Bundesgerichtshof zur Leistung von Prozesskostensicherheit bei der Vollstreckung von inländischen und ausländischen Schiedssprüchen in Deutschland
Bisher war ungeklärt, ob ausländische Antragsteller im Verfahren auf Vollstreckbarerklärung von inländischen oder ausländischen Schiedssprüchen in Deutschland – wie ausländische Kläger – auf Verlangen des Antragsgegners Prozesskostensicherheit zu leisten haben. Dies hatte der Bundesgerichtshof (BGH) unter dem alten Verfahrensrecht verneint und unter dem aktuell geltenden Verfahrensrecht bisher offengelassen. Mit Beschluss vom 12.01.2023 (I ZB 33/22) hat nun der BGH die Vorschriften der §§ 110 ff. ZPO über die Verpflichtung zur Leistung einer Prozesskostensicherheit bei der Vollstreckung von Schiedssprüchen für entsprechend anwendbar erklärt. Damit besteht für juristische und natürliche Personen, die mit der Vollstreckung aus einem Schiedsspruch durch ausländische Gläubiger in Deutschland konfrontiert sind, die Möglichkeit eine Prozesskostensicherheit zu verlangen. Die Verpflichtung zur Prozesskostensicherheitsleistung gilt für Antragsteller, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in einem EU-Mitgliedstaat oder einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum haben.
Hintergrund der BGH Entscheidung
Der Antragsteller ist ein deutscher Unternehmer, der über mehrere Jahre in der Russischen Föderation tätig war. Die Antragsgegnerinnen sind mehrere selbstständige Unternehmen einer Unternehmensgruppe eines Fruchtsaftkonzerns und ehemalige Kooperationspartner des Antragstellers.
Im Jahr 2019 gewann der Antragsteller gegen die Antragsgegnerinnen ein ad-hoc Schiedsverfahren in Moskau, in dem die Antragsgegnerinnen zur Zahlung von Schadensersatz im mittleren achtstelligen Bereich verurteilt wurden. Die Antragsgegnerinnen erhoben vor dem OLG Koblenz negative Feststellungsklage auf Versagung der Anerkennung des ausländischen Schiedsspruchs. Der Antragsteller beantragte im Wege der Widerklage u.a. die Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs. Daraufhin erklärten die Antragsgegnerinnen einseitig die Erledigung ihrer negativen Feststellungsklage und beantragten die Ablehnung des Antrags auf Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs. Das OLG Koblenz (OLG Koblenz, Beschl. v. 31.03.2022 – 2 Sch 3/20) lehnte sowohl den Antrag auf Feststellung der Erledigung der Antragsgegnerinnen als auch den Antrag auf Vollstreckbarerklärung des Antragstellers ab und entschied, dass der ausländische Schiedsspruch in Deutschland nicht anzuerkennen sei. Im Rahmen der Rechtsbeschwerde verfolgte der Antragsteller seine Anträge weiter. Die Antragsgegnerinnen beantragten die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde und wendeten sich in ihrer Anschlussrechtsbeschwerde gegen die Zurückweisung ihres Antrags auf Feststellung der Erledigung.
Der Antragsteller teilte im November 2022 mit, er habe seinen gewöhnlichen Wohnsitz von Moskau nach Dubai (VAE) verlegt. Die Antragsgegnerinnen verlangten daraufhin die Leistung von Prozesssicherheit. Im Januar 2023 teilte der Antragsteller mit, er habe seine Anschrift in Dubai wieder aufgeben und nun einen Wohnsitz und den räumlichen Schwerpunkt seiner Lebensverhältnisse in Italien.
BGH Entscheidung: Analoge Anwendung der Vorschriften zur Prozesskostensicherheitsleistung im Vollstreckbarerklärungsverfahren
Der BGH hielt den Antrag der Antragsgegnerinnen auf Leistung von Prozesskostensicherheit für statthaft, lehnte ihn jedoch in der Sache ab. Er stützte seine Entscheidung auf die folgenden Gründe:
- Das Verfahren auf Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Schiedsspruchs werde durch einen Antrag (und keine Klage) eingeleitet, weshalb sich die Parteien nicht als Kläger und Beklagte gegenüber stünden, sondern als Antragsteller und Antragsgegnerinnen. Der Antragsteller stehe hinsichtlich seines Hauptantrags auf Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Schiedsspruchs einem Kläger im Sinne des § 110 Abs. 1 ZPO gleich.
