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EuGH erleichtert gerichtliche Zuständig­keits­konzentration bei Private Enforcement im Kartell­recht

21.02.2025

Mit Urteil vom 13. Februar 2025 hat der Europäische Gerichtshof („EuGH“) im Fall C-393/23 (Athenian Brewery and Heineken) Kernfragen zur gerichtlichen Zuständigkeit für Private Enforcement im Kartellrecht entschieden. Dieses Mal geht es – anders als zuletzt in der Rechtssache MOL (C-425/22, siehe Noerr Insights) – nicht um die Auslegung des Deliktsgerichtsstandes nach Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-Verordnung, sondern um die in Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-Verordnung geregelte Zuständigkeit bei Sachzusammenhang. Hintergrund der Entscheidung ist eine Klage des griechischen Unternehmens Macedonian Thrace Brewery SA („MTB“) in den Niederlanden gegen die Athenian Brewery SA („AB“) mit Sitz in Griechenland und deren niederländische Muttergesellschaft Heineken NV („Heineken“) wegen Verstößen im Bereich des Wettbewerbsrechts.

Hintergrund der Vorlagefrage

Die MTB, eine auf dem griechischen Markt tätige Brauerei, machte vor den niederländischen Gerichten Schadensersatzforderungen gegen AB und Heineken als Gesamtschuldner wegen eines nach den zugrunde zulegenden Feststellungen allein von der Tochtergesellschaft AB begangenen Kartellrechtsverstoßes geltend. Die Klage stützt sich auf einen von der griechischen Wettbewerbsbehörde festgestellten Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung durch AB. Heineken hielt zum Zeitpunkt der Zuwiderhandlung etwa 98,8 % der Anteile an AB, übte selbst auf dem griechischen Biermarkt unstreitig aber keine operativen Tätigkeiten aus.

Kernfrage des Verfahrens vor dem EuGH war daher, ob die niederländischen Gerichte für die Klage von MTB gegen AB zuständig sind, obwohl AB ihren Sitz in Griechenland hat. Dabei kam es entscheidend darauf an, wie das Verhältnis der AB zur Muttergesellschaft Heineken zu bewerten ist, die im gewählten Gerichtsstand, den Niederlanden, ihren Sitz hat. Das letztinstanzliche niederländische Gericht Hoge Raad der Nederlanden hatte dem EuGH die Frage vorgelegt, wie in einem solchen Fall das in Art. 8 Nr. 1 der Brüssel Ia-Verordnung festgelegte Erfordernis der „engen Beziehung“ zwischen den Klagen, hier der Klagen gegen die Mutter- und die Tochtergesellschaft, auszulegen sei.

Nach Art. 8 Nr. 1 der Brüssel Ia-Verordnung kann eine Person, die ihren Sitz im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedsstaates hat, auch vor dem Gericht des Ortes verklagt werden, an dem einer der anderen Beklagten seinen Sitz hat, sofern eine so enge Beziehung zwischen den Klagen gegeben ist, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint. Konkret hatte der EuGH hier zu entscheiden, ob es für die Annahme der notwendigen engen Beziehung im Sinne des Art. 8 Nr. 1 der Brüssel Ia-Verordnung ausreichend ist, sich ausschließlich auf die Vermutung zu stützen, dass eine Muttergesellschaft, die unmittelbar oder mittelbar das gesamte oder nahezu das gesamte Kapital einer Tochtergesellschaft hält, einen bestimmenden Einfluss auf diese Tochtergesellschaft ausübt.

Bisher hatte der EuGH in der Rechtssache CDC Hydrogen Peroxide (C‑352/13, siehe Noerr Insights) nur darüber entschieden, dass es sich jedenfalls bei Klagen gegen mehrere Unternehmen, die sich gemeinsam an einer von der Europäischen Kommission festgestellten einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung gegen die unionsrechtlichen Wettbewerbsregeln beteiligt haben, um dieselbe Sach- und Rechtslage handelt und damit Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-Verordnung erfüllt ist. Dies war hier nicht der Fall.

