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Bundes­ver­fassungs­gericht verwirft Eil­an­träge gegen Beschluss­fassung über Grund­gesetz­änderungen durch den 20. Bundes­tag

Bundestagswahl Insights

18.03.2025

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat in vier Beschlüssen – „Alt-Bundestag I-IV“ – (2 BvE 3/25, 2 BvE 2/25, 2 BvE 5/25 und 2 BvE 4/25) mehrere gegen die geplante Sondersitzung des 20. Deutschen Bundestages gerichtete Organstreitverfahren verworfen und in einem weiteren Verfahren (2 BvE 4/25) die Anträge auf Erlass einer einstweiliger Anordnung abgelehnt.

I. Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts über Anträge gegen geplante Sondersitzung des Bundestages

Die jeweiligen Anträge der AfD-Fraktion, der „Vor-Fraktion“ Die Linke und ihrer zukünftig im 21. Deutschen Bundestag vertretenen Abgeordneten und mehrerer AfD-Abgeordneter wurden als in der Hauptsache offensichtlich unbegründet verworfen, wodurch die jeweiligen Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung damit gegenstandslos wurden. In dem von der fraktionslosen Abgeordneten Cotar angestoßenen Organstreitverfahren, in dem es um die mögliche Verletzung von Abgeordnetenrechten durch die Ausgestaltung des Gesetzgebungsverfahrens geht, erging indes noch keine Entscheidung in der Hauptsache. In ihrem Fall lehnte das Gericht die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab.

1. Sachverhalt

Im Rahmen ihrer Sondierungsgespräche im Nachgang der Wahl zum 21. Deutschen Bundestag am 23. Februar 2025 verständigten sich CDU/CSU und SPD am 4. März 2025 auf Grundgesetzänderungen, die eine erhebliche staatliche Neuverschuldung ermöglichen sollten (zu den zunächst ohne Beteiligung von Bündnis90/Die Grünen erarbeiteten Reformvorschlägen auch unser Beitrag vom 6. März 2025). Die Abstimmung über die Änderung der Finanzverfassung soll noch vor der Konstituierung des neugewählten Bundestages durch den 20. Deutschen Bundestag beschlossen werden. Anders als im neuen Bundestag, in dem die AfD-Fraktion und die Fraktion Die Linke gemeinsam über genügend Mandate für eine sog. Sperrminorität verfügen werden, kommen die Fraktionen von SPD und CDU/CSU im „alten“ Bundestag gemeinsam mit den Abgeordneten von Bündnis90/Die Grünen auf die für Grundgesetzänderungen erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit.

Am 6. März 2025 beriet der Ältestenrat des 20. Deutschen Bundestages über den Zeitplan für die vorgeschlagenen Änderungen des Grundgesetzes. Nachdem die Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion sowie der SPD-Fraktion im 20. Deutschen Bundestag die Einberufung desselben für zwei Sondersitzungen am 13. und 18. März 2025 bei der Bundestagspräsidentin beantragt hatten, teilte diese den Abgeordneten des 20. Deutschen Bundestages die Einberufung unter Verweis auf das Einberufungsverlangen mit. Ebenfalls am 6. März 2025 fand eine Sitzung des Vor-Ältestenrats des neugewählten Bundestages statt, in der über den Zeitpunkt der für den 25. März 2025 geplanten konstituierenden Sitzung diskutiert wurde. Nachdem in der Sitzung des Vor-Ältestenrates kein Konsens über eine Vorziehung der konstituierenden Sitzung hergestellt werden konnte, hielt die Bundestagespräsidentin am ursprünglich geplanten Datum fest, da sie sich – am Mehrheitsvotum von CDU/CSU und SPD orientiert – nach Art. 39 GG und § 1 Geschäftsordnung des Bundestages („GO-BT“) hierzu verpflichtet gesehen habe

Seit dem 10. März 2025 lag der Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und CDU/CSU über die geplante Änderung des Finanzverfassungsrechts als Bundestagsdrucksache vor. Die Erste Lesung fand am 13. März 2025 statt. Am 14. März 2025 wurde gemäß § 42 Abs. 3 Satz 1 des Bundeswahlgesetzes („BWahlG“) durch den Bundeswahlausschuss das endgültige Ergebnis der Wahl zum 21. Deutschen Bundestag festgestellt. Am selben Tag einigten sich die Spitzen von CDU/CSU, SPD und Bündnis90/Die Grünen über den genauen Inhalt der Verfassungsänderungen, die der Haushaltsausschuss des 20. Deutschen Bundestages am 16. März 2025 beschloss. Am 18. März 2025 soll – nach Vorstellung der Fraktionen von CDU/CSU, SPD und Bündnis90/Die Grünen – der finale Entwurf durch den „alten“ Bundestag beschlossen werden.

