffassung der Finanzverwaltung (ErbStR 2019 R E 15.2) soll eine Vermögensübertragung bzw. Zustiftung immer in der Steuerklasse III besteuert werden, wenn der Stifter erst nach der Errichtung einer Familienstiftung weiteres Vermögen auf die Stiftung überträgt. Richtigerweise kann dies natürlich nur dann gelten, wenn es sich nicht um einen späteren Übergang bzw. eine spätere Übertragung aufgrund eines lebzeitigen Stiftungsgeschäfts handelt.
1.2. Wann gilt eine Stiftung als Familienstiftung?
Familienstiftungen im Sinne des Steuerklassenprivilegs sind Stiftungen, die wesentlich im Interesse einer Familie oder bestimmter Familien im Inland errichtet sind (§ 15 Abs. 2 S. 1 ErbStG).
Nach Auffassung der Finanzverwaltung (ErbStR 2019 R E 1.2) handelt es sich um eine solche Familienstiftung, wenn nach der Stiftungssatzung der Stifter, seine Angehörigen und deren Abkömmlinge
- entweder zu mehr als der Hälfte bezugs- oder anfallsberechtigt (Destinatäre) sind
- oder zu mehr als einem Viertel bezugs- oder anfallsberechtigt sind und zusätzliche Merkmale ein „wesentliches Familieninteresse“ belegen.
Bereits die Bezugsberechtigung der in der Satzung bezeichneten Familienangehörigen präge das Wesen als Familienstiftung, auch wenn Ausschüttungen bisher nicht vorgenommen worden sind. In welchem Umfang die Stiftung ihre Erträge thesauriert, sei für die Bezugsberechtigung der Destinatäre ohne Bedeutung.
Ein wesentliches Familieninteresse könne z.B. dann gegeben sein, wenn die Familie wesentlichen Einfluss auf die Geschäftsführung der Stiftung hat. Maßgebend sein können auch Vermögensinteressen im weitesten Sinne: nicht nur Bezugs- und Anfallsrechte, sondern alle Vermögensvorteile, welche die begünstigten Familien und ihre Mitglieder aus dem Stiftungsvermögen ziehen.
Die Stiftung diene diesen Vermögensinteressen dann wesentlich, wenn nach der Satzung oder dem Stiftungsgeschäft ihr Wesen darin besteht, es den Familien zu ermöglichen, das Stiftungsvermögen, soweit es einer Nutzung zu privaten Zwecken zugänglich ist, zu nutzen oder die Stiftungserträge an sich zu ziehen. Darunter soll insbesondere auch die unentgeltliche oder verbilligte Nutzung des Stiftungsvermögens fallen, wie
- die Nutzung stiftungseigener Immobilien zu Wohnzwecken,
- der Einsatz von Personal der Stiftung für Arbeiten im Rahmen des eigenen Hausstandes oder
- bei einer Stiftung mit Kunstbesitz der Vorteil, von diesem Kunstbesitz umgeben zu sein.
Derartige Nutzungs- und Zugriffsmöglichkeiten sollen sich allein aus der Natur des Stiftungszwecks oder aber in Verbindung mit dem Einfluss der Familie auf die Geschäftsführung ergeben können. Inwieweit davon tatsächlich Gebrauch gemacht wird, sei nicht entscheidend.
Vorstehende Auffassung der Finanzverwaltung für die Annahme einer Familienstiftung ist sehr weit: Neben einer Bezugs- oder Anfallsberechtigung zu einem Viertel genügt die bloße Möglichkeit einer Nutzung oder eines Zugriffs auf Stiftungsvermögen (sei es aufgrund der Natur des Stiftungszwecks oder aber in Verbindung mit einem Einfluss der Familien auf die Geschäftsführung). Auf eine tatsächliche Nutzung oder einen tatsächlichen Zugriff auf das Stiftungsvermögen durch die Familie soll es nicht ankommen.
1.3. Wer sind die nach der Stiftungsurkunde „entferntest Berechtigten“?
Das Verwandtschaftsverhältnis des nach der Stiftungsurkunde entferntest Berechtigten zu dem Stifter ist maßgebend für die Besteuerung des Vermögensübergangs auf die Stiftung.
