Cour de Cassation verschärft Anforderungen an Annullierung wegen Verfahrensfehlern
Nach der neuesten Rechtsprechung der Cour de Cassation ist erforderlich, dass Parteien in einem Schiedsverfahren sich sowohl gegenüber dem Schiedsgericht als auch der Schiedsinstitution auf Verfahrensfehler berufen, um dem Vorwurf eines Rechtsverzicht zu entgehen.
Der Verzicht auf die Geltendmachung eines Verfahrensfehlers bezüglich der Zusammensetzung des Schiedsgerichts während des Schiedsverfahrens stellt einen Verzicht auf diesen Einwand vor dem französischen Gericht dar, bei welchem die Aufhebung des Schiedsspruchs beantragt wird. Die französische Cour de Cassation, das höchste Gericht des französischen Rechtssystems, entschied am 7. Juni 2023 ( Arrêt n° 400 F-B, Pourvoi n° Y 21-24.968, Décision - Pourvoi n°21-24.968 | Cour de cassation), dass dies ungeachtet zweier durch die Partei gestellte, allerdings erfolglose Ablehnungsanträge gegen denselben Schiedsrichter vor der erkennenden Schiedsinstitution gilt. Damit sollte eine aufhebungswillige Partei von Anfang an einen breiten und zweigleisigen Ansatz verfolgen.
Sachverhalt – Antrag auf Ablehnung des Schiedsrichters beim ICC-Gerichtshof
Die französische Entscheidung erging im Zusammenhang mit einem ICC-Schiedsverfahren nach der ICC-Schiedsgerichtsordnung von 1998, das wegen angeblicher Nichtzahlung eines Darlehens eingeleitet worden war (SARL CTI Group Inc. und Pharaon Commercial Investment Group Limited gegen CNAN Group Spa und International Bulk Carrier Spa und Mustapha Abdelwahab Laradji, ICC Case No. 17257/ND/MCP). Unter der Schirmherrschaft der ICC wurde ein Schiedsgericht gebildet, und während des Schiedsverfahrens hatten die Beklagten zwei erfolglose Ablehnungsanträge beim Internationalen Schiedsgerichtshof des ICC gegen den von den Klägern benannten Mitschiedsrichter eingereicht. Beide Ablehnungsanträge waren im September 2011 bzw. im Februar 2012 zurückgewiesen worden. In der Folge hatten die Beklagten die Ablehnungsanträgen vor dem Schiedsgericht nicht aufrechterhalten, und der Schiedsspruch war schließlich mehrheitlich zugunsten der Kläger ergangen.
Das Nichtigkeitsverfahren vor der Cour d'Appel de Paris
Mit der Behauptung, das Schiedsgericht sei nicht ordnungsgemäß konstituiert gewesen, reichte eine der Beklagten daraufhin bei den zuständigen französischen Gerichten einen Antrag auf Aufhebung des Schiedsspruchs ein. Dieser Antrag wurde jedoch im Juni 2021 von der Cour d'Appel de Paris abgelehnt. Für die Cour d'Appel de Paris war die Tatsache, dass die Beklagten die Ablehnungsanträge nicht unmittelbar vor dem Schiedsgericht weiter geltend gemacht hatten, ausschlaggebend für die Feststellung, dass der Aufhebungsantrag unbegründet sei. Die Cour d'Appel de Paris verwies hierbei auf Art. 1466 der französischen Zivilprozessordnung, in dem es heißt: "Eine Partei, die es wissentlich und ohne rechtfertigenden Grund unterlässt, eine Verfahrensfehler vor dem Schiedsgericht rechtzeitig zu rügen, wird so behandelt, als habe sie auf die Geltendmachung dieses Verfahrensfehlers verzichtet."
Unter Berufung auf eine wörtliche Auslegung dieser Bestimmung bestätigte die Cour d'Appel de Paris ausdrücklich, dass "der Verfahrensfehler vor dem Schiedsgericht geltend gemacht werden“ müsse, und zwar unabhängig von der Einschaltung einer Schiedsinstitution. Für die Cour d'Appel de Paris bedeutete "geltend machen" zumindest, einen ausdrücklichen Rechtsvorbehalt vor dem Schiedsgericht zu äußern. Wenn eine Partei ihren Ablehnungsantrag vor dem Schiedsgericht nicht aufrechterhalte, habe sie demnach auf ihr Recht verzichtet, sich auf diesen spezifischen Grund zu berufen.
Die Cour d'Appel de Paris sah keinen Raum für eine Ausnahme von dieser Regel. Während Art. 1466 der französischen Zivilprozessordnung im Allgemeinen eine Ausnahme bei Vorliegen eines "legitimen Grundes" vorsieht, war diese Voraussetzung nach Ansicht der Cour d'Appel de Paris im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Bemerkenswerterweise stellte die Tatsache, dass die Ablehnungsentscheidungen des ICC-Gerichtshofs weder anfechtbar noch rechtskräftig noch für die französischen Gerichte bindend sind, keinen legitimen Grund für eine Ausnahme dar.