2. Zahlreiche Anträge vor dem Bundesverfassungsgericht: Verfassungsprozessuale Einordnung

Das Vorgehen, die Änderungen des Grundgesetzes noch mit dem 20. Deutschen Bundestag zu beschließen, ist nicht nur politisch umstritten, sondern hat auch zu juristischen Auseinandersetzungen geführt. Zahlreiche Akteure beantragten mit zum Teil deckungsgleichen und teilweise unterschiedlichen Begründungen Organstreitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht. Diese werfen die grundsätzliche Frage der Parteifähigkeit von erst noch zu konstituierenden Verfassungsorganen und ihren Organteilen auf (hierzu unter a)). Die angestrebten Organstreitverfahren waren verbunden mit Anträgen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 32 Abs. 1 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes („BVerfGG“). In diesem Verfahren gilt für das Gericht ein eingeschränkter Prüfungsmaßstab (hierzu unter b)).

a) Organstreitverfahren: Zukünftige Abgeordnete und Organteile als Antragssteller

In einem Organstreitverfahren macht der Antragsteller gemäß § 64 Abs. 1 BVerfGG geltend, dass er oder das Organ, dem er angehört, durch eine rechtserhebliche Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners in seinen ihm durch das Grundgesetz übertragenen Rechten und Pflichten verletzt oder unmittelbar gefährdet ist (§ 64 Abs. 1 BVerfGG). Der Antragsteller kann mithin eigene ihm durch das Grundgesetz zugewiesene Rechte oder im Wege der Prozessstandschaft auch Rechte des Organs, dem er angehört, geltend machen. Eine Rechtsverletzung durch die Einberufung des 20. Deutschen Bundestages durch die Bundestagspräsidentin und eine Beschlussfassung über die vorgeschlagenen Grundgesetzänderungen durch diesen machten neben mehreren aktuellen und künftigen Mitgliedern des Bundestages auch die aktuelle AfD-Fraktion geltend, die neben der Verletzung eigener verfassungsmäßiger Rechte im Wege der Prozessstandschaft auch eine Verletzung der Rechte des 20. Deutschen Bundestages rügte. Ebenfalls reichte die „Vor-Fraktion“ Die Linke des künftigen Deutschen Bundestages einen Organklageantrag ein, in der sie neben einer Verletzung der Rechte der „Vor-Fraktion“ ebenfalls mittels Prozessstandschaft eine Rechtsverletzung des nur künftigen 21. Deutschen Bundestages geltend zu machen suchte. Von einer „Vor-Fraktion“ ist die Rede, wenn sich eine Parlamentsfraktion ihrerseits bereits vor dem Zusammentritt des neugewählten Bundestages konstituiert.

Die prozessrechtliche Besonderheit der angestrebten Verfahren liegt darin, dass teilweise zukünftige Mitglieder des Bundestages bzw. zukünftige Organteile eines zukünftigen Bundestages Organstreitverfahren anstoßen wollen. Mit Blick auf die Parteifähigkeit dieser Akteure bzw. ihre Klagebefugnis lässt sich bereits die Zulässigkeit dieser Verfahren kritisch hinterfragen. Vor der Konstituierung des 21. Deutschen Bundestages existiert dieser im Rechtssinne noch nicht. Ebenfalls ist die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 BWahlG an den Zusammentritt desselben geknüpft. Ob sich Mitglieder des Bundestages in spe oder „Vor-Fraktionen“ auf Rechte aus ihrer zukünftigen Rechtsstellung bzw. Rechte des noch nicht konstituierten Bundestages berufen können, ist verfassungsgerichtlich noch ungeklärt. Jedenfalls soweit die Antragssteller die rechtzeitige Erlangung ihrer Organrechte geltend machen, könnte die Anerkennung ihrer Parteifähigkeit und Klagebefugnis geboten sein.

