Die neue EU-Entwaldungsverordnung – Was Unternehmen zur Sicherstellung entwaldungsfreier Lieferketten zu tun haben
Am 09.06.2023 wurde die Verordnung (EU) 2023/1115 über die Bereitstellung bestimmter Rohstoffe und Erzeugnisse, die mit Entwaldung und Waldschädigung in Verbindung stehen (EU-Entwaldungsverordnung), im EU-Amtsblatt veröffentlicht. Die Verordnung gilt ab dem 30.12.2024. Angesichts der Übergangsfrist von knapp 18 Monaten besteht für Industrie und Handel akuter Handlungsbedarf, um die Lieferketten im Hinblick auf Entwaldung „sauber“ zu bekommen und die notwendige Dokumentation sicherzustellen.
Was regelt die Verordnung?
Allein in den letzten 30 Jahren wurde weltweit eine Fläche entwaldet, die größer ist als die der Europäischen Union. Die EU ist mit ihrem Konsum für rund 10 % dieser Abholzung verantwortlich. Die neue EU-Entwaldungsverordnung (englisch: Regulation on deforestation-free products – „EUDR“) soll den europäischen Beitrag zur weltweiten Entwaldung reduzieren und zusätzlich Menschenrechte sowie die Rechte indigener Völker fördern. Deshalb können bestimmte Produkte künftig in Europa nur noch dann legal vertrieben oder aus der EU ausgeführt werden, wenn sie entwaldungsfrei hergestellt und Gesetze des Erzeugerlandes eingehalten wurden.
Welche Produkte sind betroffen und was ist zu tun?
Unter die EU-Entwaldungsverordnung fallen die sog. relevanten Rohstoffe Rind, Kakao, Kaffee, Ölpalme, Kautschuk, Soja und Holz sowie alle in Anhang I der Verordnung aufgelisteten Erzeugnisse, wenn diese die genannten relevanten Rohstoffe enthalten oder unter ihrer Verwendung hergestellt oder mit diesen gefüttert wurden. Die Auflistung in Anhang I nimmt dabei auf das bewährte System der Kombinierten Nomenklatur, einer zollrechtlichen Grundlage für die Wareneinteilung und Zolltarifbestimmung, Bezug.
Die betroffenen Erzeugnisse müssen ab 30.12.2024 entwaldungsfrei sein. Das bedeutet, dass es auf den Erzeugungsflächen der relevanten Rohstoffe nicht zur Umwandlung von Wäldern in landwirtschaftlich genutzte Flächen kam und dass es keine Erntevorgänge gegeben hat, die nicht nachhaltig sind und zu einer Verringerung oder zu einem Verlust der biologischen oder wirtschaftlichen Produktivität und Komplexität der Waldökosysteme führt.
Außerdem müssen die einschlägigen Gesetze des Erzeugerlandes eingehalten worden sein. Dies umfasst keineswegs nur Gesetze zum Wald- und Naturschutz, sondern insbesondere auch Arbeitnehmerrechte, Menschenrechte, Rechte von indigenen Völkern und lokale Anti-Korruptions-Gesetze.
An welche Unternehmen richtet sich die EU-Entwaldungsverordnung?
Betroffen sind alle Unternehmen, die Produkte innerhalb der EU in den Verkehr bringen (Hersteller und Einführer), bereitstellen (Händler) oder aus der EU ausführen. Sie gelten einheitlich als „Marktteilnehmer“ mit vollständigem Pflichtenprogramm. Lediglich für kleine und mittelgroße Händler im Sinne der Richtlinie 2013/34/EU sieht die Verordnung (überschaubare) Erleichterungen vor.
Anders als das EU-Parlament noch im September 2022 beabsichtigte, sind Finanzinstitute (doch) nicht betroffen. Eine künftige Ausweitung des Anwendungsbereichs auf Finanzinstitute soll zwei Jahre nach Anwendungsbeginn der Verordnung allerdings noch einmal geprüft werden, sodass Finanzinstitute und insbesondere auch die Versicherungswirtschaft das Thema im Auge behalten sollte.
