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Leiharbeit: Das BAG schränkt das Kon­zern­pri­vileg im AÜG erheb­lich ein

19.11.2024

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat sich in seiner Entscheidung vom 12. November 2024 (Az. 9 AZR 13/24) mit dem Konzernprivileg des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) befasst und gegen den ausdrücklichen Wortlaut der einschlägigen Norm klargestellt, dass das Konzernprivileg des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) schon dann keine Anwendung findet, wenn ein Arbeitnehmer zum Zweck der Überlassung eingestellt oder beschäftigt wird ( Zusammenfassung der Pressemittelung des Bundesarbeitsgerichts 30/24 vom 12.11.2024; das Urteil war zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Insights noch nicht veröffentlich, Stand 14.11.2024).

1. Die Ausgangssituation

Der Kläger war von 2008 bis 2020 bei der S-GmbH als Sitzefertiger angestellt und arbeitete ab Beginn seiner Tätigkeit für die S-GmbH auf dem Werksgelände der Beklagten, einem konzernverbundenen Unternehmen der S-GmbH. Der Kläger war der Auffassung, dass mit der Beklagten nach § 10 Abs. 1 iVm. § 9 Abs. 1 AÜG ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen sei, da er verdeckt als Leiharbeitnehmer eingesetzt gewesen sei. Nach § 10 Abs. 1 AÜG kommt zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer ein Arbeitsverhältnis zustande, wenn der Arbeitsvertrag zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer nach § 9 Abs. 1 AÜG, bspw. weil eine Arbeitnehmerüberlassung im Arbeitsvertrag nicht ausdrücklich als solche bezeichnet wurde, unwirksam ist. Dies gilt jedoch nicht bei einer Arbeitnehmerüberlassung zwischen Konzernunternehmen (§ 18 AktG), soweit der Arbeitnehmer nicht „zum Zwecke der Überlassung eingestellt und beschäftigt ist“.

Die Vorinstanz, das Landesarbeitsgericht Niedersachsen wies die Klage mit Urteil vom 09.11.2023 – 5 Sa 18078/23 mit der Begründung ab, dass die Voraussetzungen des Konzernprivilegs nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG vorlägen. Das LAG Niedersachen entschied, dass das Privileg nur dann entfalle, wenn die Voraussetzungen der Einstellung und Beschäftigung kumulativ vorlägen. Ein anderes Ergebnis sei auch unter Berücksichtigung des Unionsrechts nicht möglich. Eine europarechtskonforme Auslegung dahingehend, dass das „und“ als „oder“ zu lesen sei, komme nicht in Betracht, da dies dazu führe, eine eindeutige nationale Regelung in ihr Gegenteil zu verkehren. Da der Kläger nicht zum Zwecke der Überlassung eingestellt und beschäftigt worden sei, greife das Konzernprivileg weiterhin und eine verdeckte Arbeitnehmerüberlassung sei nicht gegeben. Ein Arbeitsverhältnis mit der Beklagten sei mithin nicht zustande gekommen.

2. Die Entscheidung des BAG

Das BAG folgte der Auffassung des LAG nicht und entschied, dass das Konzernprivileg auch dann ausgeschlossen ist, wenn der Arbeitnehmer zum Zweck der Überlassung eingestellt oder beschäftigt wird. Die Konjunktion „und“ sei als Aufzählung zu verstehen. Diese Auslegung - dass die Voraussetzungen nicht kumulativ vorliegen müssten - entspreche dem Willen des Gesetzgebers. Eine Beschäftigung zum Zwecke der Überlassung liege regelmäßig dann vor, wenn der Arbeitnehmer ab Beschäftigungsbeginn über Jahre hinweg durchgehend bei dem konzernverbundenen Unternehmen eingesetzt wird. Der Neunte Senat hat die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Das Landesarbeitsgericht wird nunmehr weitere Feststellungen zur Eingliederung und Weisungsgebundenheit des Klägers zu treffen haben, um festzustellen, ob eine (verdeckte) Arbeitnehmerüberlassung vorlag.

3. Ist die Auslegung des BAG zu eng?

Die Konzernleihe ist eine Möglichkeit auf Personalschwankungen im Konzern zu reagieren. Mit der Entscheidung des BAG wird das Konzernprivileg weiter eingeschränkt. Nunmehr genügt bereits der Überlassungswille bei der Einstellung oder Beschäftigung, damit die Privilegierung entfällt. Die Auslegung des BAG, dass das „und“ als „oder“ zu lesen sei und dies dem gesetzgeberischen Willen entspreche, ist jedenfalls vor dem Hintergrund, dass Normen strengen und detaillierten Rechtsförmlichkeitsprüfungen unterliegen, höchst fragwürdig. Nicht zuletzt hatte der Gesetzgeber seit sieben Jahren die Gelegenheit, den Wortlaut in diesem Sinne anzupassen. Dies hat er – trotz nicht abreißender juristischer Diskussion hierüber – bisher nicht getan.

Die Entscheidung erscheint darüber hinaus vor dem Lichte der neusten EuGH-Rechtsprechung fragwürdig. Der EuGH führte in seinem Urteil vom 22.06.2023 - C-427/21 (ABl. C 278 vom 7.8.2023, S. 3-4, Rn.55) aus:

„Damit ein Arbeitsverhältnis in den Anwendungsbereich der RL 2008/104 fällt, muss ein Arbeitgeber somit, sowohl bei Abschluss des betreffenden Arbeitsvertrags als auch bei jeder der tatsächlich vorgenommenen Überlassungen, die Absicht haben, den betreffenden Arbeitnehmer einem entleihenden Unternehmen vorübergehend zur Verfügung zu stellen.”

Auch der EuGH geht folglich davon aus, dass nach der Leiharbeitsrichtlinie ein Wille zur vorübergehenden Überlassung bei Einstellung und bei Überlassung kumulativ vorliegen müsse. Die Auslegung des BAG ist damit restriktiver als die Auslegung der Richtlinie durch den EuGH und stellt nicht zuletzt eine Auslegung „contra legem“ dar.

4. Bedeutung in der Praxis

Unternehmen sollten sorgfältig prüfen, ob die Einstellung und Beschäftigung von Arbeitnehmern zum Zweck der Überlassung an ein konzernverbundenes Unternehmen erfolgt. Sollte dies der Fall sein, muss ggf. eine Arbeitnehmerüberlassung mit allen dazugehörigen formellen Anforderungen in Betracht gezogen werden. Insbesondere bedarf es einer Erlaubnis zur Überlassung von Arbeitnehmern nach § 1 Abs. 1 S. 1 AÜG. Liegt eine solche Erlaubnis bei Überlassung nicht vor, kann dies als Ordnungswidrigkeit nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 AÜG gewertet werden, die mit einer Geldbuße in Höhe von bis zu 30 000 Euro geahndet werden kann.

Arbeitgeber müssen demzufolge vor dem Hintergrund dieses Urteils bei der konzerninternen Arbeitnehmerüberlassung zukünftig besondere Vorsicht walten lassen.

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