Dass diese Problematik zentral für die Erfolgsaussichten ihres Organstreitverfahrens sein könnte, erkannten auch die Prozessbevollmächtigten der „Vor-Fraktion“ Die Linke und ihrer nur künftigen Abgeordneten. Sie trugen daher explizit auch zur Parteifähigkeit der Antragssteller vor. Das Bundesverfassungsgericht ließ diese Thematik und damit die Frage, ob der Organklageantrag zulässig ist, jedoch bewusst offen. Da sich die Frage nur in der Übergangsphase von „altem“ zu neuem Parlament und somit in einer recht spezifischen Situation stellen kann, ist eine gerichtliche Klärung in näherer Zukunft nicht zu erwarten.

b) Einstweiliger Rechtsschutz: Eingeschränkter Prüfungsumfang

Die Organstreitverfahren waren jeweils verbunden mit Anträgen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 32 Abs. 1 BVerfGG, um die Durchführung der Sondersitzungen und die Beschlussfassung kurzfristig zu verhindern. Das Bundesverfassungsgericht hat gemäß § 32 Abs. 1 BVerfGG im Streitfall die Möglichkeit, durch einstweilige Anordnung einen Zustand vorläufig zu regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist.

Der bundesverfassungsgerichtliche Prüfungsmaßstab ist in einem solchen Verfahren indes beschränkt: Anders als im verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz erfolgt im verfassungsgerichtlichen Eilverfahren im Grundsatz keine summarische Prüfung der Begründetheit der Hauptsache. Das Gericht prüft auf einer ersten Stufe lediglich, ob sich das Hauptsacheverfahren als von vornherein unzulässig oder als offensichtlich unbegründet erweist. Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass keine einstweilige Anordnung durch das Bundesverfassungsgericht ergehen soll, wenn das zugrundeliegende Hauptsacheverfahren offensichtlich aussichtslos ist. Die Messlatte für eine offensichtliche Unbegründetheit ist jedoch hoch. So kommt es darauf an, dass das Gericht zum Zeitpunkt seiner Entscheidung der Auffassung ist, dass kein Gesichtspunkt erkennbar ist, der dem Hauptsacheverfahren zum Erfolg verhelfen könnte. Nimmt ein Antrag auf einstweilige Anordnung diese erste Hürde, erfolgt auf zweiter Stufe eine Folgenabwägung nach der sogenannten Doppelhypothese. Das Bundesverfassungsgericht wägt hierbei die Nachteile, die sich ergäben, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, aber das Hauptsacheverfahren später Erfolg hätte, mit den Nachteilen ab, die entstünden, wenn die einstweilige Anordnung erlassen würde, aber das Hauptsacheverfahren erfolglos bliebe. Bei strenger Anwendung dieses Maßstabs müssen also die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens auf der zweiten Prüfungsstufe außer Betracht bleiben.

3. Entscheidung staatsorganisationsrechtlicher Streitpunkte durch das Bundesverfassungsgericht in den Hauptsacheverfahren

Die Anträge der AfD-Fraktion, der „Vor-Fraktion“ Die Linke und mehrerer Bundestagsabgeordneter verwarf das Bundesverfassungsgericht jedoch einstimmig bereits aufgrund ihrer offensichtlichen Unbegründetheit gemäß § 24 Satz 1 BVerfGG in der Hauptsache (2 BvE 3/25, 2 BvE 2/25 und 2 BvE 5/25). Die mit den Hauptsacheverfahren verbundenen Eilanträge wurden in der Folge gegenstandslos.