- Die Vorschriften der §§ 110 ff. ZPO seien unter dem aktuell geltenden Verfahrensrecht allerdings entsprechend im Antragsverfahren zur Vollstreckbarerklärung von inländischen und ausländischen Schiedssprüchen anwendbar. Die Voraussetzungen einer analogen Anwendung seien gegeben. Eine planwidrige Regelungslücke liege vor, da § 1063 ZPO nur einzelne Verfahrensvorschriften enthalte. Daher seien die allgemeinen Vorschriften über das erstinstanzliche Erkenntnisverfahren ergänzend anzuwenden, wozu auch die §§ 110 ff. ZPO gehören würden.
- Sinn und Zweck des Instituts der Prozesskostensicherheit würden auch für eine analoge Anwendung im Verfahren zur Vollstreckbarerklärung von inländischen und ausländischen Schiedssprüchen sprechen. Es soll die Beklagte vor Vollstreckungsschwierigkeiten im Ausland bei der Durchsetzung eines Kostenerstattungsanspruchs schützen. Die Interessenlage der Antragsgegnerinnen im Verfahren auf Vollstreckbarerklärung eines Schiedsspruchs sei insoweit mit der eines Beklagten im Klageverfahren vergleichbar.
- Besonderheiten des Vollstreckbarerklärungsverfahrens stünden einer analogen Anwendung der §§ 110 ff. ZPO nicht entgegen, da weder die ZPO noch das New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche besonderen Vorschriften zur Beschleunigung des Vollstreckbarerklärungsverfahren enthalten würden.
- Es könne auch nicht von einer vergleichbaren Eilbedürftigkeit wie in einem Verfahren über einstweiligen Verfügungen und Arreste ausgegangen werden, zu dem vertreten werden, dass die §§ 110 ff. ZPO keine Anwendung finden. Im Falle eines Schiedsverfahrens habe die obsiegende Partei mit dem Schiedsspruch bereits eine (erste) Sicherheit erlangt. Sie habe auch die Möglichkeit, die spätere Vollstreckung des Schiedsspruchs durch einen Antrag auf vorläufige Sicherungsvollstreckung gemäß § 1063 Abs. 3 Satz 1 ZPO abzusichern.
- Zugunsten des Antragstellers greife jedoch die Ausnahme für Widerklagen (§ 110 Abs. 2 Nr. 4), wonach die Verpflichtung zur Leistung von Prozesskostensicherheit bei Widerklagen nicht eintrete. Die Privilegierung des Widerklägers finde ihre Rechtsfertigung darin, dass die Erhebung einer Widerklage durch einen vorangegangenen Angriff des Klägers veranlasst sei. Ferner zeige ein Kläger, der eine Klage gegen einen Schuldner erhebe, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt außerhalb der EU und des Europäischen Wirtschaftsraums habe, dass er eine erschwerte Vollstreckung in Kauf nehme. Ein Widerbeklagter sei nicht in gleicher Weise schutzwürdig wie ein Beklagter.
- An der Parteirolle des Antragstellers ändere sich nichts dadurch, dass er zugleich Rechtsbeschwerdeführer sei. Wer Kläger sei, bestimme sich nach der Parteirolle in erster Instanz. Ebenso wenig ändere die einseitige Erledigungserklärung der Antragsgegnerinnen etwas an den Parteirollen.
- Es sei nicht automatisch derjenige als Angreifer anzusehen, der die Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs begehre. Die Antragsgegnerinnen hätten mit ihrer negativen Feststellungsklage den Vollstreckbarerklärungsantrag des Antragstellers veranlasst.
- Auf die Frage des Wohnsitzwechsels des Antragstellers nach Italien – und damit zurück in einen Mitgliedstaat der EU – komme es daher nicht an.
Relevanz der BGH Entscheidung für die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen in Deutschland
Der BGH stärkt die Rechte von Vollstreckungsschuldnern bei Vollstreckungen von inländischen und ausländischen Schiedssprüchen in Deutschland durch Vollstreckungsgläubiger, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in einem EU-Mitgliedstaat oder einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum haben.
Wichtig: Prozesskostensicherheit wird nicht von Amts wegen durch deutsche Gerichte angeordnet und ist von der formalen Parteirolle in der ersten Instanz abhängig. Widerklagen sind von der Pflicht zur Sicherheitsleistung ausgenommen. Das heißt, es ist ein entsprechender Antrag des Antragsgegners im gerichtlichen Verfahren auf Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs erforderlich.
Die Nationalität des Antragsgegners spielt keine Rolle. Er bleibt auch dann sicherungsberechtigt, wenn er dieselbe Staatsangehörigkeit wie der Antragsteller besitzt. Geschützt werden also nicht nur Deutsche, auch ausländische natürliche oder juristische Personen können Prozesskostensicherheit verlangen.
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Praxisgruppe: Arbitration