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BGH-Urteil: Die Abberufung des Geschäfts­führers der Hannover 96 Management GmbH ist wirksam

26.07.2024

In seinem Urteil vom 16. Juli 2024 – II ZR 71/23 befasst sich der Bundesgerichtshof („BGH“) mit der Wirksamkeit des Abberufungsbeschlusses des Geschäftsführers der Hannover 96 Management GmbH.

Hintergrund und bisheriger Prozessverlauf

Im konkreten Fall ging es um die Feststellung der Nichtigkeit des Beschlusses der Gesellschafterversammlung des Hannoverscher Sportverein von 1896 e.V. („e.V.“) als Alleingesellschafter der beklagten Hannover 96 Management GmbH („Beklagte“) über die Abberufung des Klägers als Geschäftsführer der Beklagten mit sofortiger Wirkung aus wichtigem Grund „im Wege eines satzungsdurchbrechenden Beschlusses“.

Die Beklagte ist die persönlich haftende Gesellschafterin der Hannover 96 GmbH & Co. KGaA („KGaA“), in der die Profimannschaft des Vereins geführt wird. Kommanditaktionärin ist die Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. KG („GmbH & Co. KG“). Nach der Satzung der Beklagten ist deren Aufsichtsrat für die Bestellung und Abberufung der Geschäftsführer zuständig. Zudem sieht der sogenannte Hannover-96-Vertrag zwischen e.V., KGaA und GmbH & Co. KG vor, dass der e.V. die Satzung der Beklagten nicht ohne vorherige Zustimmung der GmbH & Co. KG ändern, ergänzen oder ersetzen kann.

Das Landgericht Hannover hatte der Klage mit Urteil vom 11. Oktober 2022 – 32 O 119/22 stattgegeben und die Nichtigkeit des Beschlusses festgestellt. Das Oberlandesgericht Celle wies die Berufung der Beklagten mit Beschluss vom 4. April 2023 – 9 U 102/22 zurück. Zur Begründung verwiesen die Vorinstanzen primär auf die Nichtigkeit des angegriffenen Beschlusses gemäß § 241 Nr. 3 AktG analog. Der Beschluss sei mit dem Wesen der GmbH nicht vereinbar, da er nicht vom Aufsichtsrat und damit kompetenzwidrig gefasst wurde. Die Kompetenzüberschreitung durch die Gesellschafterversammlung stelle nicht nur einen Verstoß gegen die Satzung, sondern auch gegen den Hannover-96-Vertrag dar. Überdies sei der Beschluss sittenwidrig und damit analog § 241 Nr. 4 AktG nichtig: Der Beschluss erweise sich als in besonderem Maße treuwidrig, weil sich der e.V. seiner im Hannover-96-Vertrag eingegangenen Bindung bewusst gewesen sei und er die satzungsmäßige Kompetenzverteilung bewusst unterlaufen habe.

Entscheidung des Bundesgerichtshofes

Die Revision der Beklagten hat nun Erfolg: Der BGH weist die Klage ab und hebt die Entscheidung des Berufungsgerichts auf.

Der BGH hält den Beschluss über die Abberufung des Klägers als Geschäftsführer der Beklagten für wirksam.

Keine Verletzung der tragenden Strukturprinzipien des GmbH-Rechts

Zur Begründung stellt der BGH darauf ab, dass der Abberufungsbeschluss nicht mit dem Wesen der GmbH unvereinbar und damit nicht entsprechend § 241 Nr. 3 AktG nichtig ist. Zwar habe es bei der Abberufung Verstöße gegen einige interne Regelungen gegeben. Dies reiche aber nicht für eine Nichtigkeit aus. Nur eine Verletzung der tragenden Strukturprinzipien des GmbH-Rechts könne eine Unvereinbarkeit des Beschlusses mit dem Wesen der GmbH begründen. Individuelle Satzungsbestimmungen, die wie hier dem fakultativen Aufsichtsrat der Gesellschaft die Kompetenz zur Abberufung des Geschäftsführers zuweisen, zählen, so der BGH, nicht dazu. Vielmehr werde das Wesen der GmbH durch das GmbH-Gesetz und die abstrakt-generellen Strukturmerkmale des GmbH-Rechts bestimmt und stehe damit nicht zur Disposition der Gesellschafter. So wird in den §§ 45 Abs. 2, 46 Nr. 5 GmbHG die Kompetenz zur Abberufung der Geschäftsführer der Gesellschafterversammlung zugewiesen.

Auch die Beachtung des Hannover-96-Vertrags gehöre nicht zu den tragenden Strukturprinzipien des GmbH-Rechts. Ein solcher Stimmbindungsvertrag binde grundsätzlich ausschließlich die jeweiligen Vertragsparteien. Der Streit um die Folgen einer Vertragsverletzung sei daher auch zwischen den Vertragsparteien und nicht mit der Gesellschaft auszutragen. Der BGH stellt insoweit fest, dass die Verletzung des mit einem Nichtgesellschafter vereinbarten schuldrechtlichen Zustimmungsvorbehalts nicht mit der Verletzung einer von sämtlichen Gesellschaftern untereinander eingegangenen Bindung vergleichbar sei. Gegen eine Vergleichbarkeit spreche bereits, dass etwaige Ansprüche des Nichtgesellschafters außerhalb des Gesellschaftsverhältnisses und damit ausschließlich im Wege der Feststellungsklage durchgesetzt werden können. Ferner gebiete der Grundsatz der Relativität der Schuldverhältnisse, dass sich die vertragliche Bindung nur im jeweiligen Vertragsverhältnis zwischen den Vertragsparteien und nicht auch gegenüber Dritten auswirkt.

