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Auf dem Weg zur Dekarboni­sierung der Wirtschaft: Neuer Schwung für den Aufbau der Wasserstoff­wirtschaft

31.05.2024

Die Bundesregierung hat am 29. Mai 2024 einen Gesetzentwurf zur Beschleunigung der Verfügbarkeit von Wasserstoff und zur Änderung weiterer rechtlicher Rahmenbedingungen für den Wasserstoffhochlauf sowie zur Änderung weiterer energierechtlicher Vorschriften verabschiedet. Damit liefert sie einen weiteren Baustein der im Koalitionsvertrag verabredeten Reformen, die die Transformation der Wirtschaft hin zur Klimaneutralität ermöglichen und beschleunigen sollen. In diesem Beitrag sollen die Kernpunkte des Gesetzentwurfs dargestellt (siehe hierzu unter I.) und die Auswirkungen auf die Wasserstoffindustrie erläutert werden (siehe hierzu unter II.).

I. Wesentlicher Regelungsgehalt

Der Gesetzentwurf soll, wie sein Name schon vermuten lässt, vor allem zur Beschleunigung des Hochlaufs der Wasserstoffwirtschaft beitragen – einer Technologie, auf die zur Dekarbonisierung der Wirtschaft große Hoffnungen gesetzt werden. Das Wasserstoffbeschleunigungsgesetz nimmt dabei insbesondere die Beschleunigung der Genehmigungsverfahren für die Erzeugung, die Speicherung und den Import von Wasserstoff in den Blick. Zu diesem Zweck enthält es Modifizierungen bei der Anwendung von umwelt- und planungsrechtlichen Vorschriften. Daneben werden durch das Beschleunigungspaket zahlreiche Vorschriften aus dem Verfahrens- und Energierecht geändert, die im Folgenden überblicksartig dargestellt werden sollen.

1. Das Wasserstoffbeschleunigungsgesetz

Das Wasserstoffbeschleunigungsgesetz („WasserstoffBG“) soll neben den Anlagen zur Produktion, Speicherung und zum Import von Wasserstoff auch entsprechende Anlagen für Ammoniak erfassen. Daneben gilt es auch für Stromleitungen, die Anlagen zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien mit Wasserstoff- bzw. Ammoniak-Anlagen zum Zweck der direkten Versorgung verbinden. Beabsichtigt ist also eine ganzheitliche Beschleunigung und Vereinfachung für alle wesentlichen Anlagen, die im Zusammenhang mit dem Wasserstoffhochlauf stehen.

a) Überragendes öffentliches Interesse

Der zentrale Hebel zur Planungsbeschleunigung befindet sich in § 4 WasserstoffBG. Dieser bestimmt, dass die Errichtung und der Betrieb einer Anlage im Anwendungsbereich des Gesetzes (also Wasserstoff- und Ammoniakinfrastruktur) im überragenden öffentlichen Interesse liegen und der öffentlichen Sicherheit dienen. Dieser Mechanismus wurde in gleicher Form bereits im EEG 2023 für Anlagen zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien implementiert (vgl. § 2 EEG 2023). Durch diese grundsätzliche Festlegung dürften zahlreiche Abwägungen mit widerstreitenden Interessen, die bislang häufig zu Verzögerungen bei der Planung und Genehmigung führen, künftig deutlich eindeutiger ausfallen und damit schneller vorgenommen werden. Dass eine derartige Privilegierung bestimmter Anlagen zwangsläufig zu einer Herabstufung anderer rechtlicher Interessen und einer Verringerung der Rechtsschutzmöglichkeiten führt, ist dabei als Folge einer angesichts der zeitlichen Dimension der Klimakrise notwendigen neuen Priorisierung von Interessen hinzunehmen. Damit gleichwohl sichergestellt wird, dass die Priorisierung nur solche Wasserstoff- und Ammoniak-Projekte begünstigt, die auch tatsächlich der Erreichung der Klimaziele zuträglich sind, gilt die Priorisierung nur für solche Anlagen, die mit einer Anlage zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien zum Zweck der direkten Versorgung verbunden sind oder für die erklärt wird, dass die elektrische Energie für den Betrieb zum Ende 2029 zu mehr als 80 Prozent aus erneuerbaren Energien erzeugt wird. Schließlich leistet nur grüner, also aus erneuerbaren Energien hergestellter Wasserstoff einen nachhaltigen Beitrag zum Klimaschutz.

Interessant ist die unterschiedliche Befristung der Priorisierungsregelung: Während diese für Elektrolyseure an Land und Wasserstoffspeicheranlagen bis zum Erreichen der Netto-Treibhausgasneutralität im Jahr 2045 gilt, endet sie nach aktuellem Stand für die übrigen vom WasserstoffBG erfassten Anlagen bereits am 1. Januar 2035.

Schließlich wird dem Umstand, dass die Ressource Wasser in manchen Landesteilen knapper wird, dadurch Rechnung getragen, dass die Privilegierung der Anlagen bei wasserrechtlichen Zulassungsverfahren über die Wasserentnahme durch Elektrolyseure dann nicht greift, wenn dadurch die öffentliche Wasserversorgung oder der Wasserhaushalt erheblich beeinträchtigt werden kann.

b) Planungsbeschleunigung im Wasser- und Immissionsschutzrecht

Für die Anwendung von bestimmten Vorschriften des Wasserhaushaltsgesetzes legt das WasserstoffBG verschiedene Digitalisierungsmaßnahmen fest. So müssen Unterlagen und insbesondere Pläne elektronisch zugänglich gemacht werden; Bekanntmachungen und Planauslegungen können unter anderem durch Veröffentlichung im Internet erfolgen.

