Streik-Jahr 2024? - Reaktionsmöglichkeiten des Arbeitgebers bei einem Arbeitskampf (I)
Das Jahr 2024 hat gerade erst begonnen und schon sorgt der Tarifkonflikt zwischen der Lokführergewerkschaft GDL und der Deutschen Bahn für neue Schlagzeilen. Der Arbeitgeberverband der Mobilitäts- und Verkehrsdienstleister (AGV MOVE), dem die Deutsche Bahn angehört, hat einen Antrag auf Untersagung der für die nächsten drei Tage angekündigten Streikmaßnahmen durch einstweilige Verfügung gestellt. Bereits am 02.01.2024 hatte er beim Hessischen Landesarbeitsgericht die Prüfung beantragt, ob die GDL überhaupt noch tariffähig sei. Hintergrund ist die Gründung der Leiharbeitnehmergenossenschaft Fair Train e.G. durch die GDL, bei der Lokführer zu besseren Bedingungen angestellt und dann an Bahnunternehmen zurück verliehen werden sollen. Ob die Frage letztlich durch das Bundesarbeitsgericht entschieden werden muss oder es sich lediglich um ein taktisches Störfeuer handelt, wird sich zeigen.
Dieser intensiv geführte Tarifkonflikt verdeutlicht beispielhaft, was vielen Unternehmen auch in zahlreichen anderen Branchen im Jahr 2024 drohen kann: Die Bereitschaft vieler Beschäftigter, ihrer Forderung nach besseren Arbeitsbedingungen durch Arbeitskämpfe Nachdruck zu verleihen, ist wohl nicht zuletzt aufgrund der wirtschaftlichen Gesamtentwicklung so stark ausgeprägt wie schon lange nicht mehr.
Für Unternehmen stellt sich daher die Frage, was es bei Arbeitskämpfen zu beachten gilt und welche Möglichkeiten zur Reaktion bestehen. Dazu geben wir Hilfestellungen in zwei aufeinander folgenden Beiträgen – in diesem Teil I gehen wir auf die Grundlagen des Streikrechts sowie praktische Überlegungen zu Beginn eines Arbeitskampfs ein, während im folgenden Teil II konkret rechtliche Instrumente und gerichtliche Rechtsschutzmöglichkeiten für Arbeitgeber dargestellt werden.
Wann darf gestreikt werden?
Das Streikrecht wird aus der Koalitionsfreiheit in Art. 9 Abs. 3 GG abgeleitet, die Grundlage für das Recht, Gewerkschaften zu bilden und sich gewerkschaftlich zu betätigen, ist. Nach Art. 9 Abs. 3 GG ist das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Um die Wahrung und Förderung der Arbeitsbedingungen gegenüber Arbeitgebern durchsetzen zu können, bedarf es nötigenfalls eines Druckmittels. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zählen zu den durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Mitteln daher auch Arbeitskampfmaßnahmen, die auf den Abschluss von Tarifverträgen gerichtet sind.
Wer darf streiken?
Hieraus ergibt sich, dass ausschließlich Parteien, die sowohl tariffähig als auch tarifzuständig sind, in den Arbeitskampf treten dürfen. Ein sogenannter „wilder Streik“, der nicht durch eine Gewerkschaft getragen wird, ist daher nach allgemeiner Auffassung rechtswidrig.
Welche Streikziele sind zulässig?
Weiterhin muss der Streik auf den Abschluss eines Tarifvertrags gerichtet sein, dessen Inhalte und Ziele normativ zulässig und überhaupt tariflich regelbar sind. Daher ist die Verhinderung einer unternehmerischen Entscheidung als solche, wie etwa zur Standortschließung oder Betriebsverlagerung, kein zulässiges Kampfziel. Die Arbeitskampffreiheit wird inhaltlich insbesondere durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (hierzu ausführlich in Teil II) begrenzt.
Wann darf nicht gestreikt werden?
In zeitlicher Hinsicht wird das Streikrecht durch die tarifliche Friedenspflicht begrenzt. Danach sind Streikmaßnahmen zu unterlassen, solange ein Tarifvertrag gilt, der die entsprechenden Arbeitsbedingungen bereits regelt. Grundsätzlich gilt die Friedenspflicht also nur relativ, d.h. für solche Inhalte, die bereits tariflich geregelt sind. Eine absolute Friedenspflicht muss dagegen ausdrücklich zwischen den Tarifvertragsparteien vereinbart werden. Die jeweilige tarifliche Friedenspflicht endet nach Ablauf der vereinbarten Geltungsdauer bzw. der Beendigung des einschlägigen Tarifvertrags.
Welche Streikarten gibt es?
Ist die Friedenspflicht abgelaufen, darf auch schon während der Verhandlungen über einen neuen Tarifvertrag ein Streik – sog. „Warnstreik“ – abgehalten werden (so z.B. derzeit durch die GdL, allerdings ist streitig, ob die Voraussetzungen hierfür vorliegen). Scheitern die Verhandlungen und wird in einer Urabstimmung für einen Streik gestimmt, spricht man insoweit von einem „Erzwingungsstreik“. Im Hinblick auf die rechtlichen Anforderungen zur Zulässigkeit von Streikmaßnahmen gibt es zwischen beiden Formen keine großen Unterschiede. Die Rechtsprechung hat Differenzierungskriterien im Laufe der Jahre zunehmend aufgeweicht.