In seinen Beschlüssen bezog das Bundesverfassungsgericht Stellung zu mehreren Fragen des Staatsorganisationsrechts.

a) Keine Verletzung der Rechte des 21. Deutschen Bundestages, seiner Fraktionen oder Mitglieder durch Zusammentritt des 20. Deutschen Bundestages

Die zukünftigen Abgeordneten der Linken sowie ihre „Vor-Fraktion“ machten geltend, dass sie durch die Einberufung des 20. Deutschen Bundestages in ihren verfassungsmäßigen Rechten gemäß Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG und Art. 79 Abs. 1 bis Abs. 3 GG sowie Art. 39 Abs. 1 GG verletzt seien. Denn die Einberufung des „alten“ Bundestages zu einer Sondersitzung am 18. März 2025 schließe die gleichzeitige Konstituierung des neugewählten 21. Deutschen Bundestages aus., obwohl dieser nach Feststellung des amtlichen Wahlergebnisses am 14. März 2025 konstituierungsfähig sei. Daher sei die Einberufung des 20. Deutschen Bundestages durch die Bundestagspräsidentin pflichtwidrig. Die Verfassungsbestimmung des Art. 39 Abs. 2 GG, nach der der Bundestag innerhalb von 30 Tagen nach der Wahl zur konstituierenden Sitzung zusammentreten müsse, sei dahingehend auszulegen, dass sich der neu gewählte Bundestag „so schnell wie möglich“ konstituieren müsse. Darüber hinaus werde die „Vor-Fraktion“ Die Linke unter Verstoß gegen Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG ihrer Partizipationsmöglichkeiten beraubt, da sie im 20. Deutschen Bundestag keinen Fraktionsstatus habe und der 21. Deutsche Bundestag selbst in seinem aus  Art. 20 Abs. 2 Satz 1, Art. 38 Abs. 1, Art. 79 Abs. 1 sowie Art. 39 Abs. 1 Satz 1 GG folgenden Recht auf Konstituierung verletzt, welche die „Vor-Fraktion“ Die Linke in Prozessstandschaft geltend mache.

Diesem Vorbringen erteilte das Bundesverfassungsgericht jedoch eine Absage. Der neue Bundestag sei durch die Einberufung des „alten“ Bundestages nicht an seiner Konstituierung gehindert. Stattdessen entscheide dieser allein über seinen Zusammentritt und damit über das Ende der Wahlperiode des „alten“ Bundestages und dem damit verbundenen Erlöschen seiner Rechte und Pflichten gemäß Art. 39 Abs. 1 Satz 2 GG. Es entspreche zwar der parlamentarischen Übung und der Regelung des § 1 Abs. 1 GO-BT, dass der Bundestagspräsident des „alten“ Bundestages den neugewählten Bundestag einberufe. Verfassungsrechtlich stehe es diesem jedoch frei, auch auf anderem Wege zusammenzutreten. Hingegen könne die Bundestagspräsidentin des 20. Deutschen Bundestages gemäß Art. 39 Abs. 3 Satz 2 GG den „alten“ Bundestag jederzeit einberufen und sei hierzu im Falle eines Verlangens eines Drittels der Abgeordneten des „alten“ Bundestages gemäß Art. 39 Abs. 3 Satz 3 GG grundsätzlich auch verpflichtet. Ob die Bundestagspräsidentin in der Übergangsphase zwischen der Wahl zum Deutschen Bundestag und der Konstituierung des neuen Parlaments der Einberufung des neuen Bundestages gegenüber einer Einberufung des „alten“ Bundestages den Vorzug geben müsse, bedürfe keiner abschließenden Klärung. Denn eine solche Pflicht könnte nur dann verletzt sein, wenn der neue Bundestag den Willen zum Zusammentritt gebildet und sich auf einen Termin verständigt hätte. Im konkreten Fall läge eine solche Verständigung jedoch nicht vor.

b) Anforderungen an ein Verlangen im Sinne des Art. 39 Abs. 3 Satz 3 GG

Gemäß Art. 39 Abs. 3 Satz 1 GG bestimmt der (konstituierte) Bundestag selbst den Wiederbeginn und Schluss seiner Sitzungen. Gem. Art 39 Abs. 3 Satz 2 GG kann der Bundestagspräsident den Bundestag auch früher wieder einberufen (Einberufungsrecht) und ist hierzu nach Art. 39 Abs. 3 Satz 3 GG verpflichtet, wenn ein Drittel der Mitglieder, der Bundespräsident oder der Bundeskanzler es verlangen (Einberufungspflicht). Vor diesem Hintergrund stellten sich sowohl die AfD-Fraktion als auch ihre Abgeordneten in den Verfahren auf den verfassungsrechtlichen Standpunkt, dass kein Verlangen im Sinne des Art. 39 Abs. 3 Satz 3 GG vorgelegen habe. Ein Verlangen von Fraktionen reiche hierfür nicht aus, auch wenn diesen insgesamt ein Drittel der Abgeordneten angehörten. Denn aus dem Verlangen einer Fraktion ließe sich nicht ableiten, dass alle der Fraktion angehörenden Abgeordneten dem Verlangen auch zustimmten. Erforderlich seien vielmehr konkrete, handschriftlich unterzeichnete Verlangen eines Drittels der Abgeordneten. Daher sei die Einberufung des 20. Deutschen Bundestages bereits aus formalen Gründen verfassungswidrig.

