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Beweislast­umkehr bei arbeits­disziplinarischen Maßnahmen gegenüber Hinweisgebern – Konsequenzen für die Praxis

10.12.2021

Nachdem Teil 1 dieser Beitragsreihe die Zielrichtung, den Harmonisierungsgrad sowie die wesentlichen inhaltlichen Vorgaben der Whistleblowing-Richtlinie (nachfolgend: „WB-RL“) und Teil 2 den Inhalt sowie den Umfang der Einrichtungspflicht interner Hinweisgeber-Systeme näher beleuchtet haben, widmete sich Teil 3 der Zulässigkeit konzernweiter Meldestellen. In Teil 4 erörterten wir die Vorgaben der WB-RL für den Schutz von Hinweisgebern und deren Auswirkung auf den (zukünftigen) Umgang mit Whistleblowing im Unternehmen. Hieran anknüpfend beschäftigt sich dieser Teil 5 unserer Beitragsreihe mit den Voraussetzungen der in Art. 21 Abs. 5 WB-RL zugunsten des Hinweisgebers statuierten Beweislastumkehr und den daraus folgenden Konsequenzen für die Praxis.

A. Schutzanspruch mittels Beweislastumkehr

Der Unionsgesetzgeber betont, dass für ein hohes Schutzniveau von Hinweisgebern nicht nur der Verankerung eines ausdrücklichen rechtlichen Verbots von Repressalien, sondern auch der effektiven Gewährleistung des Zugangs zu Rechtsbehelfen und einem umfassenden Entschädigungsanspruch für Hinweisgeber,  eine entscheidende Bedeutung zukommt. Hinweisgeber sollen deshalb einen „Zugang zu geeigneten Abhilfemaßnahmen gegen Repressalien einschließlich einstweiligen Rechtsschutzes während laufender Gerichtsverfahren nach Maßgabe des nationalen Rechts“ erhalten (Art. 21 Abs. 6 WB-RL), wobei die konkrete Auswahl und die Festlegung geeigneter Abhilfemaßnahmen im Ermessen der Mitgliedstaaten liegen. Eingeschränkt wird dieser Gestaltungsspielraum allerdings durch die in Art. 21 Abs. 5 WB-RL vorgesehene Beweislastverteilung. Diese dürfte Arbeitgebern die Durchsetzung arbeitsdisziplinarischer Maßnahmen gegenüber Hinweisgebern zukünftig erheblich erschweren und sich insbesondere in Kündigungsschutzverfahren zu ihren Lasten auswirken.

B. Voraussetzungen der Beweislastumkehr

Die Beweislastumkehr greift in Verfahren wegen erlittener Nachteile (bspw. Kündigung, Versetzung etc.) schon dann, wenn sich der Hinweisgeber darauf beruft, diese wegen einer Meldung von Verstößen erlitten zu haben. Er muss die Kausalität zwischen seiner Meldung und der (arbeitsdisziplinarischen) Maßnahme (also dem erlittenen Nachteil) demnach „lediglich“ vortragen, einen (konkreten) Beweis für deren Zusammenhang muss er hingegen nicht erbringen. Die Beweislastumkehr bzw. die Vermutung einer Kausalität dürfte daher bereits dann eingreifen, wenn der Hinweisgeber geltend macht, dass die (arbeitsdisziplinarische) Maßnahme – wenn auch untergeordnet – zumindest auch auf dem erfolgten Whistleblowing beruht. Dies gilt selbst dann, wenn zwischen der Hinweisabgabe und der Ergreifung des Nachteils eine (erhebliche) zeitliche Zäsur besteht – die WB-RL legt insoweit keine Grenzen fest. Ein fehlender zeitlicher Zusammenhang kann daher allenfalls ein erstes, nicht aber ausreichendes Indiz für eine fehlende Kausalität zwischen Whistleblowing und Nachteil sein.

Die Voraussetzungen für die Kausalitätsvermutung sind damit vom Unionsgesetzgeber bewusst niedrigschwellig angesetzt worden. Dieser verdeutlicht damit die von ihm verfolgte Zielsetzung, etwaige Abschreckungsfaktoren für Hinweisgeber effektiv zu „eliminieren“.  Derjenige soll mit dem Nachweis der fehlenden Kausalität zwischen Whistleblowing und Nachteil belastet werden, der diesen aufgrund seiner Sachnähe und der ihm zur Verfügung stehenden Ressourcen am besten erbringen kann: das Unternehmen als Verursacher des Nachteils.

