Qualifizierung und Weiterbildung als Rahmenbedingung und Grundvoraussetzung der Arbeitswelt 4.0 - Teil 6
Ich bin dann mal weg - und Du zahlst!? - Zeitpunkt und Kosten von Fortbildungsmaßnahmen
Obwohl die Digitalisierung den Weiterbildungsbedarf stark erhöht (vgl. dazu Teil 1 dieser Serie), besteht nicht in allen Unternehmen ein hierfür ausreichendes Budget. Das hat die gemeinsame Studie des Digitalverbands Bitkom und des TÜV-Verbands „Weiterbildung für die digitale Arbeitswelt“ im Jahr 2018 ergeben, für die 504 Unternehmen ab zehn Mitarbeitern in Deutschland befragt wurden. Ein festes Budget für Weiterbildungen zu Digitalkompetenzen haben danach nur 22% der Unternehmen. Die Mehrheit (75%) verfügt über kein festes Budget, um entsprechende Fortbildungen ihrer Mitarbeiter zu finanzieren. Noch häufiger als fehlende finanzielle Mittel wird nur Zeitmangel als Hemmnis für die erforderliche Weiterbildung genannt: Gut die Hälfte der Unternehmen gibt an, dass es keine Zeit für entsprechende Freistellungen gibt (52%). 26 % haben keine Kapazitäten für die Freistellung der Mitarbeiter in der Zeit der Weiterbildung. 24% sind die Angebote zu teuer. Es verwundert daher nicht, wenn - wie wir bereits in Teil 5 dieser Serie gezeigt hatten - als Unsicherheitsfaktoren derzeit vor allem die Kostenverteilung und die Gestaltung der Arbeitszeit diskutiert werden, die bislang nicht eindeutig geklärt sind. Was gilt hier?
Wer trägt die Kosten von Fortbildungsmaßnahmen inklusive Entgeltfortzahlung?
Eine generelle Pflicht zur Kostentragung besteht weder für den Arbeitgeber noch für den Arbeitnehmer. Differenziert werden muss danach, wer die Fortbildung verlangt und in wessen vorrangigem Interesse sie erfolgt:
- Eine Fortbildung, zu der der Mitarbeiter vom Arbeitgeber angewiesen wird, ist regelmäßig auch vom Arbeitgeber zu finanzieren und hat innerhalb der Arbeitszeit zu erfolgen. Insoweit wird man bei Fortbildungsmaßnahmen, die der Mitarbeiter allein im Interesse des Arbeitgebers durchführt, einen Ersatzanspruch analog § 670 BGB annehmen können. Das dürften aber die wenigsten sein.
- Dasselbe gilt, soweit der Qualifizierungsbedarf der Sphäre des Arbeitgebers zuzuordnen ist. Dies gilt grundsätzlich auch für die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Fortzahlung des Arbeitsentgelts während der Durchführung einer digitalen Weiterbildungsmaßnahme. Feste Grenzen können dabei aber häufig nur schwer identifiziert werden (Beispiel: Qualifizierungsdefizite, die primär Folge einer eigenen Entscheidung des Arbeitnehmers sind, wie etwa der Inanspruchnahme von Elternzeit oder eines Sabbaticals).
- Wo digitale Weiterbildungsmaßnahmen nicht mehr durch den oder im Auftrag des Arbeitgeber(s) durchgeführt werden, besteht umgekehrt sicher keine Kostentragungspflicht. Das gilt z.B. für gegen den Willen des Arbeitgebers von Gewerkschaften oder gewerkschaftsnahen Einrichtungen im Betrieb durchgeführten Qualifizierungsmaßnahmen.
- Je größer der persönliche Vorteil des Arbeitnehmers infolge der vom Arbeitgeber angebotenen Fortbildungsmaßnahme ist, desto eher erscheint es fair, ihn an den Kosten zu beteiligen. Denn hat der Arbeitgeber Zeit und Geld in die Qualifikation seiner Mitarbeiter investiert, möchte er auch davon profitieren und sich für den Fall absichern, dass der Mitarbeiter das Unternehmen vorzeitig verlässt. Dies geschieht häufig im Wege der Vereinbarung von Rückzahlungsklauseln, die allerdings nahezu ausnahmslos der Inhaltskontrolle der §§ 307 ff. BGB unterliegen. Das BAG hat hierfür als Leitlinie mehrere Kriterien herausgearbeitet:
o Zum einen ist erforderlich, dass der Arbeitnehmer durch die Weiterbildung einen (geldwerten) Vorteil erlangt hat.
o Zum anderen muss die Dauer der Fortbildung mit der Dauer des Zeitraumes, innerhalb dessen der Arbeitgeber eine Rückzahlung verlangen darf, in einem angemessenen Verhältnis stehen. Das BAG hat hierfür als „Richtlinie“ vorgegeben:
Dauer der Fortbildung
Bindungsdauer
bis zu 1 Monat
bis zu 6 Monate
bis zu 2 Monate
bis zu 12 Monate
3-4 Monate
bis zu 24 Monate
6-12Monate
bis zu 36 Monate
> 24 Monate
bis zu 60 Monate
o Darüber hinaus darf nur eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus einem aus der Sphäre des Arbeitnehmers stammenden Grund die Rückzahlungspflicht auslösen.
