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Das Coronavirus erreicht den deutschen Arbeitsmarkt

03.03.2020

1. Status Quo

Am 31.12.2019 wurde das WHO-Landesbüro in China über vermehrtes Auftreten von Lungenentzündungen in der Region Wuhan informiert. Als Erreger wurde ein neuartiges Coronavirus (SARS-CoV-2/COVID-19) identifiziert. Durch globale Reisetätigkeiten und anschließende Infektionsketten treten nunmehr auch vermehrt Infektionen mit dem Coronavirus in Deutschland auf. Auch wenn die Zahl der Infektionen derzeit noch überschaubar ist, „ist die deutsche Wirtschaft schon infiziert“ (Spiegel-Online 26.02.2020). Dies hat konkrete Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis.

2. Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis

2.1 Unternehmerpflichten


Arbeitgeber haben Fürsorgepflichten, die sie je nach Sachlage verpflichten, konkrete Handlungen zum Schutz ihrer Mitarbeiter vorzunehmen, u.a.:

  • Aufklärungspflichten über Infektions- und Erkrankungsrisiken sowie typische Krankheitssymptome. Eine Aufklärung kann über Bekanntmachungen in den Betriebsräumen, im Intranet, auf Betriebsversammlungen o.Ä. erfolgen. Als Grundlage hierfür dienen etwa die Informationen über Arbeitsschutzmaßnahmen der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, abrufbar unter https://www.baua.de/DE/Angebote/Aktuelles/Meldungen/2020/2020-02-19-Coronavirus.html.
  • Hygienevorkehrungen etwa durch entsprechende Hygieneempfehlungen in sanitären Einrichtungen oder das Bereitstellen von Desinfektionsmitteln. In sensiblen Bereichen (etwa Gesundheitswesen) können ggf. weitergehende Schutzpflichten (etwa Bereitstellung von Atemschutzmasken oder besonderer Schutzkleidung) bestehen.
  • Mitteilungsaufforderung über etwaige Reisen in Risikogebiete. Eine pauschale Aufforderung der Mitarbeiter, den Arbeitgeber über allgemeine Aufenthalte zu informieren, dürfte datenschutzrechtlich dagegen unzulässig sein.
  • Schutzmaßnahmen bei Auftreten konkreter Infektionsfälle im Unternehmen, etwa durch Freistellung infizierter Mitarbeiter von der Arbeit und eine Benachrichtigung der Gesundheitsämter.

2.2 Arbeitsausfall und Vergütungszahlung

 
Ordnet eine Behörde an, den Betrieb einzuschränken oder zu schließen, muss der Arbeitgeber die Vergütung grds. weiter an die (arbeitsfähigen und arbeitsbereiten) Mitarbeiter zahlen, ohne dass die ausgefallene Arbeitszeit nachgearbeitet werden muss. Der Arbeitgeber trägt insoweit das Betriebsrisiko (§ 615 S. 3 BGB). Von diesem Betriebsrisiko werden nicht nur alle betriebsinternen Störungen erfasst, die auf ein Versagen der sachlichen oder persönlichen Mittel des Betriebs zurückzuführen sind. Auch von außen auf den Betrieb einwirkende Umstände (höhere Gewalt) sowie die Einstellung des Betriebs im Anschluss an eine behördliche Anordnung fallen unter das vom Arbeitgeber zu tragende Betriebsrisiko (vgl. LAG Düsseldorf, Urt. v. 05.06.2003, 11 Sa 1464/02). Die ursprünglich von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze der Betriebsrisikolehre sind aber u.a. dann nicht anwendbar, wenn das Unternehmen wirtschaftlich so schwer getroffen wird, dass seine Existenz bei Fortzahlung der vollen Löhne gefährdet wäre (vgl. BAG, Urteil v. 09.03.1983, 4 AZR 301/80). Dieser Sonderfall unterliegt nach der Rechtsprechung jedoch hohen Anforderungen.
 
Ist der Mitarbeiter durch eine Infektion mit dem Coronavirus arbeitsunfähig erkrankt, gelten die allgemeinen Regelungen zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (§ 3 EFZG). Möglich ist weiterhin, dass einzelne Mitarbeiter aufgrund von infektionsbedingten Präventivmaßnahmen nicht arbeiten können. Die Behörde kann u.a. Quarantäne anordnen (§ 30 IFSG) oder ein berufliches Tätigkeitsverbot aussprechen (§ 31 IFSG). Derartige Maßnahmen begründen nach der Rechtsprechung einen vorübergehenden persönlichen Verhinderungsgrund, der nach § 616 BGB den Arbeitgeber (bis zu max. sechs Wochen) zur Vergütungsfortzahlung verpflichtet (so noch zu § 49 BSeuchG a.F. BGH, Urteil v. 30.11.1978, III ZR 43/77). Besteht kein Anspruch auf Vergütungsfortzahlung, gewährt das Gesetz der betroffenen Person eine Entschädigung, die in den ersten sechs Wochen im Wesentlichen dem Verdienstausfall entspricht (Netto-Arbeitsentgelt). Der Arbeitgeber hat dann längstens für diesen Zeitraum die Entschädigung „als Zahlstelle“ zu zahlen und kann sich die Entschädigung auf Antrag von der zuständigen Behörde zurückerstatten lassen (§ 56 Abs. 5 IFSG).
 