Dem hielt das Bundesverfassungsgericht entgegen, dass die Bundestagspräsidentin bereits keine spezifischen Gründe brauche, um selbst eine Sitzung des Bundestages gemäß Art. 39 Abs. 3 Satz 2 GG einzuberufen. Denn auch in diesem Fall liege die Abhaltung der Sitzung letztlich in der Entscheidung des Bundestages im Rahmen seines Selbstversammlungsrechtes. Die Bundestagspräsidentin müsse zu Beginn der anberaumten Sitzung die Genehmigung des Parlaments einholen, das die Sitzung auch direkt wieder vertagen könne. Welche Anforderungen indes an ein Verlangen nach Art. 39 Abs. 3 Satz 3 GG zu stellen seien, sei vor diesem Hintergrund ohnehin unerheblich. Außerdem gebe das Grundgesetz nicht vor, wie das Erreichen des notwendigen Quorums festzustellen sei. Dass hierfür die Unterschrift der Zeichnungsberechtigten einer Fraktion oder mehrerer Fraktionen mit dem entsprechenden Quorum als ausreichend angesehen würden, sei von Verfassung wegen nicht zu beanstanden.

c) Legitimations- und Kompetenzverlust des 20. Deutschen Bundestages zugunsten des 21. Deutschen Bundestages?

Die AfD-Fraktion argumentierte außerdem, dass eine Beschränkung der Befugnisse des „alten“ Bundestages zugunsten des noch nicht konstituierten neugewählten Parlaments anzunehmen sei. Dem 20. Deutschen Bundestag fehle jedenfalls die Kompetenz zum Beschluss von Verfassungsänderungen.

Im Kern geht es um Überlegungen rund um die demokratische Legitimation des Deutschen Bundestages. Diese folge nicht aus dem Akt der Konstituierung des Parlaments gemäß Art. 39 Abs. 2 GG, sondern unmittelbar aus der Wahl selbst, in der das Volk seine Staatsgewalt ausübe (Art. 20 Abs. 2 GG). Bereits unmittelbar nach der Wahl läge eine demokratische Legitimation des neuen Bundestages vor. Dieser Legitimationsgewinn des neuen Parlaments gehe jedoch mit einem Legitimationsverlust des „alten“ Bundestages einher, der sich wiederum auf die Kompetenzen des noch aktuellen Parlaments auswirke. Dem „alten“ Bundestag fehle demnach die Kompetenz für Entscheidungen, für die das Grundgesetz eine Zwei-Drittel-Mehrheit und somit gerade einen besonders hohen Grad an demokratischer Legitimation vorsehe. So könne der „alte“ Bundestag in der Übergangsphase zwischen Neuwahl und Konstituierung des neuen Bundestages auch keine Verfassungsänderungen mehr verabschieden.

Das Bundesverfassungsgericht überzeugte auch diese Argumentationslinie nicht und stellte klar, dass der 20. Deutsche Bundestag bis zum Ende seiner Wahlperiode die ausreichende demokratische Legitimation besitze, um Grundgesetzänderungen zu beschließen. Die Wahlperiode eines Bundestages ende gemäß Art. 39 Abs. 1 Satz 2 GG erst mit dem Zusammentritt des neuen Bundestages. So werde sichergestellt, dass der Staat zu keinem Zeitpunkt ohne handlungsfähiges Parlament sei. Bis zum Zusammentritt des neuen Bundestages sei der „alte“ Bundestag in seinen Handlungsmöglichkeiten nicht beschränkt.

