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BGH setzt Facebook Grenzen für die Datennutzung

14.09.2020

Nach mehrjährigem Verfahren erließ das Bundeskartellamt (BKartA) am 6. Februar 2019 einen aufsehenerregenden Beschluss gegen Facebook. Auf Basis seiner Nutzungsbedingungen sammelt Facebook Nutzer-Daten aus diversen Quellen und verknüpft diese mit dem Facebook-Konto der Nutzer: Daten aus dem Facebook-Netzwerk, Daten aus Facebook-eigenen Diensten wie WhatsApp und Instagram sowie Daten von externen Webseiten. Diese Praxis verstieß nach Ansicht des BKartA gegen das kartellrechtliche Missbrauchsverbot (§ 19 Abs. 1 GWB). Es untersagte Facebook daraufhin die weitere Verwendung der Nutzungsbedingungen bzw. die plattformübergreifende Datensammlung ohne ausdrückliche Einwilligung der Nutzer. Gegen diesen Beschluss legte Facebook Beschwerde beim OLG Düsseldorf ein und beantragte im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes dessen Vollziehung auszusetzen. Da das OLG ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Verfügung hatte, ordnete es am 26. August 2019 die aufschiebende Wirkung der Beschwerde an. Auf die Rechtsbeschwerde des BKartA hob der BGH mit Beschluss vom 23. Juni 2020 den Beschluss des OLG Düsseldorf auf. Die Verfügung des BKartA ist hierdurch vollziehbar geworden und muss von Facebook (jedenfalls bis zur Entscheidung in der Hauptsache und innerhalb gewisser Fristen) befolgt werden. Die mit großer Spannung erwartete schriftliche Begründung für den Beschluss des BGH ist kürzlich veröffentlicht worden:

In seinem Beschluss stellt der BGH zunächst klar, dass keine ernstlichen Zweifel an der beherrschenden Stellung von Facebook auf dem relevanten deutschen Markt für soziale Netzwerke bestehen und damit auch nicht an der Stellung von Facebook als Normadressat des Missbrauchsverbotes. Damit wendet sich der BGH gegen den Vortrag von Facebook, wonach der sachlich relevante Markt ein „Markt für Nutzeraufmerksamkeit“ sei. Die Marktabgrenzung wird klassischerweise anhand des Bedarfsmarktkonzeptes vorgenommen, das entscheidend auf die Austauschbarkeit der Produkte bzw. Dienstleistungen aus Sicht der Nachfrager abstellt. Der BGH bestätigt, dass an diesem Konzept auch dann keine Korrekturen erforderlich sind, wenn die Nutzer keine monetäre Gegenleistung erbringen. Ihre Sicht sei dennoch maßgeblich, weil sie über die Auswahl des Leistungserbringers entscheiden, also Angebot und Nachfrage zusammenführten. Da sich der Bedarf der privaten Nutzer von Facebook zudem von dem Bedarf der anderen Nutzer, nämlich der Werbetreibenden, unterscheide, sei auch kein einheitlicher Markt für die beiden Nutzergruppen abzugrenzen. Es handelt sich demnach um einen mehrseitigen (Plattform-)Markt mit getrennt zu betrachtenden Marktseiten. Die beherrschende Stellung von Facebook auf dem relevanten Nutzermarkt stützt der BGH sodann auf eine Gesamtbetrachtung mehrerer Aspekte: Anteil der täglich aktiven Nutzer von über 90%; keine nennenswerte parallele Nutzung anderer Dienste („Multi Homing“); hohe Wechselhürden; direkte und indirekte Netzwerk-Effekte; kein erheblicher Substitutionswettbewerb mit Diensten wie YouTube oder Twitter.

