Studie

Übernahme durch den Großaktionär

Von Dr. Michael Brellochs

08.03.2024

Zuerst veröffentlicht im Noerr Public M&A-Report 01/2024

In den letzten beiden Jahren gab es öffentliche Angebote durch Großaktionäre, also durch Aktionäre, die bereits vor der 10er-Meldung eine Kontrollbeteiligung (Beispiele: Telefónica/Telefónica Deutschland (2023); Schaeffler/Vitesco (2023); Cinven/SYNLAB (2023); KKR/OHB (2023); Vodafone/Vantage Towers (2022)) oder eine wesentliche Beteiligung unterhalb der übernahmerechtlichen Kontrollschwelle hielten (Beispiele: TPPI bzw. Prof. Prefi/Schumag (2023); SWOCTEM bzw. Prof. Loh/Klöckner (2023); Deutsche Balaton/Biofrontera (2022)). Das Phänomen ist nicht neu: Wenn sich der Markt in einer Abwärts- oder Seitwärtsbewegung befindet und der Aktienkurs der Zielgesellschaft in diesem Zusammenhang fällt, verändert sich der Investment-Case aus Sicht eines Großaktionärs. Teilweise werden diese Möglichkeiten von Großaktionären genutzt, um ein Aufstockungs- oder Übernahmeangebot abzugeben. Entsprechende Fälle gab es auch zuvor, etwa in der Corona-Pandemie (Beispiele: EP Global Commerce/Metro (2020); Optima/InTiCa (2020)) oder in der Finanzkrise nach der Lehman-Insolvenz (Beispiel: Skion bzw. Susanne Klatten/Altana (2008)).

Die Motivation kann unterschiedlich sein: Ein Verkauf der Beteiligung ist bei fallenden Kursen nicht mehr attraktiv. Gleichzeitig wird es günstiger, die Beteiligung aufzustocken, etwa um die übernahmerechtliche Kontrollschwelle zu passieren und im Anschluss bei weiteren Zukäufen kein Pflichtangebot abgeben zu müssen, oder um die Integration der Zielgesellschaft oder ein Delisting vorzubereiten, das in der Praxis in der Regel erst ab Beteiligungsschwellen von 60 bis 80 % infrage kommt. Ein Abwärts- oder Seitwärtsmarkt kann also nicht nur von Strategen oder Finanzinvestoren für ein öffentliches Angebot genutzt werden, sondern auch von Großaktionären, die ansonsten das Aktionariat stabilisieren und die Zielgesellschaft gegebenenfalls auch gegen unabgestimmte Übernahmeversuche schützen können.

Die Durchführung eines öffentlichen Angebots durch einen Großaktionär unterscheidet sich in rechtlicher und praktischer Hinsicht an manchen Stellen von der Übernahme durch einen fremden Dritten.

Typische Merkmale von Angeboten des Großaktionärs

  1. Weniger Due Diligence
  2. Weniger Kontakt zum Vorstand der Zielgesellschaft
  3. Weniger Irrevocable Undertakings oder Paketkäufe
  4. Geringere Prämie
  5. Neutrale oder ablehnende Stellungnahmen der Zielgesellschaft werden hingenommen
  6. Aufsichtsrat der Zielgesellschaft muss mit Interessenkonflikten umgehen