Dabei ist nach Auffassung der Finanzverwaltung (ErbStR 2019 R E 15.2) auf den nach der Satzung „möglichen“ entferntest Berechtigten abzustellen, auch wenn dieser im Zeitpunkt der Errichtung der Familienstiftung noch nicht unmittelbar bezugsberechtigt ist, sondern es erst in der Generationenfolge wird. Als „entferntest Berechtigter“ sei derjenige anzusehen, der - ohne einen klagbaren Anspruch haben zu müssen - nach der Satzung Vermögensvorteile aus der Stiftung erlangen kann.
Dieses Verhältnis des nach der Stiftungsurkunde entferntest Berechtigten zu dem Stifter ist Gegenstand des BFH-Urteils vom 28.02.2024 (Az. II R 25/21).
2. Wie ist das Urteil des BFH vom 28.02.2024 (Az. II R 25/21) einzuordnen?
In dem Fall, der vom BFH zu entscheiden war, hatte ein Stifter-Ehepaar, das eine Tochter und noch keine Enkelkinder hatte, eine Stiftung mit folgendem Zweck errichtet:
- die angemessene Versorgung der Stifter.
- die angemessene finanzielle Unterstützung der Tochter der Stifter.
- die angemessene finanzielle Unterstützung weiterer Abkömmlinge des Stammes der Stifter, jedoch erst nach Wegfall der vorherigen Generation.
Das Finanzamt sah für die Besteuerung des Vermögensübergangs auf die Stiftung die im Zweck zuletzt genannten „weiteren Abkömmlinge“ als entferntest Berechtigte im Sinne des Steuerklassenprivilegs (§ 15 Abs. 2 S. 1 ErbStG) und gewährte einen Freibetrag von EUR 100.000, der für Abkömmlinge von Kindern als übrige Personen der Steuerklasse I gewährt wird (§§ 15 Abs. 1 Nr. 3, 16 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG). Begünstigt sein könnten später nämlich auch Enkel und Urenkel der Stifter, selbst wenn diese zurzeit noch nicht geboren sind.
Die Stifter wendeten sich dagegen mit Einspruch und Klage und stellten sich auf den Standpunkt, dass das Finanzamt den „entferntest Berechtigten“ unzutreffend bestimmt habe. Es müsse berücksichtigt werden, dass es aktuell nur eine Tochter gebe. Es sei nicht zulässig, noch nicht geborene (Ur-)Enkelkinder zum Nachteil der Stifter fiktiv bei der Bemessung des Freibetrags zu berücksichtigen. Nach der Satzung sei ausdrücklich vorgesehen, dass eine nachfolgende Generation erst nach dem Wegfall der Vorgeneration begünstigt wird. Es handele sich immer um einen Anfall zwischen Eltern und ihren Kindern. Deshalb gelte der Freibetrag von EUR 400.000, der für Kinder und Kinder verstorbener Kinder gilt (§ 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG).
Das Finanzgericht (FG Niedersachsen Beschluss 24.06.2021 - 3 K 5/21) hat die Klage der Stifter als unbegründet abgewiesen. Es hat in seinen amtlichen Leitsätzen ausgeführt, dass zu den „entferntest Berechtigten“ gem. § 15 Abs. 2 S. 1 ErbStG alle Personen gehören, die nach der Satzung – auch nur theoretisch – in Zukunft aus der Generationenfolge Vorteile aus der Familienstiftung erlangen können. Diese müssen weder bereits geboren sein noch einen klagbaren Anspruch haben. Dies entspricht im Wesentlichen der heutigen Auffassung der Finanzverwaltung (vgl. oben 1.3). Das FG hat die Revision zugelassen, weil bisher keine höchstrichterliche Entscheidung zur Auslegung des Steuerklassenprivilegs bei Familienstiftungen ergangen und deshalb eine Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts erforderlich war.
Der BFH (Urteil 28.02.2024 - Az. II R 25/21) hat die von den Stiftern eingelegte Revision zurückgewiesen. In seinen amtlichen Leitsätzen hat der BFH ausgeführt, dass beim Übergang von Vermögen auf eine Familienstiftung für die Bestimmung der anwendbaren Steuerklasse und des Freibetrags als "entferntest Berechtigter" zum Schenker derjenige anzusehen ist, der nach der Stiftungssatzung potentiell Vermögensvorteile aus der Stiftung erhalten kann. Unerheblich ist, ob die Person zum Zeitpunkt des Stiftungsgeschäfts schon geboren ist, jemals geboren wird und tatsächlich finanzielle Vorteile aus der Stiftung erlangen wird.