- Finden betriebliche Berufsbildungsmaßnahmen (§ 97 Abs. 2 BetrVG) statt, ist die Pflicht zur Tragung der Kosten der Weiterbildungsmaßnahme - im Fall der Durchführung der Maßnahme während der Arbeitszeit: einschließlich Entgeltfortzahlung -, nicht abschließend geklärt:
o Teilweise wird angenommen, dass es sich um betriebliche Kosten handelt, die in die Sphäre des Arbeitgebers fallen, sodass sie auch von ihm zu tragen sind.
o Andere lehnen dies ab und verlangen zumindest die Möglichkeit der Beteiligung der Arbeitnehmer.
o Letztlich wird man auch hier nach den vorstehenden Grundsätzen (wer will die Maßnahme und wer profitiert wie und wie lange?) verfahren müssen.
- Auch im Rahmen von Maßnahmen nach § 1 Abs. 2 S. 3 KSchG ist nicht abschließend geklärt, wer die Kosten der Umschulung oder Fortbildung zu tragen hat. Zumeist wird eine grundsätzliche arbeitgeberseitige Pflicht zur Kostentragung bis zur Grenze des Zumutbaren angenommen, die nur in seltenen Ausnahmefällen eine Kostenbeteiligung des Arbeitnehmers zulässt.
Wann wird die Fortbildungsmaßnahme umgesetzt?
Entgegen einer teilweise vertretenen Meinung besteht die Qualifizierungspflicht des Arbeitnehmers richtigerweise nicht nur während der Arbeitszeit, sodass „Mehrarbeit“ zur Qualifizierung angeordnet werden kann. Denn das folgt letztlich aus dem Direktionsrecht, soweit die arbeitsvertraglichen Grenzen und etwaige Mitbestimmungsrechte gewahrt werden.
„Arbeitnehmerbeteiligungsmodelle“
In der Praxis werden Arbeitnehmer auch dazu verpflichtet, sich insoweit z.B. durch die Einbringung von Zeitguthaben oder Urlaubstagen zu beteiligen. Bei der Deutschen Telekom AG wird zur Kostenreduzierung für langwierige Umschulungsmaßnahmen sogar das Modell einer „Bildungsteilzeit“ diskutiert, bei der Mitarbeiter ähnlich der Altersteilzeit ihre Arbeitszeit reduzieren und dabei vom Staat und Unternehmen finanziell unterstützt werden. In der Metall- und Elektroindustrie wurden im Frühjahr 2015 regionale Qualifizierungstarifverträge abgeschlossen, die eine Freistellung ohne Bezüge für persönlich Weiterbildung vorsehen. In manchen Tarifbezirken können insoweit Lohn- und Zeitanteile auf individuellen Bildungszeitkonten angespart werden.
Fazit
Obwohl die Digitalisierung den Weiterbildungsbedarf stark erhöht (vgl. dazu Teil 1 dieser Serie), besteht nicht in allen Unternehmen ein hierfür ausreichendes Budget. Als Unsicherheitsfaktoren für erforderliche Fortbildungsmaßnahmen werden daher derzeit vor allem die Kostenverteilung und die Gestaltung der Arbeitszeit diskutiert. Insoweit gilt: Eine generelle Pflicht zur Kostentragung besteht weder für den Arbeitgeber noch für den Arbeitnehmer. Differenziert werden muss danach, wer die Fortbildung verlangt und in wessen vorrangigem Interesse sie erfolgt. Begrenzt ist die Kostentragungspflicht des Arbeitgebers jedenfalls dadurch, dass die Fortbildung auch in seinem Interesse liegen und ihm (auch finanziell) zumutbar sein muss. Entschließen sich Unternehmen zur Finanzierung einer Fortbildung, können sie ihr „Investment“ durch Rückzahlungsklauseln absichern. Richtigerweise besteht die Qualifizierungspflicht des Arbeitnehmers zudem nicht nur während der Arbeitszeit, sodass auch „Mehrarbeit“ zur Qualifizierung angeordnet werden kann. In der Praxis werden Arbeitnehmer z.B. dazu verpflichtet, sich insoweit bspw. durch die Einbringung von Zeitguthaben oder Urlaubstagen zu beteiligen.