Im Rechtsmittelverfahren vor der Cour de Cassation machten die Beklagten dann unter anderem erneut geltend, dass gegen die beiden erfolglosen Ablehnungsanträge vor dem ICC-Gerichtshof nach den geltenden ICC-Regeln kein Rechtsmittel eingelegt werden könne. Nach der Rechtsmittelschrift hatten die Beklagten einen "legitimen Grund" gemäß Art. 1466 der französischen Zivilprozessordnung, die fehlerhafte Zusammensetzung des Schiedsgerichts nicht direkt vor dem Schiedsgericht geltend gemacht zu haben.
Am 7. Juni 2023 bestätigte die Cour de Cassation jedoch den Standpunkt der Cour d'Appel de Paris, indem sie feststellte, dass "[d]ie Tatsache, dass ein Schiedsrichter von dem Organ, das das Schiedsverfahren organisiert hat, wegen eines angeblichen Mangels an Unabhängigkeit oder Unparteilichkeit erfolglos abgelehnt wurde, keinen legitimen Grund darstellt, es zu unterlassen, vor dem Schiedsgericht die Verfahrensfehler seiner Zusammensetzung aus demselben Grund geltend zu machen".
Der von der Cour de Cassation im Rechtsmittelverfahren verfolgte strenge Ansatz
Nach der Cour d'Appel de Paris sprach sich auch die Cour de Cassation für eine strikte Anwendung von Art. 1466 der französischen Zivilprozessordnung aus und stellte zudem fest, dass die "Berufung auf die Verfahrensfehler" vor dem Schiedsgericht entweder durch einen ausdrücklichen Einspruch oder in Form eines Rechtsvorbehalts erfolgen kann.
Die Cour de Cassation bestätigte zudem, dass das Argument der Beklagten, dass gegen Entscheidungen über Ablehnungen vor dem ICC-Gerichtshof keine Rechtsmittel eingelegt werden könnten, keinen "legitimen Grund" im Sinne von Artikel. 1466 der französischen Zivilprozessordnung darstellt. Nach Auffassung der Cour de Cassation waren die Entscheidungen des Gerichtshofs über die Ernennung, Bestätigung, Ablehnung oder Ersetzung eines Schiedsrichters nach der geltenden ICC-Rechtsordnung zwar rechtskräftig, doch mussten die Parteien ihre Ablehnungsanträge vor dem betreffenden Schiedsgericht aufrechterhalten, um ihr Recht zu bewahren, den Schiedsspruch zu einem späteren Zeitpunkt vor dem französischen Gericht aus diesen Gründen aufheben zu lassen. Dies gilt unabhängig davon, ob die Einwände oder Verfahrensfehler vor dem ICC-Gerichtshof vorgebracht und von diesem zurückgewiesen wurden, wie die Cour de Cassation feststellte.
Schlussfolgerung
Für künftige Schiedsverfahren in Streitfällen, in denen möglicherweise französische Gerichte in der Anerkennungs- und Vollstreckungsphase tätig werden, ist diese recht strenge Auslegung des Art. 1466 der französischen Zivilprozessordnung beachtet werden.
Ob eine Schiedsinstitution Regeln für die Ablehnung von Schiedsrichtern vorsieht oder nicht, verliert angesichts dieser Entscheidungen an Bedeutung. Denn selbst in Fällen, in denen sich die Parteien darauf geeinigt haben, ihre Streitigkeiten Schiedsinstitutionen zu unterwerfen, die solche Regeln vorsehen, müssen die Parteien und ihre Prozessvertreter die Phase nach dem Schiedsspruch frühzeitig in Betracht ziehen und einen solchen Verfahrensfehler oder andere Verfahrensfehler vor dem Schiedsgericht rügen, um ihren Anspruch auf Aufhebung der Entscheidung vor dem französischen Gericht zu wahren. Um dieses Recht aufrechtzuerhalten, sollten die Parteien zumindest Vorbehalte zu Aspekten anmelden, die in die Zuständigkeit der Schiedsinstitutionen fallen.
Es ist zudem damit zu rechnen, dass die französischen Gerichte die Auslegung von Art. 1466 der französischen Zivilprozessordnung durch die Cour de Cassation nicht nur auf die Ablehnung von Schiedsrichtern anwenden, sondern auf jeden Verfahrensfehler während des Schiedsverfahrens, den eine Partei nachträglich geltend machen möchte. In der Tat gilt Art. 1466 der französischen Zivilprozessordnung für alle in Art. 1520 der französischen Zivilprozessordnung aufgeführten Nichtigkeitsgründe, was einen breiten Anwendungsbereich dieser Rechtsprechung ermöglicht.