Im konkreten Fall sind die „entferntest Berechtigten“ der Stiftung mögliche Urenkel der Stifter. Für die Bestimmung des „entferntest Berechtigten“ sei nicht erheblich, dass eine Urenkelgeneration bei Errichtung der Stiftung noch nicht geboren ist. Ebenso wenig komme es darauf an, ob mögliche Urenkel tatsächlich jemals finanzielle Unterstützung aus der Stiftung erhalten werden. Die Formulierung des "entferntest Berechtigten" sei dahingehend zu verstehen, dass damit derjenige bezeichnet wird, der nach der Stiftungssatzung potentiell Vermögensvorteile aus der Stiftung erhalten soll. Der "Berechtigte" entspreche dem nach der Stiftungssatzung "potentiell Begünstigten", der durch den Erwerb von Vermögensvorteilen aus der Stiftung begünstigt sein kann. Eine Unterscheidung dahingehend, dass mit dem Begriff des "Berechtigten" der sofort Anspruchsberechtigte gemeint ist und sich dieser vom "Begünstigten", der erst später anspruchsberechtigt sein soll, unterscheidet, sei der Norm nicht zu entnehmen. Dass die Enkel und Urenkel der Stifter erst nach dem Ableben der vorangehenden Generation Leistungen aus dem Stiftungsvermögen erhalten sollen, sei nicht ausschlaggebend. Dabei handelt es sich lediglich um eine Bedingung und ein zeitliches Hinausschieben der Begünstigung - gleichwohl bleiben aber sowohl die Enkel als auch die Urenkel potentiell begünstigt.
3. Welche praktischen Folgen ergeben sich für die Errichtung und Ausgestaltung von Familienstiftungen?
- Auf das Steuerklassenprivileg kommt es (im Ergebnis nur) an, soweit der Vermögensübergang nicht schon aus anderen Gründen schenkung- bzw. erbschaftsteuerfrei ist. Eine große Relevanz haben in diesem Zusammenhang die Begünstigungen für unternehmerisches Vermögen unter den Voraussetzungen der §§ 13a ff., 28a ErbStG.
- Ist die Vermögensausstattung der Familienstiftungen (vgl. oben 1.2) nicht vollständig steuerfrei gestaltbar, sollte darauf geachtet werden, dass der „entferntest Berechtigte“ im Verhältnis zum Stifter möglichst in der Steuerklasse I steht. Dann bleibt mindestens der Freibetrag von EUR 100.000. Ob die höheren Freibeträge aus der Steuerklasse I von EUR 200.000, EUR 400.000 oder gar EUR 500.000 erreicht werden können, ist eine Frage des Einzelfalls. Und noch bedeutender als der Freibetrag: Auch die Steuersätze in Steuerklasse I mit eingangs 7 % (bis zu 30 % ab Erwerben über EUR 26 Mio.) sind deutlich günstiger als in Steuerklasse III mit eingangs 30 % (und 50 % bei Erwerben über EUR 6 Mio.).
- In bestimmten Fällen kann es zweckmäßig sein, die Ausgestaltung der Stiftung als Familienstiftung bewusst zu vermeiden, weil der relativ bescheidenen „Wohltat“ des Steuerklassenprivilegs durchaus Nachteile gegenüberstehen, wie etwa die in Zeitabständen von 30 Jahren ab dem ersten Vermögensübergang anfallende Erbersatzsteuer. Je nach Art und Umfang des Vermögens sowie dem beabsichtigtem Stiftungszweck kann der Nachteil aus einem Verzicht auf das Steuerklassenprivileg durch die Vermeidung der Erbersatzsteuer mehr als aufgewogen werden.
- Auch wenn der BFH mit seiner Bestimmung der „entferntest Berechtigten“ wenig überraschend auf der Linie der Vorinstanz, des Reichsfinanzhofs und auch der Finanzverwaltung (vgl. oben 1.3) liegt, zeigt seine Entscheidung doch sehr deutlich, dass bei der Errichtung von Stiftungen, insbesondere von Familienstiftungen aus steuerlicher Sicht besondere Sorgfalt bei der Gestaltung und Formulierung von Satzungen geboten ist. Für die Nutzung des Steuerklassenprivilegs bei Familienstiftungen (§ 15 Abs. 2 S. 1 ErbStG) bringt die BFH-Entscheidung Klarheit und damit Rechtssicherheit.
Zweitveröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Private Banking Magazins