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Der „Kompass für Wett­bewerbs­fähig­keit“ der Euro­päischen Kommission im Lichte des Beihilfe-, Dritt­staaten­sub­ventions- und Kartell­rechts

31.01.2025

Am Dienstag, den 29. Januar 2025, hat die Europäische Kommission („Kommission“) ihre Mitteilung „EU-Kompass für Wettbewerbsfähigkeit“ („A Competitiveness Compass for the EU” – „Kompass für Wettbewerbsfähigkeit“) veröffentlicht. Es handelt sich hierbei um ein zentrales Dokument der neuen Kommission, das die Arbeit der Kommission in den kommenden fünf Jahren prägen wird. Ausgehend von den Empfehlungen von Mario Draghi und Enrico Letta in ihren jeweiligen Berichten aus dem vergangenen Jahr (mehr dazu auf Noerr Insights) macht die Kommission die Wettbewerbsfähigkeit zu einem zentralen Leitprinzip. Dieser Artikel gibt einen Überblick über die wichtigsten praktischen Auswirkungen des „Kompasses für Wettbewerbsfähigkeit“ aus Sicht des Beihilferechts, einschließlich der EU-Verordnung über drittstaatliche Subventionen (Foreign Subsidies Regulation – „FSR“), und des Kartellrechts – damit Sie auf kommende Entwicklungen vorbereitet sind.

Drei Handlungsschwerpunkte zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit

Im Kompass für Wettbewerbsfähigkeit führt die Kommission drei Handlungsschwerpunkte (oder „Säulen“) auf, die für die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der EU in den kommenden Jahren unerlässlich sind:

Säule 1 – Die Innovationslücke schließen

Um den Innovationszyklus der EU wieder in Gang zu bringen und zu dynamischeren Wettbewerbern aufzuschließen, strebt die Kommission die Umsetzung einer speziellen EU-Strategie für Start-ups und Scale-ups an, die ein für Start-ups besser passendes Umfeld schaffen soll und Innovationen in Technologiebereiche (wie künstliche Intelligenz, Halbleiter- und Quantentechnologien sowie Biotechnologie) fördert. Dies folgt einer Empfehlung von Mario Draghi in seinem Bericht über die Wettbewerbsfähigkeit der EU.

Die Kommission betont, dass Innovation und Effizienz durch eine strenge und wirksame Durchsetzung der Kartell- und Fusionskontrollvorschriften geschützt werden. Andererseits erkennt die Kommission auch an, dass die Wettbewerbspolitik angesichts des sich verschärfenden globalen Wettbewerbs um die Entwicklung fortschrittlicher Technologien und bahnbrechender Innovationen Schritt halten muss. Daher verspricht sie einen neuen Ansatz bei der Durchsetzung der bestehenden Vorschriften, durch den die gemeinsamen Interessen der EU und ihrer Mitgliedstaaten sowie die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen in der EU erkannt und besser gefördert werden.

Dies wird sich in überarbeiteten Leitlinien zur Bewertung von Zusammenschlüssen nach einer Überprüfung der Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse widerspiegeln, wodurch sichergestellt wird, dass Innovation, Resilienz und Investitionen in bestimmten strategischen Sektoren entsprechend den wirtschaftlichen Bedürfnissen der EU priorisiert werden. Die Kommission wird auch die Regelungen für Technologietransfers (in Form der einschlägigen Gruppenfreistellungsverordnung und der dazugehörigen Leitlinien) überprüfen und beabsichtigt, die effiziente Durchsetzung des Gesetzes über digitale Märkte (Digital Markets Act – „DMA“) zu überwachen, um geschlossene Ökosysteme zu öffnen, sowie die breitere Inanspruchnahme staatlicher Fördermittel durch wichtige Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse (Important Project of Common European Interest – „IPCEI“) voranzutreiben.