Gewerkschaft kündigt Arbeitskampf an – was tun?
Streikmaßnahmen arbeitgeberseitig gänzlich unterbinden zu lassen, ist angesichts des hohen Stellenwerts des Streikrechts in Art. 9 Abs. 3 GG nur unter besonders strengen Voraussetzungen und lediglich in Ausnahmefällen möglich (dazu Teil II). Umso wichtiger ist deshalb die richtige Vorbereitung, um als Unternehmen in einer derartigen Ausnahmesituation handlungsfähig zu bleiben: Wie also vorgehen, wenn ein Streik der Gewerkschaftsmitglieder akut droht?
Kommunikation
Gerade zu Beginn oder unmittelbar im Vorfeld eines Arbeitskampfs ist eine frühzeitige und klare Kommunikation innerhalb der eigenen Belegschaft sowie gegenüber Dritten und Kunden ein immens wichtiger strategischer Faktor. Sie sollte dazu genutzt werden, um sich zu den gewerkschaftlichen Forderungen zu positionieren bzw. diese für die „eigenen Leute“ in den Gesamtkontext einzuordnen. Im Verhältnis zu Kunden und sonstigen Dritten sollten intern vertragliche Risiken abgeklärt und ein transparentes Erwartungsmanagement sichergestellt werden.
Andauernde Tarifverhandlungen nicht ausreichend
Das Weiterführen laufender Tarifverhandlungen ist wichtig, kann für sich genommen Streikmaßnahmen indes nicht verhindern. Denn nach der Rechtsprechung dürfen Arbeitskampfmaßnahmen auch dann, wenn der Gewerkschaft ein Angebot vorliegt und die Arbeitgeberseite signalisiert, hierauf aufbauend weiter verhandeln zu wollen, eingeleitet werden, ohne dass dies per se unverhältnismäßig und daher unzulässig wären. Das Bundesarbeitsgericht billigt der Gewerkschaft für die Beurteilung, ab wann Streikmaßnahmen zur Durchsetzung von Forderungen erforderlich sind, einen weiten Einschätzungsspielraum zu. Kündigt die Gewerkschaft einen Streik an, kommt darin konkludent zum Ausdruck, dass sie die Verhandlungsmöglichkeiten derzeit als erschöpft ansieht. Tarifverhandlungen sollten daher stets konstruktiv geführt und Tarifrunden idealerweise mit (Teil)Ergebnissen abgeschlossen werden, um die Gewerkschaft davon abzuhalten bzw. zu überzeugen, dass ein beidseitig gutes Verhandlungsergebnis auch ohne Streikmaßnahmen erreicht werden kann – natürlich vorausgesetzt, dass die Gewerkschaft keine utopischen Forderungen aufstellt.
Notdienst einrichten
Sieht die Gewerkschaft den Arbeitskampf dennoch als notwendig an, gilt es, die negativen Auswirkungen für den Arbeitgeber möglichst gering zu halten. Eines der wichtigsten Instrumentarien hierfür ist die Errichtung eines Notdienstes. Hierzu sollte mit der streikführenden Gewerkschaft idealerweise eine sog. Notdienstvereinbarung abgeschlossen werden, mit der die während des Arbeitskampfs aufrechtzuerhaltenden Aufgaben und die Einsatzplanung für die dafür erforderlichen Mitarbeiter geregelt wird.
Können sich Arbeitgeber und Gewerkschaft nicht einvernehmlich auf eine Notdienstvereinbarung einigen, kann eine solche unter bestimmten Voraussetzungen auch gerichtlich im Wege der einstweiligen Verfügung festgelegt werden. Besonders relevant wird eine Notdienstvereinbarung vor allem in Betrieben der sog. Daseinsvorsorge (z.B. Krankenhäuser, Verkehr und Transport, Strom- und Wasserversorgung), doch auch in anderen Bereichen kann die Einrichtung eines Notdienstes aus Gründen der Verhältnismäßigkeit erforderlich sein. Allerdings kann nicht aufgrund fehlender Notdienstvereinbarung die vollständige Untersagung von Streikmaßnahmen erreicht werden (LAG Berlin-Brandenburg v. 20.10.2021 – 12 Ta 1310/21).
Streikliste führen
In der Streikliste wird erfasst, welche Arbeitnehmer tatsächlich am Arbeitskampf teilgenommen haben. Ihnen steht für die Dauer des Streiks kein Lohnanspruch zu. Auf Basis der Streikliste lässt sich die Lohnkürzung sodann einfacher umsetzen. Die Streikliste ist durch den Arbeitgeber selbständig zu führen. Arbeitnehmer können nicht dazu verpflichtet werden, sich selbst einzutragen.
Fazit
Das Streikrecht ist aufgrund seiner verfassungsrechtlichen Verankerung ein hohes Gut. Arbeitgeber haben indes mehrere Möglichkeiten, die Auswirkungen eines Streiks unmittelbar zu beeinflussen und zu lenken. Darüber hinaus stehen auch dem Arbeitgeber Arbeitskampfmittel und gerichtliche Rechtsschutzmöglichkeiten zur Verfügung. Welche dies sind und was es zu beachten gilt, erfahren Sie in dem in Kürze erscheinenden Teil II dieses Beitrags.