EU-Kommission startet Konsultation zur „Fair Share“-Initiative
Sollen Online-Dienste für den Traffic bezahlen, den ihre Nutzer verbrauchen? Die Europäische Kommission hat am 23. Februar 2023 eine öffentliche Konsultation gestartet, um diese für die Telekommunikationsbranche und die Digitalwirtschaft grundlegende Frage zu klären. Unter dem Stichwort „Fair Share“ wird jetzt verhandelt, ob die großen Internetkonzerne von der EU zu Ausgleichszahlungen an die Netzbetreiber verpflichtet werden sollen.
Hintergründe der „Fair Share“ Initiative
Hintergrund des Vorschlags ist die langjährige Forderung der Netzbetreiber, dass Unternehmen, die von der Nutzung der digitalen Infrastruktur profitieren, einen Beitrag zur Finanzierung dieser Infrastruktur leisten. Einer Studie im Auftrag der European Telecommunications Network Operators‘ Association („ETNO“) zufolge verursachen die Dienste der sechs großen Internetkonzerne (Alphabet, Apple, Amazon, Meta, Microsoft und Netflix) zusammen mehr als die Hälfte des gesamten weltweiten Datenvolumens. Telekommunikationsanbieter verlangen daher, dass die großen Datenverkehrserzeuger zu einem Investitionsbeitrag in die Netzinfrastruktur verpflichtet werden. Nur so seien die nötigen Investitionen in den Ausbau moderner Netze möglich, die die Europäische Kommission auf etwa EUR 174 Milliarden bis 2030 schätzt.
Die „Fair Share“-Initiative ist Teil eines umfassenden Pakets zum Ausbau der Telekommunikationsinfrastuktur von EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton. Zeitgleich mit der Konsultation stellte er den Gigabit Infrastructure Act vor, der administrative Erleichterungen bringt und den Netzausbau beschleunigen soll. Zudem hatte die Kommission erst kürzlich die Regelungen für staatliche Förderungen des Breitbandausbaus überarbeitet. Die „Fair Share“-Initiative richtet sich nun auf die Finanzierung des Netzausbaus auf privatwirtschaftlicher Seite.
„Fair Share“ als wesentlicher Streitpunkt
Der Vorstoß ist politisch umstritten und wird auch innerhalb der europäischen Institutionen und Mitgliedstaaten kontrovers diskutiert. Die Netzbetreiber verweisen insoweit auf ihre hohen Investitionslücken und den steigenden Datenverkehr, der durch die Nutzung der Online-Dienste ausgelöst werde. In einem Non-Paper vom 19. Juli 2022, das neben Deutschland auch die Niederlande, Dänemark, Estland, Finnland, Irland und Schweden unterzeichnet haben, warnen diese Mitgliedstaaten laut Presseberichten aber vor übereilten Entscheidungen. Jede Änderung würde sich auf die Beziehungen zwischen Telekommunikationsbetreibern, Internetplattformen und Nutzern auswirken.
Offene Fragen und mögliche Antworten
Die Konsultation soll nun Antworten auf bisher ungeklärte Aspekte liefern – insbesondere die Frage, welche Online-Dienste die Ausgleichszahlung leisten sollen und wie der Beitrag erhoben werden kann.
- Als Zahler könnten entweder alle Online-Dienste oder Dienste aus bestimmten Branchen herangezogen werden oder – so schlägt es die Europäische Kommission vor – nur die großen Datenverkehrserzeuger („large traffic generators“). Dafür soll ein Schwellenwert ermittelt werden, der sich nach dem prozentualen Anteil am Datenverkehr während der Spitzenzeiten richtet. Denkbar wäre auch, an bekannte Begriffe aus dem Unionsrecht anzuknüpfen, etwa die „Gatekeeper“ nach dem Digital Markets Act oder die „sehr großen Online-Plattformen“ nach dem Digital Services Act.
- Für die Erhebung und Verteilung des Beitrags sieht die Europäische Kommission zwei Optionen: Zum einen könnte die Zahlung als Digitalabgabe in einen nationalen oder europäischen Fond fließen, aus dem bestimmte Investitionen kofinanziert werden. Zum anderen könnten Online-Dienste zu Direktzahlungen an Netzbetreiber verpflichtet werden, die zwischen den Parteien ausgehandelt und abgewickelt werden. In diesem Fall müsste nach dem Willen der Europäischen Kommission sichergestellt sein, dass kleine Netzbetreiber nicht benachteiligt werden und die Zahlungen zielgerichtet für Investitionen erfolgen, etwa durch eine Bindung an bestimmte wirtschaftliche oder ökologische Vorgaben. Unklar ist auch, an welchem Maßstab sich die Höhe des Beitrags ausrichten soll.
Die Konsultation ist noch bis zum 19. Mai 2023 für Stellungnahmen der Stakeholder geöffnet. Die Ergebnisse werden für das weitere Vorgehen der Europäischen Kommission entscheidend sein. EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton plant, die Initiative noch bis zum Ende seiner Amtszeit im Juli 2024 zum Abschluss zu bringen.