Säule 2 – Ein gemeinsamer Fahrplan für Dekarbonisierung und Wettbewerbsfähigkeit

Die EU strebt an, bis 2050 eine dekarbonisierte Wirtschaft zu werden. In ihrem Clean Industrial Deal („Deal für eine saubere Industrie“, der im Februar veröffentlicht werden soll) beabsichtigt die Kommission darzulegen, wie strategisch ausgerichtete und vereinfachte Beihilfen Investitionen in die Dekarbonisierung fördern und gleichzeitig Marktverzerrungen minimieren können. Um saubere Technologien und eine dekarbonisierte Produktion in der EU voranzutreiben, sollen der Clean Industrial Deal und die diesen begleitenden Maßnahmen verschiedene politische Instrumente strategisch koordinieren.

Wie im Kompass für Wettbewerbsfähigkeit vorgeschlagen, werden diese Instrumente die Finanzierung durch sog. „Contracts for Difference“ sowie „Auction-as-a-Service“-Programme umfassen (die es den Mitgliedstaaten ermöglichen, Projekte, die an einer Auktion für EU-Mittel teilnehmen, aber für die die EU-Mittel nicht ausreichend waren, zusätzlich zu finanzieren). Investitionen in die Dekarbonisierung und regulatorische Reformen zur Förderung sauberer Technologien werden auf Sektoren abzielen, in denen die EU-Produktion dem Druck internationaler Wettbewerber ausgesetzt ist, die von ungerechtfertigten Vorteilen, Subventionen oder Fördermaßnahmen profitieren, die zu strukturellen Überkapazitäten führen. Um all diese Ziele zu erreichen, plant die Kommission außerdem, im zweiten Quartal 2025 einen neuen Rahmen für Beihilfen zu veröffentlichen. Zusammen mit dem Clean Industrial Deal soll dieser neue Rahmen flexiblere und gezieltere Beihilfen mit vereinfachten Regeln für Unternehmen ermöglichen, die auf saubere Technologien umsteigen.

Säule 3 – Verringerung übermäßiger Abhängigkeiten und Stärkung der Sicherheit

In einem angespannten globalen Umfeld können die wirtschaftlichen Abhängigkeiten der EU ausgenutzt werden und unfairer Wettbewerb den Binnenmarkt bedrohen. Zu den im Kompass für Wettbewerbsfähigkeit genannten Abwehrmechanismen zur Bewältigung dieser Risiken gehört eine strikte Durchsetzung der FSR. Die FSR, die erstmals 2023 in Kraft trat, wendet Regeln und Konzepte an, die dem Beihilferecht sehr ähnlich sind, um auch Subventionen aus Nicht-EU-Ländern zu kontrollieren, mit dem Ziel, gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle im EU-Binnenmarkt tätigen Unternehmen zu gewährleisten. Somit ist sie ein wichtiges Instrument für die EU, um sich gegen wachsende Abhängigkeiten und unfairen Wettbewerb aus Nicht-EU-Ländern zu verteidigen.

In der Verteidigungsindustrie beabsichtigt die Kommission außerdem, die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten erheblich zu verstärken, unter anderem durch Verteidigungsprojekte von gemeinsamem europäischem Interesse, wodurch der Sektor für zusätzliche Finanzmittel aus den Mitgliedstaaten geöffnet wird.

Horizontale Faktoren der Wettbewerbsfähigkeit

Die Kommission führt zudem „horizontale Faktoren“ an, die die Wettbewerbsfähigkeit in sämtlichen Sektoren unterstützen sollen. Zu diesen gehören die folgenden:

  • Auf allen Ebenen sind einfachere Regeln und schnellere administrative Prozesse erforderlich. Der Zugang zu EU-Mitteln oder behördliche Genehmigungen müssen für Unternehmen und Einzelpersonen schneller und erschwinglicher werden. Ein Beispiel ist der Plan zur Beschleunigung und Vereinfachung der Verfahren für IPCEI.
  • Eine Europäische Spar- und Investitionsunion und ein neu ausgerichteter EU-Haushalt sollen die Wettbewerbsfähigkeit finanzieren. Die Sicherung angemessener öffentlicher und privater Investitionen ist unerlässlich, um die Ziele der EU in den Bereichen Innovation, CO2-Neutralität und Verteidigung zu erreichen. Um diese Ziele zu erreichen, soll ein neuer Fonds für Wettbewerbsfähigkeit („Competitiveness Fund“) neue Investitionen in strategische Technologien (KI, Raumfahrt, saubere Technologien, Biotechnologie und weitere für die europäische Wettbewerbsfähigkeit entscheidende Sektoren) sowie in Forschung, Innovation und IPCEI generieren. Strategische öffentliche Mittel werden dazu beitragen, private Investitionen zu fördern und Risiken zu reduzieren (wiederum im Einklang mit den Empfehlungen von Mario Draghi).
  • Die Kommission beabsichtigt, ein neues Instrument zur Koordinierung der Wettbewerbsfähigkeit einzuführen, um mit den Mitgliedstaaten bei gemeinsamen Prioritäten für die Wettbewerbsfähigkeit und bei Projekten von strategischer Bedeutung und gemeinsamem europäischem Interesse zusammenzuarbeiten (was wiederum den Empfehlungen im Draghi-Bericht entspricht). Dieses Instrument soll durch den neuen Fonds für Wettbewerbsfähigkeit unterstützt werden und zielt darauf ab, die Industrie- und Forschungspolitik sowie Investitionen auf EU- und nationaler Ebene aufeinander abzustimmen. Die Kommission wird zunächst Maßnahmen zur Koordinierung der Politik (der EU und der Mitgliedstaaten) in ausgewählten Bereichen wie Energie- und Verkehrsinfrastruktur sowie digitale Infrastruktur, KI-Anwendungen, Biotechnologie und anderen wichtigen Sektoren wie kritischen Arzneimitteln vorschlagen.

Neue Regeln und Richtlinien können Chancen schaffen

Wie in den Berichten von Mario Draghi und Enrico Letta empfohlen, setzt die Kommission durch eine Vielzahl von Maßnahmen einen Schwerpunkt auf die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der EU. Auch wenn viele der geplanten Maßnahmen im Kompass für Wettbewerbsfähigkeit nur allgemein diskutiert werden, ist bereits jetzt klar, dass in den kommenden Monaten und Jahren bei verschiedenen beihilfe- und drittstaatensubventionsrechtlichen sowie kartellrechtlichen Vorschriften und Richtlinien einige größere Änderungen zu erwarten sind. Unternehmen sollten diese Änderungen genau im Auge behalten, da sie zusätzliche Möglichkeiten schaffen werden, durch die frühzeitige Wahl der richtigen Strategie effektiv im Wettbewerb zu bestehen:

  • Ein neuer Rahmen für Beihilfen sowie neue und erweiterte IPCEIs können sich positiv auf die Verfügbarkeit, das Verfahren und die Fristen für die mitgliedstaatliche Finanzierung auswirken.
  • Die geplante Überarbeitung der Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse sowie der Regelungen für den Technologietransfer kann zu zusätzlichen Synergieeffekten durch M&A-Transaktionen oder Kooperationen zwischen Unternehmen führen.
  • Unternehmen in verschiedenen Schlüsselsektoren (wie z. B. Märkte für digitale oder saubere Technologie) könnten auch von der rigorosen Durchsetzung des DMA und der FSR profitieren, um gleiche Wettbewerbsbedingungen zu erreichen, z. B. indem sie den Behörden unfaire Methoden melden oder, im Falle des DMA, ihre Ansprüche gegen Gatekeeper im Wege des Private Enforcement durchsetzen.

 

Unser Noerr Kompetenzteam besteht aus erfahrenen Expertinnen und Experten auf dem Gebiet der FSR, dem EU-Beihilferecht sowie der Fusionskontrolle und steht für Rückfragen und bei Unterstützungsbedarf gerne zur Verfügung. Melden Sie sich auch gerne hier an, um alle unsere News Alerts zur FSR zu erhalten oder klicken Sie hier , um zu unserem neuen FSR-Checker zu gelangen und herauszufinden, ob ihre M&A-Transaktion anmeldepflichtig ist.