1. Weniger Due Diligence

Zunächst kennt der Großaktionär die Zielgesellschaft in der Regel bereits und hat deshalb keinen oder weniger Bedarf, eine Due-Diligence-Prüfung durchzuführen. Zwar wäre die Gestattung einer Due Diligence durch die Zielgesellschaft auch zugunsten des Großaktionärs aktienrechtlich zulässig, wenn sie im Unternehmensinteresse liegt (sie würde also nicht an der aktienrechtlichen Vertraulichkeitspflicht oder am Gleichbehandlungsgebot scheitern). Das praktische Bedürfnis für eine vertiefte Prüfung ist jedoch im Vergleich zu einem Angebot durch fremde Dritte häufig geringer. Schaeffler hat bei der Übernahme von Vitesco zur Erstellung der Angebotsunterlage z.B. nur auf öffentlich zugängliche Informationsquellen (insbesondere den Geschäftsbericht 2022 und unterjährige Finanzberichte von Vitesco) zurückgegriffen (Angebotsunterlage Schaeffler vom 15.11.2023 (Seite 6)). Vitesco hat Schaeffler lediglich durch die Bereitstellung von Informationen bei der Beurteilung etwaiger regulatorischer Freigabeerfordernisse in Bezug auf die Durchführung des Angebots unterstützt (Angebotsunterlage Schaeffler vom 15.11.2023 (Seite 6)). Auch die spanische Telefónica-Mutter hat beim Erwerbsangebot an die Aktionäre von Telefónica Deutschland – bekannt unter der Marke O2 – für die Erstellung der Angebotsunterlage nur allgemein zugängliche Informationsquellen verwendet und die Richtigkeit und Vollständigkeit dieser Informationen nicht gesondert überprüft (Angebotsunterlage Telefónica vom 05.12.2023 (Seite 9)). Ferner weisen beispielsweise die Angebotsunterlagen der Octapharma AG für die SNP Schneider-Neureither & Partner SE (Angebotsunterlage Octapharma vom 26.06.2023 (Seite 5)) und der SWOCTEM GmbH für die Klöckner & Co SE (Angebotsunterlage SWOCTEM vom 27.03.2023 (Seite 6)) darauf hin, dass keine Due Diligence bei der Zielgesellschaft durchgeführt wurde. Beim Erwerbsangebot Cinven/SYNLAB wurde hingegen eine Due-Diligence-Prüfung vor der 10er-Meldung durchgeführt (Angebotsunterlage Cinven vom 23.10.2023 (Seite 11)).

2. Kein Kontakt zum Vorstand der Zielgesellschaft im Vorfeld

Soweit eine Due-Diligence-Prüfung und die Unterstützung durch den Vorstand der Zielgesellschaft aus Sicht des Großaktionärs vorab nicht notwendig sind, kann es für den Großaktionär sinnvoll sein, auf eine Ansprache des Vorstands der Zielgesellschaft vor der 10er-Meldung zu verzichten. Damit wird das Risiko von Vertraulichkeitslücken oder Veröffentlichungen der Zielgesellschaft reduziert, die zu einem steigenden Aktienkurs vor der 10er-Meldung und damit zu einem erhöhten Mindestpreis führen würden. Der Vorstandsvorsitzende von Telefónica Deutschland wurde etwa laut Presseberichten während einer Pressekonferenz zu den Quartalszahlen von der Bekanntgabe des Erwerbsangebots des spanischen Mutterkonzerns überrascht (https://www.handelsblatt.com/technik/it-internet/o2-telefnica-will-deutschlandtochter-komplett-uebernehmen-/29486080.html (zuletzt abgerufen am 06.02.2024)). Auch Schaeffler hat darauf verzichtet, den Vorstand von Vitesco vor Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe des Erwerbsangebots anzusprechen (Vitesco, Pressemitteilung vom 15.11.2023 (https://www.vitesco-technologies.com/de-de/press-events/press/23-11-15; zuletzt abgerufen am 06.02.2024)). Gleichwohl wurde nach einer Erhöhung des Angebotspreises durch Schaeffler ein Business Combination Agreement zwischen Schaeffler und Vitesco abgeschlossen (Begr. Stellungnahme Vitesco vom 27.11.2023 (Seite 32)). Auch beim Übernahmeangebot der SWOCTEM GmbH an die Aktionäre der Klöckner & Co. SE wurde der Vorstand vor der 10er-Meldung nicht angesprochen (Begr. Stellungnahme Klöckner vom 31.03.2023 (Seite 30)). Da das Angebot praktisch keine Prämie enthielt (dazu auch unten Ziff. 4), wurde es von der Verwaltung von Klöckner in der begründeten Stellungnahme nicht unterstützt (Begr. Stellungnahme Klöckner vom 31.03.2023 (Seite 62)). Cinven hat den Vorstand von SYNLAB hingegen erstmals im März 2023 kontaktiert (Ad-hoc-Mitteilung SYNLAB vom 13.03.2023), im Anschluss Gespräche aufgenommen und vor Veröffentlichung der 10er-Meldung eine Investorenvereinbarung mit SYNLAB abgeschlossen.