Darüber hinaus begründe eine etwaige „Sanktionslosigkeit“ des kompetenz- und vertragswidrigen Verhaltens und dessen Unanfechtbarkeit nicht automatisch die Nichtigkeit des Beschlusses. Der BGH verweist in dem Zusammenhang auf das zwischen den Vertragsparteien begründete schuldrechtliche Verhältnis, welches von der korporationsrechtlichen Ebene strikt zu trennen sei.

Kein Verstoß gegen die guten Sitten

Gleiches gelte in Bezug auf § 241 Nr. 4 AktG analog: Der bloße Verstoß gegen eine Satzungsbestimmung mache einen Gesellschafterbeschluss lediglich anfechtbar, nicht aber sittenwidrig. Ebenso wenig ergebe sich die Sittenwidrigkeit des Beschlusses aus einer Verletzung des Hannover-96-Vertrags, selbst wenn diese vorsätzlich erfolgt. Das Berufungsgericht überdehne, so der 2. Zivilsenat, den Begriff der Sittenwidrigkeit, wenn es die besondere Verwerflichkeit des Verhaltens des e.V. aus dem bewussten Unterlaufen der satzungsmäßigen Kompetenzverteilung und der bewussten Missachtung des Stimmbindungsvertrages ableitet. Der Grad des Verschuldens einer Satzungs- oder Pflichtverletzung, so der BGH weiter, indiziere für sich allein noch keine sittenwidrige Schädigung. Eine Nichtigkeit wegen sittenwidriger Schädigung käme vielmehr erst dann in Betracht, wenn über die Verletzung der Kompetenz- und Vertragspflichtverletzung hinaus weitere eine Verwerflichkeit begründende Umstände vorlägen.

Keine zustandsbegründende Satzungsdurchbrechung

Schließlich stellt der BGH fest, dass der Abberufungsbeschluss auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer zustandsbegründenden Satzungsdurchbrechung nichtig ist. Denn die Abberufung eines Geschäftsführers unter Missachtung der in der Satzung festgelegten Kompetenzordnung begründe keinen von der Satzung abweichenden rechtlichen Zustand und stelle mithin keine zustandsbegründende Satzungsdurchbrechung dar. Eine andere Beurteilung folge nach Ansicht des BGH auch nicht aus dem mit der Registerpublizität bezweckten Schutz des Rechtsverkehrs. Schutzwürdige Interessen des Rechtsverkehrs seien durch den entgegen der gesellschaftsvertraglichen Kompetenzzuweisung gefassten Abberufungsbeschluss nicht betroffen. Dies gelte zunächst mit Blick auf die zum Handelsregister eingereichte Satzungsurkunde, die weiterhin zutreffend über die Kompetenzverteilung informiere. Darüber hinaus führe auch die Abberufung des einzig bestellten Geschäftsführers nicht zu einer Satzungsdurchbrechung. Ist der Aufsichtsrat aufgrund einer etwaigen „Pattsituation“ nicht funktionsfähig, könne die Gesellschafterversammlung zur Vermeidung einer Führungslosigkeit einen Geschäftsführer bestellen.

Fazit und Ausblick

Mit seiner Entscheidung sorgt der BGH gleich in zwei zentralen Streitfragen des Gesellschaftsrecht für neue Impulse: die Satzungsdurchbrechung und die Konsequenzen nebenabredewidriger Beschlüsse. Insbesondere die Klarstellung des BGH, dass Gesellschafterbeschlüsse, die gegen die in der Satzung festgelegte, nicht auf zwingenden gesetzlichen Vorschriften beruhende Kompetenzverteilung verstoßen, lediglich anfechtbar sind, könnte weitreichende Auswirkungen auf die interne Governance und die Vertragsgestaltung in der deutschen Unternehmenspraxis haben.

Unmittelbare Auswirkungen auf die 50+1-Regel im deutschen Profifußball hat das Urteil allerdings nicht. Die beteiligten Gerichte betonten stets, dass es in dem Verfahren ausschließlich um die Wirksamkeit der Abberufung und nicht um die Wirksamkeit der 50+1-Regelung gehe. Es bleibt abzuwarten, ob und wie die Deutsche Fußball Liga (DFL) und der Deutsche Fußball-Bund (DFB) auf das Urteil reagieren werden. Fest steht jedoch, dass ein entschiedener Gegner der 50+1-Regel nun keine geschäftsführende Position mehr innehat. Dies könnte zu neuen Debatten um die 50+1-Regel innerhalb des deutschen Profifußballs führen.

Das vollständige Urteil kann hier abgerufen werden.