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EuGH stärkt Eilrechtsschutz im Patentrecht

09.05.2022

Mit einer Vorabentscheidung im Verfahren C‑44/21 hat sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) am 28. April 2022 im Grundsatz gegen eine Entscheidungspraxis deutscher Patentgerichte gewandt. Diese hatten Ansprüche wegen Patentverletzung nur in seltenen Fällen im Wege des Eilrechtsschutzes gewährt. Patentrechtlicher Eilrechtsschutz sollte damit wieder einfacher möglich sein.

I. Problem des ungesicherten Rechtsbestands des Klagepatents

Im Patentverletzungsprozess stellen sich dem Gericht regelmäßig zwei Fragen:

(i) ist das Patent verletzt und

(ii) ist das Patent (voraussichtlich) rechtsbeständig?

Bei der Frage nach dem Rechtsbestand kann sich das – technisch meist nicht sachkundige – Gericht auf dem Vortrag der Parteien basierend eine Rechtsauffassung bilden. Die Parteien haben ihrerseits Gelegenheit zu intensiver Recherche und ziehen zudem regelmäßig auch technisch fachkundige Patentanwälte hinzu.

Im einstweiligen Rechtsschutz ist für eine derart intensive Auseinandersetzung kein Raum. Das Gericht steht damit vor einem Dilemma: Es kann von sich aus kaum beurteilen, ob sich das Patent als (voraussichtlich) rechtsbeständig erweisen wird. Erlässt das Gericht gleichwohl eine einstweilige Verfügung zugunsten des Antragstellers, besteht daher die Gefahr, dass sich das Patent im Nachhinein als nicht rechtsbeständig erweist und die einstweilige Verfügung zu Unrecht ergangen ist.

II. Die bisherige Rechtsprechung der deutschen Oberlandesgerichte zum patentrechtlichen Eilrechtsschutz

Innerhalb der Oberlandesgerichte Düsseldorf, München und Karlsruhe hatte sich vor diesem Hintergrund eine herrschende Auffassung gebildet, nach der eine einstweilige Verfügung wegen Patentverletzung in der Regel nur dann möglich war, wenn sich das Patent bereits in einem Einspruchs-, Beschwerde- oder Nichtigkeitsverfahren bewährt hatte (OLG Düsseldorf, Urt. v. 14.12.2017 – I-2 U 18/17 = GRUR-RS 2017, 142305, Rz. 12 f.; OLG München, Urt. v. 12.12.2019 – 6 U 4009/19 = GRUR 2020, 385; OLG Karlsruhe, Urt. v. 08.07.2009 – 6U 61/09 = GRUR-RR 2009, 442). Nur, wenn das Klagepatent eine solche „Feuerprobe“ bereits erfolgreich durchlaufen hatte, sei eine fehlerhafte, im Nachhinein zu revidierende Entscheidung nicht ernstlich zu erwarten (OLG Düsseldorf, Urt. v. 14.12.2017 – I-2 U 18/17 = GRUR-RS 2017, 142305, Rz. 12).

Nicht bereits die Erteilung des Patents, sondern erst eine (weitere) Rechtsbestandsentscheidung eines technisch kompetenten Spruchkörpers eines Patentamts oder des Bundespatentgerichts galt den Gerichten als hinreichendes Wirksamkeitsindiz. Einstweiliger Rechtsschutz aus dem Patent vor dieser „Feuerprobe“ war den Patentinhabern regelmäßig versagt.

III. EuGH: Eilrechtsschutz wegen Patentverletzung auch ohne ein vorheriges Rechtsbestandsverfahren

Die Auffassung der oben genannten Gerichte teilt der EuGH in der Entscheidung C-44/21 nicht. Laut EuGH ist das Erfordernis eines überstandenen Rechtsbestandsverfahrens mit der Durchsetzungs-RL (RL 2004/48 (EG)), insbesondere deren Artikel 9 Absatz 1, nicht vereinbar.

Seine Entscheidung begründet der EuGH insbesondere wie folgt:

  1. Die Durchsetzungs-RL sichert ein hohes Schutzniveau für das geistige Eigentum. Dieser Zweck wird verfehlt, wenn ein Rechtsbehelf zur sofortigen Beendigung einer Schutzrechtsverletzung von einem Erfordernis wie dem des überstandenen Rechtsbestandsverfahrens abhängig gemacht wird (Rz. 40).

  2. Im Falle einer ggf. unrichtigen einstweiligen Verfügung ist den Interessen der Gegenseite unter anderem durch die auch in der Durchsetzungs-RL gewährleisteten Maßnahmen und Schadensersatzansprüche Genüge getan (Rz. 44-48 mit Verweis auf Artikel 9 Absatz 5-7 Durchsetzungs-RL).

  3. Jedenfalls bei Europäischen Patenten spricht zudem bereits mit Erteilung eine Vermutung für deren Rechtsbeständigkeit (Rz. 41). Eine zusätzliche Voraussetzung wie die der durchlaufenen „Feuerprobe“ ist an den einstweiligen Rechtsschutz im Patentverletzungsverfahren nicht zu stellen.

Abschließend weist der EuGH darauf hin, dass das maßgebliche deutsche Recht die Rechtsfigur einer überstandenen „Feuerprobe“ gar nicht kenne. Bei richtiger Anwendung sei das nationale Recht damit ohne Weiteres mit der Durchsetzungs-RL vereinbar (Rz. 51).

IV. Fazit: Grünes Licht für den einstweiligen Rechtsschutz wegen Patentverletzung

Die Entscheidung des EuGH lässt eine jedenfalls teilweise Rechtsprechungsänderung in den für Patentverletzungsverfahren wichtigsten Oberlandesgerichtsbezirken Düsseldorf, München und Karlsruhe erwarten. Der Eilrechtsschutz in Patentverletzungsverfahren gewinnt damit wieder vermehrt an Erfolgsaussicht und Stellenwert.