Ergebnis der Entscheidung

Der EuGH hat nun entschieden, dass dieselbe Feststellung auch für Mutter- und Tochtergesellschaft gilt, wenn diese Teil ein und derselben wirtschaftlichen Einheit sind und damit ein einziges Unternehmen im Sinne europäischen Kartellrechts bilden (vgl. Rn. 29). Damit folgt der EuGH seiner bisherigen Linie in Kartellschadensersatzfällen, auf das auch im weiteren europäischen Kartellrecht genutzte Konzept der wirtschaftlichen Einheit abzustellen. Dieses Konzept hat er für das Kartellschadensersatzrecht bereits in den Rechtssachen Skanska (C-724/17) und Sumal (C‑882/19) angewendet und sodann in mehreren Folgeentscheidungen weiter konkretisiert (vgl. u.a. Urteil des EuGH vom 4. Juli 2024, C-425/22 – MOL).

Der EuGH bestätigt nunmehr, dass auch im Rahmen der Zuständigkeitsvorschrift des Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-Verordnung die von ihm entwickelte widerlegbare Vermutung des bestimmenden Einflusses der Mutter- auf die Tochtergesellschaft (vgl. dazu bereits Urteil des EuGH vom 26. Oktober 2017, C‑457/16 P und C‑459/16 P bis C‑461/16 P, Rn. 84 – Global Steel Wire) und damit hinsichtlich der Klagen gegen beide Gesellschaften auch eine enge Verbindung im Sinne des Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-Verordnung angenommen werden kann.

Der EuGH weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass im Rahmen der Bestimmung der internationalen Zuständigkeit die Begründetheit der Klage nicht vollständig zu prüfen oder gar ein Beweisverfahren durchzuführen ist (vgl. Rn. 41 f.). Das angerufene nationale Gericht kann vielmehr bei der Zuständigkeitsprüfung allein die Vermutung des bestimmenden Einflusses zugrunde legen, wenn der Kläger dazu vorträgt (vgl. hierzu Urteil des EuGH vom 16. Juni 2016, C‑12/15, Rn. 44 – Universal Music International Holding, sog. doppelrelevante Tatsache). Dabei muss das Gericht jedoch auch etwaige von den Beklagten hiergegen vorgebrachte Indizien berücksichtigen (vgl. hierzu bereits Urteile des EuGH vom 28. Januar 2015, C‑375/13, Rn. 64 – Kolassa sowie vom 16. Juni 2016, C‑12/15, Rn. 45 – Universal Music International Holding).

Zudem betont der EuGH, dass der Grundsatz der Rechtssicherheit verlangt, dass die besonderen Zuständigkeitsregeln so ausgelegt werden, dass ein informierter, verständiger Beklagter vorhersehen kann, vor welchem Gericht er außerhalb seines Wohnsitzstaats verklagt werden könnte. Dies sei bei einer Muttergesellschaft und ihrer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Tochtergesellschaft der Fall (Rn. 34 f.).

Bedeutung des Urteils und Ausblick

Mit dem Urteil verfolgt der EuGH das Ziel, die Gefahr von Parallelverfahren und sich widersprechende Entscheidungen so weit wie möglich zu vermeiden. Er geht dabei allerdings so weit, dass ein auf den ersten Blick rein inländischer Sachverhalt in einem anderen Mitgliedsstaat verhandelt werden kann, sofern sich dort eine Muttergesellschaft als Ankerbeklagte befindet. Dies eröffnet eine Möglichkeit für einseitiges forum shopping durch Kläger. Im Bereich des Kartellschadensersatz ist dies besonders relevant, da unterschiedliche Foren unterschiedlich weit entwickelt sind und teils prozessuale Erleichterungen für Kläger bieten. Zudem eröffnet die Wahl unterschiedlicher Foren auch die Wahl zwischen unterschiedlichen Kollektivverfahren und Möglichkeiten der Einbindung von Prozessfinanzierern auf Klägerseite.

Die Entscheidung stellt jedoch eine Fortschreibung der bisherigen Anwendung des Konzepts der wirtschaftlichen Einheit dar und trägt auch zu einer besseren Vorhersehbarkeit der Auslegung der Zuständigkeitsvorschriften der Brüssel Ia-Verordnung und damit zur Rechtssicherheit bei.

Ob es auch Fallgestaltungen gibt, bei denen der EuGH bei einer Klage, die gegen eine am Wettbewerbsverstoß nicht beteiligte Tochtergesellschaft an deren Sitz erhoben wird, einen engen Zusammenhang im Sinne des Art. 8 Nr. 1 der Brüssel Ia-Verordnung bejahen würde, ist jedoch noch offen.