4. Keine Entscheidung über Verletzung des Beratungsrechts der Abgeordneten Cotar im Eilverfahren

In einer weiteren Entscheidung (2 BvE 4/25) entschied das Bundesverfassungsgericht über die Anträge der fraktionslosen Abgeordneten Cotar auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Auch die Abgeordnete Cotar wendete sich gegen die Anberaumung und Durchführung der Sondersitzungen des 20. Deutschen Bundestages.

a) Anknüpfung an den Heilmann-Beschluss

In der Begründung ihres Antrags knüpfte die Antragsstellerin an den Heilmann-Beschluss (2 BvE 4/23) des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Juli 2023 an, mit dem seinerzeit das Gesetzgebungsverfahren zur 2. Novelle des Gebäudeenergiegesetzes zwischenzeitlich gestoppt wurde. In seiner damaligen Entscheidung führte das Bundesverfassungsgericht aus, dass jeder Abgeordnete als Bestandteil des Rechts auf gleichberechtigte Teilhabe an der parlamentarischen Willensbildung das Recht auf einen angemessen langen Zeitraum zur Verarbeitung von Informationen bezüglich des Beratungsgegenstandes habe. Damit gingen auch Anforderungen an die verfassungskonforme Ausgestaltung des Gesetzgebungsverfahrens einher. Bei einer starken zeitlichen Verdichtung des Verfahrens bei gleichzeitig hoher Komplexität der Regelungsmaterie sei eine Verarbeitung der Informationen durch alle Abgeordneten und damit ihr aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 folgendes Beratungsrecht womöglich in verfassungswidriger Weise beeinträchtigt.

Die Abgeordnete Cotar machte nun geltend, dass sie wegen der Kurzfristigkeit der Zurverfügungstellung der Unterlagen und der Gestaltung des Verfahrens in ihrer Gesamtheit nicht in der Lage gewesen sei, gleichberechtigt am parlamentarischen Willensbildungsprozess mitzuwirken. Dies gelte im Besonderen, da in Folge der Neuwahl die Beschäftigungsverhältnisse mit den persönlichen Mitarbeitern der nicht mehr im Bundestag vertretenen Abgeordneten abgewickelt würden. Auch ihr stehe kein persönlicher Mitarbeiter mehr zur Verfügung. Gegenüber den fraktionsgebundenen Abgeordneten bestünde somit ein Ressourcenungleichgewicht. Auch gebe es keinen sachlichen Grund für den engen zeitlichen Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens.

b) Folgenabwägung im Eilverfahren zulasten von Cotar

Das Bundesverfassungsgericht lässt in seiner Entscheidung offen, ob der Antrag im Organstreitverfahren unzulässig oder offensichtlich unbegründet ist (erste Prüfungsebene) und beschränkt sich auf die im Rahmen des verfassungsgerichtlichen Eilrechtsschutzes auf zweiter Prüfungsebene erforderliche Folgenabwägung. Erginge die angestrebte einstweilige Anordnung und der Antrag der Antragsstellerin bliebe im Hauptsacheverfahren ohne Erfolg, so läge ein erheblicher Eingriff in die Autonomie des Parlaments und damit in die originäre Zuständigkeit eines anderen obersten Verfassungsorgans vor. Außerdem hätte eine einstweilige Anordnung zur Folge, dass eine Beschlussfassung durch den 20. Deutschen Bundestag endgültig nicht erfolgen könnte, wodurch die Abgeordneten des 20. Deutschen Bundestages, die eine Beschlussfassung anstreben, ihr aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG folgendes Recht auf Beschlussfassung endgültig und unwiederbringlich verlieren würden.

Erginge umgekehrt die einstweilige Anordnung nicht und hätte die Antragsstellerin im späteren Hauptsacheverfahren Erfolg, so läge auch eine irreversible, substanzielle Verletzung ihrer Abgeordnetenrechte vor, da ihr unwiederbringlich die Möglichkeit zur Teilnahme an der Beratung und Beschlussfassung über die geplanten Grundgesetzänderungen im verfassungsrechtlich garantierten Umfang ihrer Mitwirkungsrechte genommen werde.