3. Weniger Irrevocable Undertakings oder Paketkäufe

Unwiderrufliche Andienungsverpflichtungen (Irrevocable Undertakings) oder Paketkaufverträge mit Großaktionären sind bei einer Übernahme durch einen Großaktionär seltener. Solche Vereinbarungen machen nur Sinn, wenn andere Groß- oder Paketaktionäre an der Zielgesellschaft beteiligt sind, deren Unterstützung der Bieter im Vorfeld des Angebots sicherstellen möchte. Das kann vorkommen (Beispiel: Angebotsunterlage Cinven vom 23.10.2023 (Seite 24)), ist aber in der Regel nur dann der Fall, wenn an der Zielgesellschaft andere institutionelle Investoren (einschließlich Hedge Fonds) beteiligt sind, die für das Angebot gewonnen werden sollen. Dass eine Zielgesellschaft mehrere strategische Großaktionäre gleichzeitig hat, kommt seltener vor.

4. Geringere Prämie

Sofern das Angebot des Großaktionärs auch oder vor allem dazu dient, die übernahmerechtliche Kontrollschwelle zu passieren, um anschließend die Beteiligung ohne Abgabe eines – ggf. in Bezug auf den Angebotspreis höheren – Pflichtangebots erweitern zu können, kann es sein, dass nur eine niedrige Prämie auf den Aktienkurs der Zielgesellschaft angeboten wird. Zwar wird sich diese Absicht nicht immer eindeutig aus der Angebotsunterlage ergeben, weil eine Kontrolltransaktion in der Regel auch andere Ziele verfolgt (Anders aber Angebotsunterlage SWOCTEM vom 27.03.2023 (Seite 33): Angebot dient Überschreitung der 30-%-Schwelle und zielt nicht auf Mehrheitserwerb). Gleichwohl gibt es immer wieder Angebote, bei denen ein Großaktionär, der vor dem Angebot bereits eine Beteiligung nahe der 30- %-Schwelle hält, nur eine geringe Prämie bietet. Dies kann genügen, um eine ausreichende Anzahl von Aktien im Angebot einzusammeln und so die Kontrollschwelle zu überschreiten. Beispielhaft hierfür ist das Übernahmeangebot der SWOCTEM GmbH an die Aktionäre der Klöckner & Co. SE: Der Bieter hielt vor der 10er-Meldung 29,97 % der Klöckner-Aktien, die Prämie betrug 0,5 % auf den Mindestpreis und 2,5 % auf den Schlusskurs am Tag vor der Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe des Angebots (Angebotsunterlage SWOCTEM vom 27.03.2023 (Seite 32 und 37)). Das Übernahmeangebot der Deutsche Balaton Biotech AG an die Aktionäre der Biofrontera AG verzichtete sogar vollständig auf einen Aufschlag auf den maßgeblichen Drei-Monats-Durchschnittskurs (Angebotsunterlage Deutsche Balaton vom 15.07.2022 (Seite 24)). Sowohl das Angebot SWOCTEM/Klöckner als auch das Angebot Deutsche Balaton/Biofrontera waren insofern erfolgreich, als die 30-%-Schwelle überschritten wurde.