2.3 Keine Leistungsverweigerungsrechte oder Recht auf Home Office


Trotz (abstrakter) Infektionsgefahr bleibt das gültige Arbeitsrecht in Kraft, das heißt:

  • Der Mitarbeiter hat grds. kein Leistungsverweigerungsrecht und ist nicht berechtigt, wegen eines (abstrakten) Infektionsrisikos der Arbeit fern zu bleiben. 
  • Mitarbeiter haben – vorbehaltlich abweichender Regelungen – kein Recht auf Arbeit im Home Office. Bleiben Mitarbeiter gleichwohl „selbstverordnet“ der Arbeit fern oder arbeiten weisungswidrig im Home Office, greifen die üblichen arbeitsrechtlichen Sanktionen, insb. Abmahnung und ggf. Kündigung.
  • Dienstreisen oder Entsendungen sind grds. anzutreten. Abweichendes gilt lediglich bei bestehenden Reisewarnungen des Auswärtigen Amts, des Robert Koch Instituts oder der WHO für das betroffene Gebiet. In diesen Fällen, sowie ggf. bei besonderen individuellen Umständen (bspw. Vorerkrankungen), darf der Mitarbeiter die Reisetätigkeit ggf. verweigern.

3. Reaktionsmöglichkeiten von Unternehmen

Angesichts der weitreichenden organisatorischen und finanziellen Folgen sind Unternehmen gut beraten, potentielle Auswirkungen des Coronavirus auf die Arbeitsverhältnisse bereits jetzt aktiv zu gestalten. In Betracht kommen insb. folgende Maßnahme:

  • Abbau etwaiger Überstundenkontingente oder Nutzung von Arbeitszeitkonten. Soweit Arbeitszeitkonten bestehen, kann das vereinbarte Kontingent zum Abbau von Plus- bzw. Aufbau von Minusstunden genutzt werden, um Annahmeverzugsrisiken zu minimieren.
  • Alternativ ist die Anordnung von Betriebsferien denkbar. Besteht ein Betriebsrat, hat dieser hierbei ein Mitbestimmungsrecht. Arbeitgeber sind deshalb gut beraten, bereits im Vorfeld eine Betriebsvereinbarung über Betriebsferien abzuschließen.
  • Einführung von Kurzarbeit. Die Anordnung von Kurzarbeit ist geeignet, Annahmeverzugsrisiken zu minimieren. Die Bundesagentur für Arbeit hat darüber hinaus klargestellt, dass wegen Arbeitsausfällen durch das Coronavirus Kurzarbeit über Kurzarbeitergeld gefördert werden kann; https://www.arbeitsagentur.de/news/kurzarbeit-wegen-corona-virus. Der Arbeitgeber kann Kurzarbeit jedoch nur anordnen, wenn im Arbeitsvertrag, im Tarifvertrag oder – soweit zulässig – in einer Betriebsvereinbarung dies entsprechend vorgesehen ist. Ein vorhandener Betriebsrat hat ein Mitbestimmungsrecht bei der Anordnung.
  • Erarbeitung betrieblicher Home Office Regelungen oder Ausweitung von Möglichkeiten für Video- und Telefonkonferenzen, um persönliche Meetings zu ersetzen. Mit einem vorhandenen Betriebsrat ist hierüber eine Betriebsvereinbarung oder Regelungsabrede abzuschließen. Verhandlungen hierzu sollten rechtzeitig aufgenommen werden, um schnell reagieren zu können, wenn Infektionen oder Verdachtsfälle auftauchen.
  • Erarbeitung eines Notfallplans. Dieser sollte kurzfristig unter Einbeziehung aller betrieblichen Akteure (insb. Betriebsrat, arbeits- und datenschutzverantwortliche Stellen oder Betriebsarzt) erarbeitet werden. Festgelegt werden sollten insb. konkrete Verhaltensregeln im Fall einer akuten Pandemie (bspw. Umgang mit infizierten Mitarbeitern, Information von Behörden, etc.). Darüber hinaus sollte das Unternehmen berücksichtigen, welche Aufgaben/Funktionen für den Betriebsablauf wesentlich sind und wie diese ggf. auch im Fall des Ausfalls eines Großteils der Belegschaft oder des Betriebsablaufs für einen „Minimalbetrieb“ aufrecht erhalten werden können (bspw. durch Anordnung von Überstunden, Versetzungen, Home Office Tätigkeiten, etc.).
  • Abbedingung oder Anpassung der gesetzlichen Risikoverteilung zur Vergütungsfortzahlung (§§ 615 Satz 3, 616 BGB). Die Regeln der Betriebsrisikolehre (§ 615 Satz 3 BGB) sowie zur vorübergehenden Dienstverhinderung (§ 616 BGB) sind dispositiv. Soweit noch nicht geschehen, können sie u.a. unter Nutzung der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Betriebsvereinbarungsoffenheit von arbeitsvertraglichen Regelungen mit kollektivem Bezug - auch für bestehende Arbeitsverträge - durch entsprechende Betriebsvereinbarung mit dem Betriebsrat (befristet) abbedungen werden. Denkbar ist gleiches im Rahmen von (Sanierungs-)Tarifverträgen. Denkbar ist, dass als „Gegenleistung“ eine (befristete) Zusage von Beschäftigungsschutz gefordert wird.