News

Streik-Jahr 2024: Wellenstreik trotz „Denkfehler“ – Wann wird der Gesetzgeber aktiv?

08.03.2024

Am vergangenen Mittwoch startete die GdL den fünften Streik während der laufenden Tarifrunde mit der Deutschen Bahn. Besonders polarisiert dabei der „Denkfehler“ des GdL-Chefs Weselsky. Dieser hatte nach den letzten Verhandlungen den unterbreiteten Vorschlag der Schlichter wohl falsch dargestellt und hierfür deutliche Kritik geerntet. Anschließend erklärte er dies damit, dass ihm ein „Denkfehler“ unterlaufen sei – den Streik werde er indes nicht absagen.

Angesichts der Tatsache, dass der Vorschlag der Schlichter der Forderung der GdL nach einer 35-Stunden Woche bei vollem Lohnausgleich bereits sehr nahekommt stoßen die andauernden Streikmaßnahmen der GdL zunehmend auf Unverständnis. Tarifverhandlungen zeichnen sich typischerweise durch ein „Geben und Nehmen“ aus, an dessen Ende der Kompromiss steht. Der jetzt erneut durchgeführte Warnstreik der GDL scheint demgegenüber unter dem Motto zu stehen: „Ganz oder gar nicht“.

Der Gesetzgeber in der Pflicht?

Damit steht die Frage im Raum, ob nicht (spätestens jetzt) der Gesetzgeber zum Handeln aufgefordert ist, Voraussetzungen und Umfang von Arbeitskampfmaßnahmen gesetzlich zu regeln. Denn bisher ist das Streikrecht vor allem Richterrecht.

Die Idee ist nicht neu – bereits 2012 hatten die Professoren Franzen, Thüsing und Waldhoff einen Entwurf vorgelegt, um Arbeitskampfmaßnahmen im Bereich der Daseinsvorsorge zu regulieren. Dieser Entwurf sah für Streikmaßnahmen im Bereich der Daseinsvorsorge u.a. eine Ankündigungsfrist von mindestens vier Tagen vor, wobei die Ankündigung auch gegenüber der Öffentlichkeit mitgeteilt werden sollte. Gerade dies wird mit den nunmehr angedrohten Wellenstreiks der GdL nicht mehr stattfinden.

Wenngleich ein generelles Streikverbot verfassungsrechtlich unzulässig wäre, kann jedoch ein Rahmen in Betracht kommen, der die Interessen beider Lager in einen angemessenen Ausgleich bringt und so Leitlinien aufstellt, die nicht mehr ausschließlich durch das Richterrecht geprägt werden. Denn das in Art. 9 Abs. 3 GG normierte Streikrecht findet wie jedes Grundrecht seine Grenzen in den Grundrechten anderer (welche im Bereich der Daseinsvorsorge besonders betroffen sind) und kann somit grundsätzlich im Rahmen der Verhältnismäßigkeit durch den Gesetzgeber eingeschränkt werden. Ohne Frage wäre es eine Herausforderung, eben diese verfassungsmäßigen Grenzen auszuloten – hiervon sollte sich der Gesetzgeber jedoch nicht abschrecken lassen.

Zulässigkeit von Wellenstreiks?

Es bleibt abzuwarten, ob es einen neuen Versuch der Deutschen Bahn geben wird, die angekündigten Wellenstreiks gerichtlich zu untersagen. Im Vergleich zum letzten Gerichtsverfahren im Januar 2024 gäbe es jedenfalls einen neuen Angriffspunkt: Den Wegfall der Ankündigungsfrist.

Das BAG hat sich zum Thema Wellenstreik das letzte Mal im Jahr 1998 geäußert. Streitfrage war indes nicht die grundsätzliche Zulässigkeit von Wellenstreiks, sondern die Frage, wer das Lohnrisiko trägt, wenn der Arbeitgeber in Erwartung des Streiks zunächst Abwehrmaßnahmen trifft, der Streik dann jedoch ausbleibt und die Arbeitnehmer dennoch nicht beschäftigt werden.

Im Übrigen waren Wellenstreiks bislang noch nicht Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen im einstweiligen Verfügungsverfahren auf Untersagung von Streikmaßnahmen. Dies aus gutem Grund, denn die spontane Arbeitsniederlegung widerspricht dem Erfordernis von Noterhaltungsmaßnahmen als zentrale Verhältnismäßigkeitsvoraussetzung von Arbeitskampfmaßnahmen im Bereich der Daseinsvorsorge. Notdienste lassen sich ohne Ankündigungsfrist schlicht nicht vorbereiten – Wellenstreiks in Krankenhäusern sind damit undenkbar. Für den Bahnverkehr dürfte vergleichbares gelten.

Während außerhalb der Daseinsvorsorge Ankündigungsfristen bezüglich der Aufnahme von Arbeitskampfmaßnahmen bisher ausdrücklich keine Verhältnismäßigkeitsvoraussetzung darstellen (vgl. LAG Köln, v. 29.10.1998 – 10 Sa 14/98), gibt es Hinweise darauf, dass dies bei entsprechender Drittbetroffenheit in der Daseinsvorsorge anders zu beurteilen ist. So entschied das ArbG Frankfurt a. M. im Fall eines Pilotenstreiks 2015, dass grundsätzlich auch eine Verpflichtung zu Vorankündigungen von Streikmaßnahmen geboten sein kann, nämlich insbesondere dann, wenn der Streik Auswirkungen für Dritte hat. Die eingehaltene Ankündigungsfrist der Gewerkschaft von 24 Stunden erachtete das Gericht dabei (noch) als ausreichend (ArbG Frankfurt a.M. v. 08.09.2015 – 13 Ga 130/15).

Fazit

Es bleibt abzuwarten, ob und in welchen zeitlichen Abständen die GdL die angekündigten Wellenstreiks durchführen wird. Argumente dafür, dass dies mit Art. 9 Abs. 3 GG nicht mehr vereinbar ist, sind jedenfalls vorhanden.

Ungeachtet dessen sollte der Gesetzgeber in Anbetracht der Vielzahl jetzt stattfindender Streikmaßnahmen – insbesondere in der Daseinsvorsorge – den Mut finden, Arbeitskampfmaßnahmen ausgewogen zu reglementieren. Verfassungsrechtlich ist dies jedenfalls nicht per se ausgeschlossen.

Zu den Reaktionsmöglichkeiten des Arbeitgebers bei einem Arbeitskampf siehe Teil I und Teil II unserer Beitragsserie zum Streikrecht.