Im Schwerpunkt betrifft der Beschluss des BGH die Frage des Missbrauchs der marktbeherrschenden Stellung durch Facebook. Problematisch ist hier aus Sicht des Gerichts, dass die privaten Nutzer des Netzwerks vor die Wahl gestellt werden, entweder die Nutzungsbedingungen von Facebook zu akzeptieren und der Verwendung ihrer externen Daten zuzustimmen oder Facebook überhaupt nicht nutzen zu können. Das Unternehmen rechtfertigte dieses Vorgehen damit, dass es ein „personalisiertes Nutzer-Erlebnis“ schaffe, das über die traditionellen Funktionen eines sozialen Netzwerks hinausgeht. Allerdings wünschten sich laut einer vom BGH zitierten Umfrage viele Nutzer mehr Kontrolle über ihre Daten, ohne auf die Nutzung von Facebook verzichten zu müssen. Bei der hier vorliegenden Art der Datenverarbeitung handele es sich deshalb um eine „aufgedrängte Leistungserweiterung“, weil die Nutzer eine für sie unverzichtbare Leistung nur zusammen mit einer unerwünschten Leistung erhalten. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass für die Nutzung von Facebook kein Entgelt fällig werde. Denn die Nutzer „zahlten“ mit der Zustimmung in die Verarbeitung ihrer Daten, und Facebook nutze die Daten für den Verkauf personalisierter Werbung. Da Facebook sich durch Werbung finanziere, liege in der Datenlieferung der Nutzer eine „Quersubventionierung“ des Netzwerks.

Diese aufgedrängte Leistungserweiterung ist nach Ansicht des BGH auch wettbewerbsschädlich, weil sie – ebenso wie eine Zwangskopplung – sowohl zur Ausbeutung der Nutzer als auch zur Behinderung des Wettbewerbs führe. Die Ausbeutung liege darin, dass die Nutzer durch die fehlende Wahlmöglichkeit dazu gezwungen werden, mehr und mehr ihrer Daten zu teilen. Dabei betont der BGH den besonderen und zunehmenden Wert von Daten, wenn diese mit anderen Daten kombiniert würden. Die wettbewerbsbehindernde Wirkung begründet der BGH damit, dass die zusätzlichen Daten eine intensivere Personalisierung des Nutzer-Erlebnisses und damit eine Verbesserung des Angebots im Vergleich zu (potentiellen) Wettbewerbern ermöglichten. Da das Potenzial für Wettbewerb angesichts hoher Marktzugangsschranken (direkte Netzwerkeffekte) ohnehin gering ist, besteht das Risiko, dass (potentielle) Wettbewerber im Wettbewerb mit Facebook um die zur Amortisation des Netzwerks erforderlichen Werbeverträge unterliegen könnten. Das Vorgehen von Facebook ermögliche es, die Qualität und Effizienz der Datenverarbeitung stetig zu steigern. Dies wiederum helfe Facebook dabei, seine beherrschende Stellung abzusichern.

Sehr umstritten war in der Diskussion um den Beschluss des BKartA die Frage, ob und in welchem Maße ein kausaler Zusammenhang zwischen der marktbeherrschenden Stellung von Facebook und dem gerügten Missbrauch vorliegt bzw. vorliegen muss. Das OLG Düsseldorf hatte hier strenge Maßstäbe angelegt und die als notwendig erachtete Kausalität letztlich mit dem Argument verneint, die Nutzer von Facebook akzeptierten die Nutzungsbedingungen des Unternehmens losgelöst von dessen Marktposition. Der BGH tritt dem entgegen. Er argumentiert, dass Facebook – bei wirksamem Wettbewerb –Nutzungsbedingungen anbieten würde, die eher den Wünschen der Nutzer im Umgang mit ihren Daten entsprechen. Aufgrund seiner marktbeherrschenden Stellung müsse das Unternehmen diesem Wunsch der Nutzer jedoch gerade nicht nachkommen. Aus diesem Grund sei auch das Argument von Facebook, dass die Nutzungsbedingungen branchenüblich wären, nicht tragfähig.

Abschließend nimmt der BGH eine Interessenabwägung vor, welche im Ergebnis den Marktmachtmissbrauch durch Facebook im Ergebnis nochmals bestätigt. In diesem Rahmen weist das Gericht darauf hin, dass die Ausstrahlungswirkung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung bei der Auslegung des § 19 Abs. 1 GWB berücksichtigt werden müsse. Auch die Bestimmungen der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) rechtfertigten das Vorgehen von Facebook nicht.

Die Länge und Ausführlichkeit der Begründung des BGH-Beschlusses unterstreichen die Bedeutung dieser Entscheidung. Sie stellt ohne Zweifel eine Leitentscheidung dar, welche die Anwendung des Kartellrechts und der Regelungen zum Missbrauch von Marktmacht in Deutschland auf absehbare Zeit prägen wird. Abzuwarten bleibt nun, wie das OLG Düsseldorf im Hauptsacheverfahren entscheiden wird. Eine erste mündliche Verhandlung ist zunächst für diesen November angesetzt.

Hier geht es zu dem Beschluss im Volltext