Da sowohl bei Erlass als auch bei Nichterlass der einstweiligen Anordnung Abgeordnetenrechte verletzt würden, überwiegten bei der Folgenabwägung die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechenden Gründe nicht. Ein Eingriff in die Verfahrensautonomie des Bundestages wöge hier zudem im Übrigen besonders schwer, weil die reale Gefahr bestünde, dass die Beschlussfassung über die eingebrachte Gesetzesvorlage wegen des Grundsatzes der Diskontinuität endgültig unmöglich werden würde.

c) Weiterer Verfahrensgang

Anders als in den Verfahren „Alt Bundestag I-III“ ist das von der Abgeordneten Cotar angestoßene Organstreitverfahren in der Sache noch nicht entschieden. Es könnte daher eine nähere Konkretisierung der im Heilmann-Beschluss dargestellten Maßstäbe durch das Bundesverfassungsgericht zu erwarten sein. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass das Organstreitverfahren in der Folge des Ausscheidens Cotars aus dem Deutschen Bundestag auch unzulässig wird. Da es nicht zu einer Wiederholung eines vergleichbaren Streits zwischen der Antragsstellerin und dem Deutschen Bundestag kommen kann, fehlt es an dem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis der dann ehemaligen Abgeordneten (so auch BVerfGE 87, 207, 209).

Denkbar bleibt, dass die Abgeordnete Cotar gemäß § 32 Abs. 3 Satz 1 BVerfGG Widerspruch gegen die ablehnende Eilentscheidung erhebt, über den das Bundesverfassungsgericht nach mündlicher Verhandlung entscheiden müsste. Gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 BVerfGG hätte ein solcher Widerspruch jedoch keine aufschiebende Wirkung und würde somit auch nicht zur Aufschiebung der Sondersitzung des Bundestages führen.

II. Aktuelle Entwicklungen rund um die geplanten Verfassungsänderungen

Nach einer Einigung zwischen den Parteispitzen von CDU/CSU und SPD mit Bündnis90/Die Grünen über Anpassungen der vorgesehenen Verfassungsänderungen könnte die erforderliche qualifizierte Mehrheit im 20. Deutschen Bundestag unter Umständen gesichert sein, wobei in Anbetracht der Tatsache, dass diese drei Fraktionen nur über 31 Mandate mehr verfügen als Stimmen für die Zweidrittelmehrheit erforderlich sind, auch hier die Abstimmung abzuwarten bliebe.

Im Hinblick auf die für den 21. März 2025 geplante Abstimmung im Bundesrat kündigte auch die Bayerische Landesregierung nunmehr an, der Grundgesetzänderung für das geplante milliardenschwere Finanzpaket von Union und SPD zustimmen zu wollen. Hierauf hätten sich CSU und Freie Wähler in einer Sitzung des Koalitionsausschusses verständigt.

Gleichzeitig gingen in Karlsruhe weitere Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ein, die die Beschlussfassung in der Sondersitzung am 18. März 2025 verhindern sollen.

1. Angepasster Gesetzesvorschlag nach Einigung zwischen CDU/CSU, SPD und Bündnis90/Die Grünen

Nachdem die Fraktion von Bündnis90/Die Grünen den geplanten Änderungen des Finanzverfassungsrechts über längere Zeit nicht zustimmen wollte, konnte am vergangenen Freitag schließlich eine Einigung über einen angepassten Gesetzesvorschlag erzielt werden. Die Verhandlungsführer der Grünen konnten in den Gesprächen eine Erweiterung des Begriffs der Verteidigungsausgaben aushandeln. Die Bereichsausnahme von der Schuldenbremse, die in Art. 109 GG und Art. 115 GG aufgenommen werden soll, soll auch Ausgaben des Bundes für den Zivil- und Bevölkerungsschutz sowie für die Nachrichtendienste, für den Schutz der informationstechnischen Systeme und für die Hilfe für völkerrechtswidrig angegriffene Staaten umfassen. Auch Hilfen für die von Russland völkerrechtswidrig angegriffene Ukraine müssten demnach nicht mehr in vollem Umfang auf die Schuldenbremse angerechnet werden.