Zudem werden engere Bearbeitungsfristen festgelegt; die Behörde hat innerhalb eines Monats die Vollständigkeit der eingereichten Unterlagen zu prüfen und die Entscheidung über den Planfeststellungsbeschluss oder die Plangenehmigung nach § 74 VwVfG muss innerhalb von 18 Monaten fallen. Über die Erteilung einer wasserrechtlichen Erlaubnis oder Bewilligung ist innerhalb von 12 Monaten zu entscheiden. Weiterhin wird ein öffentliches Interesse im wasserhaushaltsrechtlichen Sinne für den vorzeitigen Maßnahmebeginn festgeschrieben.

Parallele Vorgaben zur Digitalisierung und zur Verkürzung der Prüfungsfrist gibt es für bestimmte Vorschriften des Bundesimmissionsschutzgesetzes.

c) Beschleunigung im Vergaberecht

Auch im Vergaberecht sieht das WasserstoffBG Beschleunigungsmaßnahmen vor. So dürfen etwa mehrere Teil- oder Fachlose zusammen vergeben werden, wenn wirtschaftliche, technische oder zeitliche Gründe dies rechtfertigen. Das Nachprüfungsverfahren wird dadurch beschleunigt, dass auch aufgrund der bloßen erwarteten Beschleunigungswirkung (ohne zusätzliche Voraussetzungen) bereits nach Lage der Akten entschieden werden kann. Zudem bestimmt § 16 Abs. 6 WasserstoffBG. dass das überragende öffentliche Interesse in der Regel überwiegt, sodass der Zuschlag auch während eines laufenden Nachprüfungsverfahrens erteilt werden kann.

d) Eingeschränkter Rechtsschutz

§ 17 WasserstoffBG regelt, dass Widerspruch und Anfechtungsklage gegen eine Zulassungsentscheidung für eine Anlage oder Leitung nach § 2 Abs. 1 WasserstoffBG sowie gegen die Entscheidung über den vorzeitigen Maßnahmebeginn keine aufschiebende Wirkung haben. Die sachliche Zuständigkeit wird den Oberverwaltungsgerichten und in zweiter Instanz dem Bundesverwaltungsgericht zugewiesen, wodurch der Instanzenzug verkürzt wird.

2. Weitere Maßnahmen: Beschleunigung beim Ausbau der Transportinfrastruktur

Für den Bereich der Wasserstoffleitungen, die der Regulierung nach dem Energiewirtschaftsgesetz („EnWG“) unterliegen, trifft das Beschleunigungsgesetz parallele Regelungen. Das EnWG soll dergestalt geändert werden, dass das Anhörungsverfahren digitalisiert wird, also sämtliche Unterlagen elektronisch übermittelt werden. Die Anhörungsbehörde kann zudem auf bestimmte Formen der Öffentlichkeitsbeteiligung verzichten.

Daneben wird das Bundesfernstraßengesetz dahingehend geändert, dass Anlagen zur Herstellung, Speicherung und zum Import von Wasserstoff in der unmittelbaren Umgebung von Fernstraßen nicht mehr dem Zustimmungserfordernis nach § 9 Abs. 2 des Fernstraßengesetzes unterfallen, sofern die zuständige Straßenbaubehörde im Rahmen der für die Anlagen erforderlichen Genehmigungs- und Anzeigeverfahren beteiligt wird.

Schließlich werden Anlagen zur Herstellung oder Speicherung von Wasserstoff als wichtiger Bestandteil des Klimaschutzes in die Grundsätze der Raumordnung aufgenommen. Wie schon die erneuerbaren Energien müssen künftig auch Wasserstoffanlagen bei der Konkretisierung der Raumentwicklung in Raumordnungsplänen berücksichtigt werden. Auch insoweit ergibt sich also ein Gleichlauf in der gesetzlichen Umsetzung der Beschleunigungsabsichten.

II. Bedeutung der Novelle für die Wasserstoffindustrie

Für die Wasserstoffindustrie bedeutet die beabsichtigte Beschleunigung in erster Linie eine Vereinfachung der Genehmigungsverfahren. Sofern die vorgegebene Digitalisierung konsequent umgesetzt wird, dürfte sich allein daraus eine erhebliche Beschleunigung ergeben. Ebenso dürften langwierige Verfahren durch die klare Priorisierung von Wasserstoffprojekten in der Interessensabwägung durch die Einstufung als überragendes öffentliches Interesse und die damit verbundene Einschränkung von Rechtsschutzmöglichkeiten Dritter deutlich verkürzt werden.

Der Gleichlauf mit den erst kürzlich neu geschaffenen Rahmenbedingungen für Solar- und Windkraftanlagen zeigt zudem die stringente Herangehensweise des Gesetzgebers, der nunmehr entschlossen scheint, die wesentlichen Elemente der Transformation (jedenfalls im Energiesektor) systematisch voranzubringen. Der Anstieg bei der Genehmigungserteilung für Solar- und Windkraftanlagen spricht jedenfalls für den so beschrittenen Weg. Dies lässt die Hoffnung zu, dass nunmehr auch der viel beschworene Hochlauf der Wasserstoffindustrie den nötigen Schub erhält.

Nachdem der Gesetzentwurf vom Bundeskabinett verabschiedet wurde, müssen nun noch Bundestag und Bundesrat darüber beraten. Das federführende Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz geht von einem Inkrafttreten zum Jahresende 2024 aus.