Welche Pflichten haben die Unternehmen?
Um die Entwaldungsfreiheit und die Einhaltung der lokalen Gesetze im Erzeugerland zu gewährleisten, fordert die EU-Entwaldungsverordnung von allen Marktteilnehmern in der Lieferkette eine umfassende Dokumentation der einschlägigen Informationen, die die Compliance mit den Vorgaben der Verordnungen belegen (z.B. Geolokalisierungsdaten der Erzeugerbetriebe), die Durchführung einer Risikobewertung für jedes betroffene Erzeugnis sowie die elektronische Übermittlung einer Sorgfaltserklärung an die zuständigen Behörden.
Das ist ein stattliches Pflichtenprogramm, wenn man sich vor Augen führt, dass es nicht nur für europäische Erst-Inverkehrbringer, sondern auch für Händler gilt. Die Marktteilnehmer müssen proaktiv feststellen und dokumentieren, dass das Risiko eines Verstoßes gegen die EU-Entwaldungsverordnung nicht besteht oder allenfalls vernachlässigbar ist. Hierfür müssen sie Informationen über das Produkt, das Erzeugerland, die konkreten Erzeugungsflächen und die Lieferkette sammeln und bereithalten. Der hierfür erforderliche Arbeitsaufwand wird maßgeblich durch das Länder-Benchmarking-System der Europäische Kommission beeinflusst werden. Die Europäische Kommission stuft bis zum 30.12.2024 Länder bestimmte Risikokategorien ein. Je nach Risikostufe gelten strengere Anforderungen an die von den Marktteilnehmern je Erzeugnis durchzuführende Risikobewertung.
Welche Konsequenzen drohen bei Verstößen?
Bei Verstößen gegen die Vorgaben der EU-Entwaldungsverordnung müssen sich die Unternehmen auf saftige Bußgelder in Höhe von bis zu 4% des erwirtschafteten Jahresumsatzes einstellen. Außerdem können die zuständigen Marktüberwachungsbehörden nicht nur den Vertrieb untersagen, sondern auch die Rücknahme betroffener Produkte vom Markt sowie den Rückruf nicht-konformer Produkte von den Endkunden erzwingen. Gerade letztes bringt nicht unerhebliche Haftungsrisiken für Zulieferer mit sich, etwa wenn Erzeugnisse aufgrund fehlender Konformität mit den Vorgaben der EU-Entwaldungsverordnung aus anderen Produkten nachträglich ausgebaut werden müssen.
Wie sollten sich betroffene Unternehmen vorbereiten?
Alle Unternehmen, egal ob Hersteller, Einführer oder Händler von Erzeugnissen, die aus relevanten Rohstoffen hergestellt sind, müssen ihre Compliance Strukturen anpassen, um den Anforderungen der EU-Entwaldungsverordnung ab 30.12.2024 nachkommen zu können. Wer Anfang 2025 für betroffene Erzeugnisse nicht belegen kann, dass von diesen kein oder lediglich ein vernachlässigbares Risiko eines Verstoßes gegen die Verordnung ausgeht, riskiert hohe Bußgelder, behördliche Rücknahme- und Rückrufanordnungen und Reputationsschäden durch Veröffentlichung entsprechender Verstöße.
Hersteller, Einführer und Händler sollten sich daher zügig mit den neuen Vorgaben auseinandersetzen, prüfen, inwieweit sie mit ihren Produkte betroffen sind, um anschließend ihre Lieferketten zu durchleuchten, für neu eingelastete Produkte Prozesse zur Sicherstellung der Konformität mit der Verordnung aufzusetzen und für Bestandsprodukte (einschließlich Lagerware) zu prüfen, wie sie die Einhaltung der Verpflichtungen aus der Verordnung möglichst effizient sicherstellen können.