Die vorgesehenen verfassungsrechtlichen Regelungen zum Sondervermögen für die Infrastruktur in Höhe von 500 Milliarden Euro wurden auf Druck von Bündnis90/Die Grünen ebenfalls angepasst. Durch die Klarstellung, dass das Sondervermögen für „zusätzliche Investitionen“ gebildet werden soll, soll eine Verlagerung ohnehin geplanter Investitionen in den Sonderhaushalt verhindert werden. Darüber hinaus einigten sich die Parteispitzen auf eine gesonderte Berücksichtigung von Klimaschutzzielen. Das Sondervermögen soll ausdrücklich auch zusätzliche Investitionen zur Erreichung der Klimaneutralität bis 2045 ermöglichen. 100 Milliarden Euro des Gesamtvolumens sollen in den Klima- und Transformationsfonds fließen.

2. Weitere Eilanträge vor dem Bundesverfassungsgericht erfolglos

Vor dem Bundesverfassungsgericht waren nach Angaben des Gerichts am Freitag noch drei weitere Organstreitverfahren und vier Verfassungsbeschwerden anhängig. Auch wurden über das Wochenende von der Abgeordneten Cotar sowie drei FDP-Abgeordneten weitere Eilanträge eingereicht, mit dem Ziel die Abstimmung über die Grundgesetzänderungen zu verhindern. Sie argumentieren ebenfalls, dass die Beratungszeit nicht ausreiche und daher eine Verletzung von Abgeordnetenrechten vorläge.

Am gestrigen Montagabend lehnte das Gericht sodann in sechs weiteren Beschlüssen – „Alt-Bundestag V-X“ – (2 BvE 7/25, 2 BvE 8/25, 2 BvE 10/25, 2 BvE 11/25, 2 BvE 12/25 und 2 BvE 13/25) die Anträge auf Erlass von einstweiligen Anordnungen ab. Zur Begründung verwies das Gericht auf die bereits in 2 BvE 4/25 (Alt-Bundestag IV) vorgenommene Folgenabwägung und betonte, dass es keinen allgemeinen Grundsatz gebe, wonach allein wegen der drohenden Schaffung von irreversiblen Folgen durch die angegriffene Maßnahme eine Berücksichtigung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache bereits im Verfahren nach § 32 Abs. 1 BVerfGG stets geboten wäre. Eine Ausnahmekonstellation, die ein Abweichen von diesem Grundsatz anzeigen würde, bestehe nicht.

Inhaltlich trugen die Antragssteller teilweise in den Verfahren zwei neue Aspekte vor. Die Abgeordneten der Linkspartei argumentierten im Verfahren 2 BvE 7/25 (Alt-Bundestag V), dass es sich bei der vermeintlichen Fraktionsvorlage tatsächlich um eine Vorlage einer potentiell zukünftigen Bundesregierung handele und von dieser erarbeitet worden sei, die aber kein Recht zur Einbringung eines Gesetzentwurfes nach Art. 76 Abs. 2 GG habe. Die Abgeordneten der FDP-Fraktion führten im Verfahren 2 BvE 12/25 (Alt-Bundestag IX) aus, dass die beabsichtigten Grundgesetzesänderungen enorme Verschuldungsmöglichkeiten eröffnen und damit eine Zukunftsbindung entfalten würden, die nicht mit dem Gedanken intertemporaler Gerechtigkeit und der bisherigen Grundkonzeption der Schuldenbefreiungsregelungen vereinbar seien. Eine Auseinandersetzung mit diesen Argumenten durch das Bundesverfassungsgericht bleibt indes  den Hauptsacheverfahren vorbehalten.

Mit Ausnahme des Verfahrens 2 BvE 11/25 (Alt-Bundestag VIII), welchem erneute Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung durch die Abgeordnete Cotar als Antragstellerin zu Grunde lagen, waren die übrigen Verfahren jeweils mit Organklageanträgen verbunden, deren Hauptsacheentscheidungen noch ausstehend sind.

Die infolge der politischen Einigung zwischen CDU/CSU, SPD und Grüne vorgenommenen Änderungen am Gesetzesvorschlag stellen allerdings eine weitere Verdichtung der zeitlichen Abläufe dar und können dazu führen, dass eine Verletzung des Beratungsrechts der Abgeordneten und ein Erfolg der Anträge in der Hauptsache etwas wahrscheinlicher wird.

 

Dieser Artikel erscheint im Rahmen unserer Bundestagswahl Insights. Alle Bundestagswahl Insights und mehr Informationen zur Bundestagswahl und deren Auswirkungen auf Industrie und Wirtschaft finden Sie auf unserem Election Hub (hier).

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