C. Widerlegung der Kausalitätsvermutung

Soweit die Beweislastumkehr des Art. 21 Abs. 5 WB-RL greift, obliegt es dem Urheber der benachteiligenden Maßnahme zu beweisen, dass diese Maßnahme auf „hinreichend gerechtfertigten Gründen basierte“, d. h. in keiner Weise auf dem Whistleblowing beruhte. Die Widerlegung der Kausalitätsvermutung dürfte dem Arbeitgeber mithin regelmäßig nur durch einen positiven Nachweis anderer, in keinem erkennbaren Zusammenhang mit dem Whistleblowing stehender (Kündigungs-)Gründe möglich sein. Für den Arbeitgeber bedeutet dies, dass er zwar weiterhin beschäftigungsbezogene Entscheidungen treffen kann, aber im Zweifel zur Überzeugung des Gerichts nachweisen muss, dass diese in keinem Zusammenhang mit dem erfolgten Whistleblowing stehen. Dies führt im Ergebnis zu einer Erweiterung des Kündigungsschutzes für Arbeitnehmer vor Entlassungen, die mangels Wartezeit (vgl. § 1 Abs. 1 KSchG) wie etwa Probezeitkündigungen und/oder Betriebsgröße (vgl. § 23 KSchG) nicht am Kündigungsschutzgesetz zu messen sind und für deren Unwirksamkeit bisher der Arbeitnehmer darlegungs- und beweisbelastet war. Nach der Umsetzung der WB-RL wird die Darlegungs- und Beweislast (bei Eingreifen der Kausalitätsvermutung) hier dem Arbeitgeber obliegen – jedenfalls im Hinblick auf den fehlenden Kausalzusammenhang.

Die umfassende Beweislastumkehr und die hohen Anforderungen an eine Widerlegung der Kausalitätsvermutung sind aufgrund des Richtlinienziels nachvollziehbar. Sie dürften nichtsdestotrotz in dieser Schärfe für das beabsichtigte hohe Schutzniveau und den Abbau von Abschreckungsfaktoren für Hinweisgeber nicht zwingend notwendig sein, weil eine Beweiserleichterung dazu wohl ausreichend gewesen wäre. Es wäre für den Hinweisgeber grundsätzlich zumutbar, zumindest Umstände vorzutragen und zu belegen, die eine vermutete Kausalität zwischen Whistleblowing und erlittenem Nachteil als (überwiegend) wahrscheinlich erscheinen lassen.

Der insoweit „überschießende“ Hinweisgeber-Schutz zeigt sich gerade auch im Zusammenspiel mit dem weiten Begriffsverständnis von „Repressalien“ in der WB-RL. Danach kann schon die Nichtverlängerung eines befristeten Arbeitsvertrags eine Repressalie darstellen (Art. 19 lit. j) WB-RL). Misslingt dem Arbeitgeber hier der fehlende Kausalitätsnachweis zwischen Whistleblowing und Nichtverlängerung des Arbeitsvertrages, genießt der Hinweisgeber den hohen Schutz der WB-RL, was im Ergebnis zu einem Kontrahierungszwang führt und erheblich in die unternehmerische Entscheidungsfreiheit eingreift. Obgleich der Unionsgesetzgeber betont, Arbeitgeber nicht an beschäftigungspolitischen Entscheidungen hindern zu wollen, erscheint dies angesichts dieser faktischen Auswirkungen der Beweislastumkehr fraglich: es ist schwer vorstellbar, dass Arbeitgeber in diesem Fall die fehlende Kausalität zwischen der Meldung von Verstößen und der Nichtverlängerung des Arbeitsvertrages erfolgreich darlegen und beweisen können.

Unbeschadet dieser kritischen Würdigung der Beweislastverteilung ist der deutsche Gesetzgeber verpflichtet, die Beweislastumkehr richtlinienkonform umzusetzen, wozu es einer expliziten gesetzlichen Regelung bedarf, weil nach geltendem Recht der Arbeitnehmer für den Kausalitätsnachweis beweisbelastet ist. Zur Vermeidung einer rechtsstaatlich bedenklichen Belastung des Arbeitgebers mit einem unmöglichen Negativbeweis und zur Wahrung der prozessualen Waffengleichheit könnte z. B. erwogen werden, die Erschütterung der Kausalitätsvermutung durch einen Positivbeweis anderer Kündigungsgründe (vorsorglich) gesetzlich festzulegen. Hier bleibt es derzeit nur, die Regelung im deutschen Umsetzungsgesetz zur Beweislastverteilung abzuwarten.

Praxishinweis:

Durch die umfassenden Vorgaben der WB-RL für den Schutz von Hinweisgebern vor Repressalien werden Unternehmen vor weitere operative Herausforderungen gestellt werden. Berechtigte (arbeitsdisziplinarische) Maßnahmen gegen Hinweisgeber, welche nicht in Zusammenhang mit der Meldung des Hinweisgebers stehen, werden nur noch effektiv durchsetzbar sein, wenn der Arbeitgeber durchgängig eine hinreichende Dokumentation vorhält. Dies dürfte insbesondere für Unternehmerentscheidungen gelten, die das Beschäftigungsverhältnis des Hinweisgebers berühren. Hierfür erscheint es dringend erforderlich, eine Schnittstelle zwischen der internen Meldestelle und der HR-Abteilung zu schaffen, um die lückenlose Dokumentation der Aufklärung eingehender Hinweise zum Nachweis einer fehlenden Kausalität mit später ergangenen arbeitsdisziplinarischen Maßnahmen gegenüber dem Hinweisgeber gewährleisten zu können.

Nachdem vorstehend der Inhalt und die praktischen  Auswirkungen der Beweislastumkehr skizziert wurden, widmet sich Teil 6 den Rechtsfolgen der (unzweifelhaft) nicht rechtzeitigen Umsetzung  WB-RL in deutsches Recht. Insbesondere geht dieser Teil der Beitragsreihe der Frage nach, ob und inwieweit die WB-RL nach Ablauf der Umsetzungsfrist (17.12.2021) eine unmittelbare Wirkung für Unternehmen entfaltet.