5. Neutrale oder ablehnende Stellungnahme

Eine geringe Prämie kann dazu führen, dass die Verwaltung der Zielgesellschaft eine neutrale oder ablehnende Stellungnahme abgibt. In den beiden Fällen SWOCTEM/Klöckner und Deutsche Balaton/Biofrontera wurde das Angebot on der Verwaltung als finanziell nicht angemessen eingestuft mit der Folge, dass die Zielgesellschaft in der Stellungnahme empfahl, das Angebot nicht anzunehmen (Begr. Stellungnahme Biofrontera vom 29.07.2022 (Seite 51); Begr. Stellungnahme Klöckner vom 31.03.2023 (Seite 62)). Gleichwohl waren die Angebote erfolgreich (siehe zuvor Ziff. 4). Das Erwerbsangebot Cinven/SYNLAB liegt etwas anders: Cinven hatte SYNLAB im Jahr 2021 zu einem Ausgabepreis von EUR 18,00 an die Börse gebracht, im Jahr 2023 folgte dann das Erwerbsangebot zu einem Preis von EUR 10,00. Zwar stellt dies immer noch eine Prämie von 23 % auf den Schlusskurs am letzten Handelstag vor der Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe des Angebots dar. Der Angebotspreis lag aber deutlich unter dem Ausgabepreis beim Börsengang. Die Stellungnahme von Vorstand und Aufsichtsrat von SYNLAB war vor diesem Hintergrund neutral, da der Angebotspreis aus ihrer Sicht jedenfalls nicht den langfristigen Wert von SYNLAB widerspiegele (Begr. Stellungnahme SYNLAB vom 02.11.2023 (Seite 67)). Die Annahmequote lag am Ende bei ca. 35 %, sodass Cinven im Ergebnis auf ca. 85 % des Grundkapitals an SYNLAB kommt.

6. Umgang mit Interessenkonflikten im Aufsichtsrat

Sofern der Großaktionär durch eine oder mehrere Personen im Aufsichtsrat der Zielgesellschaft „vertreten“ ist, können sich bei der Durchführung des Angebots Interessenkonflikte im Aufsichtsrat ergeben. Die Aufsichtsratsmitglieder mögen zwar aus der Sphäre des Großaktionärs stammen, sind aber als Organmitglieder der Zielgesellschaft in dieser Funktion ausschließlich dem Unternehmensinteresse der Zielgesellschaft verpflichtet. Das bedeutet z.B. auch, dass sie gegenüber dem Großaktionär Vertraulichkeit wahren müssen. In der Praxis wird deshalb meist ein Ausschuss im Aufsichtsrat gebildet, in dem keine Personen aus der Sphäre des Großaktionärs vertreten sind. Dieser Ausschuss nimmt die Aufgaben des Aufsichtsrats im Zusammenhang mit der Übernahme, insbesondere die Vorbereitung der begründeten Stellungnahme gemäß § 27 WpÜG, wahr. Beispielhaft hierfür sind die Transaktionsausschüsse in den Aufsichtsräten von Telefónica Deutschland (Begr. Stellungnahme Telefónica Deutschland vom 13.12.2023 (Seiten 54 f.)), Vitesco (Begr. Stellungnahme Vitesco vom 27.11.2023 (Seite 80)) und SYNLAB (Begr. Stellungnahme SYNLAB vom 02.11.2023 (Seite 65)). Die Ausgestaltung des Ausschusses und die Aufgabenabgrenzung zum Plenum unterscheiden sich allerdings in der Praxis.

Fazit: Die vorgenannten Beispiele mögen genügen, um zu zeigen, dass sich Erwerbs- oder Übernahmeangebote durch einen Großaktionär an verschiedenen Stellen von Angeboten durch fremde Dritte unterscheiden. Sie kommen gerade in einem Abwärts- oder Seitwärtsmarkt immer wieder vor. Aufgrund der Nähe, die ein Großaktionär typischerweise zur Gesellschaft hat, können entsprechende Prozesse, anders als bei einer Übernahme durch fremde Dritte, häufig ohne nähere Einbindung der Zielgesellschaft rasch angestoßen und umgesetzt werden. Für börsennotierte Gesellschaften bedeutet dies, dass sie in engem Kontakt mit ihren Großaktionären bleiben sollten, um sich anbahnende Prozesse im Sinne des Unternehmens mitgestalten und begleiten zu können.